Weihnachten daheim.

Wieder, wie eigentlich jeden Morgen, schellte der Wecker für mich viel zu früh. Es war gerade mal sieben Uhr, für mich mitten in der Nacht, da ich ein ausgesprochener Nachtmensch war und bin.
Aber heute war es nicht so schlimm, denn ich hatte etwas sehr Schönes vor, ich würde nach Hause fahren.
Ich war gestern noch lange in der Bibliothek der Uni gewesen, um ein paar letzte wichtige Recherchen zu machen und hatte dabei wieder einmal die Zeit vergessen. Ich war das letzte Jahr an der Uni und stand kurz vor meinem Studienabschluss und daher nutzte ich jede mir bietende Gelegenheit zum Lernen.
Aber heute war der 24. Dezember und heute wollte ich mal alles zur Seite schieben und die drei Weihnachtstage genießen.
Ich wollte nach Hause fahren.
Weihnachten zu Hause.
Weihnachten mit meinen Eltern und meinen Geschwistern, Weihnachten mit Omi.
Weihnachten in Mamas gemütlich geschmückter Stube.

Papa würde wieder, wie in jedem Jahr, den sorgfältig ausgesuchten Baum liebevoll beleuchtet und geschmückt haben und im Kachelofen würde ein gemütliches Feuer brennen. Das ganze Haus würde nach leckerem Festessen und gebackenen Plätzchen duften und ich würde wissen, jetzt bin ich Zuhause, jetzt ist Weihnachten.
Ich würde mal für ein paar Tage die schwierigen Prüfungsaufgaben und die Uni vergessen und mich nur einfach mal ein paar Tage liebevoll verwöhnen und meine strapazierte Seele baumeln lassen. Ich würde mich unter den Baum setzen und vielleicht mal wieder ein kitschiges Buch lesen, oder mit unserem Colli Schiwa einen langen Spaziergang unternehmen. Vielleicht, oder bestimmt, würde ich mit meinen kleinen Geschwistern eine Schneeballschlacht machen und einen Schneemann bauen. Ich würde mit Mama und Papa bis spät in die Nacht zusammen sitzen, ein Glas mit heißem Glühwein oder Eierpunsch in der Hand und über Gott und die Welt reden. Ich würde mit Omi am gemütlichen Kachelofen sitzen und Kekse knabbernd zuhören, wenn sie wieder einmal ihre wunderschönen Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt.

All diese wundervollen Dinge kamen mir in den Sinn, als der Wecker klingelte und ich voller Vorfreude und hellwach aus meinem warmen, gemütlichen Bett sprang. Leider stieß ich dabei mit meinem großen Zeh gegen etwas fürchterlich Hartes. Mit einem Schmerzenslaut sank ich zurück auf mein Bett. Stimmt ja, da stand ja schon mein fertig gepackter Reisetrolli und ausgerechnet gegen das olle Rad musste mein großer Zeh knallen. Na toll !!! Er würden bestimmt noch etwas länger weh tun und vielleicht sogar anschwellen. Aber egal, ich fahre jetzt zu Mama und sie wird ihn mir nötigenfalls bestimmt sehr gern liebevoll verarzten.

