Die Horror Trilogy

1. Der Jäger
 
***

„Die Bestie kommt aus den unendlichen Weiten des Alls.
Sie kann die Gestalt von Menschen annehmen und macht Jagd
auf sie, um sich an ihnen satt zu fressen.“

 
***

Es ging auf den Abend zu. Die dunklen Schatten der riesigen Bäume wurden länger und länger, verschwanden jedoch schlagartig, als die Sonne von einer großen Wolkenwand knapp über dem Horizont verschluckt wurde.
 
Der Jäger Georg Palmer fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er schaute aufmerksam nach allen Seiten. Dann nahm er sein Strahlengewehr vom dreirädrigen Robotmobil und klemmte es mürrisch unter den rechten Arm. Er tat das nur ungern, weil die Müdigkeit von ihm langsam Besitz ergriff, und er ausgerechnet jetzt noch mehr Gewicht bergauf zu schleppen hatte, als ihm lieb war.
 
Das wendige Roboterfahrzeug wurde nie müde; nun, das war bei einem solchen Ding ja auch nicht anders zu erwarten. Den ganzen Tag hindurch hatten sie zusammen einen dicht bewachsenen Hügel nach dem anderen abgesucht. Jetzt schmerzten Palmers Füße von der andauernden Überanstrengung, aber an eine kleine Verschnaufpause war im Moment trotzdem nicht zu denken.
 
In dieser Gegend standen zudem noch viele Bäume dicht an dicht und ihre Äste reichten oft bis zum Boden hinunter, sodass Palmer die meiste Zeit gebückt dahin laufen musste; der flinke Roboter dagegen hielt leicht mit ihm Schritt. Er stellte seine Achshöhe je nach Bedarf einfach niedriger oder höher ein. Auch machte ihm die hohe Laubschicht keine Schwierigkeiten. Seine breiten Ballonräder fuhren einfach darüber hinweg.
 
Die grün leuchtenden Instrumente auf der Anzeigentafel lieferten ihm ununterbrochen Informationen aus der näheren Umgebung, weshalb Georg Palmer die ganze Zeit unter Anspannung stand. Er beäugte jeden Strauch und jeden Baum gleich zweimal, bevor er weiterging. Aber während der letzten halben Stunde war die Fährte, die er verfolgte, immer mehr verblasst. Der Jäger wollte sich deshalb auf dem Kamm des nächsten Hügels ein wenig ausruhen und wies den Dreiradroboter an, auf der erhöhten Lichtung vor ihnen anzuhalten. Hier war die Laubschicht der Bäume besonders dünn, was das Gehen ernom erleichterte.
 
Palmer war schon viel zu lange über den braun goldenen Blätterteppich gelaufen, der das Vorwärtskommen ziemlich erschwert hatte. Auch seine Nackenmuskulatur tat ihm weh, weil er die meiste Zeit Oberkörper und Kopf wegen der meist zu tief hängenden Äste gesenkt halten musste, was auf Dauer sehr unangenehm war.
 
Endlich erreichte er die Anhöhe, wo sein quirliges Robotergefährt schon auf ihn wartete. Der Hügel war nicht so dicht bewachsen, wie die meisten anderen in diesem Gelände.

Palmer atmete die frische Luft ein paar Mal tief ein und wieder aus. Schließlich schaute er sich um. Die Rundumsicht war von hier oben einfach großartig; das düster wirkende Land war zerklüftet und so gut wie unbewohnt, aber dafür hatte Palmer jetzt kein Auge übrig.
 
Plötzlich gab sein Roboter eine stille Infrarotwarnung ab und wies mit seinem dünnen Antennenstab auf eine mannsgroße Wärmequelle direkt vor ihnen im Gelände hin. Fast gleichzeitig entdeckte auch Palmer den Mann, der halb versteckt hinter einem mächtigen Baum stand und offenbar Angst vor Palmer und dem Roboter hatte. Unsicher beobachtete der Fremde die herum kurvende Maschine, die jetzt vorsichtshalber mit einer kleinen Strahlenkanone auf ihn zielte.
 
Als Georg Palmer die Hand vorsichtig zum Gruß erhob, erwiderte der Unbekannte hinter dem Baum ihn nur zögerlich. Es vergingen ein paar Sekunden des gegenseitigen Schweigens, dann rief der Jäger seinen Namen und gab zusätzlich noch seine persönliche Kennzahl durch. Gleiches tat der Mann, der jetzt einen Ausweis nach oben in die Luft hob. Der intelligente Dreiradroboter prüfte umgehend die Information in seiner internen Datenbank, gab nach wenigen Augenblicken sein OK und bewegte sich mit Palmer zusammen auf die wartende Person zu.
 
Wenige Augenblicke später waren sie auf gleicher Höhe. Erst jetzt sah der Jäger ganz nebenbei die kleine Holzhütte, die hinter dem Fremden auf einer baum- und strauchlosen Rodung stand. Die beiden Männer schüttelten einander freundlich die Hände, und der andere gab sich mit seinem Namen zu erkennen.
 
„Mein Name ist Jack Flemming. Ich bin der zuständige Forstaufseher für diese Region“, stellte er sich vor und zeigte gleichzeitig auf seinen Ausweis. Vor seiner Brust hang ein eingeschaltetes Funkgerät, aus dem es manchmal laut rauschte.
 
„Sie müssen Georg Palmer sein, nicht wahr? Ich wurde von der Zentrale davon unterrichtet, dass Sie sich in meiner Gegend aufhalten, Mr. Palmer. Ich weiß auch, dass Sie ein Jäger sind und auf der Jagd noch einer Bestie sind, die sich hier in meinem Revier aufhalten soll.“
 
Palmer schaute den Forstaufseher argwöhnisch an und sagte dann mit forschender Stimme: „Dann hat man Sie sicherlich schon davon unterrichtet, dass ich hinter einem Werwolf her bin.“
 
„Hinter einem Werwolf, der ahnungslose Menschen anfällt, sie tötet und dann frisst? Hier in meinem Gebiet? Nun ja, es hat Gerüchte von schrecklich zugerichteten Leichen gegeben. Keiner weiß genau, von wem die stammen. Es könnten auch Bären gewesen sein. Naja, vielleicht ist da etwas wahres dran, vielleicht auch nicht. Richtig ist, dass sich in dieser Gebirgs- und Waldregion viele Leute herum schleichen, die hier nichts zu suchen haben, seit ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung in die Städte abgewandert ist. Der riesige Raumflughafen in Slateport City bietet den Leuten einen sicheren Arbeitsplatz und viel Geld. Alle wollen da hin, weil er viel Abwechselung bietet. Die unterschiedlichsten Lebensformen aus allen Ecken des Universums scheinen sich dort zu treffen. Von den möglichen Gefahren spricht aber keiner, die von den fremdartigen Lebewesen ausgehen können. Aber niemand macht sich darüber Gedanken. Soll mir auch egal sein. Ich werde jedenfalls in meinem Bereich der Zuständigkeit für Ordnung sorgen, Mr. Palmer.“
 
Im Ton des Mannes schwang ein wenig Enttäuschung mit, da er es offensichtlich bedauerte, dass die einheimischen Bewohner die schöne und immer noch natürliche Gegend hier verlassen hatten, um in die große Stadt mit ihrem gewaltigen Raumschiffhafen zu ziehen, wo das Leben für sie angeblich angenehmer und aufregender sein soll.
 
Doch dann fuhr er schnell mit seiner Rede fort und blickte dabei nach oben in den dämmrig gewordenen Himmel.
 
„Auf jeden Fall haben Sie sich genau den richtigen Zeitpunkt ausgewählt. Die Nacht ist gut für die Jagd auf einen Werwolf, falls es diese Kreatur überhaupt gibt.“
 
„Wie meinen Sie das?“ fragte Palmer energisch zurück.
 
„Nun, wir haben heute Vollmond. Falls es diese Kreaturen überhaupt gibt, erreichen sie ihre größte Macht immer dann, wenn der Mond als riesige helle Scheibe am nächtlichen Himmel steht“, gab der Forstaufseher zur Antwort und tat so, als kenne er sich mit diesen fürchterlichen Monstern zumindest therotisch gut aus.
 
Palmer musste dem Mann trotzdem Recht geben, und genau deshalb wurde er seine innere Unruhe nicht los. Er war davon überzeugt, dass es diesen Werwolf wirklich gab, den er verfolgte.
 
Der dreirädrige Roboter hielt sich derweil in der Nähe der beiden Männer auf und drehte seine Antenne in alle Richtungen. Plötzlich setzte sich das Gefährt schaukelnd und holpernd in Bewegung. Palmer, der Jäger, folgte dem Roboter bis zum Rand einer kleinen Felswand direkt hinter der Holzhütte, wo er neben der Maschine stehen blieb.

Der Forstaufseher war den beiden gefolgt.

„Dort ist das Tal der verschwundenen Wanderer. Leider kann man von hier aus den Fluss nicht erkennen, an dessen Ufer man angeblich einige grässlich verstümmelte Leichen gefunden haben will“, erklärte der Forstaufseher Jack Flemming, der lautlos hinter Palmer getreten war und ihn deshalb ein wenig erschreckte. Der Jäger mochte es nicht, wenn man ihm zu nah auf die Pelle rückte.
 
„Was Sie nicht sagen. – Haben Sie denn schon mal einen Werwolf leibhaftig zu Gesicht bekommen oder ist Ihnen in der letzten Zeit irgend jemand aufgefallen, der ein Werwolf sein könnte, Mr. Flemming?“
 
„Mmh...! Heute früh sah ich jemanden kommen. Ja. – Sein Name ist Gyfal Berinsky. – Zuerst kam er alleine, dann waren plötzlich mehrere da“, erwiderte der schlanke Forstaufseher grübelnd. Sie alle identifizierten sich allerdings mit ihren autorisierten Kennzahlen. Aber ich habe mit keinem von ihnen gesprochen; sie sagten auch nichts zu mir. Ich empfand das als ungewöhnlich, doch dachte ich mir, dass diese Leute wohl schon einen Grund dafür hätten. Vielleicht wollten sie nur in Ruhe gelassen werden. Mehr nicht! Das soll’s ja auch geben.“
 
„Kannten Sie die Leute vielleicht? Oder einige von ihnen?“ fragte Palmer neugierig.
 
