Ganz plötzlich und ohne irgendeine Vorwarnung war er in dieser völlig anderen Welt. Aber er war bei Bewusstsein und wusste genau, wer er war. Sein Ich hatte sich nicht verändert, nur die Umgebung.

Wo er vorher gewesen war, daran konnte sich John Carter im Augenblick nicht mehr erinnern.

Wozu auch?

Er empfand nur das Hier und Jetzt als seine ganz persönliche Realität, die allerdings im Moment jeden seiner einzelnen Sinne voll beanspruchte.

Sein Herz pochte auf einmal wie verrückt. Die schweißnassen Finger verkrampften sich zu einer harten Faust, ohne dass er es wollte. Mit versteinertem Gesicht starrte er auf die zersplitterte Zieloptik seines Impulsgeschützes, das auf Ultra-Power-Energie eingestellt war. Einen unerträglich langen Moment tat sich gar nichts. Für John Carter schien die Welt um ihn herum stillzustehen, wie eingefroren in einem dicken Eispanzer.

„Hat sich der Schuss überhaupt gelöst?“ fragte er sich unbewusst mit lauter Stimme und schaute dabei auf die leuchtend blaue Anzeige, die sich direkt vor ihm befand. War er möglicherweise doch noch gescheitert? Diese stille Frage schoss ihm immer wieder durch den Kopf.

Auf dem bernsteinfarbenen Sensortastenfeld erschien in regelmäßiger Folge blinkend das tiefrote Leuchten eines Startsymbols, mit dem er den gewaltigen Energiestoß noch vor ein paar Sekunden auf seine Reise geschickt hatte. Hoffte er jedenfalls. Verzweifelt wartete John Carter auf eine Antwort, die durch ein grünes Bestätigungslicht gleich neben der Abschusstaste angezeigt werden sollte.

Aber es tat sich einfach nichts.

Dann gab es schlagartig ein fürchterliches Getöse. John Carter schrie auf. Im nächsten Augenblick wurde er nach hinten gerissen und sein ungeschützter Kopf krachte mit heftiger Wucht gegen eine metallene Zwischenwand. Benommen sackte er zu Boden, wo er kraftlos liegen blieb. Unheimliche Kräfte zerrten jetzt an jeder einzelnen Faser seines Körpers und überall tanzten kleine bläulich aussehende Flämmchen wie Elmsfeuer an ihm herum.

Carter öffnete, vom Aufprall noch ganz benommen, seine Augen. Mit verschwommenem Blick suchte er die Umgebung ab. Sein trübes Bewusstsein war mit der plötzlich einsetzenden Bilderflut total überfordert. Er schaffte es nicht, alles zu einem konkreten Gesamtbild zusammenfügen, was eigentlich genau passiert war.

Ein gurgelndes Stöhnen drang aus seinem Mund. Seine Arme und Beine zuckten unkontrolliert hin und her und entzogen sich jeder willentlichen Kontrolle. Dicke Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, die über sein mit tiefen Falten überzogenes Gesicht rannen, das durch den heftigen Schlag blass und eingefallen aussah. Seltsam war nur, dass er keine Schmerzen spürte. Aber darüber machte er sich im Moment keine Gedanken.

John Carter bewegte sich kaum und wartete so lange, bis er seine Kräfte einigermaßen zurück gewonnen hatte.

Endlich konnte er sich mühsam aufrichten.

Dann ging alles sehr schnell und es kam ihm so vor, als hätte man ihn auf einmal mit Adrenalin vollgepumpt. Woher diese plötzliche Kraft kam, konnte er nicht sagen. Sie war einfach da. Zwar zitterten seine Knie immer noch, aber er konnte sich dennoch relativ gut auf den Beinen halten.

Der geballte Energieschuss war also doch rausgegangen. Auf der Sensorkonsole leuchtete jetzt ein grünes Dauerlicht, das als Bestätigung für einen erfolgreichen Austritt der gigantischen Energieladung galt.

Das es so lange gedauert hatte schrieb John Carter im Nachhinein den umfangreichen Modifikationen zu, die er in letzter Zeit an der komplizierten Elektronik vorgenommen hatte, um seinen verzweifelten Plan doch noch in die Tat umsetzen zu können.

Es war ein Plan, der sich in der Theorie ziemlich einfach anhörte, praktisch aber jedoch eine Menge Unwägbarkeiten aufwies.

Seine gnadenlosen Verfolger, die Jäger von Vendor, hatten ihn auf dem Planeten Strahtos II entdeckt, wo er sich in einer uralten, aber immer noch intakten Verteidigungsanlage seit einiger Zeit versteckt hielt. Hier glaubte er sich sicher.

