Die kleine Zauberin
In der Höhle der Gruselskelette

Kapitel 1 - Die Nase kribbelt
Eines Morgens wachte Kyra, die kleine Zauberin, mit einem leichten Kribbeln in der Nase auf. Das war verwunderlich, denn sie hatte ihr Leben lang noch nie einen Schnupfen gehabt, denn Zauberer können nicht krank werden. Sie kratzte sich an der Nase, aber das Kribbeln blieb erhalten. „Hoffentlich ist es nun das Zeichen. Ich wünsche es so sehr.“ dachte sie und stand auf.
Ihre Eltern waren seit gestern Morgen auf einer Zaubererexpedition und das Mädchen wohnte derweil alleine im Turm. Für Zaubererkinder ist es nicht schlimm, wenn sie mal alleine zuhause bleiben müssen. In ihren Wohnungen gibt es Unmengen von verzauberten Haushaltsgegenständen, die jedem Kind helfen auch allein zurecht zu kommen.
So war es für Kyra vollkommen normal, dass sich die Bettdecke von alleine grade zog und sich die Kissen wie von Zauberhand aufschüttelten, nachdem sie ihr Bett verlassen hatte. Kyra öffnete ihren Kleiderschrank, wählte eine rote Magierrobe, passende Kniestümpfe und wie jeden Tag eine glitzernden Gürtel mit einer winzige Tasche.
Danach verließ sie ihr Zimmer, rutschte das Treppengeländer runter und ging vergnügt in die kleine Küche. Wie immer blieb sie erst in der Küchentür stehen und wartete ab. Die Magie der Küche reagierte auf sie und begann den Frühstückstisch mit allem zu decken, was kleine Zauberinnen gern mögen. Kyra setzte sich an den Tisch und frühstückte ein großes Fruchteis mit Schokostreusel und dazu einen halben Apfel. Dazu trank sie ein Glas Vanillemilch. Das Nasekribbeln wollte auch nach ihrem Frühstück nicht verschwinden.
„Lass uns zum Großmagier Alexus gehen! Vielleicht ist es nun endlich soweit.“ rief die kleine Zauberin ihrem zahmen Pegasus zu, der daraufhin freudig auf sie zugeflogen kam und sich auf ihre Schulter niederließ. Der Pegasus, der auf den Namen Felina hörte, hatte ein weißes Fell, rosafarbene Flügel und Schweif und mitten auf der Stirn ein in sich gedrehtes Horn.
Die kleine Zauberin nahm sich ihren spitzen Hut, mit den goldenen Sternen, und gemeinsam mit ihrem Pegasus verließ sie den Turm und machten sich auf den Weg in die magische Stadt.


Kapitel 2 - Flug zur magischen Stadt
Die kleine Zauberin verließ das Haus und verschloss die Haustür mit einem kleinen Reim: „Tür geh zu, lass keinen rein, werd auch kommen bald wieder Heim.“ Dabei streichelte sie sanft über die Hausturmtür, die sich mit einem hörbaren „Klick“ selbst verschloss.
Ab diesem Zeitpunkt konnten nur noch Familienangehörige den Turm betreten. Jeder andere wurde freundlich darauf hingewiesen, dass keiner daheim ist. Kam ein Familienmitglied wieder nach Hause informierte die Tür wer in der Abwesenheit geklingelt hat.
Vor der Tür wuchs der sonst winzige Pegasus zur vollen Größe heran und graste etwas im Vorgarten vor dem Turm. Kyra ließ ihn in Ruhe frühstücken und schlenderte über den weißen Kiesweg zum Torbogen des Vorgartens. Durch Magie blühten die Sträucher und Blumen das ganze Jahr und auf dem Vielfruchtbaum fand die kleine Zauberin immer die Früchte, auf die sie grade Appetit hatte. Außerdem hing am untersten Ast dieses Baumes die nicht magische Baumschaukel, die ihr Vater ihr zu ihrem sechsten Geburtstag geschenkt und angebracht hatte. Im Schatten des Vielfruchtbaums zu schaukeln genoss Kyra noch heute. Besonders angenehm fand sie es, wenn ihre Eltern mit ihr unter dem Baum lagen und sie sich gegenseitig lustige oder spannende Geschichten erzählten.
Ungeduld stieg in Kyra auf und die kleine Zauberin rief ihren Pegasus: „Felina, kommst Du?“ Das Zauberwesen biss genüßlich noch drei Grasbüschel ab und kam dann zu ihr. Die kleine Zauberin stieg auf seinen Rücken und Felina lief los. Sie breitete ihre rosanen Flügel aus und schon nach wenigen Metern erhob sie sich in die Luft. Der Flug führte über die Sonnenblumenfelder, die Brücke zur Einhornstraße und im weiten Bogen am Wald der verborgenen Wesen vorbei. Die kleine Zauberin kraulte ihren Pegasus hinter den Ohren und genoss den Flug.
Leider kribbelte ihre Nase immer noch, als sie die Stadtmauer der majestätischen Stadt überflog. Der Pegasus ging in den Landeanflug über und landete mit einem leisen Wiehern auf dem Vorplatz zum Stadtkern.
Etliche Zauberer, Magier, Hexen und allerlei Zauberwesen tummelten sich auf diesem Vorplatz. Ihre Fluggefährten schrumpften nach der Landung sofort wieder auf ihre Mininaturgröße zusammen und begleiteten ihre Besitzer. Fliegen war in der magischen Stadt für die Bewohner und Besucher verboten. Nur Briefträgern, den Mitgliedern des magischen Schutzes und den fünf Großmagiern war es erlaubt, auch innerhalb der Stadt zu fliegen.


Kapitel 3 - Auf dem Weg zum Großmagier
Die kleine Zauberin verließ den Vorplatz und schlenderte über die Kaufmannsgasse in Richtung Magisterviertel. Wie immer ging es sehr geschäftig in dieser Gasse zu und Kyra genoss das Treiben an den kleinen, bunt geschmückten Marktständen.
„Kauft rosarote Pummelums“, „Hier gibt es die süßesten und klebrigsten Süßigkeiten“, „Frisches Obst und Gemüse!“, oder „Kommt her! Nur bei mir gibt es die Wunder des Zauberwaldes“ und noch vieles mehr hörte man die Verkäufer rufen. Magier, Hexen und etliche nicht zauberbegabte Wesen und Personen tummelten sich an den Ständen, kauften ein, oder plauschten mit Freunden und Bekannten. Kyra genoss das Treiben und die irgendwie gemütliche Enge in der Gasse.
Obwohl sie zum Großmagier wollte, trieb sie die Neugierde immer wieder an den einen oder anderen Stand und erst nach zwanzig Minuten hatte sie das Magisterviertel der magischen Stadt erreicht. Hier liefen nicht mehr so viele Personen umher und wenn man mal jemanden sah, dann war er in Eile.
Auf der Nordseite des Platzes sah sie das Schloss der Großmagier. Das Gebäude nahm fast die komplette Breite des Platzes ein. Vor dem gigantischen Tor standen zwei steinerne Drachen, die sich wütend anzufauchen schienen. Die kleine Zauberin lief, mit immer noch kribbelnden Nase, auf das Eingangsportal zu.
„Halt, wer begehrt Einlass?“ grunzte der olivfarbenen Ork am Tor und hielt der kleine Zauberin einen Speer vor die Nase.
„Immer ruhig, Hugo! Ich bin es nur. Ich will den Großmagier Alexus besuchen“, erklärte Kyra dem Ork und holte aus ihrer Gürteltasche eine kleine Nusspraline. Der Ork nahm den Sperr zurück, griff griff mit der anderen Hand nach der Praline und lachte ein grunziges Orklachen. Er schmiss sich die Praline in sein riesige Maul, salutierte kurz und ließ die kleine Zauberin durch das Tor.
„Mach's gut, Kleine. Grüß deinen Onkel von mir und sag ihm, dass sich meine Frau über die verzauberten Topflappen gefreut hat.“, hörte ihn Kyra ihr hinterherrufen
Die kleine Zauberin rief ihm: „Werde ich machen“ zu und lief die Treppe hinauf, am zweiten Gang rechts und zur großen gelb-blau gestrichenen Tür. Klopf, Klopf.


Kapitel 4 - Heiße Milch, Schokoladenbonbons und ein Küchenkobold
„Herein, wenn es kein Kobold ist“, rief eine dunkle Stimme. Die kleine Zauberin öffnete die Tür und trat ein. Freudestrahlend stand der Großmagier Alexus auf und schwebte auf seine Nichte zu. „Hallo, Onkel. Wie geht es dir und warum dürfen Kobolde nicht mehr reinkommen?“ platzte sie heraus.
„Hallo, Kyra. Schön dich zu sehen. Komm rein und setz dich erst mal hin“.
Die kleine Zauberin und ihr Onkel nahmen in den großen Sesseln Platz und nach nur einem Schwung mit seinem Zauberstab flogen zwei Tassen heiße Milch und eine Schale Schokoladenbonbons auf den kleinen Tisch zwischen ihnen zu.
Onkel Alexus zündete seine Pfeife an und wollte sich grade nach dem Befinden seiner kleinen Nichte erkundigen, da kam es auch schon wieder aus Kyra herausgesprudelt:
„Onkel, was ist mit den Kobolden? Die sind doch so klein und eigentlich niedlich. Warum kribbelt meine Nase? Grüße vom Türork und seiner Frau.“
„Immer langsam, junges Fräulein. Immer eine Frage nach der anderen.“, tadelte der Großmagier mit einem Lächeln im Gesicht und begann seine Geschichte zu erzählen:
„Kobolde sind derzeit bei mir unerwünscht, weil letzte Woche ein Küchenkobold mein komplettes Studierzimmer verwüstet hat. Während einer Essensschlacht in der Schlossküche ist einer der Küchenkobolde entwischt. Er hat es irgendwie in mein Büro geschafft und sich meinen Ersatzzauberstab geschnappt, den ich auf der Kommode liegen gelassen habe. Dann hat er wild mit ihm herum gewedelt. Alles, was nicht größer als ein Kobold war, flog umher. Gott sei dank bin ich noch rechtzeitig aus einer Besprechung zurückgekommen und konnte ihn mit einem Zauberspruch zum Schlafen bringen.“
Kyra hörte ihrem Onkel gespannt zu, der seine Erzählungen wie immer mit Pfeifenrauchbildern untermalte. Während er erzählte, konnte sie einen Kobold sehen und auch kleine Rauchmöbelstücke, die über dem Bonbonschälchen schwebten. Sie nippte an ihrer Milch, genoß einige der Schokoladenbonbons und kratzte sich immer wieder an der Nase.
Mit den Worten: „Seitdem steht immer eine Orkwache vor der Küchetür.“ endete die Erzählung des Großmagiers und er sprach seine Nichte direkt an.
Kapitel 5 - Freudentanz und eine Überraschung
„Nasekribbeln, Kyra? Hast du mir vorhin erzählt, dass deine Nase wirklich kribbelt?“
Die kleine Zauberin nickte ihrem Onkel zu. „Seit heute morgen kribbelt meine Nase und egal was ich tue, es hört nicht auf. Ist es nun endlich soweit?“.
Der Großmagier legte seine Pfeife auf das Tischchen, strich sich über den weißen Bart und nahm wie schon vier mal zuvor seinen Zauberstab in die Hand. Er berührte Kyra's Nase, murmelte etwas unverständliches und nahm dann seine Nichte freudestrahlend in die Arme.
„Kyra, mein Schatz, ja es ist soweit. Du bist bereit für deinen ersten eigenen Zauberstab. Bei jeder Zauberfamilie gibt es ein geheimes, eindeutiges Zeichen und in unserer ist es das Nasekribbeln. Die Magie hat mir verraten, dass dieses Nasekribbeln echt ist. Ab heute bist du eine echte Zauberin und kannst nun Magie wirken.“
Mit diesen Worten ließ er seine Nichte los die zuerst einmal kurz sprachlos im Sessel saß. Einen Augenblick später sprang sie auf ihre Beine hüpfte und tanzte wie wild umher. „Ich darf zaubern! Ich darf wirklich richtig zaubern! Endlich ist es soweit. Ich bin eine Zauberin. Jippi!“ schrie die kleine Zauberin.
Bei diesem Freudentanz fiel der Tisch um, die Milch lief über den Fußboden und die Schokoladenbonbons flogen umher. Das alles nahm Kyra in ihrem Freudetaumel jedoch nicht wahr und sie beruhigte sich erst wieder als sie in die Arme ihres Onkels fiel, der sie glücklich auffing.
Die beiden umarmten sich noch eine Weile und dann sprach der Großmagier zu seiner kleinen Nichte: „Kyra setz dich wieder hin, denn nun kommt das Wichtigste für diesen Tag.“ Onkel Alexus drehte sich um und ging zu einem großen Schrank in der hinteren rechten Ecke seines Büros. Er öffnete die Tür mit einem Schlüssel, der um seinen Hals hing und holte einen schmalen, länglichen Holzkasten mit kleinen blauen Glitzerblumen hervor.
Kyra trippelte vor Aufregung mit ihren Füßen, denn sie wusste, dass sie nun ihren ersten eigenen Zauberstab bekommen würde. Onkel Alexus drehte sich zur kleinen Zauberin um und reichte ihr wortlos den Kasten. Mit zittrigen Händen nahm Kyra das Geschenk entgegen und sobald sie es in beiden Händen hielt, begannen die Glitzerblumen zu strahlen.


