Kinderfaust in der Tasche


Katholisch erzogen und auf fromm getrimmt musste ich jeden Sonntagmorgen zum Gottesdienst in die Dorfkirche zu Glesch.
Das ist jetzt fast 70 Jahre her.
Glesch damals war ein beschauliches Dorf im Rheinland mit etwa 2000 Einwohner.
Widerwillig zum Hochamt hin, kam ich oft erst nach Beginn der Messe in der Kirche an und traute mich nicht nach vorne in die ersten Bankreihen, die für uns bestimmt waren.
Sollte ja möglichst keiner meine Verspätung bemerken.
Also blieb ich hinten in der Kirche stehen bei einer Gruppe von erwachsenen Männern, auch wenn die mich da nicht haben wollten.
Die waren nicht etwa auch zu spät gekommen, sondern hatten sich quasi strategisch dort Nähe Kirchausgang hingestellt.

So erlebte ich während der Predigten des Pfarrers mit konstanter Regelmäßigkeit eine Art von „Auszug aus Ägypten“.

Wie auf Kommando zu Beginn der Predigt bewegten sich etliche der meist jüngeren Herren – keine Damen - wieselflink mit kurzen Schritten zum Kirchausgang Richtung Dorfkneipe, die keine 20 Meter entfernt auf der Straße gegenüber lag.

Ein Gläschen Schnaps und Bier in Ehren kann doch ein Herrgott nicht verwehren.
Nach kurzem Aufenthalt in der Pinte und oft punktgenau zum Ende der Predig waren die Gläubigen wieder zurück in der Kirche, auf jeden Fall aber zum Abschlusssegen. Das war wichtig, weil kurz danach alle Kirchgänger die Kirche verließen und sehen konnten, daß die jungen Herren auch da gewesen sind.

Niemand hat je einen der Kneipenfreunde zur Rechenschaft gezogen.

Bei uns Schulkindern war das anders.

Für uns gab es montags in der Schule inquisitionsartige Besuchskontrollen zum sonntäglichen Gottesdienst.

Auf die Frage des Grundschullehrers: „Wer war im Gottesdiensthochamt am Sonntag?“ zeigen alle auf.
Auf die Nachfrage: „Was wurde gepredigt?“, meldet sich keiner.
Wer persönlich vom Lehrer dazu angesprochen wird und immer noch nichts zur Predigt des Pfarrers sagen kann, wurde drakonisch bestraft.
Meist mit Wangenkneifen, Ohrläppchenziehen oder mit dem Gesicht zur Wand „In-Der-Ecke-Stehen“.

Da bleibt einem doch jedes Halleluja im Hals stecken, weil man ein
„Krutzi-Deifi-Fix- Nochmal“ rausbrüllen möchte.

Denn die Moral von der Geschicht;
Die Kinder wurden gekniffen,
wo Erwachsene sich was reingepfiffen.

17.5.2024


© Wolfgang Karwatzki


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Kommentare zu "Kinderfaust in der Tasche"

Re: Kinderfaust in der Tasche

Autor: Michael Dierl   Datum: 17.05.2024 16:02 Uhr

Kommentar: Ohhhhjaaaaaaa.....da kann ich gut mithalten. Bei uns gab's, gerade bei mir, weil ich damals schon sehr provokanten Fragen an den scheinbar allwissenden Herrn Pfarrer gerichtet habe, stets als Antwort eine Kopfnuss. Bis meine Eltern mal dahinter kamen wer das verursacht, weil gerade meine Mutter eine sehr fromme Christin war. Mein Vater hingegen mich 100% verstand weil er von der Kirche damals schon nix hielt. Dann gab's hefigen Ärger beim Rektor dieser Schule, den mein Vater mit ihm ausfechtete. Kurzum braucht ich nicht mehr am Abend in den Seelsorgeunterricht zu gehen und brauchte auch keine Ersatzstunden, also als Strafe anzutreten! Die Kopfnuss war so groß ausgeprägt dass ich ein Gutachten von meinem Arzt machen lies. Das nur zur Sicherheit dass uns niemand was anderes nachsagen konnte. Viele Jahre später bekamen wir den Proberaum unter der Kirche durch einen Freund dessen Vater Küster dort war. Der Pfarrer ging mir gleich aus dem Weg als er mich erkannte und wurde knallrot im Gesicht. Bei der Messe sollten wir auch spielen aber ich fehlte dann an diesem Sonntag IMMER! Das zu den gemeinsamen Erlebnissen!

lg Michael

Re: Kinderfaust in der Tasche

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 17.05.2024 16:03 Uhr

Kommentar: Ja lieber Wolf K.,
deine Geschichte erinnert mich an diese Zeit, als ich in der Kirche fast nur Negatives erlebt habe. Mir ging es erst besser, als ich aus der Kirche raus war, also ausgetreten.
Liebe Grüße Wolf S.

Re: Kinderfaust in der Tasche

Autor: Karwatzki,Wolfgang   Datum: 17.05.2024 16:30 Uhr

Kommentar: Hi Michael, Hi Wolf S,
lieben Dank für Euren Kommentar.

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