„Was heißt kennen? Ich kenne viele hier aus dieser Gegend. In den Wäldern trifft man tagsüber immer wieder auf irgendwelche Touristen, mit denen man redet. Darunter sind auch Männer, die sich manchmal mehrere Monate hier in dieser waldreichen Naturlandschaft aufhalten. Sie streifen überall herum. Sogar in den Bergen habe ich schon welche von ihnen angetroffen. Einige sehen tatsächlich ziemlich verwildert aus und tragen eine lange Mähne. Man könnte wirklich Angst vor ihnen bekommen. Jedoch taten sie mir niemals etwas zuleide oder wurden aufdringlich. Außerdem bin ich immer sehr gut bewaffnet, wenn ich da draußen im Gelände unterwegs bin. Mein Strahlengewehr ist sehr gefährlich, was auch für meine Strahlenpistole gilt. Da wissen die meisten von denen, die hier herumlaufen.“
 
„Aber Sie fürchten sie trotzdem und würden des Nachts lieber keinem dieser Typen begegnen wollen. Es könnte ja ein Werwolf unter ihnen sein – oder?“
 
„Ich sagte ja schon, dass hier gewisse Gerüchte im Umlauf sind, die auch mir Angst einflößen. Man sagt ja, dass diese Ungeheuer nicht menschlich sind und über Kräfte verfügen, welche die unseren weit übersteigen“, antwortete Flemming und fuchtelte mit seinen Armen beschwörend in der Luft herum.
 
„Diese Drecksviecher kann man töten. Wir verfügen über widerstandsfähige und kampferprobte Roboter und besitzen sehr effektive Waffen. Eine ernstliche Bedrohung sind sie eigentlich nicht", sagte der Jäger abschätzig.
 
Flemming sah Palmer plötzlich mit ernstem Gesichtsausdruck an.
 
„Sind Sie sich da wirklich so sicher? Sie reden wie diese verwöhnten Stadtmenschen aus Slateport City mit ihrem riesigen Raumschiffhafen weiter oben an der Küste. Der wachsende Wohlstand lässt die Leute degenerieren. Wie lange sind Sie denn schon hier und pirschen hinter diesem vermeintlichen Werwolf her, Palmer?“
 
„Seit mehr als zwei Woche. Einmal meinte ich schon, ich hätte ihn getroffen, als ich meine Strahlenwaffe auf ihn abgeschossen habe. Er sah aus wie ein alter Mann mit sehr langen grauen Haaren und kantigen Gesichtszügen und langen Reißzähnen. Er lief in Richtung ihres Gebietes.“
 
„Ich habe niemanden gesehen. Naja, egal wie auch immer. Bleiben Sie und essen Sie mit mir! Es wird sowieso gleich dunkel und ich brauche mal einen Menschen, mit dem ich reden kann.“
 
„Ok, einverstanden! Ich hole nur meinen Roboter zurück und postiere ihn draußen vor dem Eingang Ihrer Hütte, falls Sie nichts dagegen haben. Er wird gut auf uns aufpassen. Sein Verteidigungsmodus schaltet sich automatisch ein, sobald seine wachsamen Sensoren etwas Ungewöhnliches bemerken sollten.“
 
„Wenn Sie damit Ihr Sicherheitsgefühl befriedigen können, soll es mir recht sein, Palmer“, gab der Forstaufseher spontan zur Antwort und aß genüsslich ein kleines Stück rohes Fleisch aus seiner Tragetasche, das er fast genüsslich hinunter schluckte.
 
Georg Palmer fühlte sich davon angewidert und verzehrte dafür lieber seine eigenen Rationen aus dem Robotermobil, das sich jetzt wie ein stählernes Denkmal vor dem Eingang der Holzhütte postiert hatte. Die gefährlich wirkende Strahlenkanone bewegte das Ding dabei langsam nach allen Seiten, als würde es damit die gesamte Umgebung nach Feinden absuchen.
 
„Glauben Sie, dass es diese Werwölfe auch schon woanders gibt“, fragte Flemming plötzlich den verblüfften Jäger.
 
„Sie meinen in den Städten – oder?“
 
„Ja“, nickte Flemming.
 
„Möglich. Man hat schon davon gehört. Genaues weiß man allerdings nicht. Einen Fall soll es aber bereits oben an der Küste gegeben haben. Dort fand man am Strand zwischen den abgestellten Fischerbooten die menschlichen Überreste einer schrecklich zugerichteten jungen Männerleiche. Die Bestie hat nur noch die blanken Knochen und ein paar Fetzen Fleisch übrig gelassen. Der arme Kerl soll ein Dieb namens Drag Baron gewesen sein.“

Flemming holte noch ein zweites Stück rohes Fleisch aus seiner Tasche und schob es in den Mund. Nachdem er es runter geschluckt hatte, sprach er weiter:

„Teufel noch mal, Palmer. Das sind ja richtige Gruselgeschichten, die man sich da erzählen. Mir wird angst und bange.“
 
Plötzlich flackerte das Deckenlicht in der Hütte, was störend wirkte.
 
„Der Stromgenerator macht manchmal Schwierigkeiten. Nichts besonderes. Wir wollen aber jetzt lieber nicht über Werwölfe und andere Ungeheuer sprechen“, bat Flemming und stopfte sich die nächste Portion rohes Fleisch zwischen die Zähne. Palmer sah einfach weg und hätte fast gewürgt. Dann kam er trotzdem auf das Thema Werwölfe zurück.
 
„Zusammen mit den Robotern werden wir sie alle jagen und erledigen“, sagte er zuversichtlich und deutete auf sein gefährliches Strahlengewehr hin, das neben ihm greifbar am Tisch lehnte.
 
„Kann schon sein, Palmer. Aus Ihnen spricht die reine Jägerseele“, sagte Flemming, machte dabei ein ziemlich säuerliches Gesicht und schaltete etwas unhöflich sein Funkgerät ein, als wollte er die Worte seines Gesprächspartners einfach ignorieren.
 
Wenig später tat es ihm Palmer nach, der ebenfalls über ein tragbares Funkgerät verfügte. Die Vermittlung meldete sich sofort, und er bat darum, an die Satellitennachrichten angeschlossen zu werden. Man sagte ihm allerdings, er solle die Vermittlung in etwa einer Stunde wieder anwählen, weil die Leitung gerade überlastet sei.
 

Der Jagdaufseher dagegen hatte auf einem anderen Gerät gerade einen spannenden Spielfilm eingeschaltet. Offenbar benutzte er eine extra Satellitenverbindung mit einer speziellen Frequenz. Palmer konnte von seinem Platz aus die Bilder auf dem Monitor des Forstaufsehers nur verzerrt sehen. Er stand schließlich auf und ging zur Hüttentür, um nach seinem Roboter zu schauen.
 
Der Roboter stand wie angewurzelt da und rührte sich nicht von der Stelle und ignorierte den Jäger einfach. Über der gesamten Rodung lag ein merkwürdiger Schein; es herrschte tiefes Zwielicht, denn der Mond ging gerade auf und sein gespenstischer Licht ergoss sich auch über den vor ihm liegenden Hügel, der jetzt einen düsteren Eindruck auf ihn machte.

Der Jäger war erstaunt darüber, wie schnell der Tag vergangen war. Er wurde sich plötzlich seiner eigenen Existenz bewusst, die nur eine begrenzte Lebensspanne umfasste. Dieser nach innen schauende Blick war für ihn ein wenig ungewohnt, sodass er sich auf einmal selbst davor ängstigte, noch dazu in dieser mondhellen Nacht, die ihm irgendwie unwirklich vorkam. Er dachte darüber nach, dass es nun höchste Zeit sei, den Werwolf, oder was es auch immer zu sein pflegte, aufzuspüren, um ihn zu töten, damit er so schnell wie möglich in die Stadt zurückkehren konnte, wo es angenehmer war..
 
Als er so draußen vor dem Eingang der Hütte stand, hörte er, wie Flemming hinter ihm herankam.
 
„Es tut mir leid, Palmer“, sagte er, „dass ich vorher so unhöflich zu Ihnen war, obwohl ich mich eigentlich doch darüber gefreut habe, Sie bei mir zu haben. Ich gebe zu, dass ich eigensinnig und engstirnig bin. Wissen Sie, ich bin die Städter nicht gewöhnt. Das ängstigt Sie wohl ein bisschen. Sie dürfen deshalb nicht beleidigt sein. Ich hoffe nicht, dass Sie glauben könnten, ich selbst sei vielleicht ein Werwolf, nur weil ich hier draußen so gerne in der Wildnis lebe und rohes Fleisch esse. Das tue ich nicht immer, was Sie mir ruhig glauben dürfen.“
 
„Ich könnte Sie einem Bluttest unterziehen, sofern Sie dem zustimmen würden, Flemming. Dann wären alle Zweifel zwischen uns beiden ausgeräumt.“
 
Der Jäger griff instinktiv nach seiner Strahlenwaffe und hielt sie mit beiden Händen fest umklammert.
 
„Nur so für alle Fälle“, bemerkte er nebenbei.
 
Flemming starrte ihn an und sagte dann: „Ja, kann ich verstehen, Palmer. Sie glauben also, der Werwolf könnte hier in der Gegend sein? Vielleicht ist er Ihnen sogar gefolgt, anstatt Sie ihm? Könnte es sogar sein, dass er Sie angelockt hat, ohne dass Sie es selbst bemerkten? Was meinen Sie?“
 
„Sie sagten ja vorhin schon, dass Vollmond ist. Er ist mit Sicherheit hier ganz in meiner Nähe“, gab ihm Palmer zur Antwort.
 
Irgendwo zwischen den Bäumen hinter der Rodung erklang ein unheimlicher Schrei, der gleich mehrmals hintereinander wiederholt wurde.
 
Flemming bat den Jäger wieder in die Hütte zu kommen und die Tür zu schließen. Dann stellte er eine Flasche Wein und zwei Gläser auf den Tisch, den sie zusammen tranken.
 