Kapitel 6 - Stimme aus dem Totenreich
Die Holzkiste öffnete sich und eine freundlich klingende, weibliche Stimme sprach direkt zu ihr.
„Geliebte Ur-Ur-Enkelin. Hier spricht deine Ur-Ur-Großmutter Paula. Endlich ist es so weit. Deine Nase muss gekribbelt haben und du bist nun bereit für deinen ersten eigenen Zauberstab. Wie es die Tradition verlangt, muss er von einem verstorbenem Familienmitglied kommen und ich hoffe du nimmst meinen Zauberstab an, der mir mehr als hundertdreiundzwanzig Jahre treu gedient hat. Er hat zwar manchmal seine Aussetzer, aber immer wenn du in großer Gefahr bist - und ich hoffe, das wird niemals der Fall sein - wird er dich retten. Nimm ihn an dich und erlebe mit ihm die Abenteuer, die ich mir in meiner Jugend immer vorgestellt habe. Ich liebe dich, meine unbekannte Enkelin. Machs gut und grüße Alle von mir.“
Nach diesen Worten löste sich das Kästchen auf und die Glitzerblumen flogen noch eine zeit lang im Zimmer umher. Kyra hielt den kristallblauen, knapp achtzig Zentimeter langen Zauberstab in ihren Händen und schaute ihren Onkel glücklich an.
„Meinen Glückwunsch. Ur-Großmutter Paula war eine fantastische Frau und eine bekannte Zauberin.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort „Hast du Lust, den Zauberstab auszuprobieren? In der Schule habt ihr bestimmt schon etliche theoretische Übungen gemacht. Komm mit mir in den Übungsraum“.
Das ließ sich die kleine Zauberin nicht zwei Mal sagen. Schnell sprang sie vom Sessel auf und ging, den Zauberstab fest in der einen und die Hand des Großmagiers in der anderen Hand, aus dem Büro. Onkel Alexus verschloss die Tür mit einem kurzen magischen Spruch und die beiden gingen den Gang zurück zur Treppe und dann immer weiter nach unten, bis sie im Kellergeschoss des Schlosses angekommen waren. Die Tür zum Übungsraum öffnete sich und Kyra durfte zum ersten Mal in ihrem Leben Magie anwenden.


Kapitel 7 - Zauberkunde für Anfänger und ein magischer Kreis
Schnell verflog die erste Stunde. Kyra lernte mit ihrem Zauberstab umzugehen. Gegenstände schweben oder den Zauberstab leuchten zu lassen konnte sie recht schnell. Zuerst wollten sich die Bälle nicht bewegen und danach ließ Kyra zu viel Schwung in den Zauberstab fließen, so dass die Bälle im ganzen Übungsraum umher geschossen wurden. Die Dosierung beim Lichtzauber setzte sie erst auch zu hoch an und der Großmagier und die kleine Zauberin mussten sich fast fünf Minuten die Augen reiben, bis sie wieder sehen konnten.
Onkel Alexus lobte sie trotzdem häufig und freute sich, dass seine Nichte ein Talent für die Nutzung magischer Energie zu haben schien.
Nach diesen kleinen magischen Grundlagen zog Onkel Alexus an einem Hebel, der eine bislang verborgene Tür im Übungsraum öffnete. Eine knapp neunzig Zentimeter große Marionette, mit einer gelben Latzhose bekleidet, kam hinter der Tür zum Vorschein und bewegte sich hüpfen in den Raum.
Kyra, die so vertieft in ihre Übungen war bekam davon nichts mit und erschrak beim ersten Anblick der Marionette. Der Schwebezauber den sie grade vollführte wurde abgebrochen und der grade noch schwebende Ball fiel zu Boden und rollte durch den Übungsraum.
„Onkel, was ist das denn?“, fragte sie und zeigte auf die Marionette, die nun Mitten im Raum stand.
„Das, liebes Kind, ist eine Übungspuppe für magische Duelle“, begann der Großmagier zu erzählen. „Die weiteren Grundlagern der Magie sollen dir deine Eltern erklären. Magische Duelle hast du ja schon gesehen. Ich möchte gerne wissen, ob du schon das Talent für ein solches Duell hast.“
Nach diesen Worten rief Onkel Alexus „Duell beginne“ und die Marionette hüpfte auf Kyra zu. Kurz bevor sie die kleine Zauberin berührte, erschien auf dem Boden ein magischer Duellkreis. Wie durch Zauberhand wurde sie auf einen der fünf Plätze auf der rechten Seite des Duellkreises geschoben und die Marionette auf einen Platz auf der gegenüberliegenden Seite. Onkel Alexus stand auf dem Platz links neben ihr.
Für alle, die im Unterricht für magische Duelle nicht aufgepasst haben, eine kurze Zusammenfassung was bei einem Duell geschieht:
1. Die Duellanten werden, zum Schutz für alle nicht teilnehmenden Zuschauer, in einen magischen Kreis gezogen, den man während des Duells nicht verlassen kann
2. Die beiden Parteien versuchen mit ihren Zaubern die gegnerischen Zauberer oder Zauberwesen zu besiegen.
Kapitel 8 – Stimmen im Kopf und ein erster Steinwurf
Eine irgendwie komische Stimme erschallte aus dem Nichts und kündigte den Beginn des Duells an: „Möge das Duell beginnen.“
Vor der kleinen Zauberin erschienen sechs tellergroße Scheiben mit unterschiedlichen Symbolen. Die kleine Zauberin zeigte instinktiv mit dem Zauberstab auf das Bildnis eines Steins. Sofort klang in ihrem Kopf eine leise, wohlklingende Stimme: „Hallo Kyra. Ich bin es, Isabell. Der Zauber auf den Du grade zeigst ist ein einfacher Steinschusszauber. Nutze ihn um deinen Gegner mit einem kleinen Stein zu schaden. Zerschlage dafür den Teller.“
Erschrocken zog die kleine Zauberin den Zauberstab zurück, schaute ihren Onkel an und flüsterte: „Onkel Alexus, mein Zauberstab hat mit mir gesprochen. Er nennt sich Isabell, kennt meinen Namen und hat mir eines des Symbole erklärt“
„Das hatte ich mir schon fast gedacht. Du bist, wie deine Ur-Ur-Großmutter, eine begabte Zauberin. Bei begabten Zauberern wird der Zauberstab zu einer Art Freund, der ihnen in magischen Duellen hilft. Sprich mit ihm und er wird dir die Geheimnisse der Magie verraten“, erklärte ihr Onkel.
Nach diesen Worten zerschlug Onkel Alexus einen Teller vor ihm und auch Kyra zerschlug den Symbolteller mit dem grade angehörte Symbol. Bei der Marionette war schon längst die Symbole verschwunden.
Wieder erklang die komische Stimme, die sie bereits zum Duellbeginn gehört hatte und verkündete: „Die Teilnehmer haben gewählt. Die Magie beginnt.“
Wie aus dem Nichts formte sich vor Kyra ein etwa faustgroßer Stein und flog auf die Marionette zu, traf sie und verpuffte danach. Direkt nach dieser Aktion erschien in der Mitte des Kreises ein großer brennender Tiger, der ebenfalls auf die Marionette zusprang und sich danach auflöste.
Die Marionette verschwand von ihrem Feld und tauchte direkt in der Mitte des Kreises auf. Wie ein Boxer holte sie mit der linken Faust aus und diese flog in Richtung der kleinen Zauberin.
Reflexartig hielt sich Kyra die Hände vor das Gesicht um sich zu schützen, aber auch die Faust verpuffte kurz vor ihrem Gesicht.
Wieder erschienen die tellergroßen Symbole vor den Duellteilnehmern, aber noch etwas zusätzliches konnte die kleine Zauberin erkennen. Der Farbkreis unterhalb der Marionette war nun fast farblos. Es sah aus als hätte man von einem Kuchen fast alle Stücke aufgegessen. Aber auch in ihrem eigenen Farbkreis fehlte ein Kuchenstückchen.