Mein Blick auf mein kleines Dachfenster sagte mir, dass es heute Nacht erneut geschneit hatte und dass das immer noch der Fall war.
Humpelnd machte ich mich schnell fertig, trank noch schnell einen Schluck kalten Tee, der noch von gestern auf meinem Schreibtisch stand und biss noch zwei-dreimal in ein einsames, Knäckebrot. Egal, später gab es viele leckere Sachen, dann konnte ich mich wieder einmal nach Herzenslust satt essen. Bei dem Gedanken lief mir schon jetzt das Wasser im Mund zusammen. Schnell packte ich meine restlichen Sachen, schnappte mir den kümmerlichen Rest meines Knäckebrotes, ich würde den Rest während der Fahrt knabbern, und humpelte die vielen Treppenstufen von meiner Altbaustudentenwohnung hinunter. Zum Glück hatte ich die vielen kleinen Geschenke für meine Familie schon gestern voller Vorfreude in meinem alten Käfer verstaut und so musste ich heute nicht noch ein paar mal die vielen Treppen bis in den vierten Stock hoch und runter humpeln.
Als ich vor die Haustür trat, traf mich fast der Schlag.
Schnee wohin ich sah. Und es schneite unaufhörlich weiter.
Dicke, weisse Flocken.
So ein Mist !!!
Aber ich ließ mich nicht entmutigen. Ich hatte gute neue Winterreifen von Papa gesponsert und aufgezogen bekommen und ich musste ja eh die meiste meiner Fahrtstrecke Autobahn fahren und die war bestimmt gut geräumt und gestreut. Außerdem waren es ja nur ca. Siebzig Kilometer, das war ja nur ein Klacks.
Also verstaute ich meinen Trolli, nicht ohne vorher noch einmal vorwurfsvoll dem Übeltäter meines verletzten, schmerzenden Zehs einen bitterbösen Blick zuzuwerfen, und schwang mich den letzten Rest meines Knäckebrotes kauend hinter das Steuer meines Luxusautos. Mit einem glücklichen Lächeln und einem Blick in meinen Rückspiegel dachte ich, das Abenteuer Weihnachten kann beginnen. Und startete den Käfer.
Nichts !!!
Ich startete erneut.
Nichts !!!
Das kann doch wohl jetzt nicht wahr sein, ich habe humpelnd und unter Schmerzen meine Sachen die vier Etagen runter geschleppt, habe mein altersschwaches, geliebtes Auto frei geschaufelt, die Scheiben frei gekratzt und jetzt das ???
Ich betete zu allen guten Geistern und versprach meinem alten Käfer einen extra großen Schluck Benzin, aber er möge doch bitte, bitte jetzt keine Zicken machen und mich nicht im Stich lassen.
Vorsichtig und total skeptisch und inzwischen auch fröstelnd, versuchte ich erneut zu starten.
Und siehe da, es gab wahrscheinlich doch gute Weihnachtsgeister, startete mein alter Freund der Käfer und nahm ruckend seine Arbeit auf.
Halleluja !!!
Jetzt konnte nichts mehr schief gehen, Familie ich komme.!!!

Kilometerweit war alles ok, die Straßen bis zur Autobahnauffahrt waren geräumt, schließlich lag die Uni in Hannover und nicht irgendwo im Nirgendwo und ich fuhr glücklich und voller Vorfreude meiner kleinen Heimatstadt in Richtung Harz entgegen.

Mein Käfer, wie schon erwähnt, war nicht mehr der Jüngste und ich hatte zur damaligen Zeit weder Radio noch CD, noch Navi an Bord. Von Handy oder gar Smartphone ganz zu schweigen. Ich hatte nur einen Kassettenrekorder.
Aber das war für mich schon ein toller Luxus und wenn ich Auto fuhr, drückte ich auf den Startknopf und die tollsten Schlager trällerten mir entgegen und ich sang, natürlich mit geschlossenen Fenstern, aus voller Kehle mit. Ich konnte so laut und so falsch wie ich wollte mitsingen und niemand belächelte oder verzweifelte an meinen falschen Tönen.
Heute aber legte ich meine geliebte Weihnachtskassette mit alten Liedern und Weihnachtsgeschichte ein und ließ mich berieseln. Meine Weihnachtsstimmung stieg mit jedem Lied um einiges höher und meinen schmerzenden Zeh ignorierte ich einfach. Ich freute mich mit jedem Kilometer mehr auf Zuhause, meine Familie und die bestimmt wieder einmal glücklichen und unbeschwerten Tage im Kreise meiner Lieben.
Ich genoss die wunderschönen Weihnachtslieder und die traumhaft schöne weiße, winterliche Landschaft um mich herum. Die weißen Äcker und Wiesen, die kahlen Laubbäume und die kleinen und großen Tannen, alles winterlich weiß und unsagbar friedlich und schön.
Zwar schneite es noch immer, aber der Himmel war klar und hin und wieder kam sogar mal ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Es waren mehrere Kondensstreifen am Himmel zu sehen und ich überlegte gerade, wo die Flieger wohl ihr Ziel haben mochten, wie die vielen Passagiere wohl ihren hl. Abend verbringen würden, als ich vor mir in der Ferne rote Bremslichter aufleuchten sah.

