Erinnerungen an meine Oma

© Marie Bousiller

Nicht jede Frau wird eine, aber die meisten von uns haben eine – eine Oma, oder auch zwei.
Ich hatte zwei. Während die eine mir immer irgendwie fremd geblieben ist, hatte ich zur anderen ein gutes Verhältnis.
Wir wohnten sogar mit ihr in einer ziemlich großen Wohnung mehrere Jahre zusammen, meine Eltern und ich. Damals war sie schon sehr alt.
Meine Oma starb, als ich noch ein Kind war. Ich fand immer, dass sie aussah, wie eine Hexe aus einem meiner Märchenbücher. Sie war klein und schrumpelig und weigerte sich hartnäckig, ihre Zahnprothese zu tragen, weil die drückte. Nur zu besonderen Gelegenheiten setzte sie sie ein. Dann veränderte sich ihr ganzes Gesicht und wenn sie lächelte, sah sie in meinen Augen noch hexenhafter aus.
Das kam mir damals aber überhaupt nicht seltsam vor. Ich dachte, Omas sehen
halt so aus.
Geboren war sie irgendwann um 1890 herum und aufgrund ihrer fehlender Zähne hat sie außer „Linseneintopf“ und „Erbseneintopf“ kaum etwas gekocht oder gegessen - jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern. Ich erinnere mich aber daran, dass sie einmal ein ganzes Huhn am Wickel hatte, mit allem, was dazu gehört, außer den Federn. Und sie hat Kartoffeln und Möhren geschält – die Kartoffeln mit einem eigenartigen kleinen krummen Messer und die Möhren mit einem Teelöffel – im Ernst. Offenbar gab´s damals noch keine Gemüseschäler. Wenn sie Petersilie gehackt hat, dann mit einem, in meinen Augen, riesigen Messer. Weil das so lecker roch, stand ich immer neben ihr und habe zugesehen.
Vielleicht ist Kräuter hacken deshalb das Einzige, was ich wirklich gut kann – mit einem sehr großen Messer …
Möglicherweise habe ich diese Fähigkeit aber auch von ihr geerbt. Meiner Mutter zufolge bewege ich mich ähnlich wie sie, nehme die gleiche Körperhaltung ein und habe die gleiche Gestik. Oft dachte sie, Oma stünde hinter ihr in der Tür, wenn ich, mit einem Wollknäuel unter´m Arm und meinen Stricknadeln am Türrahmen der Küche lehnend anhand des Geruchs herauszufinden versuchte, was es zu Essen geben würde.
Einige Zeit nachdem sie gestorben war, sah ich meine Oma einmal im Spiegel. Sie stand hinter mir und guckte mich an. Bevor ich überhaupt Gelegenheit hatte, mich zu erschrecken, meinte sie, sie habe nur mal schauen wollen, ob alles in Ordnung ist. Als ich mich zu ihr umdrehen wollte, war sie weg.
Meine Mutter war der Meinung, ich hätte mir das nur eingebildet. Für mich jedoch stand fest, dass Oma sich von mir verabschieden wollte.
Manchmal bedaure ich, dass wir nicht mehr Zeit miteinander hatten - ich glaube, sie hätte ihren Spaß am Murksbuch gehabt.


© Marie Bousiller


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Beschreibung des Autors zu "Erinnerungen an meine Oma"

"Erinnerungen an meine Oma" ist meine bislang persönlichste Geschichte.
Und wer nach der Lektüre wissen möchte, was es eigentlich mit dem Murksbuch auf sich hat, schaut vielleicht einmal hier vorbei: https://www.murksbuch.de/
Dort sind alle meine Murksgeschichten und meine selbst entwickelten Rezepte versammelt ????

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Kommentare zu "Erinnerungen an meine Oma"

Re: Erinnerungen an meine Oma

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 18.08.2024 18:59 Uhr

Kommentar: Liebe Marie,
meine beiden Omas hatten ein stärkeren Erziehungseinfluss auf mich als meine Eltern. Die eine Oma war ein Drachen, die andere sooo lieb. Ich lernte also schon frühzeitig den menschlichen Unterschied zwischen Minus und Plus. Später dann den technischen, der mir bei meiner Berufswahl half.
Gern gelesen, deine Oma-Geschichte.
Liebe Grüße Wolfgang

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