Dichter: Ich habe ein neues Gedicht geschrieben und möchte es veröffentlichen.
Verleger: Lassen sie einmal hören!
Dichter: Nackt lag die Frau auf einer Wiese,
von Osten her weht´ kühl die Brise.
Die Sonne ihren Leib beschien
und sehnsuchtsvoll denkt sie an ihn.
Verleger: Halt, halt!
Dichter: Das ist aber erst die erste Strophe.
Verleger: Sehr schön. Allerdings sollten wir noch einige Veränderungen vornehmen?
Dichter: Was verstehen sie unter Veränderungen?
Verleger: Nun, wo sie es schon erwähnen. Zunächst einmal die Sache mit dem Nacktsein. Wir haben einen großen Bevölkerungsanteil von muslimischen Mitbürgern. Dem sollten wir Rechnung tragen und die Frau nicht nackt herumliegen lassen. Wie wäre es mit „Sittsam bekleidet lag die Frau…“
Dichter: Das bringt den gesamten Reim durcheinander.
Verleger: Nur Geduld. Kümmern wir uns erst einmal um das nächste Problem. Von Osten her weht kühl die Brise. Was wollen sie denn damit andeuten?
Dichter: Wie meinen sie das?
Verleger: Nun, Osten – kühle Brise? Das erinnert sehr stark an den kalten Krieg. In Zeiten der Spannungen sollten sie kein Öl ins Feuer gießen. Sie schreiben doch Poesie und keine Streitschrift! Schreiben wir doch einfach: „auf der Wiese, der Wind blies lau.“ Sehen Sie, dann passt auch der Reim wieder.
Dichter: Wenn sie das sagen.
Verleger: Dann die Sache mit der Sonne. Zu starke Sonneneinstrahlung ist krebserregend. Möchten Sie verklagt werden, weil sie offen dazu auffordern, sich diesem Risiko auszusetzen?
Dichter: Aber wir haben die Frau ja jetzt angezogen.
Verleger: …Was nichts an der Tatsache ändert, dass die Hände und Gesicht verbrennen können. Sagen wir doch einfach: „Sie lag entspannt im tiefen Schatten.“ Aber jetzt kommt das Kernproblem: Und sehnsuchtsvoll denkt sie an ihn. Die Frau wartet eindeutig auf einen Mann. Schwule und Lesben grenzen sie damit aus. Wie wollen sie das in unserer Liberalen Gesellschaft rechtfertigen?
Dichter: Daran habe ich nicht gedacht. Wie soll ich das ihrer Meinung nach verhindern?
Verleger: Lassen wir es unbestimmt. Sagen wir doch einfach Es. „Und sehnsuchtsvoll denkt es an es."
Dichter: Sittsam bekleidet lag es
auf der Wiese, der Wind blies lau.
Es lag entspannt im tiefen Schatten
und sehnsuchtsvoll denkt es an es.
Das hört sich bescheuert an und außerdem reimt es sich nicht.
Verleger: Natürlich ist das nicht einfach. Wir müssen nur ein wenig umstellen.
Auf der Wiese lag es herum,
nicht in der Sonne, das wäre dumm,
es wartet bekleidet im Sarong,
die Sehnsucht blies der Wind davon.
Dichter: Dann wäre das Gedicht aber schon zu Ende.
Verleger: Immerhin ist es jetzt korrekt und das wollen wir doch, oder?
Der Mond ist scharlachrot.
Er rockt sich durch die dunklen Wolken.
Er strahlt wie eine schöne Frau.
Sein Lächeln liegt noch auf dem Morgentau.
Die Sonne küsst ihn zart.
Der Smooth Jazz breitet sich aus
Schwingt sich den Wänden empor
Tanzt an der Decke leichtfüssig
Lacht übers ganze Gesicht
Und meint in unterkühltem Ton
Auch Wolken haben eine [ ... ]