Dennoch hatten ihn die Jäger von Vendor hier aufgespürt und gefunden, was John Carter irgendwie irritierte, weil diese einst sagenhafte Abwehranlage durch ein raffiniert ausgeklügeltes Tarnschild, das sich täuschend echt an die Umgebung anpassen konnte, so gut wie unsichtbar gemacht wurde. Ein Erkennen war schwierig.

Wie auch immer, jetzt musste er sich erst einmal die intergalaktischen Jäger vom Hals halten. Und das war ihm anscheinend, nach neuestem Stand der Dinge, gründlich gelungen.

Mit Tränen gereizten Augen starrte John Carter auf den riesigen Monitor an der gegenüber liegenden Wand. Er verließ jetzt das immer noch vibrierende Energiegeschütz und ging zielgerichtet mit langsamen Schritten auf die gewaltig aussehende Projektionswand zu.

Als er direkt davor stand, hatte er das komische Gefühl, als schwebte er da draußen im All herum. Vor ihm funkelten die Sterne in der Schwärze des Weltraums, die sich überall, aber ungleichmäßig verteilt, in einem überdimensionierten, weiß leuchtenden Fadenkreuz befanden.

Oben links in der Ecke des Großbildschirms erkannte John Carter eine grauschwarze Wolke an einer Stelle, die er noch vor wenigen Minuten mit der Zieloptik der wuchtige Energiekanone anvisiert hatte.

Die Umgebung schien innerhalb der Wolke zu brodeln, fast so, als würden beständig gigantische Eruptionen und Explosionen riesige Mengen an Geröll und Staub nach außen schleudern. Am Rand der dunklen Staubwolke bewegten sich zahlreiche tentakelartige Gebilde wild zuckend hin und her. Das Chaos war perfekt.

Die fürchterliche Energieentladung hatte ihre tödliche Wirkung offenbar nicht verfehlt. Seine schrecklichen Verfolger waren vernichtend geschlagen worden und lagen jetzt in Agonie.

John Carter keuchte beim Anblick des Todeskampfes der Jäger von Vendor, die ihn gnadenlos verfolgt hatten. Mitleid empfand er dabei nicht.

Noch jetzt, obwohl sie schon fast so gut wie tot waren, wollten diese grausamen Bestien nicht aufgeben. Mit letzter Energie und Kraft schlugen diese Ungeheuer mit ihren langen Tentakeln wie wild um sich nach allen Seiten. Ja, der zielgenaue Schuss hatte gesessen und seine ärgsten Feinde mit einem einzigen, mächtigen Schlag zerstört. John Carter spürte eine tiefe Genugtuung, denn er wusste, dass sein Überleben vorläufig gesichert war. Nur, wie lange, das würde sich noch herausstellen.

Plötzlich bemerkte er aus den Augenwinkeln heraus einen dunklen Schatten. Er fuhr erschrocken herum. Ein über zwei Meter großer Körper aus silbrig glänzendem Metall trat neben ihn. Im gleichen Moment entspannete sich Carter wieder, denn es war der Androide Sirius, der die so wichtige Aufgabe des Koordinaten- und Zielrechners übernommen hatte, weil die alte Rechenanlage vorübergehend ausgefallen war.

Zu diesem Zweck musste der Androide in den für ihn viel zu engen Geschützraum kriechen und hatte die ganze Zeit darin tapfer ausgehalten, bis die genauen Zielkoordinaten für den komprimierten Energieschuss rechnerisch einwandfrei feststanden.

In der allgemeinen Aufregung hatte John Carten den Androiden allerdings total vergessen, der ihn durch seine plötzliche Gegenwart erschreckt hatte.

„Wir haben es tatsächlich geschafft, John!“ stieß der künstliche Mensch hervor. Seine Stimme klang kratzig metallisch, aber irgendwie zufrieden.

„Ja, wir haben diese verfluchten Dreckskerle erledigt, Sirius! Die haben ein für allemal ihr Leben ausgehaucht. Das war echte Teamarbeit.“

Der Androide nickte behäbig mit dem Kopf und schaute dabei auf den riesigen Monitor an der Wand und sagte nachdenklich:

“Wir haben sie fertig gemacht. Keines dieser grausamen Bestien hat die Energieentladung des Geschützes überlebt. Ich glaube daher, wir sollten uns jetzt eine kleine Pause gönnen und danach das Zeitportal schleunigst neu justieren. Die Jäger von Vendor werden nicht locker lassen, um uns weiter zu verfolgen. Irgendwann werden die nächsten von ihnen kommen und erneut versuchen, uns beide zu liquidieren.“