Oh weh, bitte nicht, war mein erster Gedanke.
Mein zweiter Gedanke war, es wird hoffentlich nicht so schlimm werden, es geht bestimmt gleich weiter,
und mein dritter Gedanke galt meinem Papa. Er ermahnte mich immer mit den Papaworten: “ Wenn du unterwegs bist, nimm immer eine warme Wolldecke, eine Thermoskanne mit heissem Tee und eine Packung Kekse mit.
Ich hatte natürlich weder das Eine noch das Andere dabei und mein Magen war nach dem kalten Frühstückstee und dem trockenen Knäckebrot auch nicht gerade in gefüllter Stimmung.

Die Bremslichter rückten näher und nach etwa einem Kilometer kam die Autoschlange vollends zum Stehen.
Na toll !!!
Meine Armbanduhr zeigte inzwischen neun Uhr, aber ich wollte mich nicht ärgern, schließlich war heute hl. Abend und bis zur Bescherung noch viel Zeit.
Die Minuten strichen dahin und aus Minuten wurden eineinhalb Stunden. Inzwischen war mir richtig kalt, denn mein VW hatte natürlich keine Standheizung, mein Magen knurrte immer lauter und selbst mein erlerntes autogenes Training schmolz dahin wie der Schnee auf dem Autodach der Nobelkarosse vor mir. Natürlich hatten die eine Standheizung und mussten nicht frieren wie ich. War ja klar.

Es schneite immer noch und meine altersschwachen Scheibenwischer krächzten hin und her und wieder von rechts nach links, aber schafften kaum das Nötigste von der Scheibe zu wischen. Mein kleines geteiltes Rückfenster war inzwischen komplett dicht.
Alles gut, tröstete ich mich, bestimmt geht es nun doch bald weiter, aber es ging nicht.
Nach drei Stunden des Wartens und des Frierens beobachtete ich immer wieder wie einzelne Fahrzeuge, anscheinend Ortskundige, auf dem Standstreifen an mir vorbei fuhren und im Nichts verschwanden. Irgendwann, ich war inzwischen halb verhungert und erfroren, dachte ich, jetzt oder nie, was die können, das kannst du auch. Es ist zwar bestimmt verboten, aber wo kein Kläger, da ist auch kein Richter. Ich nahm allen Mut zusammen und verwegen startete ich meinen Käfer. Ich dachte, wenn er jetzt sofort anspringt, dann ist das ein gutes Omen, dann soll es so sein.
Und mein Autochen sprang problemlos an.
Ich hatte das Gefühl, er war froh endlich wieder seine vier neuen Winterreifen bewegen zu dürfen.
Ich schlich mehr als dass ich fuhr, mit doch ziemlich schlechtem Gewissen dem Standstreifen entlang, immer auf der Hut nicht jemandem zu schaden und suchte konzentriert die Bahn ab, ob vielleicht irgendwo eine Abfahrt in Sicht käme. Irgendwo mussten doch die vielen an mir vorbei gefahrenen Autos geblieben sein?
Nichts, nirgendwo oder nirgend etwas zu sehen.
Verflixt, wo sind die nur alle geblieben?
Irgendwie fand ich die ganze Situation inzwischen ganz schön unheimlich und ich musste an < Langoliers > denken, einen Thriller, den ich einmal gesehen hatte, wo Menschen einfach in einem großen, schwarzen Loch verschwanden.
Nach ungefähr fünfzehn Minuten aber tauchte ganz plötzlich, ich hätte ihn um ein Haar verpasst, ein Wirtschaftsweg vor mir auf. Im letzten Moment und mit einem kurzen, kräftigen Schlenker, huschte ich in ihn hinein. Das war die Lösung, das war meine Rettung.
Die Heizung verströmte inzwischen wieder eine wohlige Wärme, meine eisigkalten Hände und Füße tauten langsam wieder auf, allerdings fing mein Zeh, jetzt wo er wieder zu neuem Leben erwachte, erneut an weh zu tun. Aber ich versuchte es so gut es ging zu verdrängen, ebenso meinen inzwischen ausgewachsenen Hunger. Mein Kassettenrekorder sang mir wieder besinnliche Weihnachtsklänge in die Ohren, die Sonne kam nun ganz durch die Wolkendecke und es hatte aufgehört zu schneien.
Oh wie schön, Leute ich komme.
Dachte ich !!!