Kapitel 9 - Siegesrausch
Der Großmagier erkannte was seine Nichte grade entdeckt hatte und erklärte ihr: „Die Kreise unter uns Allen stellen das eigene Duell-Leben dar. Ist der Kreis verschwunden, dann hat man verloren. Nur Duellanten können das sehen. Lass uns nun das Duell beenden“
Das ließ sich die kleine Zauberin nicht zweimal sagen. Diesmal entschied sie sich für ein Schildsymbol und sofort erklang die Stimme in ihrem Kopf: “Mit diesem Zauber kannst Du einen magischen Verteidigungsschild herbeirufen. Er schützt dich vor der nächsten Attacke.“
Ein kurzer Schlag, die komische Stimme kündigte die nächste Runde an und die Magie geschah. Vor Kyra erschien ein großes Schild auf zwei Beinen, dass sich neben sie stellte. Ihr Onkel beschwor diesmal eine Gewitterwolke, die einen Blitz auf die Marionette schoss. Der Blitz traf, die Farbe unterhalb der Marionette erlosch komplett und Sie explodierte in tausende von kleinen, leuchtenden Kügelchen. Auch Kyra's Schild verschwand und der Duellkreis erlosch.
Applaudierend stand Alexus neben seiner Nichte und beglückwünschte sie nach diesem erfolgreichen Duell. „Das hast Du hervorragend gemacht, Kyra. Das magische Duell ist vorbei.“
Kyra stand erst bewegungslos neben dem Großmagier. Dann fingen ihre Augen förmlich an zu leuchten, das Gesicht strahlte und ein Redeschwall ergoss sich aus der kleinen Zauberin: “Das war unglaublich. Fantastisch! Phänomenal! Der Zauberstab hat mit mir gesprochen und ich habe einen Stein gezaubert. Oh mein Gott, war das cool. Der Blitz und dann die Faust. Diese Lichter und dann die Kügelchenexplosion. Hast du den brennenden Tiger gesehen? Das will ich auch können. Und der Schild neben mir. Das war so was von cool. Das will ich immer wieder machen.“
Ihre Stimme überschlug sich und erst nach weiteren fünf Minuten des Schwärmens hatte sich Kyra wieder im Griff.


Kapitel 10 - Warnende Worte
Onkel Alexus ging in die Hocke, legte seine Hände auf ihre Schulter und sprach im freundlichen, aber bestimmten Ton mit ihr:
“Meine kleine Nichte. Den Übungskampf hast du gemeistert, aber bei dem warst du nie in Gefahr. Bedenke, dass ein Kampf immer der letzte Ausweg sein muss, um ein Problem zu lösen.
Die Übungsmarionette ist in tausende von Lichtkügelchen zerplatzt, aber die Magie des Duells wird sie morgen früh wieder hinter der Tür hier im Übungsraum auftauchen lassen. Wäre das Licht unter deinem Duellbereich erloschen, wer weiß, wie lange du weg gewesen wärst und wohin es dich in dieser Zeit verschlagen hätte. Dieses Rätsel konnte bislang noch von niemanden gelöst werden und jeder Zauberer, den der Rat der Großmagier befragt hat, konnte sich nicht erinnern, was in der Zeit nach dem magischem Duell geschehen ist. Ich selbst habe schon ein Duell verloren. Nach sieben Wochen wachte ich ohne Erinnerungen im Garten deiner Großmutter auf und hatte folgendes an meinem Bein.“
Mit diesen Worten hob er sein dunkelgraues Zauberergewand hoch und zeigte Kyra eine fast zwanzig Zentimeter lange Narbe auf seiner Wade.
„Der Zauberstab deiner Ur-Ur-Großmutter wird dich schützen“, fuhr der Großmagier fort, “aber denke bitte immer daran, dass jedes Duell gefährlich sein kann.“
Kyra sah ihren Onkel an und nickte. Kein trotziges Nicken, sondern eines dass ihrem Onkel zeigte, dass sie wirklich verstanden hatte.
Es klopfte an der Tür des Übungsraums und nach einer kurzen Pause betrat ein junger Mann in der rot-gelben Robe des magischen Schutzes den Raum. Er verneigte sich förmlich und sprach: „Meister Alexus. Die anderen Mitglieder des Magierrates warten bereits auf Euch. Bitte begebt Euch in den roten Besprechungsraum.“ Nach diesen Worten verbeugte er sich erneut, drehte sich um und verließ den Raum.

Kapitel 11 – Abenteuersuche
Der Großmagier stand auf strich sein Magiergewand glatt und verabschiedete sich von seiner Nichte: „Ich muss leider gehen, die Arbeit ruft. Wir sehen uns heute Abend bei dir zu Hause, damit wir deinen Eintritt in den Rang einer Zauberin feiern können. Bestimmt sind deine Eltern dann auch schon wieder zurück“.
„Ich freue mich schon“, erwiderte Kyra, umarmte ihn kurz und gemeinsam verließen Sie den Übungsraum.
Großmagier Alexus ging die geschwungene Treppe hoch zum roten Besprechungsraum und die kleine Zauberin machte sich auf den Weg zur Abenteuergasse. Die warnenden Worte ihres Onkels noch im Hinterkopf wollte ihr aber doch nicht der eine Satz ihrer Ur-Ur-Großmutter aus den Gedanken gehen „Nimm ihn an dich und erlebe mit ihm die Abenteuer, die ich mir in meiner Jugend immer vorgestellt habe.“
Abenteuer erleben, ja das machte Kyra schon lange. In ihrer Vorstellung hatte sie bereits gegen Drachen, böse Hexen und alle Arten von Bösewichten gekämpft. Sie war zu versteckten Höhlen gereist, hatte Prinzessinen gerettet und Schätze gefunden. Doch jetzt hatte sie einen echten Zauberstab, der sogar mit ihr sprechen konnte. Sie war nun eine Zauberin und damit stand ihr die Welt offen.
In freudigen Gedanken versunken tänzelte die kleine Zauberin durch die Gänge und stieß beim Verlassen des Großmagierschlosses beinahe mit dem Türork zusammen. „Immer langsam junges Fräulein. Ich stehe auch noch hier“, scherzte Hugo.
„Hy Du. Ich hatte dich gar nicht gesehen. Weißt du schon das Neuste?“, sagte Kyra und hielt dem Ork ihren Zauberstab vor die Nase: „Ich bin nun eine echte Zauberin und habe grade im Duell eine Übungsmarionette besiegt.“
Hugo wich einen kleinen Schritt zurück und schob den Arm der kleinen Zauberin zur Seite, denn eines lernt man in einer Stadt mit Zauberen sehr schnell: „Stehe niemals vor der Spitze eines Zauberstabes“
Freundlich verbeugte er sich vor Kyra und ließ sie mit einem „Meinen Glückwunsch. Gehabt euch wohl, große Zauberin.“ durch das Eingangsportal gehen.
Freudig hüpfte und tanzte Kyra über den Magisterplatz, lief durch die Regenbogenallee zum großen Marktplatz und bog an dessen Westseite in die Abenteuergasse ein.