„Wollen Sie heute noch den Werwolf töten oder was sie dafür halten, Palmer?“
 
„Wenn er sich mir zeigt oder es nur den Anschein hat, dass er sich in dieser Gegend herumtreibt, will ich ihn in dieser Nacht noch töten. Mein Roboter wird mir dabei helfen. Seine Strahlenwaffe hat noch niemanden verfehlt. Wenn alles hier erledigt ist, gehe ich in die Stadt zurück.“

Flemming machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Palmer, du irrst. Es gibt keine Werwölfe. Die Menschen glauben an so viele unsinnige Dinge und sogar daran, dass es diese Bestien gibt, die Menschen frißt. Aber ich weiß es besser. Glauben Sie mir.“
 
Palmer runzelte die Augenbrauen und blickte mit wachsendem Argwohn zum Forstaufseher hinüber, der ihn plötzlich mit seltsamen Blick anstarrte.
 
„Aber damit will ich nicht sagen, dass es keine Ungeheuer oder Monster gibt, die Menschen jagen, sie töten und danach sogar gierig auffressen. Doch, doch..., es gibt sie“, sagte Flemming mit einem seltsam grunzenden Ton in seiner Stimme.
 
Georg Palmer bemerkte ausgerechnet in diesem Augenblick mit Entsetzen, wie sich alles vor seinen Augen zu drehen begann und die Arme seltsam schwer wurden. Irgendwas stimmte hier nicht. Der Wein war manipuliert. Er griff nach seinem Glas und schlug es mit letzter Kraft vom Tisch. In Panik versuchte er sich noch aufzurichten, um an seine Strahlenwaffe zu gelangen, was ihm jedoch nicht mehr möglich war. Er rutschte im nächsten Augenblick kraftlos wie eine Gummipuppe wehrlos vom Stuhl und fiel der Länge nach polternd auf den Holzfußboden, wo er mit paralysiertem Körper liegen blieb.
 
Trotzdem konnte er die grunzenden Worte Flemmings noch deutlich hören, wenngleich sie sich wie ein fernes Echo anhörten.
 
„Ach Palmer, wissen Sie eigentlich, dass Sie mir wie eine Fliege ins Netz gegangen sind? Wie ich schon sagte, es gibt sie wirklich, diese schrecklichen Monster. Niemand hat sie eigentlich je direkt zu Gesicht bekommen und wenn doch, dann hat es keiner von ihnen überlebt. Man erzählt sich eine Menge unheimlicher Geschichten über diese seltsamen Bestien. Ich glaube sogar Hunderte von Geschichten, die alle von dieser schrecklich bösartigen Kreatur berichten, die keine menschliche sein soll. Manche behaupten sogar, sie könne die Gestalt von Menschen annehmen und sich von einer Sekunde auf die andere in ein mit langen Zähnen und scharfen Klauen ausgestattetes Ungeheuer verwandeln, das wie eine aufrecht gehende Echse aussieht und eine runzelige Schuppenhaut hat. Es spuckt schwarzen Eiter aus, der so giftig sein soll, dass jedes Lebewesen augenblicklich daran stirbt. Wenn es sein Opfer gefressen hat, verschwindet es wieder unauffällig und taucht lange Zeit nicht mehr auf. Ich persönlich halte es für ein Alien, das aus den unergründlichen Tiefen des Alls hin und wieder den Planeten Erde besucht, um auf Jagd zu gehen. Tja, aber genug der vielen Worte. Ich werde dich jetzt töten und dann fressen, Palmer. Deine Jagd ist hier auf jeden Fall zu Ende. Ein für allemal!“
 
Georg Palmers Blick nahm verschwommen wahr, wie Flemming sich langsam Schritt für Schritt in eine echsenartige Kreatur mit riesigen Reißzähnen verwandelte und wenige Augenblicke später eine schwarz aussehende Flüssigkeit über ihn ausspie. Er wollte noch schreien, brachte aber, weil schon im Todeskampf liegend, keinen Ton mehr über die Lippen.
 
Die Bestie grunzte zufrieden, als sie die Leiche des Jägers gierig in Stücke riss und genüsslich mit Haus und Haaren verspeiste. Nur die Knochen blieben übrig.

Danach holte die hässliche Kreatur einen silbrig glänzenden Bumerang aus der geöffneten Tischschublade hervor, drückte mit seiner Pranke sanft eines der kryptischen Zeichen auf der metallenen Oberfläche und löste sich kurz darauf wie ein verblassendes Bild langsam auf. Wenige Augenblicke später war die blutrünstige Gestalt im Nichts verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.
 
***

Viel später im Raumhafen Slateport City

Unter den zahlreichen Passagieren eines gewaltigen interstellaren Raumschiffes befand sich auch ein großer hager aussehender Mann in einer schwarzen Raumfahreruniform. In seiner rechten Hand hielt er ein silbrig glänzendes Artefakt, das aussah wie ein Bumerang.

„Persönliches Eigentum“ stand als amtlicher Vermerk auf einem kleinen ovalen Zettel, den eine freundlich lächelnde Mitarbeiterin der intergalaktischen Fluggesellschaft auf den silberfarbenen Gegenstand aufgeklebt hatte.
 
Als der Mann in seiner Passagierkabine angekommen war, legte er die Rückenlehne seines Sitzplatzes zurück und verdunkelte den kleinen Raum, um sich vor fremden Blicken zu schützen.
 
Nach einer Weile war er eingeschlafen und manchmal war es so, als würde sich sein menschlicher Körper, wenngleich auch unmerklich für wenige Sekundenbruchteile nur, in die hässliche Gestalt eines echsenartigen Monsters verwandeln.
 
ENDE
 
 ©Heiwahoe

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Die Horror Trilogy

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„Die Bestie kommt aus den unendlichen Weiten des Alls.
Sie kann die Gestalt von Menschen annehmen und macht Jagd
auf sie, um sich an ihnen satt zu fressen.“


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2. Stella Hill

„Ja, ja, die Arbeit. Niemand kann sich ihr entziehen, oder? Vom einfachen Arbeiter, Angestellten, Beamten und Unternehmer bis hin zu den mächtigsten Herrschern dieser Welt. Sie alle müssen jeden Tag ihre Arbeit machen. Habe ich nicht recht, Stella?“
 
Der lange Gang zu den riesigen Fracht- und Lagerhallen, die gleich hinter dem Raumhafen INSPIRION I. lagen, schien einfach kein Ende zu nehmen.
 
Stella Hill ging genervt neben ihrem Kollegen her, dem Gruppenleiter Marcel Cliffort und musste sich den unaufhaltsamen Redeschwall von ihm anhören.
 
„Ich hätte doch lieber die Personenbeförderungskabine nehmen sollen“, dachte Stella halblaut vor sich hin und tat so, als ob sie das Gespräch mit Marcel Cliffort interessieren würde.
 
„Was hast du gerade gesagt? Ich habe dich nicht richtig verstanden, Stella“, mokierte sich der Gruppenleiter und blieb einfach stehen.
 
Auch Stella hielt abrupt inne.
 
„Ach was, ich habe nur laut gedacht. War nicht so wichtig. Gehen wir lieber weiter, sonst schlagen wir hier noch Wurzeln.“
 
Die Miene Clifforts verzog sich unwillig, er schwieg aber. Dann hustete er ein paar Mal gekünstelt und setzte seinen Weg wieder fort. Die junge Frau zog nach, hielt sich auch weiterhin auf seiner Höhe und hoffte, dass ihr Kollege bald Ruhe geben würde.
 
Ihr war auf einmal warm. Der Geruch irgendeines ätzenden Reinigungsmittels drang in ihre Nase. Die Reinigungs- und Dekontaminationsroboter waren offenbar wieder unterwegs. Außerdem verspürte sie eine leichte Müdigkeit, weil sie in der letzten Nacht schlecht geschlafen hatte und früher zum Dienst angetreten war, als üblich. Dafür gab es einen wichtigen Grund, wie sie wusste.
 
Gerade wollte ihr Gruppenleiter seine Rede fortsetzen, als Stella ihm sofort dazwischenfuhr.
 
„Lieber Marcel! Deine philosophischen Allgemeinbetrachtungen in allen Ehren, aber kannst du nicht mal deinen Mund halten?
 
Cliffort blieb abermals stehen und sah Stella jetzt direkt ins Gesicht. Er fragte sich bisweilen, wer hier wohl wessen unmittelbarer Vorgesetzte war. Er oder seine Kollegin hier? Doch Stella war eine bildhübsche junge Frau, noch sehr klug und eigenwillig dazu, die sich nicht so schnell aus der Fassung bringen ließ. Sie verfügte darüber hinaus über eine ziemlich große Portion Selbstbewusstsein, was natürlich bei Männern in der Regel eine gewisse Zurückhaltung auslöste.
 
Trotzdem wollte Marcel Cliffort diesmal nicht nachgeben, obwohl er wusste, dass er auch jetzt wieder den Kürzeren ziehen würde.
 
„Was soll das denn schon wieder?“ kam es vorwurfsvoll aus seinem Mund. „Ist irgendwas mit dir, Stella? Mache ich was falsch? Bitte entschuldige, wenn ich dich gelangweilt habe.“
 
„Ich wäre froh, wenn du dich endlich mal auf deine Arbeit konzentrieren würdest..., mehr verlange ich nicht von dir. Wer ist hier eigentlich der Gruppenleiter – du oder ich?“
 
Cliffort blickte etwas pikiert zur Seite und ging ohne ein Wort zu sagen weiter. Stella folgte ihm und sagte ebenfalls nichts mehr.
 
Nach einer Weile betraten sie durch eine kleine Nebenschleuse die riesenhafte Fracht- und Lagerhalle, die heute das Ziel ihrer Inspektionsarbeit war.
 
Die beiden kamen an einer geräumigen Nische vorbei, in der einer dieser robusten Multifunktionsroboter stand. Dieser Robottyp konnte auch als Lade-, Desinfektions- oder Reinigungsroboter in den weitläufigen Lagerhallen eingesetzt werden. Ein Wartungstechniker hantierte in Höhe seines rechten Oberschenkels hinter einer geöffneten Klappe an einer kompliziert aussehenden Elektronik herum. Als er den Gruppenleiter bemerkte drehte er sich schwerfällig herum und musterte Clifforts Uniform der staatlichen Raumfahrtbehörde. Marcel und Stella hielten kurz an.
 