Es war inzwischen kurz vor zwölf und ich vermutete, dass meine Eltern inzwischen schon etwas unruhig wurden, als ein kleiner Feldhase vor mir über den Weg hoppelte. Natürlich bremste ich sofort total erschrocken ab, wobei mein Käfer einen gewaltigen Schlenker machte, aus der Spur geriet und mich in eine ziemlich hohe Schneewehe beförderte. Das Häschen rannte unerschrocken davon und weg war er. Ich aber war bei meinem Bremsmanöver in eine Schneewehe gerutscht und saß ziemlich tief mit meinen Vorderrädern und dem halben Vorderteil in einem dicken, großen Schneehaufen fest.
Wütend und frustriert vergoss ich ein paar Krokodilstränen und haderte mit meinem Schicksal.
Warum war ich nicht wie die meisten meiner Kommilitonen, schon ein paar Tage vorher nach Hause gefahren? War es wirklich nötig gewesen bis zum Schluss, bis zur letzten Minute, bis gestern spät am Abend noch in der Bibliothek zu hocken und zu lernen? Hätte es nicht wirklich noch Zeit bis nach Weihnachten oder gar Neujahr gehabt ??
Ich mit meinem verflixten Ehrgeiz. Wo hatte er mich jetzt hingebracht ??
Hier hin, mitten ins Nirgendwo !!!
Autos kamen auch keine, entweder hatte ich doch den falschen Weg genommen, oder alle anderen Fahrer waren vorsichtiger und vernünftiger als ich. Vielleicht hatte sich der Stau ja auch schon längst aufgelöst und alle Anderen konnten vergnügt ihrem Ziel entgegen fahren.
Und ich war jetzt hier und steckte fest.
Na super !!!
Natürlich wurde mir schon wieder kalt und mein leerer Magen grummelte. Kein Mensch weit und breit und ich saß, oder steckte hier fest.

Irgendwann gewann mein Kämpfergeist über mein Selbstmitleid und ich krabbelte aus meinem Auto um es frei zu bekommen.
Der erste Schritt in die weisse, kalte Pracht endete aber so fix wie er begonnen hatte, denn mein Zeh meldete sich mit aller Gewalt zurück. Ich hatte das Gefühl er sprengt augenblicklich meinen Winterstiefel. Halleluja, ich sank heulend auf meinen Vordersitz zurück und konnte mein trauriges Schicksal kaum fassen.
Es vergingen Stunden um Stunden und ich weinte in Gedanken an meine Familie, die sich in zwischen bestimmt zu Tode ängstigten und sorgten.

In Gedanken sah ich Paps, wie er immer wieder sorgenvoll ans Fenster trat und die Straße nach meinem VW absuchte, in der Hoffnung mich doch noch heil ankommen zu sehen.
Ich sah meine Mama am Herd stehen und unser hl. Abendessen zubereiten, Pfefferkuchensoße mit Weisswurst und auch sie mit sorgenvollem Gesicht. Bestimmt fiel diesesmal die eine oder andere Träne in den Soßentopf.
Omi ist da, sie wird versuchen meine zwei kleinen Brüder mit Geschichten oder Spielen ab zu lenken und dieses Mal muss sie bestimmt nicht mogeln um die Zwillinge gewinnen zu lassen. Sie wird in Gedanken bei mir sein und abgelenkt ein Spiel nach dem anderen verlieren.
Schiwa wird am warmen Kachelofen dösen, aber bei jedem noch so kleinen Geräusch von der Straße aufmerksam lauschen und mit seiner Rute wackeln.
Auch die kleinen Brüder werden traurig sein und nicht wie sonst neugierig auf das Christkind warten.
Warum musste mir das passieren ???
Ich war richtig wütend auf mich.

Es dunkelte langsam und schon wieder fing es zu schneien an. Kein Mensch weit und breit, kein Licht war irgendwo zu sehen, nur Schnee. Einmal sah ich ein paar Rehe, sie kamen ziemlich nah an das Auto heran, guckten und dann verschwanden sie wieder.

Ich hörte inzwischen wohl schon zum x ten mal die Weihnachtsgeschichte und fragte mich, wie lange die Akkus wohl noch halten mochten.
Mir war mittlerweile saukalt und ich überlegte ernsthaft ob ich Mamas Schal, ein Geschenk für sie, aus seiner Geschenkverpackung nehmen und ihn um mich wickeln könnte, aber ich verwarf den Gedanken. Wenn man mich irgendwann erfroren finden würde, sollten die Geschenke unangetastet auf der Rückbank zu finden sein.

