Er ließ sich auf die Bank im Park fallen. In der abendlichen Sommerhitze waren noch etliche Menschen unterwegs. Jemand rief seinen Namen. Er hob nur abwehrend die Hand. Er atmete tief durch. Die Menschen auf der Wiese, die Menschen auf den Wegen, die Menschen an den Ständen, alle verschwommen in einander. Er prostete niemanden speziellen und ihnen allen zu und trank einen Schluck aus seiner Bierflasche. Er verzog das Gesicht. Sie war schon wieder pisswarm. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Zeit nachhause zu gehen? Er hatte schon lange vergessen, was das bedeutete. Er legte die Bierflasche auf die Stirn. Das half auch schon lange nichts mehr. Er ließ sie neben sich ins Gras sinken. Scheiße! Wieso war es nur so ekelhaft heiß?
Er schreckte hoch! "Was? Scheiße!" Er sprang auf und starrte auf sich herab. Alles war nass! Lautes Lachen drang an sein Ohr. "Scheiße!" Vor ihm tänzelte eine junge Frau. Sie hatte einen Eimer in der Hand hoch gehoben. Sie streckte ihm die Zunge heraus. Im Licht der Straßenlaternen blitze ihr Piercing auf. Ihre Hände streckten sich in den Himmel. "Endlich wach? Oder brauchst noch einen?" "Das war echt scheiße!" Sie lachte nur. Sie drehte sich. Ihr weites Top bauschte sich und der Eimer klapperte. In diesem Moment war sie das einzige Klare in seinem Blick. Er nahm sie mit einer ungewöhnlichen Detailgenauigkeit wahr: die kleine Spalte in der rechten Augenbraue, der Ring in der Nase, die kleinen Lachfalten bei den Augen, die Schlangentätowierung, die sich vom ausrasierten Haaransatz über ihren Nacken zog und dann auf ihren Rücken verschwand. "Dafür zahlst du mir ein Bier!" "Dazu musst du mich erst kriegen!", kicherte sie. Was sollte das Spielchen? Sie waren nur wenige Meter zwischen ihnen. Er sprang los. Trotz Plateauschuhe war sie erstaunlich flink und er kämpfte auch nach der Dusche noch mit dem Resten von Alkohol in seinem Blut. Die Frau spaltete sich in drei. Kurz wurde ihm schwindlig. Er musste stoppen. Sie ergriff sein Handgelenk. "Alles in Ordnung?" Er schnappte nach ihrem Arm, schwankte kurz. "Hab ich dich!" "Das war nicht lustig!" "Das Wasser war auch nicht lustig!" "Oh doch!" Sie lachte. Er schwankte noch einmal. "Bier bekommst du keins mehr! Cola?"
"Du arbeitest hier?" Sie stellte ihm die Cola vor die Nase. Er kostete: ohne Rum. Sie begann andere Kunden zu bedienen. Er starrte fasziniert auf ihren sich ständig bewegenden, drehenden Körper. Zuerst zapfte sie Bier für drei Jugendliche, alle schon betrunken so wie er. Dann kam ein alter Sack. Er flirtet mit ihr. Ihr breites Lachen schrumpfte zu einem Lächeln. Sie hatte kein Interesse. Der Alte widerte ihn an. Sah er nicht, dass die Frau seine Tochter sein konnte? Hatte er es echt so nötig? Der Glatzkopf sollte lieber zurück zu seiner blonden Frau gehen oder wohin auch immer. Als er bezahlte, berührten sich ihre Finger. für einen kurzen Moment hielt er sie fest. Was sollte das? Er spannte sich an. Dann drehte sich der Alte endlich weg. Er starrte der Glatze hinterher. Jemand schnippte gegen seinen Hinterkopf. "Au!" "Was starrst du so?" "Widerlich!" Sie zuckte mit den Schultern. "Das gehört dazu. Kein Lächeln, kein Trinkgeld! Ist ja nur das Fest. Krieg dich wieder ein." Sie beugte sich vor über den Tresen. Er kippte Cola. Sie klopfte mit ihrem Zungenpiercing gegen ihre Zähne: Tack, tack, tack. "Und, was hast du heute noch vor?" Er lächelte verlegen. "Ich war mit meinen Kumpels unterwegs. Die hatten den Plan." Sie lachte. Sie sah aus, als lachte sie gern und oft. Jetzt streckte sie sich, bewegte ihre Hände auf und ab. Dann rüttelte sie die Uhr zu recht. "Planlos, was?" Er gähnte. Sie stieß ihn an. Weitere Kunden kamen. Sie überließ sie schamlos ihrer Kollegin. "Was ist mit dir los?" Was war mit ihm los? Zu viele Nächte ohne Schlaf in letzter Zeit? Zu heiß? Zu viel zum Nachdenken? Eine wunderschöne Schlange vor seiner Nase? Was war mit ihm los? Er leerte die Cola. "Bin hier noch eine Weile beschäftigt. Und du schaust nicht so aus, als würdest du noch lang durchhalten." Sie tat wieder das Klopfen mit dem Piercing, während ihre Finger nach irgendetwas in ihren Hosentaschen wühlten. Tack, tack, tack! Jetzt klickte sie mit den Kugelschreiber. Ihre Kollegin warf ihr schon einen ungeduldigen Blick zu. Sie packte seinen Arm und begann zu malen. "He! Das kitzelt!" "Sei keine Memme! Nicht schauen!" Er wollte mehrmals seinen Arm wegziehen. Was schrieb sie da? Romane? Jetzt klackste sie mit dem Kugelschreiber. Sie war fertig. "Ab mit dir nachhause!" Sie grinste breit. Ihre Hand winkte, während sie sich schon den nächsten Kunden zuwendete. Er fuhr sich durch die nassen Haare. Sein Arm war voll mit wirren Zeichen. In der Mitte stand eine Nummer, kein Name. Noch einmal musterte er sie: die Schlange auf ihrem Rücken, dann die Nummer auf seinem Arm. Er legte seine Hand darauf. Es war ein Versprechen für den nächsten Tag, die nächste Nacht.


© lerche


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