„Auf Kontrollgang?“ fragte der Techniker ein wenig unfreundlich.
 
„Ich suche Morrison. Haben sie ihn gesehen?“ fragte der Gruppenleiter den Mann im eng anliegenden blauen Arbeitsanzug.
 
„Morrison ist wohl nach Hause gegangen. Heute Morgen war er noch da. Er hatte es plötzlich sehr eilig. Seit zwei Wochen redete er nur noch von seiner „neuen Errungenschaft“, wie er sich auszudrücken pflegte. Was er damit meinte, ist mir schleierhaft. Vielleicht hat er ein neues Mädchen kennen gelernt. Wer weiß das schon. Dann würde mich sein seltsames Verhalten nicht mehr wundern.“
 
Der Techniker lachte jetzt schmutzig, drehte sich wieder herum und konzentrierte sich auf seine Arbeit am Roboter.
 
Bevor Marcel Cliffort mit seiner Kollegin Stella Hill weiterging, ermahnte er den Techniker, die Lagerhalle rechtzeitig zu verlassen. Wenn erst mal alle Container drin sind, würde die Energiebehörde wenige Sekunden später die Lichter ausschalten, um Strom zu sparen.
 
„Ich weiß Bescheid. Das geht doch hier jeden Tag so. Ich bin sowieso gleich mit dem Auswechseln der Platine fertig. Wenn ihr beide auf mich warten würdet, begleite ich euch bis zur Schleusentür“, sagte der Mann etwas mürrisch, auf dessen Namensschild „J. Smith“ zu lesen war.
 
Ein paar Minuten später war er mit seiner Arbeit fertig. Zu dritt gingen sie in Richtung Ausgang und gelangten an eine große Stahltür, deren Umrisse den Maßen der Laderoboter entsprachen.
 
„Wir sind da“, sagte der Techniker und nahm seine Codekarte aus der Brusttasche. Ein leises Knacken ließ erkennen, dass der Mechanismus der Ausgangsschleuse nun entriegelt war.
 
Die schwerde Tür setzte sich langsam in Bewegung. Nebenbei bemerkte Cliffort, dass der Mann ihm anscheinend noch was sagen wollte.
 
„Was ist?“ fragte der Gruppenleiter den Techniker. „Die Zeit wird knapp. Sie müssen hier raus.“
 
„Keine Panik! Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob wirklich soviel verschwindet. Na, Sie wissen schon, was ich meine...“
 
Cliffort sah zu seiner Kollegin hinüber, die aber nur mit den Schultern zuckte, sich ganz bewusst zurückhielt und die Ahnungslose spielte.
 
Dann sah er Smith direkt in die Augen.
 
„Wer sagt das?“
 
„Jeder sagt das hier. Ich meine die Sache mit dem geheimnisvollen Energiekristallen. Die Förderung läuft auf Hochtouren, und trotzdem scheint es immer weniger davon zu geben..., jedenfalls hört man das.“
 
„Ich habe ebenfalls davon gehört. Große Mengen des geförderten Energiekristalls verschwinden, aber niemand weiß ganau, wohin eigentlich. Die beste Gelegenheiten für den Diebstahl der Kristalle wären die Förderstationen auf den Monden selbst oder, was wohl eher unwahrscheinlich ist, nehme ich jetzt mal an, die vielen Fracht- und Lagerterminals hier, für die unsere Teams verantwortlich sind, zu denen Sie ja auch gehören, Mr. Smith.“
 
Der Techniker zuckte plötzlich unwillkürlich zusammen. Er fühlte sich angesprochen. Cliffort beruhigte ihn gleich.
 
„Es gibt allerdings nicht die kleinsten Anhaltspunkte dafür, dass hier was fehlt. Vielleicht verschwinden die Frachtcontainer von den Transportschiffen während ihres langen Fluges durchs All, was ja auch eine Möglichkeit wäre.“
 
Der Mann nickte heftig mit dem Kopf.
 
„Wir haben nichts damit zu tun. Aus diesen Lagerhallen verschwindet nicht ein Gramm von den hier gelagerten Energiekristallen.“
 
"Das glaube ich Ihnen gerne, mein Guter. Dazu wären die Leute aus meiner Abteilung wohl auch nicht fähig. Ich habe großes Vertrauen in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn manche erst seit wenigen Wochen hier arbeiten.“
 
Dabei sah er Stella an, die ihm daraufhin einen bösen Blick entgegen schleuderte.
 
Das Gesicht des Technikers bot nach Clifforts Worten ein Anblick der Erleichterung.
 
„Danke“, erwiderte er, „auf mich können Sie sich immer verlassen. Ich erstatte Ihnen sofort Meldung, sollte ich etwas Auffälliges in dieser Fracht- und Lagerhalle bemerken. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, Mr. Cliffort.“
 
Der Mann hatte kaum seinen Satz zu Ende gesprochen, da öffnete sich das schwere Schleusentor soweit, dass sie bequem hindurch passten. Smith huschte durch den offenen Spalt und verschwand kurz darauf irgendwo auf der anderen Seite im Schatten eines hohen Gebäude hinter der Lagerhalle.
 
Marcel Cliffort und Stella Hill schauten ihm noch hinterher, bevor sie das Tor wieder mit Unterstützung des hydraulischen Motors schlossen und dann akribisch verriegelten. Sie waren jetzt allein in der weiten Fracht- und Lagerhalle.
 
„Hast du genug Energie für die Lampen?“ fragte Stella Hill ihren Kollegen Marcel Cliffort.
 
„Keine Sorge“, antwortete der Gruppenleiter knapp, „die Batterien sind randvoll“, sagte er noch und ging zurück in die Halle.
 
Das fahle Licht der weit oben hängenden Beleuchtungsketten, die sich jetzt im Dämmerlichtmodus befanden, tauchte die riesigen Frachtcontainer vor ihnen in einen unwirklichen Schein. Die Laderoboter waren mit ihrer Arbeit fertig und standen wie erstarrte Statuen auf den dafür vorgesehenen Warteplätzen. Nur ihre Augen leuchteten in einem schwachen Rot. Ein Zeichen dafür, dass man sie über Funk abgeschaltet und in den Energiespar- bzw. Ruhemodus versetzt hatte.
 
Zu dieser Zeit herrschte in der ansonsten kühlen Frachthalle hinter dem gewaltigen Raumflughafen totale Einsamkeit. Unendlich weit schienen die Schritte von Marc und Stella zu hallen, die als Echo zurückkamen.
 
Die explosionssicheren Frachtcontainer waren in zwölf Reihen zu je acht Stück gestaffelt. Obwohl die Halle nur etwa zur Hälfte gefüllt war, versprach es ein gutes Stück Arbeit zu werden, sie alle zu überprüfen.
 
Stella griff seufzend zum Verschluss des Prüfgerätes, das an ihrem breiten Kettengürtel in einer Metallbox hing und das in der Lage war, sehr genau den Inhalt der Container zu analysieren und deren Menge bis auf wenige Gramm Differenz genau zu schätzen.
 
Angesichts des Zeitdrucks überwand sie ihre Unlust und machte sich an die Arbeit. Zusammen mit ihrem Gruppenleiter trat sie an den ersten Großbehälter und richtete das Gerät auf die metallene Außenhaut des Frachtcontainers, dessen Länge an die fünfzig Meter betrug. Seine Breite war mit fünf, seine Höhe mit acht Metern angegeben.
 
Sobald das Prüfgerät damit fertig war, den Inhalt richtig erfasst zu haben, gab es ein akustisches Signal von sich und zeigte auf einem kleinen Monitor die gewonnen Daten an. Gleichzeitig verglich ihr Kollege Cliffort den beim Start von den Monden erfassten und bei der Landung hier im Raumflughafen vom Computer eingegebenen Werten mit dem gewonnen Messergebnisen vor Ort und verglich beide.
 
Hier beim ersten Container stimmten die Werte unverändert, weshalb Marcel und Stella gleich weiter zum zweiten gingen. Die gleiche Prozedur wiederholte sich mit nahezu identischen Werten. Wegen der winzigen Gewichtsunterschiede, die durch den Einfluss der unterschiedlich starken Gravitationsfelder der Fördermonde herrührten, von dem Prüfgerät aber zuverlässig umgerechnet bzw. mit einkalkuliert wurden, hatte der Gruppenleiter den Auftrag, nur bei offensichtlich groben Missverhältnissen eine Öffnung des jeweiligen Frachtcontainers durchzuführen.
 
Marcel und Stella wollten gerade auf den dritten Container zugehen, als sie plötzlich ein Geräusch hörten. Sie hielten beide inne und lauschten in die schummrige Dunkelheit hinein.
 
Wieder hörten sie das Geräusch. Sie konnten sich nicht erklären, woher es kam. Stella schaltete das Prüfgerät ab, als es damit anfing, ununterbrochen nervige Pieptöne von sich zu geben.
 
In der Halle war es auf einmal wieder so still, dass man sogar das leise Brummen der elektrischen Dimmer an der Beleuchtung unter dem hohen Bogendach hören konnte.
 
„Was kann das für ein Geräusch gewesen sein, Stella?“ fragte Cliffort seine Kollegin.
 
„Kann ich nicht sagen. Es ist eigentlich unmöglich, dass sich in der Halle jetzt noch jemand außer uns hier aufhält.“
 
Der Gruppenleiter wurde sich bewusst, dass die Zeit ablief. Er hatte seine Vorgaben und er durfte den Zeitplan nur minimal überschreiten. Cliffort musste sich nun entscheiden, ob er dem vermeintlichen Geräusch nachging oder so schnell wie möglich seine Arbeit zusammen mit seiner Kollegin Stella Hill erledigte.
 
In diesem Augenblick wiederholte sich das Geräusch. Da war also wirklich etwas. Stella befestigte das Prüfgerät wieder an ihrem Gürtel, sah dann mit einem skeptischen Blick auf den Chronometer an ihrem linken Handgelenk und wies Cliffort darauf hin, dass sie es kaum noch schaffen würden, mit der Inspektion fertig zu werden, wenn sie jetzt nachsehen, was hier los war.
 