Da war sie wieder, die Weihnachtsgeschichte.
Na super, heulte ich, da waren wenigstens Hirten auf dem Feld, wo waren sie hier ???
Maria und Josef fanden einen Stall, da war es warm --- und ich ??? was hatte ich ???
Ein kaltes Auto und einen verletzten, schmerzenden Zeh !!!
Keine Kuh, die mir warme Milch gab, kein Pferd und keinen Ochsen die mit ihrem Atem die Luft erwärmten und keine Schafe an die ich mich hätte kuscheln können und die mich mit ihrer Wolle wärmen konnten.

Ich saß hier fest !!! Allein, frierend, hungrig, mit einem pochenden Zeh, verzweifelt und schluchzend und jetzt brach auch noch die Nacht herein.
Ich war müde und meine Augen brannten vom vielen weinen. Ich kroch so gut es ging in mich zusammen und dachte beim Einschlafen noch einmal an meine arme Familie und dass ich ihnen dieses Weihnachten und vielleicht all die kommenden gründlich verdorben hatte.
Weinend und erschöpft und voller Selbstmitleid schlief ich ein.

Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen habe und zuerst dachte ich, ich träume.
Na klar, das musste ein Traum sein. Ein alter Mann beugte sich über mich, rüttelte an mir und tätschelte meine kalte Wange.
Oh, dachte ich, jetzt träumst du vom Weihnachtsmann, kann nur ein schöner Traum werden.
Aber das Rütteln, das Tätscheln und die aufgeregten Worte wurden immer eindringlicher und widerwillig erwachte ich ganz aus meiner Traumwelt in die kalte Realität.
Neben mir in der geöffneten Autotür hockte ein Mann, alt, mit weissem Haar und weissem Vollbart und neben meinem Käfer stand kein Rentierschlitten, da stand mit laufendem Motor und hellen Scheinwerfern ein Geländewagen.

“ Mädchen “ sagte der gute alte Mann, wat machst du denn hier, du gehörst doch bestimmt schon längst in eine warme gemütliche Stube. Auf dich wartet bestimmt schon lange eine traurige, besorgte Familie.
Ich fiel dem guten alten Mann um den Hals und erzählte heulend und zitternd meine unglaubliche Geschichte.
Der gute Mann war der Tierarzt in dieser Gegend und auf dem Heimweg von einer fohlenden Stute, als er mein Auto entdeckte. Erst wollte er vorbei fahren, aber zum Glück hielt ihn eine innere Stimme davon ab und so fand er mich. Er setzte mich in seinen Geländewagen, lud meinen Koffer und die Geschenke in sein Auto um, verschloss meinen alten VW und dann fuhren wir der Wärme und Geborgenheit entgegen.

Es war schon weit nach zehn als wir die Strasse zu meinem Elternhaus entlang fuhren. Die verschneiten Vorgärten lagen beleuchtet und geschmückt rechts und links der Straße entlang und im einigen standen frisch gebaute Schneemänner. In allen Fenstern sah man hell erleuchtete, geschmückte Weihnachtsbäume und glückliche Familien dabei stehen oder sitzen.

Und da . . .
Dort war mein Elternhaus, --- dort war meine Heimat, meine Familie.
Alles war dunkel.
Keine Festbeleuchtung.
Kein hell erleuchteter Weihnachtsbaum.
Nichts !!!
Die Rollläden waren herabgelassen und das ganze Haus sah dunkel und traurig aus.
Die Beleuchtung am Haus und im Vorgarten, sonst Papas ganzer Stolz, war erloschen.
Eine einzige kleine Lampe auf dem Fensterbrett oben in meinem Mädchenzimmer brannte.
Sonst nichts !!!
Das war alles !!!
Mein Elternhaus kam mir vor, als sei es in eine grauenvolle Schockstarre gefallen.
Kein Singen und kein Lachen wie sonst immer an Weihnachten.
Kein so wunderschöner Duft nach Pfefferkuchensoße und anderen Leckereien wie sonst.
Keine Klänge, wie oh du fröhliche, oh du selige Weihnachtszeit, --- nichts.

