Walter geht jeden Morgen zum Bahnhof. Holt dort eine Gratiszeitung und geht nach Hause. Liest die Zeitung, aber vor allem den Sportteil durch. Lernt die Ranglisten und Tabellen auswendig. So gut es geht. Dafür braucht er fast den ganzen Tag Zeit. Am nächsten Tag hat er einiges schon wieder vergessen. Holt sich eine neue Zeitung. Merkt sich vor allem die Zahlen, das war früher auch so gewesen. Er kennt die Fussballer, die Radfahrer, die Leichtathleten, deren Zeiten und deren Ränge.

Eines Tages, als die Zeitung nicht erscheint, macht sich Walter wieder auf den Heimweg und nimmt seine Uhr hervor. Die letzten 20 Meter bis zu seinem Gartentor rennt er, so gut es geht. Die gestoppte Zeit merkt er sich. Zu Hause nimmt er einen Plan seiner Stadt hervor und trägt die gestoppte Zeit auf dem Plan ein. Am Nachmittag geht er auf den Sportplatz in seiner Nähe. Schaut den Knaben beim Fussballspielen zu. Fragt nach den Resultaten, trägt sie in einer Tabelle ein.

Als Walter stirbt, hängen in seiner Wohnung überall Karten und Blätter mit vielen Zahlen darauf. An seiner Beerdigung nehmen viele Menschen teil, die Walter nur sehr flüchtig gekannt haben.


© René Oberholzer


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