Der Raum sah sehr viel kleiner aus, als er eigentlich war. Doch die Wände waren mit Regalen zugestellt; wo keine waren, bedeckten Karten und bedruckte Seiten die nackte Wand. Im Raum schien es kalt zu sein, eine ganz und gar körperliche Kälte, die weniger dem Raum und mehr dem Winter zuzuschreiben war. Er fror trotzdem, lies den Blick über die Regale schweifen und trug sich mit dem Gedanken, das Fenster zu schließen. War das Fenster geöffnet?
Sein gelangweilter Blick fand Bücher, fand Scherben und kleine, technisch wirkende Gebilde. Karten, nicht nur an den Wänden. Auf einem Schreibtisch, dessen Oberfläche vollkommen überfüllt war. Auch hier Bücher, aufgeschlagene, geschlossene, alte, deren Seiten hauchdünn und vergilbt waren. Federn, Tintenfässer. Er fragte sich, was man noch mit Schreibfedern anfangen mochte. Schreiben? Wohl kaum, heutzutage.
Über dem Schreibtisch hing ein ausgestopfter Falke. Zumindest vermutete er, dass es ein Falke war. Die Flügel ausgebreitet, etwas unstetes in seinen Augen.
In seinen toten Augen, ermahnte er sich. In den Glasaugen. Unter seinem Ast eine riesige Karte, eine alte Karte. Er konnte nicht erkennen, was sie zeigte. Flüsse, Berge, aber sie waren ihm unbekannt.
Langsam wanderten seine Augen an der Karte hinauf, bis er dem Falken wieder in die Augen sah.
Dann wandte er den Kopf ab, mühte sich, verärgert zu sein. Solche Spiele konnten die Augen nur spielen, wenn der Verstand vom Warten ermüdet war, da war er sich sicher. Ein paar Mal wechselte er die Position, musterte erneut die Regale und Wände, aber er fühlte sich beobachtet, und er fror. Konnte man nicht das Fenster schließen? War das Fenster denn offen?
Eine Weile stand er mit dem Rücken zur großen Karte und alle lauten Gedanken konnten nicht das leise Flügelschlagen übertönen. Heftig schlug er die Arme um sich. Solch eine Kälte, und niemand dachte daran, das Fenster zu schließen. Und ihn lies man warten.
Hektisch durchschritt er den Raum, besah sich all die Dinge auf den Regalbrettern ein zweites Mal argwöhnisch, doch keines dieser Dinge schien mit ihm dieselbe Spielchen treiben zu wollen wie der Falke.
Der Falke, der sich hinter seinem Rücken regte. Es war so kalt! Langsam war es ihm zuviel. Er würde das Fenster schließen, sofort. War es denn geöffnet? Er sah sich um und sah dem Vogel in die Augen. Da blinzelte der, er sah mitten in die Falkenaugen, begann zu schreien, und der Falke breitete drohend seine mächtigen Schwingen aus.
Das Fenster war unverschlossen in jener Nacht.


© Stefanie T.


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