Ich fand ihre Adresse im Internet. Nach Jahren, mit dem richtigen berufsbezogenen Stichwort ergoogelt.

Vor Jahren glaubte ich, ein paar Monate lang, sie sei meine Seelenschwester. Irgend etwas zwischen uns kam mir so vertraut vor. Immer wieder trafen wir einander, saßen wir nebeneinander, suchten einander... jedenfalls schien es mir so.

Der Schauplatz: eine Selbsterfahrungsgruppe. Geleitetes Experimentierfeld zur Selbstbeobachtung: Wie mache ich Kontakt?

Ich unterschätzte die Brisanz dieser Experimente, die wir „Übungen“ nannten. Hatte ich mir doch mein bisheriges Erwachsenenleben lang eine Strategie antrainiert, die mich von der Qual tiefer zwischenmenschlicher Beziehungen unabhängig ließ.

Und dann geschah es doch, dass ausgerechnet SIE mich rührte, - auf-, oder an-, oder berührte. Und indem SIE das spürte, reagierte sie heftig ablehnend.

Ich habe nie begriffen, welche Art Übertragung da vor sich ging, weshalb die Therapeutin ausgerechnet zwischen IHR und mir Dialoge inszenierte, in denen ich vor IHR beschimpft wurde.

Ich gab auf. Die Gruppe, die Therapie. Blieb der, der ich war, mit der hochgemauerten Sicherheitssperre um den inneren Bereich, in dessen Zentrum das Herz liegen soll. Aber es blieb auch die Ahnung einer schlimmen Einsamkeit innerhalb des Sperrbezirks.

Gute 7 Jahre später machte ich mich also auf, um in einer der Nachbarstädte ihr Namensschild neben der Haustür zu lesen, einen Tag nachdem ich ihre Adresse herausgefunden hatte. Ein sonniger bunter Herbstnachmittag, an dem ich durch die Straßen eines gepflegten Stadtteils mit atmosphärischen Häusern aus der Gründerzeit husche. Ein paar Schritte vom Bürgersteig zur Haustür. Unter ihrem Namen auf dem Schildchen finde ich den ihres Freundes.

Einen imaginären Kragen hochschlagend mache ich mich unauffällig davon. Ich blicke nicht einmal zurück zu den Fenstern, die wahrscheinlich IHRE sind.


© Leandra


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