Zärtlich streichelt sie die runzelige, kleine Hand. „Wie zart und zerbrechlich Mutter doch geworden ist“, denkt Irmentraut. Eines Tage werde ich auch so alt und zerbrechlich sein.
Die kleinen Augen schauen sie klug an. Und, als ob sie Gedanken lesen könnte, sagt die Mutter: „Sorge dich nicht, meine liebe Tochter. Und höre nun genau zu, was ich dir sage:
Heissa, grad war Weihenacht.
Hossa, bald ist Karneval.
Hoppsassa, schon ist der Osterhase da.
So ist das Leben. Nimm das Leben leicht, und nimm es so wie es ist.“
Die Tochter schaut ihre Mutter entsetzt an und spricht: „Aber Mutter, was ist mit dir los? So hast du ja noch nie geredet.“
Darauf erwidert die Mutter: „Ich habe dich geboren. Ich habe dich zusammen mit deinem Vater großgezogen. Jetzt bin ich alt und schwach wie ein Kind. Du solltest mich zu dir nehmen und mich umsorgen, wie ich dich umsorgt habe, als du Kind warst.“
„Aber ich will mein eigenes Leben leben“, erwidert die Tochter trotzig.
„Du hast dein Leben gelebt. Du hast bis 21 bei uns gewohnt. Du hast geheiratet und selbst Kinder groß gezogen. Jetzt bist du über 50 und könntest mich aufnehmen.
Aber du lässt mich in dieser schrecklichen kleinen Behausung verkommen. Und zu Weihnachten, zu Ostern und zu meinem Geburtstag kommst du für ein, zwei Stunden zu mir und hältst Handchen.
Es ist meine Schuld. Ich habe versäumt, dich zum Lieben zu erziehen.“
Die Tochter schaut zur Seite, dorthin, wo es nichts zu sehen gibt.
Und die Mutter fährt fort :
„Ich habe Hilfe von anderer Seite erhalten.
Ich bete, seit langem.
Dabei habe ich ein Gefühl, als ob ich Liebe erfahren würde.
Ich glaube, dieses Gefühl ist der Dank an mich für die Liebe, die ich dir als Kind gegeben habe.
Für die Liebe ist die Liebe selbst der Lohn.“
Und die Mutter ergreift nun die Hand der Tochter, streichelt diese Hand und spricht: „Armes, armes Töchterchen.“
Im Leben hattest du zu oft Schmerzen,
davon hat das Schicksal dich nun befreit,
jetzt sitzt der Schmerz in meinem Herzen,
das Leid zu verarbeiten kostet viel Zeit.
Schmetterlinge fliegen leise durch den lauen Wind.
Auf ihrer bunten Sonnenreise kreisen sie geschwind.
Blumen blühen, in allen Farben und der Duft betört.
Es ist die Welt der Himmelsgaben, die [ ... ]
Ich möchte frei sein.
Untröstlich erfasst mein Herz die Existenz.
Viele widersetzen sich dem Weltenschein. Niemand ist frei.
Inbrünstig, liebevoll und sanft möchte ich mich mit jedem Takt des [ ... ]
Hier, in meiner Vergangenheit
wachsen täglich die Ruinen!
Die Gedanken, weit und breit,
ziehen mit den Beduinen
in Nebelwüsten: tauber Sand
erfüllt das triste Lebensland.