Kapitel 12 – Kein Ort für Kinder
Verglichen mit der farbenfrohen und geschäftigen Kaufmannsgasse, oder der sauberen, von Kristallbäumen flankierten Regenbogenallee, wirkte dieser Teil der magischen Stadt nicht für Kinder geeignet. Die Gebäude standen windschief und waren grau oder braun gestrichen. Der Boden war dreckig und überall lagen weggeworfene Gegenstände auf den schmalen Gehwegen. Vom Eingang der Gasse aus, konnte sie mehrere Eingänge zu Gaststätten erkennen. Die Schilder über den Türen baumelten im leichten Wind und Kyra las auf ihnen „Gasthaus zum nörgelnden Magier“ oder auch „Zur schielenden Hexe“. Vor den Gebäuden standen mehrere Zauberer und Hexen, die sich unterhielten oder auch nur Pfeife rauchten.
So hatte sie sich die Abenteuergasse nicht vorgestellt. In ihrer Fantasie war die Abenteuergasse eine Straße mit bunten Wimpeln und Fahnen, in der Könige, Prinzen und allerhand andere Personen standen und auf eine Heldin warteten, die ihnen helfen würde.
So wie in den Erzählungen ihrer Mutter in denen ein mutiger Zauberer zum König kommt und ihm Hilfe anbietet um die entführte Prinzessin zu retten. Oder auch die Geschichte vom Zauberer und der Schatzkarte, die ihn durch das komplette magische Land reisen ließ um Abenteuer zu erleben und am Ende einen großen Goldschatz zu finden. Selbst ein einfacher Mann, dessen Tochter oder Sohn von einem Ungeheuer entführt wurde war nirgendwo zu sehen.
Etwas enttäuscht drehte die kleine Zauberin um. Sie hatte sich umentschieden. In dieser Gasse würde sie keine Abenteuer finden können und außerdem fürchtete sich die Gasse zu betreten. „Macht nichts, dann besuche ich halt Emmeli und Nils, die werden stauen, wenn sie erfahren, dass ich schon wirklich zaubern kann“, dachte sich die kleine Zauberin und ging zum Feenwinkel in denen ihre beiden Freunde meist zu finden waren.
Vom Marktplatz aus war es nicht weit bis zum Feenwinkel. Die kleine Zauberin musste nur an dem Hutladen der netten Frau Hutisch vorbei. Daneben gab es den Laden von Meister Sweet, an dem sie sich wie jedes mal die Nase an dem Schaufenster plattdrückte. Täglich war das Schaufenster voll von bunten Süßigkeiten. So etwas ist natürlich an sich schon für jedes Kind ein Traum, aber im Schaufenster von Meister Sweet flogen die Bonbons, Pralinen, Lutscher, und was man sich sonst noch vorstellen kann, umher. Sie formten bunte Bilder und bildeten Türme und andere fantastische Bauwerke.
Danach musste sie noch an drei weiteren, für sie uninteressanten, Geschäften vorbei und dann ging es schon rechts rein in den Feenwinkel.
Kapitel 13 – Wo sind Nils und Emmeli?
Wie immer blieb sie erst einmal staunend stehen. Sie war zwar schon etliche Male im Feenwinkel gewesen, aber der Anblick ließ sie immer wieder erstarren. Der Feenwinkel war wie sein Name schon aussagt ein winkliger Ort aus blühenden Hecken, in dem es vor kleinen Feen nur so wimmelte. Was nicht im Namen steckte war, dass es sich beim Feenwinkel um ein Labyrinth handelt. Natürlich kein langweiliges, in dem es nur einen Weg in die Mitte gibt, sondern ein Labyrinth mit etlichen Wegen, die immer zu irgendeinem für Kinder traumhaften Platz führten.
Für Kyra war der magische Kletterturm der liebste Platz im Feenwinkel. Hier konnte man nach Lust und Laune einen fast zehn Meter hohen Turm erklimmen. Es gab Haltegriffe an der Außenseite, Geheimgänge im Inneren des Turms, Rutschen, Kletterseile und Treppen. Jedes Kind konnte versuchen bis zur Spitze dieses Turms zu klettern, ohne Angst vor Verletzungen zu haben. Die verzauberten Hecken im Labyrinth schützen alle Kinder. Fiel ein Kind vom Turm, weil es sich nicht mehr halten konnte, dann wurde es sanft, von einer grünen Ranke die aus der Hecke geschossen kam, gefangen und wieder auf dem Boden abgesetzt.
So sehr sie eine kleine Kletterpartie reizte, wollte sie erst ihren Freunden den Zauberstab zeigen. Emmeli würde sie wie fast immer, auf einem Sessel sitzend und ein Buch lesend, im Bibliotheksbereich des Labyrinths finden. Emmeli war etwas älter als Kyra und ein richtiger Bücherwurm. Sie las für ihr Leben gerne, konnte aber genauso gut mit ihren Freunden herumtollen.
Nils hingegen hatte mit Büchern wenig zu tun. Er brauchte Bewegung, solange diese auf dem Boden stattfand. Komischerweise hatte er enorme Höhenangst, die immer dann einsetzte, wenn er nicht auf seinem fliegenden Falken oder einer Schaukel saß. Möglicherweise würde Kyra ihn auf dem kleinen Turnierplatz finden.
Der Turnierplatz bot für alle Zauberer und Zauberinnen etliche Möglichkeiten des Wettbewerbs gegeneinander. Auf Ponys konnte man sich wie die Ritter aus den Geschichtsbüchern miteinander duellieren. In einer kleinen Arena war der Schwertkampf untereinander erlaubt. Es gab sogar die Möglichkeit mit Pfeil und Bogen zu schießen. Euch Lesern kommt dies, in einer Welt voller Magie, vielleicht komisch vor, aber Kinder die noch keine eigene Magie nutzen können oder dürfen mögen die Dinge, die auch ihr gerne macht.
Die kleine Zauberin beschloss zuerst Emmeli aufzusuchen. Den Weg zur Bibliothek kannte Sie auswendig und er führte am Schaukelplatz vorbei. Wenigstens ein paar Mal auf einer Schaukel in die Luft gehen wollte sie sich gönnen.
Kapitel 14 – Staunende Freunde
Der Plan erst Emmeli zu suchen stellte sich als Glücksgriff heraus. Kyra brauchte noch nicht mal bis zur Bibliothek zu gehen, denn Emmeli und Nils saßen gemeinsam auf einer Doppelschaukel.
„Hallo, Kyra!“, riefen ihr ihre beiden Freunde entgegen, die die kleine Zauberin schon von weiten gesehen hatten. Während Kyra auf die beiden zu gerannt kam verlangsamten sie ihre Schaukel und sprangen zusammen in dem Moment ab, als die kleine Zauberin bei ihnen ankam.
„Hallo, Emmeli. Hallo, Nils.“, begrüßte Kyra ihre beiden Freunde. „Ich muss euch unbedingt etwas erzählen. Ratet mal, was mit heute passiert ist!“
„Du bist aus dem Bett gefallen! Eure Dusche hat dich mal wieder eingefangen und nassgespritzt.“, begann Nils zu raten. Die kleine Zauberin lachte kurz und sagte: „Nein, nein. Was viel besseres. Du bist dran Emmeli.“
„Deine Eltern sind heute früh zurückgekommen und haben dir eine zweiköpfigen Chimchalla oder die neuste Ausgabe der 'Abenteuer Zauberei' mitgebracht.“, vermutete Emmeli.
Erneut schüttelte Kyra den Kopf. Sie griff in die Innentasche ihrer Zaubererrobe und zog mit einem theatralischen „Tata!“ ihren kristallblauen Zauberstab hervor. „Ab heute bin ich auch eine echte Zauberin!“ sagte die kleine Zauberin.
Nils und Emmeli fielen ihrer Freundin in die Arme. „Glückwunsch, Kyra. Cooler Zauberstab. Kristallblau und wie das Horn deines Pegasus geringelt. Hast Du schon damit gezaubert?“, äußerte sich Nils anerkennend.
„Wirklich hübsch der Zauberstab. Wie hast du erfahren, dass es nun endlich soweit ist? Seitenstechen wie bei mir, oder Ohrenpfeifen wie bei Nils?“, frage Emmeli.
„Ich durfte schon mit Onkel Alexus im Übungsraum der Großmagier trainieren. Erst haben wir Dinge schweben lassen und Licht gezaubert. Danach durfte ich ein echtes Übungsduell mit ihm zusammen durchführen. Das war spannend und hat Spass gemacht. Onkel Alexus hat einen brennenden Tiger herbeigerufen und ich einen fliegenden Stein und einen Schild auf zwei Beinen“, antwortete sie erst Nils und wandte sich im Anschluss an Emmeli.
„Bei mir war es einfach nur Nasekribbeln. Ich bin schon mit dem Kribbeln aufgewacht und als es nicht weggehen wollte bin ich zu meinem Onkel geflogen. Als du mir damals erzählt hast, dass du Zauberin geworden bist, hatte ich ja schon vier Mal geglaubt, dass es auch bei mir soweit ist. Gott sei Dank war das nicht schon wieder ein Fehlalarm und dann hab ich den Zauberstab von meiner Ur-Ur-Großmutter bekommen. Er nennt sich selbst Isabell.“
Kapitel 15 – Ab nach Hause singt die Fee
Die drei Kinder unterhielten sich noch eine zeit lang über ihr erstes Erlebnis als Zauberer und gingen dabei zusammen durch den Feenwinkel. Grade als Nils erzählen wollte, wie er bei seinem ersten Zauberunterricht mit seinem Vater, aus Versehen, seinen Falken in ein kleines Schweinchen verwandelt hatte, flog eine der Feenwinkel-Feen auf das Trio zu.
„Nachricht für Emmeli. Eine Nachricht für Emmeli von ihrer Mutter“, sang die Elfe und schwebte auf Augenhöhe zwischen den drei kleinen Zauberern. Nils beendete sofort seine Geschichte.
Zaubererkinder durften im Feenwinkel, ohne ihre Eltern, alles machen was sie wollten. Es gab nur zwei Regeln die beachtet werden mussten. Zum einen musste jedes Kind auf die Feenwinkel Feen hören. Diese flogen überall im Feenwinkel umher. Sie achteten darauf, dass den Kindern nichts passierte und konnten auf magischem Wege von den Eltern der Kinder kontaktiert werden. Kam eine Fee auf jemanden zu, dann gebot es die Höflichkeit, dass man stehenblieb und der Fee zuhörte. Die weitere Regel war die, dass im Feenwinkel nicht gezaubert werden durfte. Für Kinder war diese Regel eigentlich selbstverständlich, denn in der magischen Stadt durften nur Personen zaubern, die bereits die Zauberprüfung abgelegt hatten. Aber hier im Feenwinkel durfte niemand Magie wirken. Keinem Erwachsenen und noch nicht einmal den Großmagiern war die Zauberkunst im Feenwinkel gestattet.
Die kleine Fee blickte Emmeli an und sang weiter: „Hallo meine Kleine. Bitte komm nach Hause. Wir wollen gleich Essen und du musst nachher noch ein paar Zauberübungen machen.“ Nach diesen Worten schwebte die kleine Fee davon und Emmeli verabschiedete sich von ihren beiden Freunden: „Machs gut, Kyra und viel Spass heute Abend bei deiner Zaubererfeier. Wir sehen uns dann bestimmt morgen wieder. Bis dann Nils.“
Emmeli umarmte ihre beiden Freunde und ging in Richtung Ausgang. Nils dachte kurz nach und rief Emmeli hinterher: „Warte, Emmeli. Ich komm mit. Bei mir wird es bald auch Essen geben. Ich begleite dich, dann muss du nicht alleine fliegen.“
Von Kyra verabschiedete er sich mit einer kleinen Umarmung und flüsterte ihr ins Ohr: „Dann mal viel Spass heute Abend. Du musst mir morgen alles erzählen und mir unbedingt was von deiner Torte mitbringen. Hoffentlich macht deine Mama wieder die leckere Vierfachschokoladentorte.“
Kyra sah ihren beiden Freunden hinterher, die den Feenwinkel gemeinsam verließen und überlegte, was Sie denn nun noch machen sollte. „Eine kleine Kletterpartie wäre jetzt genau das Richtige“ dachte sie, steckte ihren Zauberstab in ihre Robe und lief in Richtung Kletterturm.
Kapitel 16 – Auf Lebensrettung folgt die Strafe
Schon nach wenigen Minuten hatte sie den magischen Kletterturm erreicht. Etliche Kinder versuchten den Turm zu besteigen und in dem Moment als Kyra ihren Fuß auf die erste Leitersprosse stellte, fiel ein kleiner Junge mit hellblauer Hose und leuchtend roten Pullover aus knapp vier Meter Höhe vom Turm.
Die kleine Zauberin hörte das laute „Hilfe!“ des Jungen und sah ihn auf den Boden zufliegen. Sie dachte gar nicht nach und obwohl sie erst seit heute den Zauberstab hatte griff sie nach ihm. Ein kurzer Schwenker mit dem Zauberstab und der kleine Junge schwebte in der Luft. „Gut reagiert“, hörte Kyra ihren Zauberstab, Isabell, im Kopf flüstern. Kyra setzte den Jungen auf dem Boden ab.
Die kleine Zauberin war stolz auf sich und vier Kinder, die diesen Zauber gesehen hatten, riefen ihr Glückwünsche zu. Dann jedoch waren sie alle schlagartig still und starrten auf etwas hinter ihr. Die kleine Zauberin drehte sich um und sah direkt in die Gesichter von drei Feenwinkel Feen.
Die Mittlere hob ihren kleinen Arm und sang im ernsten Ton: „Kyra, du hast gegen das Zauberverbot im Feenwinkel verstoßen. Niemand darf in diesem Labyrinth Magie nutzen. Auch wenn Du es gut gemeint hast mit der Rettung des Jungen, aber die magische Hecke hätte ihn wie immer aufgefangen und sicher auf der Erde abgesetzt. Die Strafe für dieses Vergehen ist normalerweise einen Monat Feenwinkelverbot, aber da du deine Magie zum Schutz eines anderen verwendet hast wird die Strafe auf eine Woche herabgesetzt. Steck deinen Zauberstab ein und verlasse unser Reich. In einer Woche wird es dir wieder möglich sein das Labyrinth zu betreten. Es tut uns leid, aber die Regeln müssen eingehalten werden.“ Nach diesen Worten flogen die drei Feen wieder fort und ließen die kleine Zauberin zurück.
Die anwesenden Kinder liefen direkt zu ihr und bedauerten sie. Der kleine Junge, dem sie das Leben gerettet und der sich von seinen Schock erholt hatte, bedankte sich bei Kyra: „Danke. Die Hecke hätte mich wohl auch gefangen, aber das was du getan hast war super. Ich bin noch nie durch einen Zauber geschwebt. Schade das du wegen mir Ärger bekommen hast.“
Kyra antwortete ihm leise: „Ist nicht so schlimm. Wir alle wissen ja, dass man hier nicht zaubern darf. Es ist irgendwie geschehen. Ich muss nun gehen.“
Die kleine Zauberin steckte ihren Zauberstab Isabell in ihre Robe und verließ traurig den Feenwinkel. Hinter ihr winkten die anderen Kinder ihr noch zu und umringten dann den kleinen Jungen, um alles über das Gefühl des Schwebens zu erfahren.