„Wir können morgen früh vor Öffnung der Fracht- und Laderäume die restliche Arbeit erledigen“, gab der Gruppenleiter zur Antwort. Seine Kollegin Stella war damit einverstanden.
 
Cliffort lauschte noch einmal nach dem Geräusch, das jetzt wieder in seine Ohren drang. Es kam ihm auf einmal so vor, dass es mehr nach einem schwachen Stöhnen klang. Auch seine Kollegin Stella Hill rührte sich nicht vom Fleck. Vorsichtig machte Cliffort ein paar Schritte mal nach vorne, dann zur Seite und wieder zurück nach hinten, bis er einen weiteren akustischen Anhaltspunkt für die mögliche Richtung bekam, aus der das seltsame Geräusch am deutlichsten zu hören war.
 
Dann gab er seiner Kollegin Stella ein klar sichtbares Handzeichen, dass er jetzt weitergehen wolle.
 
Zusammen bewegten sie sich im Schutz der Frachtcontainer behutsam und lautlos auf das hintere Ende der riesigen Halle zu, das im diffusen Halbdunkel lag. Nur ein paar gelbrote Positionslichter an den hohen Wänden leuchteten die Umgebung schwach aus. Clifforts rechte Hand streifte über die kühle Metallhaut der Container neben ihm, die mit einem Dekontaminationsmittel überspritzt worden waren, was einen weiteren Kühlungseffekt auf der Metalloberfläche zur Folge hatte.
 
Gerade als die beiden vorsichtig die vierte Containerreihe passierten und eine offene Fläche überqueren wollten, vernahmen sie wieder ein stöhnendes Geräusch, das diesmal nur lauter und schmerzvoller klang. Auch waren seltsam platschende Schritte zu hören.
 
Rasch griff der Gruppenleiter nach seiner handlichen Stabtaschenlampe, die an seinem ledernen Schultergurt herunterhing. Er hatte sie gerade von der Halterung gelöst, als sie ihm aus der Hand glitt und mit einem lauten Klappern zu Boden fiel.
 
Mit einer schnellen Bewegung bückte sich Cliffort und tastete den kalten Betonboden nach der entglittenen Stablampe ab. In diesem Augenblick war das Stöhnen wieder zu hören, aber diesmal schien es näher gekommen zu sein.
 
Clifforts Fingerspitzen jagten jetzt in hitziger Panik über den nasskalten Boden. Er fing an zu schwitzen und der üble Gestank der Ausdünstungen des Dekontaminierungsmittels machte ihm zu schaffen, das sich wie ein feiner Dunstschleier mehrere Zentimeter hoch über den Hallenboden gelegt hatte.

Nur seiner Kollegin Stella Hill schien der schreckliche Gestank offenbar nichts auszumachen. Er wunderte sich zwar darüber, weil sie doch immer so empfinlich tat, dachte aber nicht weiter darüber nach. Sie stand noch immer im Schatten des vierten Containers und wartete darauf, dass er die Stablampe endlich finden würde.
 
Endlich!

Seine linke Hand stieß gegen etwas Hartes, das daraufhin noch etwas weiter von ihm weg rollte. Mit hastigen Bewegungen griff Cliffort hinterher und plötzlich schmiegte sich der kalte Stahl der Lampe in seine Hand.
 
Stella verhielt sich weiterhin ruhig. Sie wollte sich anscheinend nicht ehr vom Fleck rühren, bevor ihr Kollge die Stabtaschenlampe einschaltete, weil sie sich nur so sicher sein konnte, das sich ihnen vielleicht jemand oder etwas unbemerkt nähern konnte, das Gefahr bedeutete.

Vielleicht trieb sich doch noch irgend jemand in der weitfläufigen Halle herum, der hier nach einer Möglichkeit suchte, an die wertvollen Energiekristalle zu kommen, um sie zu stehlen.
 
Seltsamerweise war jetzt nichts mehr zu hören. Cliffort ging hinüber zu Stella, die sich eng an seinen Körper schmiegte. Nur mühsam konnte sie ihre Angstgefühle unter Kontrolle halten.
 
„Verflucht noch mal!“ flüstere ihr Marcel leise zu. „In dieser Halle ist irgendwas, und ich hab’ keine Ahnung, was es sein könnte. Es wird wohl besser sein, wir verschwinden von hier und holen Verstärkung.“
 
Stella nickte bestätigend mit dem Kopf und deutete in Richtung des Ausganges, wo sich die schwere Schleusentor befand.
 
Als sich beide gerade umdrehen wollten, begann wieder das schmerzvolle Stöhnen, das sich nach und nach immer mehr in eine schreckliches Gewimmer verwandelte. Nur war es komischerweise weiter entfernt als zuvor, jedenfalls klang es für die beiden so.
 
„Wir gehen jetzt lieber, Stella. Bleib’ dicht bei mir und wenn wir an dem Tor sind, deckst du mir den Rücken mit deiner Waffe. Wieder nickte Stella mit dem Kopf. Vorsorglich tastete sie nach ihrer Strahlenwaffe und als sie den schlanken Griff des Handimpulslasers spürte, vermittelte er ihr das wohltuende Gefühl von Sicherheit, obwohl die Anspannung in ihr damit keineswegs abflaute. Jedenfalls würden sie sich notfalls verteidigen können, sollte irgendjemand versuchen, sie anzugreifen.
 
Während Cliffort Stella fest an sich drückte, versuchte er logisch zu denken. Aber in dieser schummrigen Finsternis schienen die chaotischen Gefühle die Kontrolle über seinen Verstand übernommen zu haben. Trotzdem tastete er sich im Lichtkegel seiner Taschenlampe zusammen mit seiner Kollegin vorwärts. Er hatte vor, bis zum Ende der belegten Containerstellplätze so gut wie ohne Licht auszukommen und schaltete die Lampe immer wieder aus, bis er genau feststellen konnte, aus welcher Richtung das seltsame Geräusch kam.

Soviel er jetzt wusste, wurde das schmerzhafte Stöhnen offenbar von vorne an sie herangetragen. Also ging er mit Stella zusammen auf die vermeintliche Quelle des leise Wimmerns und Stöhnens zu. Die Person musste sich irgendwo zwischen ihnen und dem Ausgang befinden.
 
Weiterhin vorwärts tastend überwanden sie die leeren Räume zwischen den riesigen Frachtcontainern. Nun standen sie, falls sie sich nicht verzählt hatten, vor dem letzten Container, hinter dem sich der Schleusenausgang befinden musste.
 
Cliffort schob seine Kollegin hinter sich und schaute um die Ecke. In diesem Augenblick waren kurze, schnell aufeinanderfolgende Schreie zu hören, die nur von panischen Versuchen, Luft zu holen, unterbrochen wurden. Dann trat von einer Sekunde auf die andere Stille ein, wie sie unheimlicher nicht sein konnte.
 
Marcel Cliffort hielt es nicht mehr aus und wollte jetzt das Risiko eingehen, den Strahler wieder einzuschalten. Er drückte den Aktivierungsknopf und sofort schoss helles Licht aus dem breiten Kopfende der Stablampe. Stella hatte mittlerweile ihre Laserpistole gezogen und hielt sie schußbereit in der rechten Hand.

Vorsichtig leuchtete Cliffort um die Ecke des Containers. Er wusste nicht, was ihn dort erwartete. Er folgte jetzt mit seinen Blicken dem hellen Lichtkegel seiner Lampe, der gerade über einen Schrotthaufen aus irgendwelchen Metallresten wanderte. Von dort aus mussten die Schreie gekommen sein. Er leuchtete in den Schrottstapel hinein, in dem sich einige abgeschnittene Stahlträger befanden, die kreuz und quer übereinander lagen und kleine Hohlräume bildeten.
 
Plötzlich sah er etwas. Der Lichtkegel seiner Stablampe huschte zurück auf eine Stelle, wo sich scheinbar noch etwas bewegte. Widerwillig lenkte Cliffort den Lichtkegel seiner Lampe auf einen unnatürlich daliegenden Körper, dessen blutiger Kopf aus dem Metallgewirr halb heraus hing.
 

„Ich habe etwas in dem Schrotthaufen liegen sehen. Vielleicht ist jemand verletzt, Stella. Halte deine Strahlenwaffe schußbereit in der Hand und bleib ein paar Schritte hinter mir. Sollte dir oder mir irgendwelche Gefahren drohen, dann zögere nicht, sofort abzudrücken. Ich gehe jetzt auf den Schrotthaufen zu und vergewissere mich, ob jemand dort vielleicht dringend Hilfe braucht oder nicht.“
 
„Sei vorsichtig, Marcel! Wer weiß, was da zwischen den Metallresten liegt. Wir sollten lieber jetzt gleich Hilfe holen, bevor noch Schlimmeres passiert.“
 
„Trotzdem Stella, vorher möchte ich mich selbst davon überzeugen, was da los ist. Hilfe kann ich dann immer noch holen. Also..., ich gehe jetzt. Bleib’ mit deiner Waffe dicht hinter mir.“
 
Als Cliffort keine fünf Meter vor einem Gewirr aus allen möglichen Metallteilen stand, sah er einen Mann auf einem der wuchtigen Stahlträger liegen. Sein Körper war unnatürlich verkrümmt und an einigen Stellen hatte er tiefe Fleischwunden, sodass man teilweise die nackten Knochen erkennen konnte. Scheinbar hatte sich der Unglückliche noch bis dorthin geschleppt, um sich in dem Schrotthaufen zu verstecken.
 
Von Ekel ergriffen lenkte Cliffort den Lichtstrahl von den Stiefeln aufwärts, der gerade auf dem blutigen Brustkorb ein Namensschild passierte auf dem „Morrison“ stand, und dann war ihm plötzlich so, als führe ein heftiger Schlag durch seine Glieder, als er in das Gesicht des Mannes leuchtete.
 
