Einleitung



(extra kitschig)

Himmel von faszinierendem Licht. Anbetungswürdige Sonnen-auf- und Untergänge. Sternennächte voller Glanz, kuriose Wolkenstrukturen oder der Halbedelstein einer tiefblauen Kuppel am Tag. Schöne Landschaften soweit das Auge reicht – und immer noch weiter. Klirrende Eisberge am Pol, brütende Hitze den Äquator entlang. Eine schier endlose Kette unbezahlbarer Schätze. Beeindruckende Berglandschaften mit atemberaubenden Schluchten, lebensspendende Flüsse und spiegelnde Seen, Steppen voll Melancholie, Tundren in schwerer Tristesse.

Von weit oben gesehen ein Bild der Glückseligkeit. Doch auch ein Bild des Wandels, der Verwandlung all derer, die ihre Landschaften aus der Nähe erleben und sich mit ihnen - durch sie – verändern. Finden sie in den Wüsten Vertrauen in ihre Bestimmung? Lernen sie auf den fruchtbaren Äckern zu geizen oder auf den Meeren zu entdecken? Zu entdecken, was von oben gesehen ganz klar ist: Neue Horizonte. Und alles geschieht im natürlichen Ablauf der Zeit. Innerhalb eines Phänomens das uns reich machen kann, wenn wir aufnahmefähig sind. Ihre Bandbreite hängt von unserer Bereitschaft zu erleben ab. Unser gedankliches Reisegepäck wächst von Jahr zu Jahr – und wenn wir am letzten Tag unseres Aufenthalts noch etwas dazulernen können, haben wir uns wahrscheinlich annähernd richtig verhalten. Was aber vollzieht sich in jemandem, der nach einer kurzen Wegstrecke schon alles weiß? - Verfolge die Spur eines Wasserfalls über mehrere 10 000 Jahre und du wirst dir deiner selbst nicht mehr so sicher sei
Jede Kleinigkeit kann eine Bedeutung haben.
Was, zum Beispiel, verspricht der Himalaja? Wovon singt die Seine? Wo verbinden sich die Prophezeiungen der Taklamakan homogen mit den Träumen des Yellostone? Wie dem auch sei: Das Bewußtsein macht ein unvergeßliches Schauspiel daraus. In dieses Schauspiel bin ich verwoben mit Haut und Haaren. Eine Kette von Spermien, die das ganze Weltall durchmisst, hat mich hierher gebracht und nun bin ich gefangen. Ich kann mich nicht mehr losreißen von den Attraktionen, die ich hier finde. Aber die Reise nähert sich ihrem Ausgang. Ich spüre, daß ich umkehren muß. Aber noch weiß ich nicht wie.
Nie hätte ich geglaubt, wie schwierig es sein würde den Rückweg zu finden. Als Wegweiser habe ich nur meine Intuition und die einzige Landkarte, die mir bis jetzt zur Verfügung stand, sind elementare Erinnerungen an meine Heimat. Und wieder eine neue Situation...


1. Kapitel


Hafergrütze

Vor mir das knisternde Lagerfeuer, die brennenden, dämonischen Augen darum herum. Zwischen mir und den fremden Gestalten Gebüsch. Endlich habe ich sie. Daß ich sie verfolgte weiß ich noch. Was ich jetzt mit ihnen machen soll weiß ich noch nicht. Ich weiß nicht einmal, wie ich hierher gekommen bin. Nein, nicht hinter das Gebüsch, an das Feuer. Auf diese Erde meine ich. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich mit vertrauten Gefühlen einen anderen Planeten. Er muß mein Herkunftsort sein, obwohl ich aussehe wie einer von hier. „Menschen“ nennen sie sich.

Daß ich schon immer so ausgesehen habe wie ich heute aussehe kann ich nicht glauben, denn schon als kleines Kind habe ich meine Eltern gefragt, warum ich behaart bin und nur 5 Finger pro Hand besitze, ich dachte immer es müßten 6 sein. Meine Ohren kamen mir komisch vor. Für mich sahen sie wie rückgebildete Lauscher aus dem Tierreich aus. Einfache Ohrlöcher mit kleiner, weniger auffälliger Wulst davor, stünden mir besser, dachte ich. Auch was das Auge betrifft, hatte ich schon in frühesten Jahren eine ziemlich genaue Vorstellung: Es ist ein Auswuchs des Gehirns, direkt mit dem mittleren seiner 3 Teile durch dicke Nervenbündel verknüpft, unmittelbar aus dem Sehzentrum kommend. Es sieht in allen Bereichen gleich scharf. Aber diese Ansicht war falsch!

„Das Auge ist selbstverständlich ein eigenständiges Organ,
über den Sehnerv mit dem zweiteiligen Gehirn verbunden und es sieht nur durch die Pupille scharf“, sagte man mir. Dann lachte man mich für meine rege Phantasie aus. Das hat mich damals sehr verletzt, denn ich glaubte mindestens über Jahrhunderte respektiert worden zu sein.

Vor mir kauert die Romantik im nächtlichen Gras. Abermillionen Erbinformationen: Zwei potentielle Fortpflanzungsgemeinschaften. Das klingt für mich witzig, denn der Begriff „Gemeinschaft“ existiert nur dem Namen nach. Aber die Münder der Erbinformationsträger machen ebenfalls Witze. Sie hören sich wie Komplimente an. Erzählen sie Lügen? Ich werde sie austilgen, denn nicht nur sie, sondern sogar der Boden unter ihren Hinterteilen ist fruchtbar.

Das soll er bleiben. Wütend aktiviere ich meinen Geist. Mein Wille wird übermächtig. Die beiden Männer wissen was sie wollen. Die beiden Frauen auch. Beide Parteien wollen ihren speziellen Erfolg. Die Absichten sind geschlechtsspezifisch verschieden. Mein Geist nähert sich Händen und Herzen. Die Hände nähern sich den Herzen. Aber sie tun das viel zu schnell. Die Herzen schreien auf: “Nein!“ Von den Herzen gewiesen werden die Hände zu Fäusten. Männerfäuste schlagen in Frauengesichter. Die Romantik wächst, das Schicksal wächst an und die Lebenskraft wächst unkontrolliert ins Überdimensionale. Zum Beweis dafür bedeckt jetzt Blut die zarten Münder der harten Frauen. Zwei Stunden später ist die Romantik zum Abenteuer geworden. Messer blitzen im Feuerschein auf. Ihre rotglühenden Klingen zerteilen nackte Gestalten.

„Wir müssen verhindern, daß man sie identifizieren kann“, sagt eine, durch mehrfache, sexuelle Befriedigung, entkräftete Männerstimme“. „Machen wir Fleischsalat!“ lacht eine andere.
Kritikloses Selbstbewusstsein und ein klar umrissener Instinkt sprechen aus ihr.

Noch glimmt das Lagerfeuer. Ich labe mich an seinem Glanz. Jetzt bekommt es neue Nahrung. Zwei entstellt Köpfe mit langen, wallenden Haaren fallen hinein, werden mit trockenen Ästen zugedeckt und mit Benzin übergossen. Die schönen Schöpfe verglühen kometenhaft, die heraus gewürgten Zungen garen zuerst. Hirne schmelzen ohne den Hauch eines Gefühls. Und ohne den Hauch eines Gefühls – rechnet man die prickelnde Spannung der ängstlich zufriedenen Mörder weg – werden die abgebrannten Schädel zertrümmert. Ihre Asche wird fachgerecht in eine vorbereitete Grube gestreut.

Sie ist nicht groß. Gerade groß genug, um die Wunschträume von 5 000 Generationen darin aufzunehmen. Wunschträume haben kein Gewicht. Die abgetrennten Hände und Füße der ausgedienten Lustobjekte, sprich nunmehr „Leichen“ kommen in einen Plastiksack. Irgendein beschaulicher See wird sie aufnehmen, sie bewahren, bis zum Sankt Nimmerleinstag. Der nichtssagende, körperliche Rest ( die Hauptmasse der Leiber, um die es den Männern eigentlich ging ) bleibt den wilden Tieren überlassen. Füchse, halb verhungerte, streunende Hunde, Raben und Maden und vor allem Insekten wissen damit etwas sinnvolles anzufangen. Sie alle werden ihn umarbeiten in ihr eigenes Fleisch. Das ist das Weltprinzip.

