Wenn die Professionalität eines jeden Gebildeten versagt – was macht man dann?
Wenn man teilweise keinen Ausweg mehr sieht, als sich noch mehr Müll fressen zu lassen, weil das Innerste bereits einer ganzen Halde davon gleicht – was dann?
Was tut man, wenn sich der Vorhang zuzieht und der einzige wahre Weg ihn wieder zu öffnen ungreifbar ist?
Der Mechanismus ist defekt.
Rückzug folgt. Wunden lecken. Regenerieren. Wieder aufstehen.
Kaum jemand vermag noch zu helfen. Da die Mauer zu hoch wird.

Sie versuchte sich auf ihre Atmung zu konzentrieren, doch egal wie oft sie auch versuchte ihren Fokus umzulenken – sie nahm doch allzu deutlich wahr, dass sie nicht alleine im Raum war. Und das nicht einmal durch die Person, welche sie als einzigen Menschen so nah an sich heran lassen würde. Zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt. Es gehörte schon so etwas wie Mut dazu, dass Kilian sich bereit erklärt hatte, mit ihr einen Versuch zu wagen und ihre Beziehung zueinander auf eine andere Ebene zu bringen.
Dabei empfanden sie nicht mehr füreinander als Freundschaft. Zwar eine von der tieferen Sorte, jedoch kam man nicht zwingend auf die Idee, sie für eine Liebespaar zu halten. Und genau das war der springende Punkt. Egal. Es war ein Versuch, mehr nicht.
Er drehte ein letztes Mal am Regler der Musikanlage auf dem Stuhl neben der Tür, so dass die elektronischen Klänge zu einem konstanten und angenehmen Hintergrundgeräusch wurden. Nach kurzer Zeit vom Gesang einer männlichen Stimme begleitet.
Er hatte sich die dunklen Haare locker zurückgebunden und trat nun barfuß und vollständig in Schwarz gekleidet vor sie. Ihre Blicke ruhten aufeinander, so dass Marie ihren Puls endlich wieder regulieren konnte. Die Vierundzwanzigjährige war selbst komplett dunkel gekleidet und hatte sich die Haare vor Betreten des Raumes zum Zopf gebunden. Stundenlang schienen sie schweigend voreinander zu stehen, wobei ein flüchtiger Seitenblick zur Wanduhr verriet, dass es nicht mal eine Minute war.
„Vergiss die Uhr. Ich kann sie auch abhängen, wenn es dir so leichter fällt. Nur du spielst hier drinnen eine Rolle, der Rest ist egal.“ Er lächelte sie sanft an. „Alles klar?“
„Bis hier her ja.“ Sie konnte sein Lächeln ehrlich erwidern.
„Wenn wir diesen Gesichtsausdruck von dir erhalten können, ist schon mehr gewonnen, als ich aktuell gehofft habe.“ Er berührte mit sanftem Druck kurz ihre Hand. „Willst du, dass ich anfange?“
„Ist okay.“ Ihre Stimme war dünner als vor wenigen Sekunden. Und sie wusste, dass er das deutlich registrierte. Nur ging er nicht weiter darauf ein, um ihr diesen Moment nicht zu erschweren. Und sie schätzte ihn eben dafür sehr. Seine Weitsicht was ihre Emotionen betraf war einer der Gründe, warum sie vor ihm nicht ebenso davonlief, wie vor vielen anderen.


© MajaBerg


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