Auf einem von uns nicht allzu weitentfernten Schrottplatz, wo sich die verrosteten Teile verschiedenster technischer Errungenschaften der Menschheit stapelten, spielten Kinder. Sie tollten und lachten, während die Sonne mit ihren wärmenden Strahlen auf ihre Köpfe schien und sich kein einziges Wölkchen zeigte. Ein Junge und ein Mädchen saßen auf der Motorhaube eines verrosteten PKWs der schon vor Jahren ausgeschlachtet worden war. „Du …“, begann der Junge schüchtern, „ich mag dich“, sagte er und starrte mich hochroten Kopf zu Boden. „Wirklich?“, fragte das Mädchen, schaute dabei in den strahlendblauen Himmel und ließ die Beine baumeln. „Echt“, sagte der Junge. Das Mädchen sprang von der Haube. „Weißt du, was das bedeutet?“, fragte das Mädchen leicht nach vorne gebeugt. Der Junge guckte sie mit schüttelndem Kopf an. „Wenn ein Junge ein Mädchen mag, müssen sie heiraten“, erklärte das Mädchen stolz mit erhobenem Zeigefinger. „Äh … im Ernst?“, fragte der Junge. „Ja im ernst“, kam die Antwort.

Schneller als es dem Jungen lieb gewesen war, hatten sich die Kinder in der Mitte des Schrottplatzes versammelt, um die Zeremonie zu vollziehen. Vorne stand der Bräutigam in einer blauen Latzhose mit aufgeschürften Knien, roten Wangen und einer laufenden Rotznase. Ein weiterer Junge ging mit übertrieben großen Schritten auf ihn zu. Neben ihn hatte sich die Braut eingeharkt. Die Hochzeitsgäste saßen auf Autoreifen, Abgerissenen Metallteilen und anderem, während im Hintergrund ein weiteres Kind auf seiner Tröte die Hochzeitsmelodie spielte, wie man sie aus Filmen kannte, bloß dass der Trötenspieler dabei kaum einen Ton hielt. Vorne angekommen, stand das Mädchen da. Mit einem ölgetränkten Fetzen, von dem man nicht sagen konnte, was er eigentlich ursprünglich war, als Brautschleier. In der Hand hielt sie einige frisch gepflückte Gänseblümchen. Deren Duft sanft von einem leisen Wind zu dem Bräutigam geweht wurde. So standen die beiden vor einem Jungen mit dicken Brillengläsern, der ein Artemis Fowl-Buch in der Hand hielt und so tat, als wenn er daraus vorlesen würde. „Liebe Jungen. Liebe Mädchen. Wir sind heute hier, weil …“ „Autsch!“, sagte der Bräutigam. Der Trauzeuge hatte dem Bräutigam den Mittel- und Zeigefinger in den Rücken gestoßen und ahmte damit eine Handfeuerwaffe nach. „Mein Papa hat gesagt, dass er bei seiner Hochzeit damals von meinem Opa eine Pistole im Rücken hatte“, war alles was er dazu sagte. Daraufhin schluckte der Bräutigam schwer und begann seine Entscheidung ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Und hätte das nicht schon gereicht, hatte sich ein weiteres Kind spaßeshalber ein Scharfschützengewehr aus Schrotteilen mit einem Laserpointer gebaut, dessen Strahl nun auf seine Stirn zielte. „Willst du sie heiraten, küssen und liebhaben?“, endete der Brillenträger mit seinen Vortrag. „Viellei…“ Unsicher schaute der Bräutigam zu seiner Braut. Als er ihr warmes Lächeln mit der Zahnlücke, das Glitzern in ihren vor Lebensfreude überquellenden Augen und all die Sommersprossen ihrem Gesicht sah, waren alle Zweifel in Windeseile verstreut. „Ja“, sagte er schließlich mit fester Stimme. Der Brillenträger schaute dann zum Mädchen. „Willst du auch?“ Das Mädchen nickte nur freudig, wobei ihre beiden Zöpfe mit wippten. Darauf tauschten die beiden ihre Lieblingsmurmeln, statt der Eheringe. „Dann küsst euch jetzt, denn so machen Mama und Papa es auch.“ Die beiden küssten sich und alle anderen Kinder quittierten das Ganze mit Würg- und „Iiiieeeehhh“-Lauten.
Aber die Murmeln, die das Gelöbnis besiegelten, die haben beide noch heute.

The End


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Heirat auf dem Schrottplatz"

So hier ist mein zweiter Wettbewerbsbeitrag für Geschichten123.de http://www.geschichten123.de/
Also. Hier mal was kleines. Kein Blut. Nichts. Wie das geschafft habe, wüsste ich auch gerne. Egal. Ich hoffe ihr hattet trotz der kürze spaß daran. Der dritte und letzte Beitrag ist schon in der Mache.

Beitrag Nr. 1: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/46337/Ist-das-Liebe-in-der-seelenlosen-Leere-seiner-Augen-Keine-Jugendfreigabe/
Beitrag Nr. 3: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/46337/Ist-das-Liebe-in-der-seelenlosen-Leere-seiner-Augen-Keine-Jugendfreigabe/

Edit: Der Wettbewerb endete am 31.12.´11




Kommentare zu "Heirat auf dem Schrottplatz"

Re: Heirat auf dem Schrottplatz

Autor: Uwe   Datum: 12.11.2015 19:48 Uhr

Kommentar: Schön!

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