Ich bin beglückt! Durfte ich nicht Zeuge sein, der Ausübung des Rechts der Stärkeren?! Nein. Schließlich war ich der Verursacher. Ich war der Stärkere. Aber das weiß niemand.
Und objektiv betrachtet ist nicht viel passiert. Da mache ich mir nichts vor. Wäre ich 20- oder 30 000 Jahre früher an diesem Ort gelandet, es wäre bei der bloßen Vergewaltigung geblieben. Die Täter wären straffrei ausgegangen und ganz einfach unsere Urururgroßväter geworden. Eine Notwendigkeit zur Zerstückelung der beiden Mädchen hätte demnach nicht bestanden. Im Gegenteil: Die beiden wären geschwängert und frohen Mutes von dannen gezogen und alle Welt, vor allem die gegenwärtige, hätte sich darüber gefreut, denn sie wäre ja erst entstanden. Alles, was sich in der Entstehung befindet freut sich gedankenlos – schamlos?

Das Umfeld hat sich gewaltig verändert, die Akteure eher weniger. Heute trägt der Mann von Welt Anzug und Krawatte, sein Gegenstück, die Frau, schminkt sich, um ihre sexuelle Anziehungskraft zu erhöhen und beide lassen sich von schlauen Organisatoren in Maßregeln zwängen, die vor allem den Organisatoren nützen. Aber die wahre Natur bricht sich Bahn, findet zu sich selbst, sie befriedigt sich sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt. Und wer nicht ausersehen ist, einen großen, allgemeinen Krieg mitgestalten zu dürfen, der macht sich seinen ganz privaten. Viel mußte ich also nicht tun.
Berauscht von meinem Glück blicke ich zu den Sternen hinauf – von denen ich komme – und ich kann mich in diesem Augenblick nicht mehr zurückhalten ein Hei-ku zu entwerfen:

Gedankenvolle Nachtschwärze steigt
durch ein rotblutendes Herz
leuchtende Himmelsgoldbuchstaben verkörpernd.

Ich weiß, ich bin ein Künstler, ein Goldkind, rot vor Erregung in tiefschwarzer Umgebung. Was für eine Komposition. Und noch etwas weiß ich: Es geht diesen Menschen hier nicht nur um’s Geld, wie immer behauptet wird. Es geht um etwas ganz anderes, Hinterlistig- Geheimnisvolles, um etwas wirklich Bestimmendes Im Leben, aber ich werde noch nicht verraten um was.



„Das wird ihm nichts einbringen – und mir auch nicht“ giftete Hauptkommissar Kaspar Gleich aus seiner Zelle ( in die er sich immer zu Inspirationszwecken zurückzog ) heraus. Er hatte diese seltsame Botschaft in Händen, die er für ein Bekennerschreiben hielt. Sie war schon die 3. in diesem Monat.
„Sam“, sagte Inspektor Greifzu, sein engster und einziger Mitarbeiter, „was ist nur aus dir geworden? Dieser Unbekannte macht dich...“

„Sei still, oder ich schieße“, fiel Sam – so nannten seine Freunde den Hauptkommissar - seinem Gehilfen, den alle nur „Zuffi“ nannten, ins Wort. Zuffi schloß boshaft die Jailtür und ging. An einem Kleiderständer hing sein Schultergurt mit dem Remington. Er legte den Revolver auf den Tisch und betrachtete ihn verliebt. Dann nahm er den Gurt und schwang sich hinein. Dabei schritt er zur Straßentür. Beinahe hätte er seine Dienstwaffe vergessen. Er kehrte noch einmal um, steckte den Revolver ein, verpaßte sich eine Malborog-superheavy in den rechten Mundwinkel und schlüpfte in seine liebste Rolle. „Hier entlang“ zischte er. Jetzt war er wieder ganz er selbst: Texasranger im Wilden Westen.

Der Wagen stand hinter dem Polizeihauptquartier. Das „Gespann“ ( ein neutraler VW-Kombi ) mit „den beiden Braunen“ (=nur in der Vorstellung Zuffis vorhanden), wartete in dem engen Officehof. Das Fuhrwerk war bereits von einem Stallburschen auf Gegenzug gebracht worden. Zuffi stieg auf ( ein ), wollte nach Zügel und Peitsche
( Zündschlüssel und Schaltknüppel ) greifen. Doch eine fremde Macht drückte ihn zu Boden, warf eine Decke über ihn, nahm Zügel und Peitsche an sich und ließ die Vierbeiner angehen. Mit quietschenden Reifen und aufgepflanztem Blaulicht raste der Kombi die Toreinfahrt hinaus.

„Wir fahren erst einmal aus der Stadt“ brummte eine gebieterisch dunkle Stimme. „Dann nehmen wir die Straße nach Schwipsheim – und mach endlich das bescheuerte Blaulicht aus“. Noch während er das sagte, versetzte der Sprecher Zuffi einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf – und bei Inspektor Greifzu ging ebenfalls das Licht aus.
„Meine Sachen sind noch zu Hause“ lamentierte hellstimmig der Fahrer, aber er bekam sofort eine zufriedenstellende Antwort. „Du findest nachher alles hinten im Wagen“.

Der Brummbär, Jacky Degenhart, hatte wirklich an alles gedacht. Das erfüllte seinen Freund Jonny Monroe mit großer Dankbarkeit. Der Kleine mit der sonnig-hellen Stimme ließ die Braunen im Schritt gehen. Sie befanden sich auf der Anderson-Uferstraße, im äußersten, westlichen Stadtbezirk.

Der Hauptkommissar rief inzwischen längst um Hilfe, aber im Jail, hinter verschlossener Türe. Wer sollte ihn da hören?
Draußen, vor der Stadt, stoppte der Wagen am Waldrand. Die beiden Entführer, der kleine, rundliche mit der netten Stimme, sowie der lange, knochige, mit dem eindrucksvollen Baß, stiegen aus. Auf der Ladefläche des Kombis fanden sie nicht nur den Spirituskocher, samt Brennstoff, sondern auch einen Beutel Salz und etliche, andere Gewürze. In einer Tasche steckte ein toter Hase, der dazugehörige Drehspieß, Tee, Kaffee, Zucker und eine Flasche feinstes Olivenöl. Jacky hatte vor der Entführung den Wagen aufgebrochen und alles gewissenhaft verstaut. Jonny Monroe, der kleine Rundliche, baute den Kocher auf und steckte den Hartspiritus in Brand. Der Rest war Jacky Degenharts, des langen, Knochigen, Sache.

Besser hatte Hasenbraten nie geschmeckt. Das war jedenfalls Jonnys Meinung. Er hatte das Tier heute Vormittag aus dem Zoo gestohlen und zum Treffen mit Jacky, vor dem Polizeihauptquartier mitgebracht. Jacky hatte ihm eine Überraschung versprochen. Was nun kam war klar wie Kloßbrühe. Die beiden holten sich Zuffis Decke und verpassten ihm vorsichtshalber noch einen kräftigen Klaps auf den Hinterkopf um seinen Schlaf zu verlängern. Jacky breitete ein Lager aus. Darauf fanden sie sich dann wieder, lange bevor die Sonne unterging. Sie küssten und herzten sich, zogen sich gegenseitig aus und streichelten sich, bis es sie danach drängte sich zu vereinigen.

Die Nacht lag noch vor ihnen und es sollte die Nacht werden von der sie beide so verdammt lange geträumt hatten. Die Dämmerung brach herein und Sterne zogen auf. Und wieder forderten die Gefühle ihren Tribut. Heiß brannte das Blut – noch zusätzlich durch heißen Tee und heißen Kaffee aufgeheizt – in den Adern. Tief in den Lenden pochten die Herzen. Sie pochten und pochten. Die Höhepunkte wurden fast immer gemeinsam erreicht.

Jonny war ein leidenschaftliches Wesen. Er liebte es kraftvoll genommen zu werden und er war imstande vor lauter Wonne und Glückseligkeit lauthals loszuschreien.

In dieser Nacht hatte der nahe Jäger auf seinem Ansitz keine Fortune, denn alles Wild floh verschreckt in ein anderes Revier.
Als der Morgen graute lag das traute Paar eng umschlungen, weitab von seinem Lager im Gras. Die Männer waren in Schweiß gebadet und ihre Leiber klebten förmlich aneinander. Keiner war mehr fähig auch nur den kleinen Finger zu rühren. Sie waren fix und fertig. Jeder hatte gegeben was er konnte – und das war weder für sie noch für die Polizei eine schlechte Bilanz.