Kapitel 17 – Eine Freundin im Kopf
Kyra war fast am Ausgang angelangt, als sich eine nun schon vertraute Stimme direkt in ihrem Kopf meldete und ihr Mut zusprach: „Hallo, Kyra. Du hast den kleinen Jungen gerettet. Der Zauber war perfekt gewählt. Sei nicht traurig. Du bist eine Heldin und alle Kinder die da waren haben das auch gewusst. Regeln sind halt Regeln und die Feen müssen diese einhalten. Das war schon so als ich mit deiner Ur-Ur-Großmutter im Feenwinkel war. Sie liebte den Kletterturm genauso wie du, obgleich er früher anders aussah und nicht annähernd so hoch wie jetzt war. Hast Du es schon bis zur Spitze geschafft? Paula hatte es nur einmal hinbekommen.“
Die kleine Zauberin war etwas verwundert. Unterhielt der Zauberstab sich nun wirklich mit ihr und wie konnte man ihm antworten? Kaum hatte sie daran gedacht hörte sie Isabell erneut in ihrem Kopf: „Du kannst entweder an das denken, was du mir sagen möchtest, oder auch normal mit mir sprechen. Ich werde dich hören.“
„Nein, ich habe es nur fast bis auf die Spitze des Kletterturms geschafft. Ganz oben wird es ziemlich schwer. Leider sind meine Arme noch nicht lang genug, damit ich mich an den letzten Haltegriffen hochziehen kann“, dachte Kyra und ging nun schon weniger traurig aus dem letzten Heckenbogen des Feenwinkel. Irgendwie tröstete sie der Gedanke, dass sie nun jemanden hatte, mit dem sie sich unterhalten konnte und der sie auf andere Gedanke brachte.
Isabell erzählte ihr noch einige Geschichten von ihrer Ur-Ur-Großmutter während die kleine Zauberin zurück zum Vorplatz der magischen Stadt ging. Der kleine Pegasus flog den ganzen Weg wie immer neben Kyra her und wunderte sich, dass seine Besitzerin manchmal mit jemand Unsichtbaren sprach.
In der Kaufmannsgasse gönnte sie sich noch einen regenbogenfarbenen Lutscher und stieg auf dem Vorplatz auf Felina, die nun wieder zu voller Größe gewachsenen war. Sie flüsterte ihrem Pegasus „Flieg mich nach Hause“ ins Ohr. Felina lief auf die Stadtmauer zu und schon nach wenigen Metern erhob er sich und flog zurück zum Wohnturm der kleinen Zauberin.
Den kompletten Flug lang unterhielt sich Kyra in Gedanken mit Isabell über Abenteuer, die sie gerne erleben würde. Viel zu schnell war der Flug vorbei und Felina landete sanft im Vorgarten.

Kapitel 18 – Ein geheimnisvoller Brief
Noch während die kleine Zauberin abstieg, fiel ihr Blick auf einen rabenschwarzen Brief, der an der Tür zu ihrer Wohnung, in Brusthöhe schwebte. Neugierig lief sie direkt auf die Tür zu, denn so etwas hatte sie noch nie erlebt. Vor zwei Monaten stand ein Paket von ihrer Tante vor der Tür, aber einen schwebenden Brief hatte es noch nie gegeben. Wieso schwebte er vor der Tür und lag nicht wie eigentlich üblich im Briefkasten vor dem Eingangsbogen zu ihrem Wohnturm.
An der Wohnungstür angekommen konnte sie erkennen, an wen der Brief adressiert war. In kleinen goldenen Buchstaben stand oben rechts auf dem Umschlag „Für Kyra, Zauberin. Vertraulich.“.
„Von wem konnte der Brief sein? Es wissen doch nur ein paar Menschen, dass ich ab heute eine echte Zauberin bin“, dachte die kleine Zauberin und wandte sich an die Haustür: „Tür, war jemand in meiner Abwesenheit hier? Wer hat den schwarzen Brief gebracht?“ Ein Gähnen ertönte und die kratzige Stimme der Haustür antwortete: „Vor zweiundsiebzig Minuten ist dieser Brief aufgetaucht und seitdem schwebt er vor mir. Außer diesem Brief war niemand hier.“
Kyra griff nach dem Brief und sobald sie ihn berührte, öffnete sich der Umschlag. Ein silberfarbenes Blatt Papier flog heraus, faltete sich mehrmals und formte die Umrisse eines Mannes. Das war schon mehr als erstaunlich, denn die kleine Zauberin hatte so etwas noch nie zu Gesicht bekommen. Verblüfft starrte sie auf das sich zusammenfaltende Briefpapier und wich erschrocken einen kleinen Schritt zurück, als der gefaltete Mann seinen Mund öffnete und folgendes flüsterte: „Kyra. Hilf mir. Wir treffen uns in der Zyklopengasse. Komm schnell. Ich brauche dich.“
Nach diesen Worten verformte sich das silberne Papier wieder, bildete einen Vogel und flog davon. Die kleine Zauberin war stolz, erfreut aber auch etwas unsicher. Sie hatte schon davon gehört dass Zauberer manchmal magische Aufgaben gestellt bekommen, aber noch nie, dass man eine solche Aufgabe schon an seinem ersten Tag erhält. Wenn sie darüber nachdachte kannte sie keinen, der vor der Zauberprüfung jemals eine Zauberaufgabe bekommen hat.
Mit dem Briefumschlag in ihrer Hand öffnete sie die Haustür und betrat zusammen mit Felina die Wohnung. Ihr Pegasus flog die Treppe hoch zum Dachboden und sie ging ins Wohnzimmer und legte sich in ihren Lieblingssessel. Sie baumelte mit den Beinen über der Sessellehne, nahm sich einen Apfel vom Wohnzimmertisch und biss genüsslich hinein. Nach vier Bissen sagte sie leise: „Isabell,, was meinst du? Sollen wir uns zusammen ins Abenteuer stürzen, so wie du es früher mit Oma Paula gemacht hast? Bin ich wirklich schon bereit dazu?“
Wie immer antwortete eine Stimme in ihrem Kopf: „Kyra, eine Zauberaufgabe kann man nicht ablehnen. Man muss sie versuchen. Du wirst es schon schaffen. Ich bin ja bei dir.“
Kapitel 19 – Tasche packen und verlaufende Tinte
„Du hast Recht. Ich kenne die Regeln und werde mich der Aufgabe stellen. Wer auch immer diese Aufgabe ausgesucht hat wird wissen warum er grade mich erwählt hat“, erwiderte die kleine Zauberin ihrem Zauberstab.
Kyra aß ihren Apfel auf und ging dann hoch in ihr Zimmer, um sich für die Aufgabe zu rüsten. Sie nahm ihren rot und hellblau gestreiften Rucksack vom Türgriff und überlegte was man denn genau für ein Zauberabenteuer einpacken sollte. Wenn dieser Zauberauftrag nur aus einer Besorgung von magischen Zutaten aus dem verwunschenen Wald bestand, dann brauchte sie eigentlich nichts einzupacken. Der Wald lag nicht weit entfernt von der Zyklopengasse, in der sie den Auftrag erhalten sollte.
Es konnte aber auch sein, dass sie auf eine wochenlange, magische Suche nach einem verschollenen Artefakt geschickt wird. Dann müsste sie eigentlich einen Koffer und jede Menge Kleidung, Proviant und etliche Ausrüstungsgegenstände die man für eine Expedition benötigt einpacken.
Vielleicht würde sie auch den Auftrag bekommen, irgendein gefährliches Zauberwesen wieder einzufangen, dass irgendwo ein Dorf oder kleinere Stadt terrorisiert. Immer mehr Ideen für Aufträge schwirrten in ihrem Kopf umher und je länger sie nachdachte was sie einpacken sollte, desto weniger fiel ihr ein. Letztendlich hängte die kleine Zauberin ihren Rucksack zurück an die Tür. Sie band sich das Seidentuch, dass sie von ihrer Mutter zum siebten Geburtstag bekommen hatte, um den Hals und steckte einige Süßigkeiten in die Tasche ihres Gürtels.
Danach nahm sie sich ein Blatt Papier, das silberne Tintenfass, eine neue Eulenfeder, setzte sich an ihren Schreibtisch und schrieb folgenden Brief an ihre Eltern:
„Hallo Mama und Papa,
Ich bin nun auch eine Zauberin und habe den Zauberstab meiner
Ur-Ur-Großmutter Paula von Onkel Alexus erhalten.
Ich hätte mich riesig gefreut euch noch vor meiner Abreise zu sprechen und
euch Isabell, meinen Zauberstab zu zeigen.
Leider muss ich einen Zauberauftrag erfüllen und wie ihr wisst,
darf man nicht zu lange zögern.
Ich liebe euch Beide, tausend Küsse und Umarmungen,
Eure Kyra.“
Die Gedanken an ihre Eltern vertrieben kurzzeitig die Abenteuerlust und eine Träne fiel herab und verwischte die „Umarmungen“ auf dem Brief.
Kapitel 20 – Papas Ritual und los geht's
Schnell nahm sie sich ein Taschentuch und wischte sich die Augen trocken. Sie wollte jetzt nicht traurig sein und weinen. Sie musste doch einen Auftrag erfüllen und welcher Zauberer heulte schon vor einer wichtigen Aufgabe. Ein Abenteuer erwartete sie und wenn sie nach Hause zurück kommt, dann könnte sie ihren Eltern alles erzählen. Die beiden wären stolz auf sie, würden erkennen das sie nicht mehr das kleine Mädchen, sondern eine große Zauberin ist und womöglich dürfte sie ihre Eltern das nächste Mal auf einer Zaubererexpedition begleiten. Sie würde mit ihnen zusammen in ferne Länder reisen und all das erleben, wovon ihr ihre Eltern so oft erzählt hatten.
Diese Gedanken vertrieben die Traurigkeit aus der kleine Zauberin und auf dem Weg nach unten ins Wohnzimmer schlich sich sogar ein Lächeln auf ihr Gesicht. Kyra legte den Brief auf einem kleinen Beistelltisch im Wohnzimmer ab. Hier würde ihr Vater diesen sofort finden, denn immer wenn er nach Hause kam lief das gleiche Ritual ab.
Ihr Vater kommt durch die Tür herein, wirft seinen altmodisch spitzen Zauberhut in Richtung Hutablage und hilft dann mit einem kleinen Zauberstabschwenk nach, dass der Hut auch auf der Ablage landet. Direkt danach hüpft er aus seinen Stiefeln, die sofort allein in die Kleiderkammer laufen. Während er seinen Mantel persönlich am Garderobenhaken aufhängt und glattstreicht kommen die Hausschuhe herbeigeeilt und springen ihm, einer nach dem anderen, an die Füße. Danach geht er zu dem Beistelltisch, auf dem jetzt der Brief liegt, und legt dort seinen Zauberstab ab. Noch mehr Annehmlichkeiten als die, die bereits im Haus sind, wollte er möglichst vermeiden. Ihre Mutter fand das immer lustig, denn grade er probierte liebend gern jeden neuen Haushaltszauberspruch aus.
Die Erinnerung an das Ritual ihres Vater brachte die kleine Zauberin wieder an den Rand der Traurigkeit, doch sie riß sich zusammen und rief ihr Pegasus: „Felina, komm runter. Wir müssen los, ein Abenteuer wartet auf uns.“
Felina wieherte und flog schnell die Treppen nach unten und war schon an der Haustür, während Kyra sich noch den Hut aufsetzte. Gemeinsam verließen die beiden, wie schon am Morgen des Tages den Wohnturm. Diesmal aber nicht mit einem Nasekribbeln, sondern mit dem leicht flauem Gefühl im Magen, das man bekommt, wenn man aufgeregt, nervös und auch ein wenig ängstlich ist.
Der Pegasus wuchs wieder zu seiner Normalgröße heran und die kleine Zauberin stieg auf seinen Rücken. „Flieg mich zur Zyklopengasse“, flüsterte sie Felina ins Ohr und wie immer hob ihr Zauberwesen nach einigen Schritten vom Boden ab und erhob sich in den strahlend blauen Mittagshimmel. Kyra freute sich. Der Flug würde nicht lange dauern und wie schon beim letzten Mal wollte sich die kleine Zauberin in Gedanken mit ihrem Zauberstab unterhalten.
Kapitel 21 – Isabell Kalindora Undimatah Magesta
„Isabell, was musstest Du denn mit Ur-Ur-Oma Paula bei eurer ersten Zauberaufgabe machen?“, dachte Kyra und wartete auf die Stimme in ihrem Kopf, mit der ihr Isabell immer direkt antwortete. Minuten verstrichen, aber die kleine Zauberin konnte außer dem Wind, der an ihren Ohren vorbeirauschte nicht hören. „Isabell, ich hatte dich was gefragt“, flüsterte Isabell und tastete ihre Zauberrobe ab, ob sie ihren Zauberstab vielleicht verloren, oder zu hause vergessen hatte. Glücklicherweise konnte sie den geschwungenen Zauberstab erfühlen. „Mein Zauberstab ist da, aber wieso antwortet mir Isabell nicht. Mache ich etwas falsch? Das hat doch so gut auf dem Flug zum Wohnturm geklappt“, sprach sie zu sich selbst.
Grade als sie „Isabell, antworte mir endlich“, schreien wollte, erklang die vertraute Stimme in ihrem Kopf: „Hallo Kyra. Hier bin ich wieder. Sei nicht verunsichert oder ängstlich, wenn ich dir nicht sofort antworte. Ich bin zwar die Stimme deines Zauberstabes, aber wohne nicht in ihm. Wenn ich dir mal nicht sofort antworte, dann bin ich beschäftigt. Bis grade eben habe ich mich mit einer guten, alten Freundin aus der Zeit, bevor ich deine Ur-Ur-Großmutter kennengelernt habe unterhalten. Sie ist ein Dschinn und ich glaube sie würde dich mögen. Was genau wolltest du denn von mir?“
Kyra war sprachlos. Sie hatte sich noch keine Gedanken darüber gemacht, warum der Zauberstab mit ihr sprach. Für sie war es irgendwie normal, das das passierte. Sie war halt eine begnadete Zauberin und da sprach nun mal der Zauberstab mit einem. So ungefähr hatte es ihr Onkel Alexus doch erklärt, oder etwa nicht. „Tschuldigung, Isabell. Ich dachte du bist der Zauberstab und nun immer für mich da. Aber wenn du nicht im Zauberstab bist, was bist du denn dann? Und wie lange lebst du schon, wenn du bereits Wesen vor meiner Oma Paula gekannt hast?“, fragte sie ihren Zauberstab verlegen. Es war ihr irgendwie peinlich, dass sie solche Fragen noch nicht gestellt hatte.
Isabell's Stimme erklang sanft in ihrem Kopf und erklärte ihr: „Es ist so, kleine Zauberin. Mein Name ist Isabell Kalindora Undimatah Magesta. Wenigstens hat man mich so vor ungefähr vierhundertundzwanzig Jahren genannt. Ich war eine mächtige Hexe, hatte ein angenehmes Leben und war immer auf der Suche nach Wissen und alten Artefakten. Leider wurde mir diese Leidenschaft zum Verhängnis. Bei einer Expedition, in den schneebedeckten Mamutbergen, fand ich in einer Höhle ein großes, altes, verschlossenes Tongefäß. Ich nahm es mit und öffnete es. In diesem Gefäß lag der Zauberstab, den du nun besitzt. Ich nahm ihn an mich um ihn zu begutachten, aber da war es bereits zu spät. Ich wurde in eine Art Zwischenwelt gesaugt. Wo genau ich bin habe ich immer noch nicht herausgefunden, aber ich kann mit den alten, mächtigen Zauberwesen sprechen und mit jedem, dem der Zauberstab überreicht wurde. Ich hoffe dir reichen diese Antworten. Wenn wir uns erst einmal besser kennengelernt haben werde ich dir bestimmt noch mehr von mir erzählen.“ Mit diesen Worten endete sowohl Isabell's Erklärung als auch der Flug. Felina kam wie schon am Morgen auf dem Vorplatz zum stehen.
„Danke für die Antwort, Isabell. Viel Spass bei deiner alten Freundin.“, dachte die kleine Zauberin und fühlte sich nun besser. Das kleine Stück der Lebensgeschichte ihrer Zauberstabfreundin klang interessant und spannend. Sie freute sich schon jetzt darauf, mehr von Isabell Kalindora Undimatah Magesta zu erfahren und nahm sich vor mit ihren Eltern und Onkel Alexus etwas über die Hexe in Erfahrung zu bringen. In irgendeinem alten, verstaubten Buch in der großen Bibliothek würden sie bestimmt etwas finden.