Dr. Bär half mir aus dem Geländewagen und humpelnd, von ihm liebevoll gestützt, hinkte ich zur Haustür mit dem wunderschönen Tannenkranz mit roter Schleife und Kugeln und Dr. Bär drückte die Türglocke.
Halb hoffnungsvoll, halb ängstlich auf eine schlechte Nachricht gefasst, öffnete Papa die Haustür.
Ich glaube ich habe nie ein lieberes, schöneres Gesicht gesehen und ich bin noch nie und nie wieder in meinem Leben so total intensiv nach Hause gekommen. Es war einfach nur wunder, wunder schön.
Mama drückte und herzte mich, Omi weinte Tränen des Glücks und die Zwillinge mochten gar nicht mehr von meiner Seite weichen. Schiwa lag mit seinem Kopf auf seinen Vorderpfoten auf seiner Hundedecke und blinzelte unentwegt zu mir herüber. Papa nahm immer wieder meine inzwischen warmen Hände in die seinen und sah mich nur immer wieder glücklich und erleichtert an.
Nachdem mein Fuß versorgt worden war, mein Zeh war tatsächlich gebrochen und inzwischen ziemlich blau und angeschwollen, hatten wir doch noch einen schönen Weihnachtsabend.
Nein, das stimmt nicht, wir hatten den schönsten Weihnachtsabend überhaupt. Wir haben zusammen gesessen und ganz, ganz viel erzählt. Wir haben Kekse geknabbert und Mamas leckeren Eierpunsch getrunken, meinen Zeh gekühlt und waren einfach alle nur noch glücklich. Wir waren so dermaßen mit erzählen und kuscheln beschäftigt, dass wir sogar vergaßen dass unter dem hell erleuchteten und liebevoll geschmückten Weihnachtsbaum ein Haufen Geschenke darauf wartete ausgepackt und bewundert zu werden.
Selbst für die Zwillinge war das an diesem besonderen hl. Abend

Nebensache.






© Angelika Marasch


© Angelika Marasch


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Beschreibung des Autors zu "Weihnachten daheim"

Während einer sechswöchigen Kur im November/Dezember 2019 habe ich begonnen Weihnachtsgeschichten zu verfassen.
Das Vorlesen in meinem Bekanntenkreis und in einem Altenheim zur Weihnachtszeit hat mir viel Zustimmung gebracht.
Ich überlasse Ihnen deshalb meine allererste Geschicht zur gefl. Veröffentlichung um auch evtl. einem größeren Kreis Freude zu bereiten.
Nur der Ordnung halber: Ich bin die Autorin der Geschichte, 67 Jahre alt, Rentnerin und habe nirgendwo abgeschrieben.

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Kommentare zu "Weihnachten daheim"

Re: Weihnachten daheim

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 21.09.2021 19:31 Uhr

Kommentar: Liebe Angelika,
willkommen bei uns im Forum, aber deine Geschichte mit dieser Überschrift liest zu dieser Jahreszeit kein Schw... Ich auch nicht. Versuch es in einem viertel Jahr noch einmal.
Gut gemeinter Rat und liebe Grüße
Wolfgang

Re: Weihnachten daheim

Autor: Michael Dierl   Datum: 21.09.2021 23:05 Uhr

Kommentar: Hallo liebe Angelika, doch das 1. Schwein hat schon angebissen zu lesen AAAAABER der Text ist wahnsinnig lang, deswegen werde ich jeden Tag mir einen Abschnitt vornehmen denn Du bis ja nicht die Einzigste die gelesen werden will. Außerdem muss ich meine Mutter pflegen und da geht eben viel Zeit drauf. Vielleicht lese ich es meiner Mutter vor. Mal schauen wie sie so drauf ist denn Weihnachtsstimmung ist momentan auch bei uns nicht und wird's wohl auch nicht trotz Weihnacht in ein paar Monaten.

lg Michael

Re: Weihnachten daheim

Autor: Soléa   Datum: 22.09.2021 7:07 Uhr

Kommentar: Guten Morgen Angelika, ich stimme da mit Michael voll überein und auch ein 2tes "Sch…" wie Wolfgang das unpassend ausdrückt, hat dich wahrgenommen, aber ich lese sooo lange Texte ganz, ganz selten online, wenn, dann lieber doch ein Buch um kuscheligen Sofa. Vielleicht könntest du ja deine Geschichte in ein Gedicht verwandeln und es, wenn es um Feiertage geht, zeitnah einstellen.

Aufmunternde Grüße
Soléa

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