„Komm doch herbei“ Das sagt eine Stimme. Eine andere meint „warum denn?“ Mein Prüfungsautomatismus setzt ein und ich erkenne, daß ich am Leben bin – wenn auch auf kuriose Weise. Denn ich komme nicht herbei! Fürs Herbeikommen fühle ich mich nicht jung genug. Allerdings war ich dafür noch niemals jung genug.

Jung genug ist allezeit ein Urmensch, der herbeikommt und kommt, wenn er kann, nicht einmal unbedingt, wenn er darf. Das sind die richtigen Kräfte! Damit ist ein Staat zu machen... „Womit macht man denn einen Staat?“ fragt da plötzlich eine andere Stimme und eine weitere Stimme antwortet „mit der Triebhaftigkeit von Urmenschen“, aber ich weiß nicht, ob ich das war.

Aber mir wird klar, daß damit alles wie von selbst funktioniert...die Steuern fließen, die Armeen stehen und manches andere steht auch, damit nichts fällt, z.B. die Geburtenrate. Wie kurz so ein Staat, was das auch immer für ein Untier ist, denkt, weiß ich nicht und meine Stimmen wissen es auch nicht. Sie wissen andere Dinge!

Sie wissen unter anderem, daß der Anspruch auf ein höheres Empfinden nicht besteht, wenn man triebhaft ist – und wenn man es nicht ist, dann auch nicht. Im einen Fall kann man sich nicht vorstellen was das ist und im anderen wird es verboten, untergraben, verunglimpft, weil man ja schließlich Arbeiter und Soldaten braucht. Durchaus hinderlich ist es, auf einem gewissen Lebensstandart zu bestehen.

Warum sollte der gewöhnliche Mensch etwas zu erwarten haben? Das hat jetzt keine Stimme gesagt – das gab mir die Empörung ein. Denn diese Frage ist völlig absurd! Ein Mensch MUSS etwas zu erwarten haben, sonst hätte er auch ein Tier werden können, oder ein Urmensch, ohne bestimmte Vorstellungen von einem sinnerfüllten Leben.

„Willst du denn nicht den einzigen gangbaren Ausweg einschlagen?“ Das war jetzt wieder eine Stimme, aber ich habe keine Ahnung was sie damit meint. Quatsch, ich habe selbstverständlich eine Ahnung, aber ich will es nicht wahrhaben. Sie meint, man könnte sich doch einfach zusäuseln lassen. Von wem? Na, von den extra beauftragten Zusäuslern...

Ja, gewiss, ich lass mir die Hucke voll lügen und latsche einfach in einer ewig langen Prozession zu irgendeinem 3x vermaledeiten Ort, den alle aufsuchen, wenn sie Trost und Erlösung davon suchen, daß sie im Grunde Urmenschen sind. Und ich soll da auch hin? Es darf gelacht werden! Doch zum Lachen ist mir schon lange nicht mehr zumute.

Ich wusste ja nicht, daß es – im Verlauf eines Menschenlebens – auch immer schlechter werden kann. Ich dachte, wir bemühen uns alle, daß es besser wird und dann wird es das auch. Aber so denken wohl nur völlig naive Nicht-Urmenschen, die ihre Milchmädchenrechnung ohne den Betriebswirt gemacht haben. Der nämlich rechnet in Ausbeutungszahlen. Ich bleibe also am besten wo ich bin!

Die schizophrene, geistige Impotenz

© Alf Glocker


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Kommentare zu "Die schizophrene, geistige Impotenz"

Re: Die schizophrene, geistige Impotenz

Autor: Jens Lucka   Datum: 18.07.2024 9:09 Uhr

Kommentar: Ware Worte, lieber Alf.
Zur Zeit bin ich seit längerem für unbestimmte Zeit arbeitsunfähig und habe das Gefühl, fallen gelassen zu werden, wie die sprichwörtlich heiße Kartoffel, da ich nicht mehr in das gemachte Fließbandsystem hineinpasse.
Bin auf das Weitere gespannt.

Liebe Grüße von Jens

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