(Kriegstagebuch, Akte 7)

Woran erkennt man eigentlich, daß man sich im Krieg befindet, und daß man ihn gerade verliert? Die Hinweise darauf sind ganz einfach zu erkennen – es befindet sich eine Menge feindlicher Soldaten im Land! Es werden, von dem feindlichen Heer Tribute erhoben, die von der Bevölkerung zu entrichten sind. Einheimische Frauen werden vergewaltigt. In absehbarer Zukunft wird es eine Menge „Besatzungskinder“ geben. Die einheimische Bevölkerung wird, nach und nach, von den Okkupanten verdrängt!
Dabei verändern sich der Baustil, die Bräuche, das Gesetz und die Religion. Noch vereinzelt aufflackernde Feuer des Widerstandes werden von der Ordnungsmacht niedergeschlagen und es werden Parolen verbreitet, daß die Sieger die Guten sind. Dadurch verändert sich auch die Geschichtsschreibung! Wer ehemals das Land bewirtschaftet und bestellt hatte, gerät mehr und mehr in Vergessenheit – eine ganz neue Sicht der Dinge entsteht, während sich die Gesellschaft grundlegend verändert.
Das sind die ganz eindeutigen Merkmale, die unmissverständlich darauf hinweisen: hier ist etwas im Gange, was nur der Feigling, der Überläufer oder der tumbe Bauer nicht wahrnimmt. Denen ist alles recht, Hauptsache, man hat (noch) zu Essen und zu Trinken. Moderne Kriege laufen jedoch ganz anders ab! Da werden keine Raketen, keine Kanonen mehr abgefeuert, und wenn, dann wo ganz anders! Es fahren auch keine Panzer durch das Gelände, und wenn, dann wo ganz anders. Die Soldaten tragen keine Uniformen und Gewehre, und wenn, dann wo ganz anders!
Die neuesten Taktiken bedienen sich weit komplizierterer Verfahrensweisen, mit solchen, die Militärstrategen entweder gar nicht erkennen, oder solchen, auf die man schlecht, oder gar nicht, reagieren kann. Die neuen Taktiken sind nahezu unwiderstehlich… Da kommen die Soldaten augenscheinlich unbewaffnet. Sie erwerben die Waffen erst in dem zu erobernden Land. Stattdessen zeigen sie Bittschreiben vor, in denen sie um freundliche Aufnahme werben.
Erst, wenn sie dort wohnen, worauf ihre Eroberungszüge abgezielt haben, geben sie sich zu erkennen! Dann fragen sie nicht lange – sie führen einfach ein, was sie für richtig halten. Frauen, die sich nicht mit ihnen paaren wollen, werden „benützt“, weil sie sich nicht so verhalten, wie es die Eroberer vorgesehen haben. Gegen ehemals einheimisches Recht und Gesetz, verstoßen sie, weil das einheimische Gesetz nicht mehr auf dem neuesten Stand der kommenden Bevölkerungsmehrheit ist. Die Sprache verändert sich ebenfalls.
Sie mischen sich in die Kleidungsvorschriften der Eingeborenen ein, sie bestimmen den Schulunterricht, zuerst mit, dann ausschließlich, sie erwerben das Wahlrecht und bekleiden schließlich alle wichtigen Ämter. Während die aussterbenden Ureinwohner des Landes, Tag für Tag, mit Gehirnwäsche ruhig gestellt werden, bauen sie ungehindert eine völlig andere Gesellschaft auf. Später noch rebellierende Horden Einheimischer werden zu Verbrechern erklärt, ihre Unterkünfte werden, nun tatsächlich mit den sonst üblichen Kriegswaffen beschossen und endlich und endlich sieht das neu besiedelte Gebiet aus wie alle Gebiete die von diesem Feind vorher besetzt wurden: verwüstet!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Die Seele des Staates 94"

Re: Die Seele des Staates 94

Autor: axel c. englert   Datum: 24.01.2016 15:03 Uhr

Kommentar: Dieser Text scheint hart. Und scharf!
Was jeder Text freilich auch darf...

LG Axel

Re: Die Seele des Staates 94

Autor: possum   Datum: 25.01.2016 1:52 Uhr

Kommentar: Uih gerade jetzt wo wieder die Zeit im Nacken drückt finde ich deine feine Lektüre, hab lieben Danl lieber Alf!!! LG!

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