Das gesamte Gesicht von Morrison war hässlich entstellt und stark aufgequollen. Der Hals war mit Blut verschmiert und es waren offensichtlich Adern geplatzt, so dass sich große Hämatome unter der Haut gebildet hatten. Seine Augen waren blutrot unterlaufen und aus den Augenhöhlen getreten. Todesangst spiegelten sich in ihnen. Es sah fast so aus, als hätte man Morrison brutal gewürgt. Erschüttert wandte sich Cliffort von dem Mann ab, der bis vor wenigen Minuten noch mehr oder weniger gelebt haben muss, da immer noch frisches Blut aus seinen schrecklichen Wunden floss. Trotzdem hatte er keine Chancen gehabt und starb einen qualvollen Tod.
 
Als Cliffort sich umdrehte, stand plötzlich Stella hinter ihm und hielt ihm die Laserpistole direkt ins Gesicht. Er erschrak so heftig, dass sein Hals trocken wurde, sodass er unwillkürlich nach Luft schnappen musste.
 
„Was soll das denn, Stella? Lass’ diesen Unsinn! Willst du mich damit umbringen?“ stotterte der Gruppenleiter fassungslos vor Angst.
 
Cliffort trat instinktiv einen Schritt zurück. Stella folgte ihm wortlos mit erhobener Waffe. Ihr Gesicht sah aschfahl aus und machte einen total verzerrten Eindruck auf ihn.

Irgendwas stimmt mit seiner Kollegin nicht.
 
Er schluckte und spürte, wie sich seine Speiseröhre zusammenzog, als bekäme er einen Krampf. Die Furcht in ihm wuchs ins Bodenlose. Die ganze Situation hatte auf einmal etwas Unwirkliches an sich; etwas, das nicht hierher passte, weil dies die Realität war und kein Platz für Anormales zuließ.
 
Doch der nächste Schock ließ nicht lange auf sich warten.

Marcel Cliffort erschrak bis in seine Eingeweide und erstarrte zu eine Salzsäule. Er wollte weglaufen, doch seine Beine schienen seinem Wollen nicht mehr zu folgen.
 
Stella, seine bildhübsche Arbeitskollegin, verwandelte sich plötzlich schrittweise, fast wie in Zeitlupe, in eine schrecklich aussehende Echsen artige Kreatur mit riesigen Reißzähnen und grüner Schuppenhaut. Im nächsten Augenblick spie das Ungeheuer auch schon eine schwarze Flüssigkeit aus, die Cliffort mitten ins entsetzte, totenblasse Gesicht traf.
Er wollte noch schreien, brachte aber kein Ton mehr über die Lippen. Dann fiel er wie vom Blitz getroffen zu Boden, wo er zuckend nach wenigen Sekunden gurgelnd starb.
 
Das Monster, das kurz zuvor noch Stella Hill gewesen war, grunzte mehr als zufrieden, als es die Leiche des Gruppenleiters gierig in Stücke riss und genüsslich bis auf die Knochen an Ort und Stelle verspeiste. Dann war Morrisons Kadaver an der Reihe, der blutüberströmt leblos im Schrotthaufen lag, wo er sich versteckt hatte.
Die Freßgier der Bestie war grauenhaft und schien kein Ende zu nehmen.

 ***

Eine neue Chance erhielt die schreckliche Kreatur, als sie in Gestalt von Stella Hill zusammen mit ihrem Gruppenleiter Marcel Cliffort in die Fracht- und Ladehalle gehen mussten, um die Container zu überprüfen.

Während die Roboter in der Fracht- und Lagerhalle arbeiteten, war jeder Zutritt für menschliches Personal strengstens verboten. Es bestand Lebensgefahr. Nur nach Arbeitsende und bei Wartungsarbeiten, wenn sie sich im Ruhemodus befanden, konnte man die Halle gefahrlos betreten. Und so kam es, dass das Ungeheuer schließlich alleine mit seinen beiden Opfern war, die in dieser Situation dieser Bestie hilflos ausgeliefert waren, da es später die Gestalt von Stella Hill annehmen konnte.

***
 
Als die Echsen artige Kreatur ihre Fressorgie endlich beendet hatte, materialisierte plötzlich zwischen ihren krallenartigen Klauen ein silbrig glänzender Gegenstand, der aussah wie ein Bumerang.

Wenig später drückte sie einige rot leuchtende, kryptische Zeichen auf der metallenen Oberfläche und im gleichen Moment verschwand die blutrünstige Gestalt nach und nach wie ein Geist im Nichts, als hätte es die Kreatur nie gegeben.

Zurück blieb nur ein Ort des Grauens, wo nur noch blutige Fleischreste und Knochen herum lagen.
 
 
***
 
Viel später auf dem Raumflughafen INSPIRION I.

Unter den wenigen Passagieren eines gewaltigen interstellaren Großraumfrachters befand sich auch ein hager aussehender Mann in einer schwarzen Raumfahreruniform. In seiner rechten Hand hielt er ein silbrig glänzendes Artefakt, das aussah wie ein Bumerang. Der weite Flug durchs All ging diesmal für ihn zur Erde.
 
„Persönliches Eigentum“ stand als amtlicher Vermerk auf einem kleinen ovalen Zettel, den eine freundliche Stewardess der intergalaktischen Transportgesellschaft auf den Bumerang ähnlichen Gegenstand aufgeklebt hatte.
 
Als der hagere Mann in seiner Passagierkabine angekommen war, legte er die Rückenlehne seines bequemen Sitzplatzes zurück und verdunkelte den kleinen Raum, um sich vor fremden Blicken zu schützen.
 
Nach einer Weile war er eingeschlafen und manchmal war es so, als würde sich sein menschlich aussehender Körper, wenngleich auch unmerklich für wenige Sekundenbruchteile nur, in die hässliche Gestalt eines Echsen artigen Monsters verwandeln.
 ENDE

(c)Heiwahoe


***

Die Horror Trilogy

3. Die Insel des Schreckens

***
 
„Die Bestie kommt aus den unendlichen Weiten des Alls.
Sie kann die Gestalt von Menschen annehmen und macht Jagd
auf sie, um sich an ihnen satt zu fressen.“


***


Mary Ellison hatte die Arme fest um ihren Körper geschlungen und starrte auf die unruhige See hinaus.

Die Wellen wurden immer höher. Der Himmel war mit dunkelgrauen Wolken verhangen. Es sah nach Regen aus. Ganz plötzlich zuckte ein greller Blitz einsam am Horizont. In seinem Licht leuchtete das Wasser graugrün auf und in der Ferne grollte ein heftiger Donner. Dann fuhr wieder ein Blitz herab. Diesmal schlug er ganz in der Nähe der Insel ein und man merkte, dass das Gewitter direkt auf sie zusteuerte.

Mary wandte sich fröstelnd von der herannahenden, bedrohlich wirkenden, schwarz-grauen Gewitterfront ab, drehte sich auf der Stelle herum und murmelte ein paar unverständliche Worte vor sich hin. Sie marschierte den Strand hinauf.

Mark Cameron befand sich weiter oben. Als Mary vor ihm stand sagte er kopfschüttelnd: „Ein Sturm zieht auf und kommt direkt auf uns zu. Wir hocken hier einsam und allein auf einer weit abgelegenen Insel und wissen nicht, was wir machen sollen.“

Mark machte ein kleine Pause, schaute sich auf einmal suchend nach allen Seiten um und fragte Mary: „Wo ist eigentlich Ben?“

„Keine Ahnung. Vorhin stand er noch unten am Strand. Vielleicht sucht er nach Muscheln. Vor dem herannahenden Sturm scheint er keine große Angst zu haben“, gab Mary dem jungen Mann achselzuckend zur Antwort.

Plötzlich erschien Ben Conner auf der Bildfläche. Die beiden schauten ihn verdutzt an. Er muss offenbar eine längere Strecke gelaufen sein, denn er atmete sehr schnell und seine Stirn war mit dicken Schweißperlen übersät. Langsam erholte er sich wieder.

„Es sind keine Boote mehr unten in der Bucht. Ich bin auch den ganzen Strand abgelaufen. Von der Ferienakademie scheint offenbar niemand mehr auf der Insel zu sein. Ich komme mir vor wie der Passagier eines Kreuzfahrtschiffes, den man einfach zurückgelassen hat. Könnt ihr euch das vielleicht erklären, warum die nicht mehr da sind?“ sagte er mit aufgeregter Stimme.

„Was, es sind keine Boote mehr da? Das ist unmöglich!“ antwortete Mary Ellison dem ratlos da stehenden Ben Conner und schüttelte ungläubig den Kopf. Dann fuhr sie fort: „Aber wenn das wahr ist, sitzen wir hier fest und niemand wird kommen um uns abzuholen.“

Schließlich meldete sich Mark Cameron zu Wort.

„Mister Bill Allen ist ein gewissenhafter Geschäftsmann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so mir nichts dir nichts davon ist und uns hier allein zurückgelassen hat. Bestimmt hat er sich irgend so ein nettes Spielchen ausgedacht, um unsere Ferien spannend zu gestalten. Vielleicht gehört das zum Programm“, sagte er zu den beiden anderen.

In diesem Augenblick ließ ein ohrenbetäubender Donnerschlag alle drei zusammenschrecken. Blitze zuckten wie wild vom Himmel und ein heftiger Platzregen setze gleichzeitig ein. Er prasselte mit Wucht auf die Planken des Steges etwas weiter unten am Strand und immer höher werdende Wellen brandeten gegen das überwiegend steinige Ufer. Die Situation wurde langsam gefährlich.

„Wir müssen hier weg!“ schrie Cameron den anderen beiden zu. „Wir müssen zurück in die Feriensiedlung, wo wir in Sicherheit sind. – Kommt, beeilt euch!“

Mit eingezogenen Köpfen liefen die drei jungen Leute im strömenden Regen über den Strand zu den Bungalows des Feriendorfes weiter oben auf einer kleinen Anhöhe. Bis sie endlich das erste Flachdachgebäude erreicht hatten, waren sie bereits klatschnass.

Mark Cameron öffnete hastig die Tür und zusammen traten sie gleich nach dem Ende des kurzen Ganges in das geräumige Wohnzimmer des spartanisch eingerichteten Ferienbungalows.