Als Jonny Monroe erwachte stand die Sonne genau über ihm. Er schreckte hoch, hielt aber ein, als er bemerkte, daß er Jacky noch auf sich liegen hatte. Er schaute sich um. Wie leichtsinnig von ihnen! Alle Sicherheitsmaßregeln hatten sie außer Acht gelassen. Dazu hatte ihn dieser Mann gebracht. Was für ein Kerl – Jacky!

Endlich bemerkte Jonny auch, daß nicht nur die Sonne über ihm stand. „Aufstehen, ihr verdammten Schweine!“ rief Inspektor Greifzu, zu voller Amtsgröße aufgerichtet. Er hielt seinen ungeladenen Revolver in der Hand. Seiner ewigen Zerstreutheit verdankte er die fehlende Munition. Bereits kurz nach Mitternacht war der verantwortungsbewusste Kriminalbeamte erwacht. Ein Blick aus dem Wagenfester vergegenwärtigte ihm die Situation. Den Rest der Nacht bis zum Morgengrauen verbrachte er damit sich im hellen Mond- und Sternenschein zu übergeben. Von dem letzten Schlag mußte er sich noch erholen. Die Wirklichkeit vor seinen Augen erschien ihm viel zu unwirklich, um etwas unternehmen zu können. Erst als sich die grelle Mittagssonne hoch im Zenit befand, fühlte er sich imstande sein ekelhaftes Brechgefühl ( offenbar hatte er eine schwere Gehirnerschütterung erlitten ) zu unterdrücken.

„Sie sind verhaftet“, stammelte er, von erneut aufkommender Benommenheit attackiert. Speichel rann ihm aus dem rechten Mundwinkel. Vor seinen Augen schwankte die Welt. „I musch schie bidden schich schelbschd schu feschdeln“, hauchte er , dann konnte er nicht mehr. Leise stöhnend kippte er hinten über und schlug sich nun selbst seinen schweren Schädel an einem großen Kiesel auf. Grinsend schlief er wieder ein.

Später, im Krankenhaus konnte er sich an nichts mehr erinnern. Hauptkommissar Gleichs Fragen bereiteten ihm nur Kopfschmerzen. „Waren es Terroristen, Bankräuber, Zuhälter, oder gar Eingeborene?“

„Keine Ahnung, keine Ahnung“, ächzte Zuffi, „und bitte nicht so laut, ich habe schlecht geträumt“.
Sam hatte, nachdem er sich 12 Stunden lang die Fäuste an der Zellentür wundgetrommelt hatte und schließlich am Vormittag von einem einfachen, verdeckten Ermittler, durch Zufall entdeckt und befreit worden war, sofort bei Zuffi zu Hause angerufen. Er wollte ihn ganz einfach zusammenscheißen. Von Frau Greifzu – die früher Psychologische Betreuerin bei der Fremdenlegion gewesen war und sich mit Männern auskannte – erfuhr er, daß sich ihr Gatte wieder mal die ganze Nacht herumgetrieben habe. Bei ihr entschuldige er sich gewöhnlich mit dem Wort „dienstlich“, aber sie wisse es besser, sagte sie. „Bestimmt ist der elende Hund im Puff gewesen und traut sich nicht mir unter die Augen zu treten, vor lauter schlechtem Gewissen“. Gleich erinnerte sich andächtig an ihren Schnurrbart und wollte sich deshalb schon mit dieser Auskunft zufrieden geben, als er, einer inneren Eingebung folgend, sofort eine Großfahndung einleitete.

Gegen 8Uhr abends wurde Zuffi dann auch, geistig völlig verwirrt, von zwei üblen Herumtreibern entdeckt, anständig beraubt, aber dann auf der nächsten Wache abgegeben. Kaspar Gleich begann zu verzweifeln. Jetzt bin ich schon über 50 und habe nichts auf die Reihe gebracht. Man könnte meinen, die ganze Menschheit sei verrückt geworden. Oder handelte es sich hier um ein Komplott? Um ein Komplott gegen ihn und die 2 oder 3 anderen vernünftigen Menschen auf der Welt? Er war hoffnungsvoll genug zu glauben, daß er sich in der entscheidenden Phase seines Lebens befand: kurz vor der Aufklärung einer der kuriosesten Mordserien der Geschichte. Doch ausgerechnet jetzt drehte sein Mitarbeiter durch. Auf welche Hilfen konnte er noch bauen? Würde sein eigener Verstand ganz alleine dafür ausreichen, sämtliche anstehenden Denkprobleme zu lösen? Vermißtenmeldungen gab es schließlich genug und jede konnte dem nächsten Mordfall vorausgegangen sein. Mit welcher Vermißtenmeldung der nächste Mordfall wirklich zu tun hatte, war einfach im voraus nicht ermittelbar. Keiner würde sagen können, mit welcher das zuletzt eingegangene Bekennerschreiben zu tun hatte, aber das würde er, der Hauptkommissar in Person schon noch aufklären. Wozu liebte er seinen Beruf wie kein anderer, wozu hatte er, im Zusammenhang mit seinem Beruf Illusionen und wozu hatte er Visionen? „Visionen!?“ So ein Blödsinn, korrigierte er sich. Ein Verrückter hat vielleicht Visionen, ein Kriminaler besitzt einen analytischen Verstand. Basta! Und eben jener analytische Verstand sagte Kaspar Gleich, Sam und Hauptkommissar im Morddezernat, daß er jetzt weiblicher Bestätigung bedurfte.

Er sah sich noch einmal das letzte Bekennerschreiben an. Bis ein neues eintrudelte, immer sauber an ihn selbst, den Chef des Dezernats adressiert, trug er stets das alte mit sich herum, um es wiederholt gründlich zu studieren. Wer weiß, irgendwann fiel ihm vielleicht etwas auf, das er bisher übersehen hatte, obwohl es womöglich entscheidend war.

Diese Bestie bezeichnet uns als bloße Fortpflanzungsgemeinschaft, als eine Anhäufung von Erbinformationen, als sonst nichts. Vorsichtig lachte Gleich in sich hinein. Er war sich seines Lachens nicht ganz sicher. Dann fiel ihm tatsächlich etwas auf.

Bei nochmaliger Inaugenscheinnahme des Wortes „Fortpflanzungsgemeinschaft“, bemerkte er, daß 3 Typen der Maschine, auf der das ominöse Schreiben verfasst wurde, fehlerhaft waren. Es handelte sich um das kleine „A“, das kleine „M“ und das kleine „L“. Jeder Buchstabe wies eine winzige Scharte im rechten, oberen Bereich auf. Bei nochmaligem Lesen des gesamten Schreibens fand er heraus, daß es sich nicht nur um die kleinen Aas, Emms und Ells’ handelte, sondern ebenso um die großen. Wie seltsam. Eine erneute Welle von Anlehnungsbedürfnis und Sehnsucht nach Selbstbestätigung deckte weitere, analytische Überlegungen zu und machte weitere wegweisende Entdeckungen überflüssig.

Murtl ( gesprochen „Mörtel“ ) war keine Frau, sie war ein Weib! Jedesmal wenn sich Sam an ihre großen, schwarzen Brüste drängte, wähnte er sich daheim.

Heute war er verdammt froh, daß er sich noch entschlossen hatte Anlehnungsbedürfnis zu entwickeln, um Murtl, seine hochverehrte Lebensgefährtin zu besuchen. Er mußte dieses wunderbare Geschöpf einfach wieder in die Arme schließen und an sich drücken. Das erste Mal - das war vor 5 Jahren gewesen - hatten sie sich in einem Kuhstall geliebt. Jetzt hatte er natürlich ein kleines Häuschen besorgt, für sie und ihre 5 unehelichen Kinder. Als Mann von starkem Auftreten nahm er selbstverständlich an sie seien ausnahmslos von ihm, obwohl ihm keines davon ähnlich sah.

Seinem Glauben nach hatte er Murtl soeben zum 7. oder 8. Höhepunkt getrieben, als ihm jemand von hinten auf die Schulter tippte. Hauptkommissar Gleich fuhr erschrocken zusammen. Den Blick noch völlig verklärt fragte er sich: Wer kann das sein?

