Fünf Liter Wasser für einen Außerirdischen

 
 
 
Es war mitten in der Nacht und der Vollmond schien so hell, dass man weit in die Landschaft hinein sehen konnte.
 
Ich stand an meinem Schlafzimmerfenster, weil ich draußen vor dem Haus etwas gehört hatte, das sich wie das Knurren eines Hundes anhörte.
 
Es war ziemlich stickig im Zimmer. Ich öffnete daher das Fenster, um die frische Nachtluft reinzulassen. Gerade wollte ich das Fenster wieder schließen, da sah ich diese schlanke Gestalt mit ihren viel zu großen Augen im Hofeingang stehen, die zur mir rüber blickte und einen hilflosen Eindruck auf mich machte.
 
Ich kniff ein paar Mal die Augen zusammen, weil ich dachte, ich sei einer optischen Täuschung zum Opfer gefallen.
 
Aber die unbekannte Person stand immer noch da und blickte zu mir rüber.
 
Ein ziemlich flaues Gefühl kam in mir hoch. Die Angst kroch mir unter die Haut. Gerade wollte ich schon schreien, riß mich aber gleich wieder zusammen und hielt den Mund mit der flachen Hand zu, denn ich traute mich schon allein der Nachbarn wegen nicht, in der Nacht wie ein Irrer Getöse zu machen. Sicherlich würden sie die Polizei rufen wegen Störung der Nachtruhe.
 
Ich schloß das Fenster wieder. Dann ging ich nach unten in den Flur, zog meine Klamotten an und öffnete vorsichtig die Eingangstür. Ich lugte hinaus. Die seltsam aussehende Person war immer noch da und keinen Zentimeter von ihrem Platz gewichen.
 
Plötzlich hörte ich wieder dieses komische Knurren, das sich jedoch schon fast wie eine Sprache anhörte, die ich verstand.
 
Im nächsten Moment hörte ich, wie jemand sagte: „Hallo, kann ich mal kurz mit ihnen sprechen? Ich möchte Sie wirklich nicht stören, aber Sie werden es nicht glauben, dass ich ein Außerirdischer bin und gleich hinter dem Wald dahinten mit meinem kleinen Raumschiff notlanden musste, weil ich vergessen hatte, die Kühlwassertanks mit genügend Wasser zu füllen. Vielleicht ist auch irgendwo ein Leck eingetreten, aber ich brauche ungefähr fünf Liter Wasser, um das Kühlsystem für einen kurzen Flug bis zu meinem Mutterschiff im Orbit wieder in Gang zu bekommen. Ich brauche nur eine gefüllte Kanne mit Wasser, wie sie dahinten unter dem Wasserhahn steht. Danach werden Sie mich nie wieder sehen.“
 
„Sie sind ein Außerirdischer? Naja, jedenfalls sehen sie schon mal so aus. Ich habe schon viel von euch gehört, aber noch keinen echten gesehen. Wir sind also doch nicht allein. Finde ich echt toll. Natürlich habe ich Wasser genug im Haus. Sie dürfen sich eine Kanne von mir aus vollmachen. Sie steht gleich hier vorne unter dem Wasserhahn. Sie haben beides ja schon entdeckt.“
 
Der Außerdische kam jetzt langsam näher und zögerte noch ein wenig. Er war fast zwei Meter groß und dünn wie eine Bohnenstange. Schlacksig ging er an mir vorbei, blickte mich aber immer wieder an. Als er vor dem Wasserhahn stand, nahm er die große Kanne in die Hand, die ich immer zum Blumengießen hernahm, füllte sie bis zu Rand voll mit Wasser, drehte sich behäbig um und wollte schon wieder gehen.
 
Er trat vor mich, schaute mich mit seinen schwarzen Riesenaugen an und sagte mit knurrender Stimme: „Vielen Dank fürs Wasser, Erdenmensch. Ich will das kostbare Nass auch nicht umsonst haben. Ich bezahle mit Edelsteinen, die es auf unserem Planeten wie Sand am Meer gibt. Bei euch sind sie viele Millionen wert. Hier nimm' eine Handvoll davon.“
 
Der Außerirdische griff in seinen elastischen, eng angliegenden Raumanzug und holte plötzlich eine Menge Edelsteine daraus hervor. Ich war darüber derart verblüfft, dass mir die Kinnlade runterfiel. Die Steine funkelten in allen nur denkbaren Farben, gerade so, als würden sie wie kleine Sterne leuchten.
 
„Da, nimm' sie! Auf der Erde bist du jetzt mit Sicherheit ein vielfacher Millionär, denke ich mal. Ach, da ist noch so ein Ding, äh Edelstein. Den kannste auch noch haben“, sagte der Außerirdische grinsend zu mir und ging. Ich schaute ihm noch lange hinterher, bis er in der Dunkelheit verschwunden war.
 
Ungefähr 15 Minuten später schwebte ein kleines Raumschiff surrend und blinkend aus dem Wald hervor. Dann schoß es plötzlich mit riesiger Geschwindkeit hinaus in die Schwärze des Alls.
 
Einige der Edelsteine waren auf den Boden gefallen. Ich klaubte sie alle gewissenhaft auf, zog meine Schlafjacke aus und wickelte sie darin ein.
 
Als ich oben in meinem Schlafzimmer auf der Holzkante meines Bettes saß, zählte ich die Edelsteine akribisch nach. Es waren weit über einhundert Stück unterschiedlichster Größe, die von bester, ja sogar allerbester Qualität waren und mich nicht nur reich, sondern steinreich machen würden.
 
Meine Träume konnten jetzt wahr werden, nur weil ich einem Außeridischen fünf Liter Wasser geschenkt habe, damit er sein kleines Raumschiff wieder flott bekam.
 
Gutheit muss nicht immer Dummheit sein, dachte ich so für mich, wickelte die Edelsteine in ein großes Handtuch, knotete es oben zu, schob es unter mein Kopfkissen und legte mich zufrieden schlafen.
 
Ein schönes Gefühl, endlich reich zu sein, war mein letzter Gedanke, bevor mir die Augen wie Blei zufielen.

(c)Heiwahoe


© Heiwahoe


2 Lesern gefällt dieser Text.



Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Fünf Liter Wasser für einen Außerirdischen"

Re: Fünf Liter Wasser für einen Außerirdischen

Autor: Alf Glocker   Datum: 27.07.2024 7:39 Uhr

Kommentar: schöne Gedanken, die sicher auch ein bisschen Wahrheit (Aussehen und so) beinhalten...

LG alf

Re: Fünf Liter Wasser für einen Außerirdischen

Autor: Heiwahoe   Datum: 27.07.2024 8:03 Uhr

Kommentar: Hallo Alf!

Danke für den Kommentar. Ich glaube, dass hinter jeder ausgedachten Geschichte, hier Science Fiction, ein Stückchen Wahrheit steckt (auch wenn sie verborgen ist). Science Fiction ist übrigen der US-amerikanische Begriff für den naturwissenschaftlich-utopischen Roman (oder Kurzgeschichte). Science Fiction Geschichten beruhen meisten auf naturwissenschaftlichen (physikalischen) Grundlagenkenntnissen oder spekulieren damit.

Muss bald wieder in die Klinik und nutze die Zeit zum Schreiben.

Gute Zeit noch!

Heiwahoe

Kommentar schreiben zu "Fünf Liter Wasser für einen Außerirdischen"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.