Kapitel 22 – Schlange stehen für die Abkürzung
Der Flug endete wie immer auf dem Vorplatz der magischen Stadt. Kyra ließ sich diesmal nicht von dem Treiben in der Kaufmansgasse ablenken und lief direkt zum Magisterviertel. Sie wollte nun schnell zu dem mysteriösen Mann kommen, der ihr den schwarzen Brief vor die Tür gezaubert hat.
Die Zyklopengasse befand sich nicht direkt in einer Strasse die vom Magisterviertel abzweigte. Genau genommen war die Zyklopengasse gar keine Gasse, sondern ein komplettes Stadtviertel in dem die Zyklopen, ein paar Trolle und drei Riesen wohnten. Da Zyklopen recht groß sind und viele von ihnen schlecht sehen, was nicht selten zu Unfällen führte, wurden sie in einem eigenen Stadtviertel untergebracht. So mussten die normalen Menschen, Zauberer und alle übrigen Wesen, die klein und zerbrechlich sind, die Ungeschicklichkeit der Zyklopen nicht fürchten. Zyklopen und auch Riesen, zertrampeln nicht absichtlich andere Lebewesen, obwohl es natürlich ein paar gemeine gibt, die sich einen Spass daraus machen. Meistens sehen sie nur zu spät, dass jemand vor ihnen läuft und wenn du jemals unter dem Fuss eines Zyklopen gelegen hast, dann weißt du wie sehr das schmerzt.
Die kleine Zauberin war sich dem Risiko bewusst, dass sie möglicherweise platt getreten werden konnte, aber trotzdem lief sie zum großen Abkürzungsportal am Ostrand des Magisterviertels. Das Abkürzungsportal leuchtete orange auf und zeigte damit an, dass grade jemand eine Abkürzung zum Magisterviertel unternahm. Kyra war bis auf zehn Meter an das Portal herangetreten, als Korban, der zweiköpfige Yeti aus dem Abkürzungsportal herausgeworfen wurde und sanft vom Portalwächter mit einer Zaubergeste aufgefangen wurde. Das Portal änderte seine Farbe auf hellblau und eine kleine Gruppe die vor dem Portal stand trat hindurch. Ein kurzer Farbwechsel und die Nächsten traten durch das Portal. „Hallo und machs gut, Kyra. Ich habe es eilig“, grüßte Korban.
„Hallo zurück. Bis bald“, rief die kleine Zauberin dem Yeti zu, stellte sich ans Ende der kurzen Abkürzungsportalschlange und wartete geduldig bis sie an der Reihe war.
Es ging zügig vorwärts, doch je näher sie an das Portal kam, desto nervöser wurde sie. Bislang war sie immer nur mit ihren Eltern zusammen durch das Portal gegangen und hatte die beiden dabei an der Hand gehalten. Der Gedanke, ganz alleine durch eine Abkürzung zu reisen, machte ihr schon etwas Angst.
Kyra nahm ihren Mut zusammen und nur noch einmal wechselte das List auf orange und warf zwei gut gekleidete Kaufmänner in schwarzen Smokingsjacken, in das Magisterviertel. Kyra hörte, wie der Ork vor ihr „Port Cullis“ dem Portalwächter zugrunzte und war dann auch schon selbst an der Reihe.
Kapitel 22 – Portalsprung ins Abenteuer
„Stehen bleiben, kleines Mädchen.“, herrschte sie der Torwächter an und stellte sich der kleinen Zauberin in den Weg: „Wo willst du denn hin? Kindern ist die Reise durch ein Abkürzungsportal verboten. Erwachsene, Zauberwesen und nicht volljährige Zauberer oder Hexen dürfen passieren. Hat man dir das nicht in der Schule beigebracht. Bitte geh wieder und bring demnächst deine Eltern mit. Wenn es geht etwas zügig.“
Kyra wäre beinahe aus der Schlange gegangen, so sehr verunsicherte sie die Ansage des Portalwärters, aber eine Stimme in ihrem Kopf ließ sie stehenbleiben. „Kyra, was ist denn los? Hast du vergessen, dass du seit heute eine Zauberin bist. Zeig ihm einfach deinen Zauberstab und dann sag ihm, dass du in die Zyklopengasse möchtest. Nur Mut, ich weiß du schaffst das.“
Die kleine Zauberin griff in ihre Robe, zog den Zauberstab heraus und antwortete dem Torwächter mit brüchiger, stotternder Stimme: „Ich bin eine Zauberin und möchte gerne in die Zyklopengasse.“ Der Torwächter trat Kyra aus dem Weg und entschuldigte sich: „Es tut mir leid kleine Zauberin. Ich musste dich kontrollieren. Du siehst noch nicht wie eine Zauberin aus. Guten Rutsch wünsche ich.“ Das Tor war nun frei und die kleine Zauberin trat hindurch.
Wie immer fühlte es sich erst an, als würde sie durch einen Wasserfall gehen. Irgendeine kalte Flüssigkeit lief Kyra über den ganzen Körper. Danach folgte ein sehr warmer Lufthauch, der die Feuchtigkeit vertreibt und dann vibriert ihr ganze Körper. Es fing bei den Zehen an und arbeitete sich dann langsam, über die Beine, zu den Hüften, über den Bauch, zur Brust, dann über die Nasenspitze bis hoch zur Kopfhaut, aus. Direkt danach spuckt das Abkürzungsportal die kleine Zauberin am vorher bestimmten Zielort wieder aus.
Kyra purzelte aus dem Portal und ein Torwächter fing sie mit einem Zauberstabschwenk auf. Er schaute etwas verwirrt, denn genau wie sein Bruder am anderen Portal glaubte er, dass etwas nicht stimmen kann. „Kleines Mädchen, bist du allein durch das Portal gekommen, oder haben wir unterwegs deine Eltern verloren?“, fragte er sichtlich nervös. Die kleine Zauberin zeigte ihm ihren Zauberstab, grüßte freundlich und betrat zum ersten Mal die Zyklopengasse. Felina wuchs wieder zu ihrer normalen Größe und schaute sich nervös um. Das Zauberwesen begann unruhig mit den Hufen zu scharren.
„Ganz ruhig meine Süße“, flüsterte sie ihrem Pegasus in die aufgestellten Ohren und streichelte beruhigend seine Nüstern. „Ich weiß wir waren noch nie hier. Du hast Angst und riechst die Riesen und Zyklopen. Ich habe auch etwas Angst, aber gemeinsam wird uns nichts passieren. Komm schon, wir müssen den Mann finden, der mir den schwarzen Brief geschickt hat.“
Kapitel 23 – Immer an der Wand lang
Die kleine Zauberin legte beruhigend die Hand auf Felinas Rücken und entfernte sich langsam vom Abkürzungsportal. Hier in der Zyklopengasse sah es nicht so vertraut, wie noch vor ein paar Augenblicken in der magischen Stadt, aus. Alles um sie herum war größer, klobiger, hässlicher und stinkender, wenn man es freundlich ausdrücken wollte. Die Gebäude am Rand der Straße auf der sie stand reichten mindestens fümfzehn Meter in die Höhe. Die Haustüren waren in unterschiedlich grau, gelb und Brauntönen gestrichen und knapp doppelt so hoch wie sie selbst.
Die kleine Zauberin kam sich klein und unbedeutend vor und das half ihr nicht wirklich dabei, mutig mit ihrem Abenteuer zu beginnen. „Kyra, los geht’s. Bis hierhin hast du es doch schon geschafft und alles was jetzt noch kommt wird ein großes Abenteuer.“, vernahm sie die freundliche aufmunternde Stimme in ihrem Kopf. „Nimm dich einfach vor den Einwohnern in acht und bleib in der Nähe der Häuser. Das hat früher auch bei deiner Ur-Ur-Oma geklappt.“ Kyra holte tief Luft, schloss die Augen, zählte langsam von eins bis zehn und atmete laut aus. „Ok, Isabell. Ich schaffe das! Du bist bei mir. Felina mein starker Pegasus ist an meiner Seite und ich bin einen Zauberin. Was kann da schon passieren. Los geht's“, feuerte sie sich selber an und innerlich wuchs die kleine Zauberin mindestens um zehn Zentimeter. Mit ihrem neuen Selbstvertrauen ging sie die Straße entlang. Wie Isabell es ihr geraten hatte, blieb sie in der Nähe der Häuser und fuhr sogar mit der ausgestreckten rechten Hand an den Hausmauern entlang. Sie fühlte den rauen Stein der Wände und das Moos, dass an manchen Häusern wuchs. Mit jedem Schritt fühlte sie ich mutiger und die Furcht, die sie nach dem verlassen des Abkürzungsportals ergriffen hatte, war beinah verflogen.
Nach sieben Minuten kam sie an die erste Wegkreuzung. Bislang hatte sie noch keinen Zyklopen, Riesen oder Troll gesehen. Nun aber sah sie drei der Bewohner. Ein Riese stand etwas hundert Meter weit entfernt in der Seitenstraße, die von ihr aus nach rechts abbog. Geradeaus konnte sie ein Zyklopenpärchen entdecken, dass sich wild gestikulierend unterhielt. Der letzte Rest ihrer Furcht wollte beim Anblick der drei riesigen Geschöpfe lieber nach links gehen und Kyra fand diese Idee richtig gut und bog ab. Nah an der Häuserwand ging sie weiter die nächste Straße entlang und fragte in Gedanken ihren Zauberstab: „Hör mal Isabell. Wie findet man eigentlich diesen Auftraggeber? Der Brief hat gesagt, dass ich ihn in der Zyklopengasse treffen soll, aber wo kann er den stecken?“
Bevor Isabell antworten konnte kam ein winziges bläuliches Licht auf die kleine Zauberin zugeflogen. Es kam schnell näher und flog um ihren Kopf herum. Bei jeder Umrundung ihres Kopfes wisperte das blaue Irrlicht eines der folgenden Worte: „Folg … mir … zum … schwarzen … Mann!“ und nach vier Wiederholungen des Satzes flog das Irrlicht von der kleinen Zauberin weg. „Ich glaube das ist die Antwort auf deine Frage“ vernahm Kyra in ihrem Kopf und lief daraufhin dem Irrlicht hinterher.
Kapitel 24 - Irrlichtverfolgung
Das blaue Irrlicht flog ziemlich schnell und die kleine Zauberin musste fast rennen um es zu bei ihrer Verfolgung nicht aus den Augen zu verlieren. Erst schwebte es nur die Straße entlang, aber dann begann das Licht in winzige Gassen zwischen den Häusern einzubiegen. Mal links in eine Gasse, dann über eine Straße, wieder nach links an einem eingestürzten Haus vorbei. In einigen Metern Abstand folgte ihm die kleine Zauberin und war erstaunt, dass sie nicht schon längst in irgendeinen Zyklopen oder Riesen gelaufen war. Felina schrumpfte während dieser Verfolgungsjagd und flog als Minipegasus ein Stück vor Kyra. Eine viertel Stunden später, die der kleinen Zauberin aber wie mindestens eine halbe Stunde vorkam, schwebte das blaue Licht durch eine geöffnete Tür in ein grau gestrichenes Haus. Außer Atem hielt Kyra in einigem Abstand von dem Gebäude an und stemmte ihre Arme in die Seiten. Ein leichtes Seitenstechen machte sich breit und die kleine Zauberin überlegte, ob sie nun in das Gebäude gehen sollte.
Kaum daran gedacht, meldete sich Isabell in ihrem Kopf, die natürlich nicht im geringsten erschöpft klang: „In welches Gebäude willst du gehen? Nach der Aufforderung durch die flüsternde Stimme warst du für mich irgendwie weg. Was war denn los?“ Froh darüber jetzt noch nicht sprechen zu müssen antwortet die kleine Zauberin ihrer Zauberstabfreundin in Gedanken: „Hast du das nicht mitbekommen? Ich bin dem blauen Irrlicht hinterhergerannt. Querfeldein durch die Zyklopengasse und wundersamerweise sind wir keinem Riesen oder Zyklop begegnet. Am ende ist das Irrlicht in das Haus dort drüben auf der anderen Straßenseite geflogen.“ Wieder erklang Isabell „Nein, das habe ich nicht mitbekommen. Ich kann deine Gedanken lesen und Stimmen in deiner Umgebung hören, aber durch deine Augen kann ich nicht sehen. Nur in einem magischen Duell sehe ich irgendwie was vor sich geht. Ich an deiner Stelle würde in das Haus gehen, denn wenn du nicht gehst, wirst du nie erfahren, ob dort drin der schwarze Mann mit deinem Auftrag ist“
„Da hast du natürlich Recht. Ich werde mich noch etwas erholen und dann geht ich rüber.“ sagte Kyra diesmal leise vor sich hin, damit auch Felina sie verstehen konnte. Mit Erschrecken stellte sie jedoch fest, dass ihr kleines Zauberwesen gar nicht neben ihr war. Felina war dem Irrlicht hinterher geflogen und immer ein paar Meter vor ihr gewesen, konnte sie sich erinnern. Der Pegasus konnte nicht mitbekommen haben, dass sie stehengeblieben war, um sich etwas auszuruhen. Ihre kleine Felina war nun allein in dem grauen Haus auf der anderen Straßenseite und brauchte bestimmt ihre Hilfe.
Sofort waren ihr Seitenstechen vergessen und auch ihre Erschöpfung war verflogen. Die kleine Zauberin zog ihren Zauberstab aus der Robe und rannte zum gegenüberliegendem Haus.