Hinter ihm stand scheinbar eine nebulöse Gestalt!
Jesus, Maria und Josef! Die Gestalt sagte zunächst nichts. Dann jedoch: „Du hast dich total übernommen, mein Freund“. Würde er nun, genauso wie Zuffi, von brutalen Perversen, aus Jux und Tollerei, überfallen und brutal zusammengeschlagen werden? Oder war das eine Halluzination – ein Anfall von Wahnsinn?

Mühsam richtete er sich auf und polterte nach vorn. Wovor wollte er fliehen? Dann knackte es in seinen Knien, er fiel zusammen und stieß sich an Murtls Schlafzimmerfensterrahmen die Stirn blutig.
„Himmel, Sam, du schlägst mir ja noch die Scheibe ein“, rief Murtl entsetzt. Sie schlug vor, er solle sich wieder hinlegen und sich ausruhen, sie halte ihm einstweilen die Kinder vom Leib.
„Bleib’ bei mir“ sagte er kleinlaut und äugte zu seinem Revolver an der Stuhllehne hinüber. Doch kurz darauf kuschelte er sich brav in die Federn. Aber da krachte und polterte es an der Haustüre. Mehrere Männer stürzten herein.

Erst jetzt merkte Sam, wie weit vom Bett entfernt er seinen Revolver deponiert hatte. Murtl war gerade noch dazu gekommen in ihren Morgenmantel zu schlüpfen. Ihre Blößen waren bedeckt. Hauptkommissar Gleich hingegen lag nackt unter der Decke. Dann standen die Eindringlinge auch schon vor ihm.

Agent Lockshire befand sich in Sams Alter. Er war ebenfalls ein großer, starker Mann mit breiten Schultern und eisigem Blick. Entschlossen trat er an die Bettkante und stieß dabei die beiden anderen Agenten des WGD ( Weltgeheimdienst ) zur Seite. Mit schneidender Stimme sagte er: „Sie sind vorläufig festgenommen! Sie wissen warum!?“

„Wegen der Bekennerbriefe?“ vermutete Sam richtig. Hatte er sie den übergeordneten Behörden unterschlagen? Doch er hatte sie weder gestohlen, noch irgendwelchen verantwortlichen Stellen abgenommen. Sie waren ganz alleine an ihn – allerdings in seiner Eigenschaft als Amtsperson – gerichtet worden. Irgendwann hätte er sie schon irgendwem vorgelegt.

Und woher hatte der WGD davon Wind bekommen?
„Stehen sie auf und ziehen sie sich an“, herrschte Lockshire mit unwillig schnarrender Stimme den Verhafteten an. Wir sind hier im tiefsten Bavarien und nicht in Kalifornien, dachte sich Sam. Und in diesem Staat hängt man langsam aber gewissenhaft arbeitende Beamte nicht gleich auf. Die Männer feixten, angesichts der peinlichen Situation. Sie beobachteten Sam mit Kennerblicken, als er zum Stuhl ging, auf dem seine Sachen lagen. Agent Lockshire war noch vor ihm dort und nahm den Revolvergurt mit dem Remington an sich. Murtl wurde in Handschellen hereingebracht. Ihr Morgenmantel stand weit offen. Jetzt war alles zu sehen. Ihre dicken Lippen sahen aufgeschwollen aus. Ein Auge schillerte bläulich.

„Wir mußten sie durchsuchen, sich hat sich leider gewehrt“, meinte einer der Agenten verschmitzt. Das gekräuselte, schwarze Haar stand in wüster Unordnung auf ihrem breiten Schädel. „Ihr Schweine!“ kreischte sie lebhaft – und Sam wußte gleich wonach sie gesucht hatten.
„Schon 11 Uhr“, lamentierte Lockshire, „wir werden erwartet“.

Inzwischen brütete unerträgliche Mittagshitze in den fast leeren Straßen. Alles schien sich müde verkrochen zu haben. Eine schlechte Zeit für Verhöre, außerdem knurrte Sams Magen schon bedenklich. Dieser Teil seines Körpers hatte heute noch keinerlei Befriedigung erfahren!

Das staatliche Kontrollamt – genau zwischen der St. Judas Kirche und den Aufnahmestudios für Volksmusik, in der Prinz-Pippin-Straße gelegen, strahlte grellweiß in der Sonne. „Herzilein, lieb’s Herzi mein...“ drang es leise, aber bestimmt, durch die, mit kitschiger Lüftelmalerei verzierten Mauern der Aufnahmestudios. Im staatlichen Kontrollamt wartete die Dunkelheit.

Agent Lockshire ging durch unbeleuchtete Gänge im Bauch des staatlichen Kontrollamtes, in denen das Zwielicht hauste, voran. Dann stieß er die Tür zur Turnhalle auf. Hier war es völlig dunkel, bis auf ein kleines, von 13 Spotlights erhelltes, kreisrundes Feld. In der Mitte des Feldes stand ein Stuhl. Hauptkommissar Gleich trat ein. Die Türe hinter ihm ging krachend zu und fiel sofort in mehrere Schlösser und Riegel.
„Nehmen sie Platz Kaspar“, sagte eine monotone Lautsprecherstimme. Sie klang synthetisch. Sam mochte es nicht, wenn ihn jemand mit seinem richtigen Vornamen „Kaspar“ anredete. Damit war er in der Schule zu oft gehänselt worden.

„Sie haben uns wichtiges Beweismaterial vorenthalten, wissen sie das?“ Das stellte die synthetische Stimme nun mit traurigem Unterton fest. Wieder fragte sich Kaspar Sam, woher der Weltgeheimdienst überhaupt von den Briefen wissen konnte. Irgendjemand musste ihn verpfiffen haben. Aber der WGD wußte viel mehr. „Wir haben Grund zu der Annahme, daß sie mit einer außerirdischen Interessensgemeinschaft konspirieren“.

„Ha“ lachte da Kaspar. „Woraus können sie so etwas schließen?“
„Wir haben alle ihre persönlichen Kontakte überprüft und beobachtet, es haben sie keine Anhaltspunkte für eine schriftliche Mitwirkung von unseresgleichen ergeben. Das Material ist immer wie aus dem Nichts aufgetaucht, während sie angeblich geglaubt haben es sei mit der Post gekommen. Der Briefträger konnte sich aber nicht erinnern etwas anderes als ganz offizielle, irdische Schreiben bei ihnen abgegeben zu haben“.

„Trotzdem kann es doch auch bloß ein Irrer gewesen sein“.
„Ob Außerirdische oder Irre, das ist doch egal!“ wies ihn die Stimme zurecht. „Außerdem ist das sowieso das Gleiche. Jedenfalls haben sie den Glorienschein unserer Rechtsordnung in sich selbst und damit in jedem von uns verletzt. Aber Gloria darf nicht sterben“.

„Fortpflanzungsgemeinschaft!“ sagte Sam trocken.
Aber irgendwer hatte das gehört und als unverdaulich empfunden. „Warum verhöhnen sie unsere Art“, fauchte der synthetische Gesprächspartner sogleich. „Was wissen sie schon von den Schreien junger Frauen bei der Entbindung? Sie waren ja nie dabei. Die meisten von uns haben Söhne und Töchter. Was würden sie tun, wenn sie erführen, daß sie uns alle verraten haben?“
„Das bringe ich schon wieder in Ordnung“, behauptete Sam mit belegter Stimme.
„Ganz bestimmt nicht!“ erwiderte die Stimme mit väterlichem Nachdruck. Zum Beweis zeigen wir ihnen einen kleinen Film“.

Die Spotlights erloschen. Eine 3-D-Vision leuchtete auf.
Eine zierliche, dunkelhaarige Frau, die zwei Einkaufstüten auf dem rechten Arm trug und mit der linken Hand die Hand ihrer kleinen Tochter hielt, blieb auf dem Parkplatz eines Supermarktes stehen. Sie beobachtete zwei Männern in grauen Straßenanzügen, weißen Hemden und dunklen Krawatten, die zielstrebig auf sie zu kamen. „Ja?“ sagte sie. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, aber ein flaues Gefühl beschlich die dunkelhaarige Frau, die offensichtlich aus dem mittleren Süden Europas stammte. Einer der beiden Männer zeigte ihr einen Ausweis. Sie warf einen kurzen Blick darauf und wußte: Jeder Ausweis konnte gefälscht sein. Zunächst nahm sie jedoch wohlwollend an, daß es sich um den Ausweis eines Polizisten handelte. Was war geschehen?

