Damals bin ich in einen tiefen Brunnen gefallen. Auf dem Weg nach unten habe ich mir nicht nur einige Wunden zugezogen und mir den Kopf immer wieder an jeglichen Ecken und Kanten, die ihm im Weg waren, an gehauen, sondern habe auf dem langen, weiten weg meine Kraft und meine Hoffnung verloren. Als ich nach einem sehr, sehr langen Fall, von dem ich dachte, er endet nie, auf dem harten, feuchten Boden aufgekommen war, dachte ich, nun ist alles zu spät. Ich dachte, ich hätte alles verloren, niemand würde mich dort, wo ich war, jemals finden. Niemand würde helfen. Niemand könnte helfen. Ich war lange, sehr lange dort unten. Anfangs versuchte ich noch, die lange steinige Wand wieder herauf zu klettern, doch ich scheiterte. Ich versuchte auch, zu schreien, so laut ich konnte. Immer wieder. Aber man hat mich nie gehört. Doch diese Dinge gab ich nach den ersten Wochen im Brunnen auf. So, wie ich alles, was ich bis dahin je versuchte, aufgegeben hatte. Genau 6 Jahre und 4 Monate verbrachte ich dort unten, in der feuchten, tiefen Dunkelheit.
Nach einer Weile, nach Jahren der Erschöpfung, der Erschütterung und der Trauer, nach Jahren voller Einsamkeit, Krankheit und voller Selbstzweifel, fand mich ein Junge. Er war jünger als ich, aber er war, trotz seiner Schüchternheit, irgendwie voller Kraft. Er saß am Rand des Brunnens und wir unterhielten uns. Wir machten uns einander bekannt und verstanden uns auf Anhieb gut. Von dem Tag an, kam er jeden Tag wieder, setzte sich an den Rand, weit über mir, und sprach mit mir. Durch die Freundschaft, die sich entwickelte, gab er mir jeden Tag ein wenig Freude. Aber nicht nur das. Jeden Tag munterte er mich auf und schenkte mir ein wenig Hoffnung. Je inniger unser Verhältnis zueinander wurde, umso mehr vertrauten wir uns einander an. Als ich dem Jungen erzählt, weshalb ich in diesem Brunnen sitze, wie es dazu kam, dass ich hinein gestürzt bin, beschloss er, mit mir gemeinsam einen Weg zu finden, wie ich wieder an die Oberfläche komme. Wir probierten viel, und immer, wenn ich nach ein paar Metern wieder stürzte, fand er das okay und blieb trotzdem da. Er ermutigte mich, es immer wieder zu probieren und nicht aufzugeben. Da er mein einziger und bester Freund war, hörte ich auf ihn und gab nicht auf. Er wollte doch unbedingt, dass ich endlich nach oben käme und so versuchte ich mein Glück immer und immer wieder, für Ihn, dank Ihm. Es dauerte wirklich lange, bis ich Fortschritte machte, doch ich gab nie auf. Je näher ich der Oberfläche kam, umso inniger wurde unsere Freundschaft. Unser Verhältnis zueinander. Nach vielen Monaten habe ich es tatsächlich geschafft. Ich war oben angekommen, und er nahm meine Hand und zog mich die letzten Zentimeter heraus. Von dem Tag an, dem schönsten Tag meines Lebens, ließ er mich nicht mehr los, genau so wenig, wie ich Ihn.
Doch je inniger eine Beziehung wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Streit aufkommt. Und das war bei uns leider oft der Fall. Bei jedem Streit dachte ich, ich würde ihn ungewollt loslassen, und zurück in den Brunnen fallen. Doch passiert ist das nie. Ab und zu, wurden unsere Streits so schlimm und furchtbar, dass alles nebelig wurde und ich ihn nicht mehr sehen konnte. Dann dachte ich immer, ich hätte ihn verloren. Doch ich spürte ihn noch und verlor die Hoffnung nicht, dass der Nebel vergeht und er wieder vor mir steht. Was dann auch immer passiert ist. Außer dieses eine Mal. Da ließen wir uns los, er schwebte davon und ich fiel. Doch ich fiel nicht tief. Ich hielt mich am Rand des Brunnens fest, in der Hoffnung, nicht abzurutschen. in der Hoffnung, er käme zurück. Und als ich nur noch am seidenen Faden hing, packte mich eine Hand und zog mich rauf. Tatsächlich war er wieder gekommen. Doch er war so anders. Nicht schlecht, aber ich bemerkte sofort, dass er sich verändert hatte. Mit seiner neuen Person, war unser Verhältnis dann aber noch viel inniger, viel schöner und wir hatten weniger Streit. Eigentlich kaum Streit. Bis jetzt.

Wenn der Mensch, der einem als einziger jeden Tag ein wenig Hoffnung gibt, jeden Tag ein wenig Glück und Freude gibt, plötzlich entscheidet, dass er das in Zukunft nicht mehr kann, dann ist es gar nicht so leicht, damit klar zu kommen.

Vor drei Tagen haben wir uns zum zweiten Mal losgelassen, und wieder hänge ich zur Hälfte in diesem feuchten, steinigen Brunnen. Doch die Hoffnung, dass er zurück kommt und mich hält, bevor es zu spät ist, ist nun nicht mehr da…



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