Ben Conner testete die Lichtschalter nacheinander durch, doch das Licht ließ sich nicht einschalten

„Anscheinend geht nichts mehr. Die Leitungen sind tot. Irgend jemand hat das Dieselaggregat abgeschaltet. Mann oh Mann, das kann doch alles nicht wahr sein. Die Boote sind weg und jetzt stehen wir auch noch ohne Strom da“, sagte er verärgert.

Mary Ellison kam gerade aus der Küche. Sie sah etwas blass im Gesicht aus. Ihre langen dunkelbraunen Haare waren völlig durchnässt. Sie schüttelte das Haar nach hinten, bevor sie sprach: „Alles ausgeräumt! Nichts mehr da! Der Kühlschrank und die Eistruhe mit dem eingefrorenen Frischfleisch in der Küche sind total leer. Ebenso die übrigen Küchenschränke und alle Regale. Was hat das bloß alles zu bedeuten?“ In ihrer Stimme lag eine gewisse Verzweiflung.

Draußen war es mittlerweile stockdunkel geworden. Der Wind heulte ums Haus und der Regen klatschte an die Fenster. Das Gewitter befand sich jetzt unmittelbar über der Insel.

„Na, das ist ja super“, stöhnte Ben Conner. „Wir werden ohne Nahrung verhungern. Das hat mit einem Spielchen nichts mehr zu tun. Der reinste Alptraum. Ich bin fix und fertig. Aber vielleicht finden wir noch Proviant in den übrigen Häusern. Wenn die allerdings auch noch ausgeräumt worden sind, dann krieg’ ich die Krise. Was hat sich dieser Typ überhaupt dabei gedacht? Bill Allen ist in meinen Augen ein krimineller Halunke. Lässt uns hier einfach ohne Nahrung allein auf der Insel zurück, dieses Schwein. - Trotzdem, wie auch immer. Ich hänge meine Klamotten zum Trocknen auf und gehe schlafen. Für heute habe ich genug.“

„Du übertreibst ein wenig, Conner. Vielleicht tust du Mr. Allen Unrecht. Es wird sich bestimmt bald alles aufklären. Und was die Versorgung mit Nahrung betrifft; irgendwo in diesem Feriendorf wird es bestimmt noch etwas zu essen geben. Wir werden morgen früh danach suchen. Dann werden wir weiter sehen“, sagte Mark zu Ben und Mary.

Mary war etwas erbost und schaute Ben verständnislos an.

„Wie kann man bloß nur an Schlaf denken, wo doch jeder einzelne von uns weiß, dass wir ganz allein auf dieser Gott verdammten Insel sind? Wir sollten uns lieber einen Plan zurecht legen und darüber nachdenken, was zu tun ist, wenn wir für eine unbestimmte Zeit hier bleiben müssen“, erwiderte sie mürrisch.

Draußen krachte ein mächtiger Blitz ganz in der Nähe des Bungalows ein. Er explodierte förmlich und erhellte die Dunkelheit für den Bruchteil einer Sekunde mit grellweißem Licht.

„Der war nah. Ist nur gut, dass wir in diesem Haus sind. Da draußen ist es jetzt richtig lebensgefährlich. Aber was das Schlafen angeht, bin ich ebenfalls ziemlich geschlaucht. – Ben hat Recht. Wir sollten unsere Sachen irgendwo zum Trocknen hinhängen und uns aufs Ohr hauen. Morgen können wir in aller Ruhe einen Plan schmieden. Mit einem klaren Kopf lässt es sich besser denken“, antwortete Mark Cameron, der nachdenklich vor dem Fenster stand und hinaus in die Dunkelheit starrte.

Insgeheim dachte Cameron darüber nach, dass hier irgendwas nicht stimmten konnte. Er versuchte mutig zu klingen, aber dennoch stieg ein unterschwelliges Angstgefühl in ihm hoch. Er fand einfach keine Erklärung dafür, warum man sie allein auf der Insel zurückgelassen hatte. Dafür muss es einen Grund geben und Mr. Bill Allen, der Vermittler dieser Ferieninsel, hat im Auftrag der Ferienakademie gehandelt, die ebenfalls über alles genauestens informiert war. Unregelmäßigkeiten dieser Art würden binnen kürzester Zeit den Aufsichtsgremien der Ferienakademie bekannt werden, denn alle Urlaubs- und Feriengruppen wurden äußerst streng überwacht, ganz gleich, wohin auch immer die Reise ging.

***

Ben, Mark und Mary schliefen die ganze Nacht durch. Mary wachte zuerst auf und nachdem sie sich ihre getrockneten Kleider angezogen hatte, ging sie gleich nach draußen vor die Tür.

Der Regen hatte aufgehört, das Gewitter weitergezogen, doch der Himmel war noch von grauen Wolken überzogen. Ein frischer Wind wehte über den Strand, der ihr die Haare zerzauste. Zum Glück wärmte die dicke Wolljacke gut und Mary fröstelte diesmal überhaupt nicht.

Der Sturm hatte das Meer tüchtig aufgewühlt. Die junge Frau beobachtete, wie eine schaumige Welle nach der anderen an die schroffen Felsen des steinigen Ufers klatschte und dort, wo der weiße Sand den felsigen Untergrund verdeckte, dieselben Wellen friedlich und leise, ja schon fast geräuschlos, darüber hinweg rollten und sich am Ende im weichen Strandsand verloren.

Nach einer Weile ging Mary wieder ins Haus zurück und lenkte ihre Schritte in Richtung Wohnzimmer.

„Morgen“, muffelte sie beim Hereinkommen. Ihre beiden Freunde waren mittlerweile ebenfalls aufgestanden, hatten einen Esstisch in die Mitte des Raumes gezogen und saßen schon drum herum.

Ben diskutierte aufgeregt mit Mark.

Als sie Mary hereinkommen sahen, grüßten sie freundlich zurück und baten sie an den Tisch.

„Worüber habt ihr euch unterhalten?“ wollte das junge Mädchen wissen.

„Wir haben von dem Boot geredet, mit dem Mr. Allen und seine Assistentin um die Insel herum geschippert sind. Es muss noch da sein. Es liegt von uns aus gesehen auf der anderen Seite in einer kleinen, steinigen Bucht, wo die beiden ihre Zeit hier in einer einsam gelegenen Hütte verbrachten. Das war ihr Liebesnest sozusagen. Alle wussten es, aber keiner sprach darüber. Dort gibt es auch ein Funkgerät soviel ich weiß“, sagte Ben auf einmal gut gelaunt.

„Wenn das so ist, dann können wir ja Hilfe herbeirufen! Ich übertreibe bestimmt nicht wenn ich behaupte, dass wir einen Notfall haben,“ antwortete ihm Mary und lächelte zum ersten Mal wieder.

„Toll!“ rief Mark. „Wir sollten uns gleich nach dem Frühstück auf den Weg machen und vor allen Dingen nach dem Boot schauen, ob es noch wirklich da ist. Danach gehen wir in die Hütte, rufen über Funk jemanden herbei und die Sache ist damit erledigt.“

„Habt ihr etwas zum Essen gefunden?“ frage Mary in die Runde und schaute auf den leeren Tisch.
„Ja“, antwortete ihr Mark Cameron, zog einen kleinen Karton mit Fischdosen unter seinem Stuhl hervor, öffnete ihn und schob jedem eine oval geformte Dose mit geräucherten Heringen darin über den Tisch.

„Mehr habe ich nicht gefunden. Der Karton stand im Keller ziemlich weit hinten in einer kleinen, dunklen Nische, gut geschützt vor neugierigen Blicken durch eine Mauer. Ich denke mal, dass es einen Dieb unter den Ferienteilnehmern gab. Da lagen auch noch andere Dinge herum. Er hat sie hier unten im Keller versteckt und wohl vergessen. Na ja, wie auch immer, lasst es euch schmecken. Wenn wir gefrühstückt haben, gehen wir los und suchen nach dem Boot.

***

Der Fußmarsch auf die andere Seite der Insel dauerte knapp eine Stunde. Sie fanden das Boot gut vertäut bei den felsigen Ausläufern der Bucht. Es war mit Regenwasser vollgelaufen, weil die Abdeckplane fehlte.

„Ist es beschädigt?“ fragte Mary Ellison.

Mark Cameron untersuchte das Boot. Ben Conner half ihm dabei.

Dann sagte Mark: „Soweit ich sehen kann, ist es unbeschädigt geblieben.“

„Und der Tank ist voll mit Benzin“, rief Ben kurz danach.

Mary jubelte.

„Ein Grund zum Feiern“, rief sie. „Vielleicht wird jetzt wieder alles gut und werden schon morgen bei unseren Eltern sein. – Also packt mal mit an! Wir ziehen das kleine Boot auf den Strand, kippen es auf einer Seite um und lassen das Wasser einfach abfließen.

Schon kurze Zeit später war das Boot wieder einsatzbereit. Auch der Motor war im allerbesten Zustand und tuckerte schon nach dem ersten Anlassversuch munter drauflos. Mark schaltete den Motor vorsorglich wieder ab und ging mit den beiden anderen hinüber zur Hütte.

Als sie dort ankamen, war die Tür zwar verschlossen, aber Mary wusste wo der Türschlüssel lag. Er musste sich irgendwo in einer kleinen, schmalen Mauerspalte am Fundamentsockel gleich neben der Holzbank befinden. Sie hatte Mr. Allen nämlich einmal dabei beobachtet, wie er sich bückte und den Schlüssel irgendwo dort versteckte.

Der Putz war im Laufe der Zeit schon ziemlich bröckelig geworden. An vielen Stellen lag das nackte Mauerwerk frei. Aus den Steinfugen quoll der Mörtel wie lockerer Sand hervor. Risse und Spalten taten sich auf. Sie fingerte in jeder davon herum.

„Ausgezeichnet, hier ist er ja“, sagte sie nach einer kleinen Zeitspanne des fieberhaften Suchens. Dann hielt sie den eisernen Schlüssel triumphierend in ihrer rechten Hand, steckte ihn ins Schloss und sperrte die Tür mit einem knarrenden Geräusch auf.

Die alte Ferienhütte hatte nur zwei große Räume: ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Zusätzlich gab es noch eine kleine Kochnische. Mark ging zusammen mit Ben nach hinten in den Anbau und suchten nach dem Stromgenerator. Er stand verlassen in einer Ecke und war mit einer schweren Kunststoffplane abgedeckt. Die jungen Männer entfernten die Plane und beugten sich über den Stromgenerator.