Ihr erster Gedanke galt ihrem Mann Sepp, der sich auf einer wichtigen Konferenz im Zentrum von Münchhausen aufhielt. Jedenfalls hatte er ihr gesagt, daß die Konferenz dort stattfinden sollte (die synthetische Stimme erläuterte monoton und absolut gefühlsneutral den Filmverlauf) und natürlich hatte sie keine Sekunde daran gezweifelt. Zumal sie Sepp gestern noch in Münchhausen angerufen und er ihr gesagt hatte, daß alles in Ordnung sei und er sich melden würde, sobald er sich auf den Rückweg machte. Sie hatte noch ein wenig mit ihm plaudern wollen, aber die Verbindung war urplötzlich abgerissen. Verdächtig war ihr das aber nicht vorgekommen. Sie wußte ja, Sepp hasste Privatanrufe wenn er sich mit geschäftlichen Dingen befasste und es keinen sachlichen Grund für eine Störung gab.
„Ist was mit Sepp?“ fragte die zierliche Dunkelhaarige und ließ sich von einem der beiden grau gekleideten Männer die Einkaufstüten abnehmen.

„Ja“, sagte der andere, der ihrer adoptierten Tochter, einer kleinen Inderin über das Haar strich. Die Kleine war eine Spur zu zutraulich, dachte Maria. Das hatte sie oft genug aus ihr herauszubringen versucht. Nun aber war sie froh darüber, denn Shari lenkte fast die ganze Aufmerksamkeit des zweiten Mannes auf sich. Kinder können mit ihrem Vertrauen Vertrauen erzeugen.

„Was ist passiert?“
„Sepp hatte, sagen wir mal, einen Unfall“, antwortete Hal Metzger vom Gesundheitsamt. „Wir wissen nicht, ob sich verdorbene Lebensmittel oder gefährliche Drogen in seinem Besitz befinden, aber es scheint so, als habe er sein Gedächtnis verloren“.

„Konserven!“ fiel Maria lakonisch ein. „Nichts als Konserven“.
„Okay, okay“, sagte Hal Metzger, „aber der Konsum von Drogen oder verdorbenen Lebensmitteln ist im Arbeitseinsatz hierzulande verboten. Wir alle haben unsere Werte, die eine Stütze der Gesellschaft sind. Wozu haben wir Schulen besucht, Berufe erlernt – wozu hat man uns beigebracht richtig zu wählen?“

Der andere – Jeremias Weißhut – fiel Metzger ins Wort. „Tut uns leid, aber die Kleine hier müssen wir mitnehmen und auf ihren Geisteszustand hin überprüfen. Es besteht Anlass zur Sorge, denn es könnte sich auch um eine Infektion handeln. Vielleicht hat ihr Ziehvater eine ansteckende Krankheit und sie war in letzter Zeit oft mit ihm zusammen gewesen. Auf sie kommen wir gegebenenfalls zurück. Erlauben sie?!“

Was für eine Frage, dachte Maria. Weißhut hatte Shari auf den Arm genommen und folgte Hal Metzger zu einer schwarzen Limousine, die mit Scheiben versehen war, durch die man zwar von innen hindurch, nicht aber von außen hinein sehen konnte. Sekunden später fielen die Türen der Limousine ins Schloss. Hal Metzger, der den Wagen fuhr, startete und legte ein Tempo vor, das in Maria Hausmeister, geborene Maestro di Casa, gar keinen Zweifel mehr daran aufkommen ließ, daß es ihrem Mann wirklich schlecht ging. Sie unterdrückte ihre Wut und schaute bewußt nicht mehr dem davonrasenden Auto nach. Aus der Jeanstasche zog sie eine zerknitterte Packung Peter-Sauerland, strich sich eine der Zigaretten glatt und zündete sie an.

Leider konnte sie sich denken was mit Sepp los war. Sepp hatte schon immer leichte Symptome geistiger Verwirrung gezeigt. Die Krankheit war gewissermaßen ein Markenzeichen seiner Familie. Sepps Vater war Kunstmaler gewesen und ein guter obendrein. Seine Mutter arbeitete lange Zeit als Putzfrau in einem Gymnasium, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Großeltern beider Seiten wurden in den späten sechziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts als Kommunisten verfolgt und nur durch einen gemeinschaftlichen Lottogewinn vor dem Schlimmsten bewahrt. Allesamt waren sie verdammte Idealisten gewesen. Genau wie Sepp.

Wahrscheinlich hatte er einfach wieder nicht aufgepasst. Und so verhielt es sich tatsächlich. Im Hotelzimmer wurde er nach der Konferenz der bedeutendsten Sexartikelhersteller aus aller Welt von seinen „Träumen“, wie er es nannte, heimgesucht. Maria nannte es „Zwangsvorstellungen“. Immer wenn es um Sex, die ernsteste Sache der Welt, ging, geriet der Trottel ins Phantasieren. Das wußte sie nur zu gut. Sogar beim Akt selbst träumte er. Dabei dachte er gar nicht an Sex, wenigstens nicht hauptsächlich. Er dachte darüber nach, was er für eine Bedeutung er für uns hatte und welche Bedeutung er eines Tages für uns haben könnte. Meist wußte er dann nicht mehr so richtig, was er gerade tat. Selbstverständlich wollte er sich und seine Partnerin aufrichtig befriedigen, aber sein Wille erschlaffte ungewollt in ihrem Schoß – der absoluten Konzentration beraubt.

Maria Hausmeister nickte und inhalierte einen weiteren Zug. Günter Dödel, der Chef des Komitees, gleichzeitig Sepps Arbeitgeber, der einen Betrieb zur Herstellung von Neunschwänzigen Katzen - unerlässliche Accessoires für die beliebten SM-Parties - leitete, hatte sich bestimmt nicht mal die Frage gestellt, warum Sepp nach der Konferenz nicht zum abendlichen Stammtisch der Konferenzteilnehmer, mit anschließendem, vergnüglichen Besuch in einem Domina-Studio, erschienen war. Er ahnte ja nicht, wie schnell sich die Gedanken seines leitenden Angestellten ( Sepp sagte immer „leidenden“ Angestellten ) im Netz seiner absurden Vorstellungen verstricken konnten. Und er bemerkte auch nicht, wie verkrampft Josef Hausmeister dann dasaß – die Bilder einer nicht wahr werden wollenden, paradiesischen Zukunft vor Augen. Dabei musste es dann passiert sein.

Ohne große Mühe konnte sich Maria ihren Gatten vorstellen, wie er sich, mit Schaum vor dem Mund, auf dem Fußboden wälzte. Ganz in Gedanken an eine in sich selbst verlorene Frau mit erotischer Ausstrahlung, der es genügte sich die Liebkosungen von einem oder mehreren Männern gefallen zu lassen und dabei von Höhepunkt zu Höhepunkt eilte. In diesem Zustand mußten sie ihn gefunden haben. Wer hätte da nicht die Sanitäter gerufen? Später, nach der Blutuntersuchung, hatten sie dann unweigerlich auf eine Vergiftung unbekannter Art geschlossen und das Gesundheitsamt alarmiert.

Hier endete die Filmvorführung mit der Einblendung möglicher Lösungsvorschläge. Wie sollte die Ideallösung für Leute mit Sepps Charakterbild aussehen?

Lösungsvorschlag a): zeigte einen aufgehängten Selbstmörder, der sich ein, aus Zeitungspapier ausgeschnittenes, Hakenkreuz an die Brust geheftet hatte. Darunter stand „Chauvinist“.

Lösungsvorschlag b): brachte eine Szene aus einer Irrenanstalt, in der einem Patienten die bitter benötigten Elektroschocks verabreicht wurden.
Und
Lösungsvorschlag c): berichtet von einem Transvestiten, der sich aus Verlegenheit in eine Frau hatte umwandeln lassen und nun alle anderen Frauen schöner fand als sich selbst.

„Ihr könnt mich alle im Arsch lecken! L-M-A!“ schrie Kaspar Gleich wütend. „Was glaubt ihr denn, wie verrückt ich eigentlich bin?“ Hatte er sich aus Liebe zum Beruf an eine mysteriöse Spur geheftet, die so mysteriös war, daß sie genau genommen nur der Weltgeheimdienst verfolgen durfte? Aber der verfolgte sie ja nicht – der verfolgte Kaspar Gleich!

