Warum? Warum sah sich jeder im Recht dazu, sich in etwas einzumischen, was ihn nichts anging? Was ihn nicht betraf? Alles scheint doch so einfach zu sein. Kein Zustand ist so schlimm, als das man ihn nicht mit ein paar professionellen Gesprächen wieder beheben und ein für allemal aus der Welt schaffen könnte. Sollten sie doch einfach alle die Fresse halten...

Sie öffnete und schloss langsam die rechte Hand, pumpte das Blut zurück. Während ihre Augen die roten Striemen erfassten, welche sich über die gesamte Fläche von links nach rechts spannten. Das Gefühl kam langsam zurück, strömte nach und nach wieder in die einzelnen Finger. Wie lange sie mit geballter Faust so dagesessen hatte, wusste sie nicht, aber aufgrund der merklichen Taubheit musste es länger gewesen sein.
Langsam erhob sie sich von ihrem Schreibtischstuhl und trat aus dem Zimmer in den Flur. Die Stille bewies, dass sie sich vorhin nicht getäuscht hatte - ihre Eltern waren weggegangen. Gut.
Da wurde die Stille urplötzlich durchbrochen. Das Geräusch war schon vor langem zur Erkennungsmelodie ihrer privaten Hölle geworden. Sie wollte sich die Ohren zuhalten, wollte, dass es verstummte. Doch ihr Handyklingelton war penetrant. Unnachgiebig. Sie wollte ihm nicht nachgeben. Aber der Anrufer würde es noch weitere male versuchen, dass hatten die Erfahrungen der letzten Tage nur zu deutlich bewiesen. Zu viele sagten, dass sie sich doch schließlich Sorgen um sie machten. Freunde. Verwandte. Sie alle hatten keine Ahnung und sprachen sich trotzdem allen ernstes das Recht zu, einschätzen zu können, was das beste für sie war. Und das gaben sie dann bei ihren lächerlichen Anrufen zum besten.
Im Stillen die erstbesten Verwünschungen aussprechend machte sie sich auf den Weg zurück in ihr Zimmer, nahm ihr Handy vom Schreibtisch und hob ohne einen Blick ans Display zu verschwenden ab.
"Marie, hey, ich dachte schon, dass du dein Handy auf stumm geschaltet hast oder ohne irgendwo unterwegs bist."
Tja, eine Schande, dass keine dieser Annahmen zutraf.
"Was gibt`s?"
"Ich wollte nur mal hören, wie es dir so geht."
Natürlich! Warum fragte sie eigentlich überhaupt noch nach?
"Es geht mir gut. Und selbst?"
Schnell eine Gegenfrage anfügen, damit ihre emotionslose Antwort nicht allzu sehr Beachtung fand...
"Bei mir ist alles gut, aber Linda fragt, wann du mal wieder vorbei kommst. Sie will dir so gerne ihr neues Dreirad vorführen."
Der Gedanke an ihre vier Jahre alte Nichte war das erste seit Wochen, was sie ernsthaft zum Lächeln brachte.
"Ich muss mal gucken, wann ich Zeit habe." Besser gesagt, wann sie sich noch zutraute etwas mit Linda zu machen, ohne die Fassung zu verlieren...
"Ich glaube dir irgendwie nicht, dass es dir allzu gut geht..."
Ach nein?! Wenn du es eh nicht glaubst, warum fragst du dann?!
"Ich muss auflegen, ich habe noch zu tun. Bis dann, ja?"
"Marie..."
Sie legte auf. Ihre Finger zeichneten die roten Linien in ihrer Handinnenfläche wieder nach. Die ersten Tränen trafen noch das Display ihres Handys, bevor sie dieses auf ihren Schreibtisch zurückwarf und in sich zusammenfiel. Zitternd und schluchzend sackte sie auf ihren Stuhl und erstickte den ersten verzweifelten Schrei im Kragen ihres Pullovers.


© MajaBerg


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