„Das kann doch nicht so schwierig sein, den zum Laufen zu bringen“, sagte Mark, legte einen Schalter vorne am Anlassergehäuse um, wartete einen Moment und drückte schließlich auf den roten Knopf am Blechgehäuse.

Nichts.

„Probier es noch mal“, forderte Ben ihn auf.

Mark drückte ein zweites Mal auf den rot markierten Startknopf.

Und dann erwachte der Generator summend zum Leben.

Die beiden jungen Männer hörten ein schwirrendes Geräusch aus dem großen Metallgehäuse und dann sprang die Maschine ratternd und brummend an.

„Ja, wir haben Strom“, rief Mark vor lauter Freude und klopfte Ben auf die Schulter.

Ben wandte sich vor Aufregung an das Mädchen.

„Wo ist das Funkgerät, Mary?“ fragte er.

Sie deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger in Richtung einer kleinen Nische mit einem braunen Vorhang davor.

„Das Funkgerät befindet sich hinter dem Nischenvorhang. Rechts an der Wand ist ein Schalter, den du auf „EIN“ umlegen musst. Danach läuft das Ding. Strom ist ja schon da“, gab Mary prompt zur Antwort.

Ben schob den Vorhang zur Seite, holte sich einen Stuhl und setzte sich vor das Funkgerät. Dann drückte er den Schalter rechts an der Wand in die Stellung „EIN“, schnappte sich das Mikrofon und wartete.

Mark und Mary standen dicht hinter ihm. Sie lauschten gespannt.

„Wir kommen von hier weg. Wir stellen den Kontakt zu jemanden her, der uns auf der Hauptinsel hört. Dann erzählen wir, was mit uns passiert ist und in ein paar Stunden sind welche hier, die uns abholen. – Also, ich werde jetzt mal versuchen, eine Verbindung herzustellen“, erklärte Ben Conner, hielt sich den Zeigefinger an den Mund und drehte am Lautstärkenknopf herum.

Aus dem Funkgerät ertönte tatsächlich ein Knacken.

Ben grinste die beiden anderen an.

„Was wollt ihr als Erstes essen, wenn wir wieder was zu mampfen kriegen?“

„Ich bestelle mir einen Apfelkuchen mit Schlagsahne“, schoss es aus Mary heraus. Sie lachten alle drei.

„Ich lasse mir eine knusprige Pizza mit allen Beilagen direkt nach Hause liefern“, warf Mark dazwischen und rieb sich genüssliche den Bauch.

Ben widmete sich wieder dem Funkgerät. Er hielt sich das Mikrofon vor den Mund, drehte an dem Abstimmknopf und suchte nach einer freien Frequenz.

„Was soll ich eigentlich sagen?“ fragte er seine Freunde. „Soll ich Mayday oder so was rufen, wie in diesen Katastrophenfilmen?

„Sag einfach mal zuerst ‚Hallo’, dann werden wir schon hören, was als Antwort zurückkommt“, sagte Mary zu Ben.
„Ja. Sag einfach so lange ‚Hallo’, bis jemand antwortet“, erwiderte Mark und fügte hinzu: „Aber jetzt fang endlich mal an! Ich bin gespannt, wer sich meldet.“

Ben starrte auf das knackende Funkgerät. Das Mikrofon zitterte in seine Hand. Dann hob er es an seinen Mund.

„Hallo? Hallo? Hallo? Kann mich jemand hören?”

Aus dem klobigen Kasten ertönte zuerst ein sirrendes Pfeifen, das bald in ein krächzendes Geräusch überging. Ben änderte die Tonhöhe und drehte danach am Abstimmknopf herum.

„Hallo? Kann mich jemand hören? Bitte melden! Wir sind in Schwierigkeiten und brauchen Hilfe“, rief er ins Mikrofon.
Wie gebannt horchten alle drei, als eine tiefe Stimme erklang. Eine Männerstimme. Sehr weit weg. Sie ging fast im Knistern und Rauschen des Gerätes unter.

„Hallo?“ schrie Ben ins Mikrofon. „Können Sie mich hören?“

Wieder erklang die Männerstimme. Das Rauschen wurde schwächer. Ben und die anderen konnten den Mann jetzt deutlich hören. Seine Stimme schwoll an und wurde wieder leiser.

„Der Kerl singt!“ rief Ben erstaunt. „Hört euch das bloß mal an!“

Der Mann sang tatsächlich mit einer tiefen, kratzigen Stimme ein Lied in einer fremden Sprache, die keiner von den jungen Leuten je gehört hatte. Sie kam ihnen auch nicht bekannt vor und hörte sich irgendwie fremdartig an. Die Melodie klang sonderbar, immer die gleichen seltsam abgehackten Worte.

Die drei lauschten dem Lied, das so langsam und quälend aus dem Lautsprecher drang. Ganz ohne Musik, nur ein Mann, der allein vor sich hin sang.

„Geh mal auf eine andere Frequenz – schnell!“ sagte Mark zu Ben.

Ben drehte am Frequenzknopf.

Und dann kam der Mann zurück, der immer noch sang mit seiner tiefen, kratzigen Stimme.

„Hallo? Hallo?“ plärrte Ben abermals ins Mikrofon.

Das Zirpen und Rauschen wurde schwächer. Dann war plötzlich der Kerl wieder da.

„Nein! Das gibt es doch nicht! Egal welche Frequenz ich einstelle, der Typ ist überall drauf. Er lässt sich nicht ausblenden!“ schrie Ben voller Wut. Er verlor langsam die Beherrschung.

Ben versuchte es noch einmal.

„Bitte verlassen Sie den Kanal!“ flehte er jetzt. „Wir sind in Not und brauchen dringend Hilfe. Man hat uns auf einer einsamen Ferieninsel zurückgelassen. Wir wissen nicht, was passiert ist und warum die Leute weg sind. Bitte, holen Sie Hilfe! Bitte!“

Ben suchte eine neue Frequenz. Aber auch dort war der Mann zu hören.

Wieder eine andere Frequenz. Der Mann sang weiter sein seltsames Lied.

„Verdammt noch mal, aufhören!“ schrie jetzt auch Mark ins Mikrofon. „Seien Sie endlich still!“ kreischte er.

Mary schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber – aber das ist nicht möglich. So was kann es nicht geben!“ murmelte sie verstört vor sich hin.

Und dann hörten sie alle drei über den Lautsprecher, wie der Mann plötzlich zu lachen begann. Es war ein tiefes, kaltes, grausames Lachen.

„Schalte das verdammte Ding aus!“ schrie Mary voller Entsetzen. Doch das Lachen ging weiter, auch dann noch, als Ben den Schalter in die Stellung „Aus“ zurücklegte.

Es war ein eisiges Gelächter, spitz wie ein Eiszapfen, das da von den Wänden der alten Ferienhütte hallte und in ihren Ohren schwang.

Ben, Mary und Mark drehten sich fast gleichzeitig herum und blickten gemeinsam zur Eingangstür rüber. Sie erschraken so heftig, dass sie augenblicklich zu schreien anfingen und am liebsten weggelaufen wären. Aber zwischen Tür und Angel stand ein hagerer Mann, der aussah wie Mr. Bill Allen.

Er verwandelte sich nach und nach in eine echsenartige Kreatur, die jetzt langsam auf die drei völlig verängstigten jungen Leute zuschlich und ihnen im nächsten Augenblick aus einer Distanz von mehr als zwei Metern spontan eine schwarze Säure ins Gesicht spritzte.

Es war der reinste Horror.

Schreiend vor Entsetzen versuchten die drei jungen Leute noch aus dem Zimmer zu fliehen. Aber sie hatten keine Chance. Die Säure des grausigen Ungeheuers zerfraß in sekundenschnelle die Haut und das darunter liegende Fleisch ihrer schreckensverzerrten Gesichter. Sie fraß sich dampfend weiter und legte schon bereits Teile des Gebissknochens frei, bis sie letztendlich zuckend vor Schmerzen einer nach dem anderen zu Boden stürzten und noch an Ort und Stelle qualvoll starben.

Die Bestie aber grunzte zufrieden, als sie sich über die drei warmen Leichen hermachte und genüsslich verspeiste. Zurück blieben nur ein paar Knochen.

Nachdem die fürchterliche Kreatur ihre blutige Fressgier endlich befriedigt hatte, nahm sie einen silberfarbenen, Bumerang ähnlichen Gegenstand zwischen ihre scharfen Klauen und drückte sanft eines der vielen kryptischen Zeichen auf der metallenen Oberfläche, die plötzlich alle rot aufleuchteten. Im nächsten Moment löste sich der Körper des unheimlichen Monsters wie ein sich stetig verblassendes Bild langsam auf. Dann verschwand es im Nichts.

Zurück ließ die Bestie einen Ort des Grauens, wo nur noch Reste von Fleisch und menschlichen Knochen herum lagen.


***

Viel später.

Unter den zahlreichen Passagieren eines modernen Kreuzfahrtschiffes befand sich auch ein großer, hager aussehender Mann in einem langen Sommermantel und einem weiten Sonnenhut auf dem Kopf, der sein bleiches Gesicht verbarg. In seiner rechten Hand hielt er ein silbrig glänzendes Artefakt, das aussah wie ein Bumerang.

„Persönliches Eigentum“ stand als amtlicher Vermerk auf einem kleinen ovalen Zettel, den eine freundlich lächelnde Mitarbeiterin der Bordcrew des Kreuzfahrtschiffes auf den silberfarbenen Gegenstand aufgeklebt hatte.

Als der Mann in seiner kleinen Passagierkabine angekommen war, legte er die Rückenlehne seines Sitzplatzes zurück und verdunkelte den Raum, um sich vor fremden Blicken zu schützen.

Nach einer Weile war er eingeschlafen und manchmal war es so, als würde sich sein menschlicher Körper, wenngleich auch unmerklich für wenige Sekundenbruchteile nur, in die Gestalt eines echsenartigen Monsters verwandeln.


ENDE

(c)Heiwahoe


© Heiwahoe


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