„Wir hoffen, sie haben etwas aus diesem Anschauungsmaterial gelernt“, tönte die synthetische Stimme ungerührt. Begeben sie sich nun in den Untersuchungsraum, wir müssen eine Analyse machen“.

Vielleicht wäre ich bereits tot, wenn ich alles lernen würde, was man mir beizubringen versucht, dachte Sam ungehobelt. Dieser schreckliche Gedanke drängte ihn dazu schnellstmöglich von hier zu verschwinden. Doch was geschähe dann? Würde er womöglich eliminiert werden? Dafür gab es 1000 verschiedene, unauffällige Arten. Man konnte ihn ganz einfach ignorieren, das käme einer Hinrichtung in etwa gleich. Man konnte ihn aber auch so lange zurechtweisen, bis er sich selbst nicht mehr akzeptieren konnte. Auch das wäre von einer Hinrichtung nicht weit entfernt.

Daneben gab es noch die gemeine Diskriminierung, das spezielle Mobbing, etc. Der Phantasie seiner Kritiker waren sicherlich kaum Grenzen gesetzt. Aber Kaspar Gleich – ein Ermittler von Gottes Gnaden – wollte leben. Er wollte leben und es allen zeigen, er wollte ihnen zeigen, daß er keine Marionette war, die jeder herumschubbsen konnte.
Vor ihm tauchten holographische Leuchtpfeile auf, die ihm im Zwielicht den Weg wiesen. Hinter ihm verschwanden sie, wie von Geisterhand, wieder.

„Es würde mich freuen, wenn sie mich als ihren Anwalt, vielleicht sogar als ihren Freund betrachteten“, sagte ein blau gekleidetes Männchen, das plötzlich aus einer Stahlschleuse trat, um ihn in den grell beleuchteten Untersuchungsraum zu dirigieren.

„Da fühle ich mich aber geehrt“, erwiderte Kaspar Gleich sarkastisch und fügte auch noch unnötigerweise hinzu: „Da wären sie der erste“.

Sam musste sich ausziehen und sich vor einer Kamera an eine Meßlatte stellen. Es wurden Photos gemacht.
„Einseinundachtzig, bitte zur Seite drehen“. Sam bekam eine Nummer um den Hals, die wie der Codestreifen eines Preisschildchens im Supermarkt aussah. Einige weitere Punkte, wie beispielsweise das Wiegen, eine Kernspintomographie, EKG und EEG standen noch aus.
Sie kamen zügig voran. Sam und das Männchen dachten im Stillen nach.

„Sagen sie mir, warum sie mit ihrer Freundin Murtl so gut auskommen – weil sie nicht an Verhütung denkt?“ fragte das unscheinbare Männchen, das in seinem Blaumann eher wie ein Automechaniker, denn wie ein Arzt aussah aus seinen verschlungenen Gedankengängen heraus.

Kaspar blickte auf. „Sie hatte, wie ich, keine Mutter mehr und ihr Vater hatte sich eine junge Frau genommen, die sehr egoistisch war. Ich wuchs unter den gleichen Bedingungen auf“.
„Würden sie einer Frau zuliebe auf alles andere verzichten?“
„Für mich ist es doch schon zu spät, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich hause in einem Verschlag. Mehr kann ich mir, nach Abzug der Alimente nicht leisten und nach meinen Erfahrungen tauge ich gut für familiäre Verpflichtungen. Ich glaube an eine sinnvolle Fortpflanzungsgemeinschaft“.
Da war es schon wieder, dieses unselige Wort. Aus heiterem Himmel war es im zugeflogen.

Das Blaumännchen lächelte verschmitzt. Immerhin konnte es auf einen starken Hintergrund verweisen. Die ganze menschliche Gesellschaft wußte es hinter sich. Und das Leben des Hauptkommissars glaubte es bald besser zu kennen als er selbst. Konnte es nun auch noch sein Vertrauen gewinnen?
„Sie sind noch so jung“, sagte es. „Für sie wird bald viel Zeit verstreichen, wenn sie erst einmal isoliert sind, und die Zeit heilt alle Wunden, ganz egal was für Abenteuer dann hinter ihnen liegen werden“.

„Ich würde meine Abenteuer nicht als ´Wunden´ bezeichnen“, empörte sich Sam.
„Wie dann?“
„Als Training!“
„Haha“, lachte das Männchen, das bereits viel Erfahrung mit Duckmäusern hatte. Der Staatsgewalt ausgesetzt verwandelten sich viele vermeintliche Helden in Duckmäuser.
„Nicht alle Männer sind wie sie, Hauptkommissar Gleich“ meinte es, nicht unbedingt absolut gleichgültig.

Sollte Kaspar das als ein Kompliment auffassen? Wie dem auch sei, dachte er entschlossen. Seine Geduld war jetzt erschöpft. Er schloss die Augen und er verschloss auch den Mund, auf keine Fragen mehr antwortend. Den Aufenthalt hier empfand er, als würde er zum ersten Mal in seinem Leben ( trotz vieler gefährlicher Einsätze vorher ) eine konkrete Todesnähe erfahren. In seinem Inneren fand eine Wandlung statt. Manches, was er früher zunächst überhört und übersehen hatte, wurde ihm auf einmal bewußt. Ganz nebenbei ließ er es geschehen, daß man ihn zum Kernspintomographen brachte und als das blaue Männchen an seine Liege trat, die im Begriff war in den Zylinder geschoben zu werden, schlug er die Augen auf. Mit rasendem Puls verfolgte er wie er in das hinein glitt, was in „Kennerkreisen“ nur als „Das Schwarze Loch“ bezeichnet wurde. In letzter Sekunde legte ihm der Blaumann noch ein Metallband ums Handgelenk, das seine Herzfrequenz messen sollte.

„Fassen sie mich nicht an“, lachte Sam sarkastisch, „sie haben sich schon genug angestrengt“. Aber es half nichts. Der Blaumann blieb freundlich. „Würden sie nun bitte wieder den Mund halten. Diesmal ist es ist wichtig“.

Es musste wichtig sein, sonst würde Sam in dieser bequemen Lage nicht einen derart beschleunigten Puls haben. Das leuchtete offenbar sogar seinem Unterbewusstsein ein, das im Augenblick auf’s höchste beunruhigt schien. Was stand ihm bevor und welches Ergebnis steuerte der Sicherheitsdienst mit dieser seltsamen Methode an? War es allein die Absicht der Behörde festzustellen, wie krank Kaspar Gleich eventuell sei und was sich dadurch verändern könnte, oder fragte man sich, ob er nicht durch ein Double ersetzt worden war?

„Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“. Dieser Spruch hing demonstrativ – in fetten Lettern gedruckt – über dem Tomographen an der Wand. Und gleich daneben hing ein weiteres Schild mit der Aufschrift: „Ein guter Verdienst und ein sicherer Arbeitsplatz ist mehr Goldes wert als ein eigener Herd“. Selbst langjährigen Angestellten sollte das einleuchten.
„Was halten sie von Inspektor Greifzus kurzzeitigem Verschwinden?“ rief das unscheinbare Männchen dem Kaspar nach, der gerade im „Schwarzen Loch“ verschwand.

„Ich habe dazu noch keine präzise Meinung“. Ein kurzer Dialog folgte – und plötzlich war, nur für Sam spürbar, eine Spannung da, die ihn irritierte. Er fühlte sich wie in sich selber hineingedrückt, aber gleichzeitig hatte er das Gefühl ein ganzer Kosmos zu sein. Gleich zu Gleich gesellt sich gern, Philosophierte er träumerisch, aber im Grunde konnte er seine Gedanken kaum noch unter Kontrolle halten. Etwas in ihm schien sich selbständig zu machen. Meditierte er? Meditierte etwas in ihm? Vor seinen geschlossenen Augen begann sich die Welt um ein hellleuchtendes Zentrum zu drehen. Am Rande des Wirbels konnte er einen Wald erkennen, der langsam an der linken Seite hoch- und in die schnell rotierende Mitte hineingezogen wurde. Dann tauchten Sams nackte Füße an endlos langgezogenen Beinen auf. Sein Körper geriet in Bewegung. Eine ungeheure Kraft zog seine ganze Gestalt nach vorne. Würde er in der, auf einmal weißglühenden, Öffnung verschwinden? Stimmen wisperten um ihn herum unverständliches Zeug in einer lautlosen Sprache.