Kapitel 25 - Finsternis verschlingt das Licht
Kyra war in wenigen Sekunden an der Türschwelle des grauen Hauses und sprang mit vorgestrecktem Zauberstab durch die Tür. Augenblicklich wurde ihr schwarz vor Augen und sie musste stehen bleiben. Es war so dunkel, dass sie noch nicht einmal ihre eigene ausgestreckte Hand erkennen konnte. Von draußen drang kaum Licht durch die Tür, obwohl die Sonne schien und keine Wolken am Himmel waren. Es war stockfinster. Der Raum, oder vielleicht auch etwas in ihm schien alles Licht zu verschlingen. Unfähig etwas zu erkennen horchte sie angestrengt in den Raum hinein, aber außer ein paar Windgeräuschen und ihrem eigenem Atem konnte sie kein Geräusch vernehmen. „Felina kann nicht hier drin sein. Mein kleiner Pegasus ist niemals still“, dachte Kyra und zauberte mit einer Kreisbewegung der Zauberstabspitze etwas Licht. Eine Lichtkegel, ähnlich dem einer Taschenlampe, leuchtete vom Zauberstab in Richtung der gegenüberliegenden Wand. Verwirrender Weise kam das sonst so helle Licht nicht an der anderen Raumseite an. Irgendetwas verschlang es und hinterließ nur eine schwachen milchigen Lichtkegel. Langsam, vorsichtig und neugierig ging Kyra durch den Raum und je näher sie der vermeintlichen Raummitte kam, desto blasser wurde ihr Zauberstablicht. Schritt für Schritt tastete sie sich voran und stieß gegen etwas, das sich wie eine Tischplatte anfühlte. Das Licht des Zauberstabs wurde von der Tischmitte magisch angezogen. An der Tischkante entlangtastend schlich die kleine Zauberin an dem Hindernis vorbei. Erstaunlicherweise wurde der Lichtkegel des Zauberstabes hinter dem Tisch wieder heller und leuchtete kurze Zeit später so hell wie am Morgen im Übungsraum ihres Onkels.
Vor ihr sah die kleine Zauberin nun einen Durchgang und neben ihm ein leeres Bücherregal. Neugierig drehte sich Kyra zum Tisch um und zwei Sekunden später war der Lichtstrahl des Zauberstabes wieder aufgezogen und kaum noch zu erkennen. Gern wäre sie dem Rätsel nachgegangen, aber ihr Pegasus war noch immer nicht gefunden. Leise schlich sie auf das Bücherregal vor ihr zu und lauschte.
Die kleine Zauberin vernahm ein sehr leises Geräusch, konnte es aber nicht identifizieren. „Isabell, hast du das Geräusch mitbekommen? War das Felina?“, flüsterte sie in die Stille des Raumes. „Leider nein, Kyra. Ich werde nun aufmerksamer lauschen und dir Bescheid geben, wenn ich etwas höre“, flüsterte die Stimme in ihrem Kopf zurück. Kyra lehnte sich zur Seite,um durch die Tür schauen zu können. Die Tür führte in einen schlecht beleuchteten Flur von dem drei Türen abzweigten. Die linke Tür und auch die am Ende des Flures war geschlossen. Kyra drehte die Spitze des Zauberstabes wieder im Kreis und sofort erlosch sein Lichtstrahl. Auf Zehenspitzen schlich sie weiter auf die geöffnete Tür zu und sobald sie den dunklen Raum verlassen hatte vernahm sie ein Wiehern und eine raue Stimme, die sie aber nicht deutlich verstehen konnte.