Instrumentale Musik ertönte leise, wie aus einem anderen Kontinuum herüber. Und auf einmal hing schwerer Geruch in der Luft, den Sam nichts zuzuordnen wußte. Am ehesten roch es vielleicht nach verbranntem Fleisch. Und plötzlich sagte eine Stimme: „Seien sie hier willkommen, Sam“.

Ein hell gekleidetes Wesen in einer Art Overall begrüßte ihn. Es trug ein orangefarbenes Amulett um den Hals. Seine Augen wirkten insektoid, groß und schwarz. Wie in Zeitlupe kam es auf ihn zu und reichte ihm fast die Hand. „Sie sind Hauptkommissar Kaspar Gleich, der Chef des Morddezernats?“ schien es sich vergewissern zu wollen.

„Ja, der bin ich, aber ich werde auch `Botschafter` genannt, stammelte Sam benommen und für die Außenstehenden offensichtlich zusammenhanglos.
„Botschafter“, echote das Wesen verständnisvoll. Sein verklärtes Lächeln erschien dem Ermittler von Gottes Gnaden wie eine Maske.

„Ich kann die Botschaften des `UHU`, einer enormen Machtkonstellation im kollektiven Unbewussten unserer Spezies empfangen“.
„Ich würde sie gerne hier bei uns aufnehmen“, sagte der Fremde aus dem anderen Kontinuum.
„Ich habe nichts dagegen, ehrwürdiges, haarloses Wesen“.
Ein eigenartiges, gedankliches Gespräch entwickelte sich, denn auch Kaspar Gleich hatte aufgehört zu reden und dachte sich des Weiteren alles Nötige.

„Niemand wird je ihre Nachfolge antreten können. Und ihre Arbeit wird für die Kinder Gajas im Ganzen keine Erleichterung bringen, wenn nicht bald etwas entscheidend Positives geschieht“, meinte das Wesen.
„Was verlangt ihr von mir zu tun?“ fragte jemand aus Sams Identität heraus.

Von Anfang an war eigentlich alles wie von selbst gegangen. Sam hatte nie das Gefühl gehabt, seit dem Auftauchen des rotierenden Zentrums, etwas bewußt aktiv zum (Traum-) Geschehen beigetragen zu haben.

„Sie können nicht mehr tun als sie tun. Zur Sicherheit haben wir einige Exemplare extrahiert. Aber ihr Geist ist nicht von der Welt UHUs inspiriert. Gemeinsam mit einigen, wenigen Auserwählten sind sie frei, auch wenn es niemandem so erscheinen mag. Sie, Sam, erforschen täglich die verborgenen Kräfte - um Botschaften in ihre Realität einzubringen“.

„Sie meinen die Spukgeschichten, von denen die...“. Das Wort „Bekennerbriefe“ wollte Sam nicht einmal gedanklich aussprechen. Die Botschaftergeschichte fand er für sich unpassend. Er zelebrierte gern seine Bescheidenheit.
Das Lächeln des Wesens mit den insektoiden Augen war jetzt beinahe nachsichtig geworden.

„Diese Schriftstücke sind für uns heilig, weil sie bei euch tabu sind, weil sie ein Tor zu UHUs Welt darstellen, und weil alle, die sich damit zurechtfinden...“
„...Frevler sind!“ rief Hauptkommissar Gleich nun in Worten aus. Es war das erste Mal, daß sich Kaspars künstliche Zurückhaltung, die er seit vielen Jahren, im Umgang mit anderen an den Tag zu legen pflegte, in einem Aufschrei des Protests artikulierte. Warum sollte er ein Frevler sein, wo er doch ein Ermittler war? Und für einen Augenblick zeigte seine Seele ihr wahres Gesicht: Er riss die Augen auf und darin blitzte es gefährlich! Dann schloss er sie, wie auf Kommando, wieder.

„Ihre Intuition sollte sie nicht im Stich lassen“. Das Wesen war immer noch da. Die ganze Weichheit, die es zuvor bemüht war auszustrahlen schien auf einmal von ihm abgefallen zu sein. Vermutlich ging es ihm ähnlich wie Sam, aber als es ihm eindringlich, direkt in die Augen sah, hatte sein Antlitz wieder jene maskenhafte Freundlichkeit zurückgewonnen, die es Kaspar Gleich unmöglich machte auch nur einen winzigen Blick hinter diese Fassade zu werfen.

Sam schwieg einige Momente lang, während er sich auf das fremde Gesicht konzentrierte. Das Wesen hielt seinem festen Blick jedoch spielend stand und Sam fragte sich wann diese Vision endlich abbrechen würde.

„Wie kommen sie auf diesen Gedanken?“ registrierte er noch, „unser Gespräch wird niemals abbrechen, wenn sie sich nur die Mühe machen in sich hinein zu hören. Wir haben nicht die Absicht den Fisch von der Angel zu lassen. Daß wir ihn vergiften müssen, bevor wir ihn aus dem Wasser ziehen, ist ihr Problem. Das Risiko müssen sie eingehen. Doch, wie bereits angedeutet: Alles, was unseren Kontakt betrifft ist normalerweise tabu. Große Gewalten sind auf beiden Seiten am Werk. Verborgene Parteien, von denen sich ein trivial denkender Mensch, im Bann seiner Schulweisheit, keine Vorstellungen machen kann. Wer den Frevel begeht in der Wahrheit herum zu stöbern, hat alles, was ihm dann zustößt, sich selbst zuzuschreiben. Doch bedenken sie: Diese Quelle, von der sie ihre Hinweise erhalten, hat ganz sicher etwas mit ihrem tiefsten Innern zu tun“.

„Schalten sie das Gerät ab!“ rief jetzt eine Frauenstimme, die aus der realen Welt kam. „Schnell, er hyperventiliert!“
Langsam tauchte ihre Besitzerin in Kaspar Gleichs Gesichtsfeld auf. Sie war blond wie ein Engel und wirkte vielleicht gerade ihrer harten Züge wegen sehr mütterlich.
„Schalten sie bitte das Gerät ab, Herr Untersuchungsleiter“, wiederholte sie, „ich befürchte, daß sich der Proband in einer schwierigen Lage befindet“.

Der Untersuchungsleiter, das Männchen im blauen Anzug, näherte sich. Er grinste schelmisch. Sams Zustand kümmerte ihn nicht im Mindesten. „Fahren wir fort!“
Etwa gegen 9 Uhr abends, mitteleuropäische Sommerzeit war Sam erlöst. Er hatte sämtliche Untersuchungen hinter sich gebracht. Auch das erweiterte Elektroenzephalogramm, das nicht nur die Hirnströme aufzeichnete, sondern gleichzeitig, über Computer, die Wechselwirkungen der Gehirnhälften untereinander, sowie die Aktivitäten der einzelnen Hemisphären des Gehirns zueinander darstellte.

Wieder auf der Straße stehend, blinzelte er in die, hinter der St. Judas-Kirche untergehende Sonne und atmete auf.
Längst war es wieder Essenszeit gewesen und weil Sam ganz deutlich spürte, daß ihn der Hunger binnen kurzem zur Strecke bringen würde, wenn er nichts dagegen unternahm, setzte er sich zügig in Bewegung. Ein Restaurant wollte er jetzt aber nicht betreten. An seinem hochroten Kopf würden die anderen Gäste sicher sofort einen, ihnen in den Kram passenden Zustand Sams, ablesen können. Und deshalb besuchte er auch nicht die Kantine im Polizeigebäude, die rund um die Uhr geöffnet hatte. Ihn zog es zu Murtl. Vielleicht war nach der Verköstigung der lieben Kleinen noch etwas für ihn übriggeblieben.

Außer dem Hauptkommissar setzte sich noch etwas, vom Staatlichen Kontrollamt aus, in Bewegung. Der Behördenapparat arbeitete heute ausnahmsweise einmal – ganz im Gegensatz zu den Mühlen Gottes und im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit – sehr schnell. Ein hastig vervollständigtes Dossier verließ das Gebäude in Richtung des „PÜV“, des Psychologischen Überwachungsvereins, mit Hauptsitz in Peking. Brisante Fälle wurden immer direkt in Peking entschieden. Neben der, über 3000 Seiten umfassenden Personalakte, mit sämtlichen, gesammelten Informationen über Herkunft, Familie und sexuelle Vorlieben des Kaspar Gleich, enthielt es den neuesten, amtsärztlichen Befund.

Testperson: Hauptkommissar Kaspar Gleich, Chef des Mordde-
zernats Münchhausen.
Geboren: Am 13. 3. 2013, in der Nähe von Schmalzkirchen /
Niederalpkreis.
Körpergröße: 181 Zentimeter.
Statur: Untersetzt, sportlich, durchtrainiert wirkend, kleiner
Bauchansatz.
Gewicht: 92 Kilogramm.
Haarfarbe: Braun ( graumelierte Schläfen ).
Augenfarbe: Blaugrau. Unausgeschlafen bis träumerisch wir-
kender Blick ( hohe Stressempfindlichkeit muß be-
fürchtet werden ).
Nase: Moderne Stupsnase.
Hautfarbe: Weiß.
Gesichtsform: Oval, faltenarme, sehr weiche Züge, kein schma-
ler Mund.
Verhältnismäßigkeit des Gesichts: Dissonant, zuungunsten der
Kauregion ( Verdacht auf
Anti-Wall-Street-Syndrom ).
Schädelkapazität: Ganz genau 1999 Kubikzentimeter ( gefährli-
cher Bereich ). Gehirnwindungen gleichmä-
ßig, dicht und stark ausgeprägt.
Neuronen: Große Anzahl, stark vernetztes Gewebe ( Befürch-
tungen aller Art sind daher angebracht ).
Geschätzter IQ: Nicht ermittelbar, da Testperson wenig ko-
operativ. Scheint uns jedoch für eine verant-
wortliche Stellung zu hoch. Eine Rückstufung
zum subalternen Dienst wird dringend empfoh-
len.
Blutgruppe: AB, Rhesus positiv.
Besondere äußerliche Kennzeichen: Keine.
Sonstige Auffälligkeiten: Testperson neigt offensichtlich zu hys-
terischen Tranceanfällen, die auch
durch starke, elektromagnetische
Belastung auftreten können.

Schlussbemerkung: Keine fest in sich gefügte Persönlichkeit. Unterliegt permanenter Selbstkritik = Gewissen. Ungeeignet für geheimdienstliche Aufgaben. Ebenso für politische, militärische, sowie kirchliche Ämter. Wegen vermutet großem Ideenreichtum ist der Testperson dringend abzuraten sich an Philosophisch-wissenschaftlichen Forschungsprojekten zu beteiligen, oder auch nur eine Zulassung für derlei Arbeiten zu erwerben. Zum Glück liegen dafür aber bislang auch keine Zertifikate vor.

Nun – die Behörde wollte eben gründlich vorgehen.
In ein paar Stunden würde das Dossier in Peking, an Bord einer Überschall-Transportmaschine des Militärs, ankommen. Dann würde man weitersehen. Inzwischen würde Kaspar Gleich, noch Hauptkommissar und Chef des Morddezernats, weiterhin zuverlässig naiv in die Zukunft blicken. Dies war das Mindeste, was man von ihm erwarten konnte und dieser einen Erwartung wenigstens würde er uneingeschränkt gerecht werden ( dachte man ).

Trotz der starken Hungergefühle entschied sich Sam für einen Fußmarsch zu Murtls Domizil, das circa 7 Kilometer vom Staatlichen Kontrollamt in einer malerischen, Kleingärtnersiedlung lag. Wie sehnte er sich jetzt nach dem geborgenheitsverstrahlenden Idyll seiner Beinahe-Familie. Nach dem niedlichen Holzhäuschen mit dem Schindeldach und dem kleinen Gärtchen dahinter, nach all den Krautsköpfen und den gelben Rüben darin und den bescheidenen Blümchen dazwischen. Sogar nach dem schlampig wuchernden Unkraut sehnte er sich und überhaupt war er jetzt genau in der sentimentalen Stimmung, in der er gewöhnlich bereit war etwas Unüberlegtes zu tun.

Der Mond war aufgegangen, die gold’nen Sternlein prangten am Himmel hell und klar. Der Weg lag schwarz und schweigend und Katzen streunten – wunderbar.

Nach knapp zweieinhalb Stunden kam er an.
Murtl empfing ihn etwas unwirsch. „Was hast du bloß wieder angestellt, du alter Egoist? An uns denkst du wohl gar nicht!? Aus heiterem Himmel schneist du hier rein um mich zu ficken, weil dir gerade danach war, und dabei schleppst du mir noch die Bullen vom Sicherheitsdienst ins Haus“.

In ihrer Erregung vergaß Murtl, daß Sam selbst Bulle war, aber das störte sie nicht. „Ein sauberes Früchtchen bist du!“ brüllte sie. „Und was willst du jetzt noch?“
„W-was zu essen, wenn du noch was übrig hast“, stammelte Sam, der sich glatt überfahren fühlte, kleinlaut. Doch Murtl hatte ein weiches Herz. „Komm in die Küche!“ grollte sie gebieterisch. „Hier, nimm die Schüssel. Das haben die Kinder stehenlassen. Du hast Glück, wie immer. Mich entschuldigst du jetzt bitte“.

Mit diesen Worten ging sie ins Schlafzimmer um ihr Haushaltsgeld aufzubessern. Sam wußte was sie tat. Er musste es akzeptieren und er akzeptierte es gern. Für das kleine Haus, sein winziges Appartement in der Innenstadt und die 5 Kinder hätte sein Gehalt, nach Abzug der Steuern niemals gereicht. Aber auch Murtl hatte ein Recht auf Wohlstand, wie alle Menschen. Außerdem erfüllte sie mit ihrer Nebentätigkeit eine wichtige, soziale Aufgabe. Eine Aufgabe, die mithalf, das Verbrechen wenigstens ein klein wenig einzudämmen.

Nichtsdestoweniger musste er jetzt an sich selbst denken.
Er nahm die Schüssel und setzte sich an den Tisch. Das einfache Gericht war natürlich längst kalt geworden. Aber ein Löffel steckte noch drin. Sam begann ohne Appetit zu essen, während der Vollmond durch das Küchenfenster herein lachte. Ungewollt stiegen ihm Tränen in die Augen. Wie glitzernde Diamanten tropften sie, im schwachen Schein der
Küchenlampe und dem gleißenden Mondlicht in seine Schüssel mit
Hafergrütze


© Alf Glocker


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Beschreibung des Autors zu "Reisebericht Erde 1 / fsk 18"

Ein weitestgehend surrealer Text, der - in verschlüsselter Form - Zukunftsvisionen beschreibt, der versucht Fanale der Zeit zu deuten, kommende Ereignisse, die sich heute schon abzuzeichnen beginnen. An manchen Stellen mag er vielleicht obszön erscheinen, doch die verwendeten Stilmittel sind absolut für das bessere Verständnis notwendig und daher leider unverzichtbar!

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Kommentare zu "Reisebericht Erde 1 / fsk 18"

Re: Reisebericht Erde 1 / fsk 18

Autor: noé   Datum: 08.02.2014 11:31 Uhr

Kommentar: WOW, was für ein wuchtiges Geschenk, Alf, zum Wochenende, mit gesträubtem Haar gelesen. Gewalt-ig und beein-druckend. Ist es das, was schon erschienen ist?
Ich habe die Welt um mich herum vergessen. Supersache - gerne mehr davon!
(Zwei kleine Hinweise auf bisher möglicherweise unentdeckt gebliebene Fehler in folgenden Satzteilen:
"...es haben sie keine Anhaltspunkte für eine schriftliche Mitwirkung von unseresgleichen ergeben..."
"...was er für eine Bedeutung er für uns hatte und welche Bedeutung er eines Tages für uns haben könnte...")
Warum ist ein solches Talent bisher unentdeckt geblieben? Ich schüttele verständnislos den Kopf.
Fühle mich geehrt, Dein Schwesterchen zu sein.
Big Sis

Re: Reisebericht Erde 1 / fsk 18

Autor: Alf Glocker   Datum: 08.02.2014 15:19 Uhr

Kommentar: Ich danke Dir Big Sis, leider ist mir schon bewusst, daß sich noch viele Fehler in diesem Stück befinden. Ich werde mich demnächst daran machen sie zu beseitigen. Danke für Dein Lob und Deine Hinweise!

Fühle mich ebenfalls sehr geehrt, Dein

Craz Bro

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