Kapitel 26 - Felina und der schwarze Mann
„Hast du das auch gehört, Kyra? Da ist ein Mann und dein kleines Pegasus nicht weit von dir entfernt“, hörte die kleine Zauberin, Isabell in ihrem Kopf rufen. Schnell antwortet sie ihrer Freundin per Gedankenbotschaft: „Ja, ich habe es auch gehört. Felina ist da und noch jemand. Kann das der mysteriöse schwarze Mann sein, der mir meine Zaubereraufgabe geben wird? Oder ist das eine Falle in die ich tappen werde? Ich weiß nicht was ich tun soll? Was hätte Paula an meiner Stelle getan?“
Beruhigend redetet die Stimme in ihrem Kopf auf sie ein „Beruhige dich Kyra. Ich glaube nicht, dass das eine Falle ist. Wieso sollte sich jemand die Mühe machen dich erst sicher und ohne Vorkommnisse durch die Zyklopengasse zu locken. Danach konntest du durch den dunklen Raum gehen, der ideal für einen Hinterhalt gewesen wäre. Und zu guter Letzt klingt Felina für mich nicht wie in Gefahr. Ihr Wiehern ist so ausgelassen, geradezu fröhlich. Geh einfach vorsichtig zum Raum, aus dem die Geräusche kommen. Wenn es eine Falle ist, dann werde ich dich im magischen Duell unterstützen. Paula wäre auch ihrer Freundin zur Hilfe geeilt, selbst wenn es eine Falle gewesen wäre.“ Den Zauberstab weiterhin vor sich gerichtet ging Kyra auf Zehenspitzen in Richtung der geöffneten Tür. Das wiehern war immer deutlicher zu hören und nun konnte sie sogar etwas von der rauen Stimme verstehen. „... mein kleines Pegasus. Wenn du damit fertig bist, dann wirst du lange ...“. Weiter kam der Mann, der gesprochen hatte nicht , denn die kleine Zauberin, die das Schlimmste gedacht hatte sprang in die Türöffnung und schrie „Lass Felina in Ruhe. Wehe, wenn du ihr etwas antust“. Ich werde dich …“ und auch Kyra brach ihren Satz ab, denn nachdem sie die Worte heraus gebrüllt hatte, gaben ihre Augen die Szenerie an ihr Gehirn weiter.
Im Raum sah die kleine Zauberin einen Zwerg, der auf einem Stuhl saß und Felina, die genüsslich einen Haufen Kleeblätter fraß. Der Zwerg trug ein blau-grün kariertes Sakko und einen gleichfarbigen Zylinder auf dem Kopf. Das blaue Irrlicht, dass sie in der Zyklopengasse verfolgt hatte, schwebte direkt über ihm. Auf dem Tisch vor dem Zwerg stand ein Krug mit unbekanntem Inhalt aus dem Dampfschwaden herausquollen. Die rechte Seite des Raumes nahm ein riesiger Kamin ein, in dem ein Feuer hypnotisierend brannte. Hinter dem Zwerg konnte Kyra eine Art Regalwand erkennen. In den Fächern lagen zusammengerollte Pergamente, etliche alte Bücher und alle möglichen anderen Dinge, die der kleinen Zauberin nicht vertraut vorkamen. Auf der linken Seite des Raumes stand ein altes Sofa und darüber hingen drei Ölgemälde, die alte weißbärtige Zauberer in heroischen Posen zeigten. Alles an diesem Szenario kam Kyra nicht im geringsten bedrohlich oder gefährlich vor. Schnell steckte sie den Zauberstab in ihre Robe und entschuldigte sich höflich, weil sie den Zwerg angeschrienen hatte. Dieser erhob sich, ging mit hoch erhobenen Haupt um den Tisch herum und verbeugte sich vor ihr.
Kapitel 27 – Wie spricht der denn mit mir?
Mit seiner rauen Stimme begrüßte er die kleine Zauberin: „Willkommen, Zauberin. Ich habe euch schon erwartet. Danke, dass ihr so schnell zu mir gekommen seid und entschuldigt den Lichtfresser im Eingangsbereich. Er sorgt dafür, dass sich kein Zyklop in mein bescheidenes Haus verirrt und meine Inneneinrichtung durcheinanderbringt. Ich hoffe es war genehm, dass ich euren Pegasus gefüttert habe. Ich versichere euch, dass sie nur frische Kleeblätter von den gelben Sonnenweiden bekommen hat. Bitte verzeiht mir meine Frechheit, aber ihr seht noch recht jung aus, wie darf ich euch ansprechen?“
Die kleine Zauberin war von dieser Begrüßung überrumpelt und konnte nur ein „Hallo, ich bin Kyra“ herausbringen. Verlegen schaute sie auf den Zwerg herab, der ihr ohne seines Zylinders nur bis knapp über die Hüfte reichte. „Meine Name lautet Elrin Goldlocke, vom Clan der Eisenbärte. Zweitgeborener von Olim, dem Gorenbezwinger und Mitglied des vierten Kreises der Handelskaste der vereinten Zwergenreiche.“, stellte sich der Zwerg verbeugend vor und sein langer grauer Bart berührte dabei Kyras Schuhspitzen. „Bitte setzt euch doch. Kann ich euch etwas frisch aufgebrühten Holunderblütenfeilchentee anbieten, oder seid ihr in Eile?“. Kyra nickte und setze sich auf einen mit Fell bezogenen kleinen Hocker an den Tisch. Ihre Gedanken schwirrten. Noch nie hatte jemand so geschwollen mit ihr gesprochen und sich sogar mehrfach vor ihr verbeugt. „Alles in Ordnung mit dir, meine Kleine?“, meldete sich Isabell besorgt in ihrem Kopf. „Du brauchst nicht verwirrt zu sein. Die Art wie der Zwerg mit dir gesprochen hat ist vollkommen normal für ein Mitglied der zwergischen Handelskaste. Magie ist für alle Zwerge heilig, weil nur wenige aus ihrem Volk Magie wirken können. Sei einfach freundlich und ehrlich zu ihm, dann wird alles gut. Dreh dich zu ihm um, trink den Tee und dann frag ihn über den Auftrag aus.“
In Gedanken dankend drehte sich Kyra nun auf dem Hocker und schaute direkt zu dem nun ihr gegenüber sitzendem Zwerg. Sie griff nach der vor ihr stehenden winzigen Teetasse und nahm vorsichtig einen kleinen Schluck. Normalerweise mochte die kleine Zauberin heißes Wasser mit Geschmack nicht, aber dieser Tee hatte einen köstlichen, nicht zu beschreibenden Geschmack. Genussvoll schloss sie ihre Augen und leerte die Teetasse in kleinen Schlucken. Elrin beobachtete sie schweigend und sein Augen glänzten vor Stolz, dass er eine Zauberin mit seinem einfachen Getränk glücklich machen konnte.
Der letzte Schluck war geleert und die kleine Zauberin stellte die Teetasse vorsichtig auf den Tisch. „Danke, Elrin. Der Tee war hervorragend und auch großen Dank dafür, dass ihr meinem Pegasus Futter gegeben habt. Nun möchte ich aber gerne wissen, weshalb ihr mich mit dem Brief zu euch bestellt habt.“


© Martin Riesner


5 Lesern gefällt dieser Text.







Beschreibung des Autors zu "Die kleine Zauberin (bis Kapitel 27)"

Der Anfang einer Geschichte deren Plot mir meine 6 jährige Tochter Kyra diktiert hat. Überarbeitete und erweiterte Fassung.
Über Kommentare und Vorschläge würde ich mich freuen.

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Kommentare zu "Die kleine Zauberin (bis Kapitel 27)"

Re: Die kleine Zauberin (bis Kapitel 27)

Autor: axel c. englert   Datum: 14.11.2013 20:20 Uhr

Kommentar: Hallo,
ich finde die Erzählung interessant, witzig und unterhaltsam:
eben zauberhaft.
(Trotz des Zauber – Überangebotes infolge Harry Potter).
Die Länge ist vielleicht ein bisschen exorbitant – so mancher
Leser hat leider NICHT die Energie für größere Werke, zumal
wenn es sich um Fortsetzungsgeschichten handelt.
Diese Erfahrung habe ich bei einigen meiner Texte gemacht.
(Eventuell lag es ja auch an mangelnder Qualität meinerseits...)
Dies soll aber nicht zur Abschreckung, sondern lediglich als
der erwünschte Kommentar – Vorschlag dienen!

LG Axel

Re: Die kleine Zauberin (bis Kapitel 27)

Autor: Schmusekatze   Datum: 18.11.2013 13:45 Uhr

Kommentar: Absolut bezaubernd =) die geschichte.
fortsetzung bitte?

Re: Die kleine Zauberin (bis Kapitel 27)

Autor: [email protected]   Datum: 18.11.2013 19:05 Uhr

Kommentar: Hallo Schmusekatze.
Die Geschichte geht weiter. Hab auch etwas an den vorherigen Kapitel gearbeitet. Hoffe dir und allen anderen Lesern gefällt es.

Re: Die kleine Zauberin (bis Kapitel 27)

Autor: Schmusekatze   Datum: 19.11.2013 10:55 Uhr

Kommentar: Mir gefällt es sehr gut ist total goldig geschrieben =)

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