„Ja, das Spiel mit dem Tod gefällt ihnen. Deswegen werden diese Bastarde nicht locker lassen, bis sie endlich unsere Leichen als Trophäen mit nach Hause nehmen können. Da muss ich dir Recht geben, mein guter Sirius. Wir werden von hier so schnell wie möglich wieder verschwinden und uns ein neues Versteck im Universum suchen, wo sie uns nicht so schnell finden können.“

„John, Ich werde dich umgehend darüber informieren, wenn ich einen geeigneten Planeten für uns beide gefunden habe. Das wird allerdings eine Weile dauern. Da draußen in den unendlichen Weiten des Alls gibt es viele Planeten, aber nur die wenigstens haben eine für dich atembare Atmosphäre.“

John Carter machte eine verständnisvolle Geste und verließ den riesigen Projektionsraum. Noch bevor er in die Ausgangsschleuse trat, drehte er sich zu seinem treuen Androiden herum und antwortete mit ruhiger Stimme: „Ich werde vorsichtshalber die gesamte Anlage auf mögliche Schäden untersuchen und zusätzlich die Speicherkammern der Zeitfeld-Projektoren überprüfen. Das letzte Mal registrierten die empfindlichen Instrumente eine Fluktuation im Zeitfeld-Energiefluss. Ich werde die Toleranzwerte wahrscheinlich etwas erweitern müssen. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich mit der Arbeit fertig bin. Wir treffen uns dann später in der Kommandozentrale der Verteidigungsanlage, Sirius.“

Der Androide nickte mit dem Kopf und wandte sich erneut dem riesigen Bildschirm zu, um den finalen Todeskampf der Jäger von Vendor weiter zu verfolgen. Dann schaute er sich um, ob sein menschlicher Freund auch wirklich gegangen war und setzte schließlich einen geheimen Funkspruch ab, der nur für den Traummeister bestimmt war. Er sollte ihm so schnell wie möglich eine neue Fluchtwelt übermitteln. Doch das war schon längst geschehen, wie er ein wenig erstaunt nachträglich dazu feststellen musste. Der Traummeister war tatsächlich über alles und jedes stets genau informiert und konnte deshalb unverzüglich reagieren.

***

John Carter dachte darüber nach, dass es bei den erforderlichen Zeitsprüngen in die Vergangenheit oder in die Zukunft keine noch so geringen Energieverluste geben durfte, denn dadurch war die große Gefahr gegeben, dass sie ihr einmal anvisiertes Sprungziel möglicherweise verfehlten, mit all den daraus resultierenden, negativen Konsequenzen für ihn und den Androiden Sirius. Jede Fluktuation erzeugte einen unkontrollierten Energieabfluss aus der bereitgestellten Hauptenergie und konnte zur Entstehung eines eigenen Zeitportals führen, das, je nach Menge der zugeführten Energie, unterschiedliche Größenordnungen annehmen und zu völlig anderen Zielen führen konnte.

John Carter betrat jetzt den tunnelartigen Gang und nutzte die nächste Querverbindung, um in das Innere der komplexen Anlage zu gelangen. Auf dem Weg in die gewaltigen Energie-Speicherkammern konnte er die Gelegenheit wahrnehmen, um nachzuschauen, in welchem technischen Zustand sich die Zeitfeld-Projektoren befanden.

Plötzlich hielt John Carter schlagartig inne, als er im Dämmerlicht des Halbdunkeln fast gegen einen harten, hervor stehenden Gegenstand an der Tunnenwand geprallt wäre.

Hier begannen bereits die weitläufig ausgedehnten Vorhallen der Antimaterie-Transformatoren, wie er wusste. Er schob sich deshalb vorsichtig durch eine endlose Reihe von Feldstabilisatoren vorbei, bis er endlich einen diffus ausgeleuchteten Großraum mit einem flimmernden Etwas in der Mitte betrat. Staunend schüttelte er darüber den Kopf.

Es war ein Zeitportal!

John Carter erkannte es sofort. Es war aber viel größer als alle bisherigen, die er vorher gesehen hatte. Auch die Farbe war nicht blau, sondern eher mattgrün und an den Rändern feuerrot wie ein Lavastrom.

Die Energieblase des Zeitportals maß gut an die sechs Meter im Durchmesser. Sie wurde sogar noch etwas größer und füllte bald den kompletten Raum vom Fußboden bis zur Decke aus.

John Carter ging langsam auf das schwebende Zeitportal zu. Er konnte zwei und zwei zusammenzählen. Dieses Zeitportal musste das zufällige Produkt der unbekannten Fluktuationen gewesen sein, die von den empfindlichen Instrumenten angezeigt worden waren.

„Was zum Teufel geht hier vor?“ fragte sich Carter völlig überrascht, als er eine Bewegung in der Energieblase wahrzunehmen glaubte. Ein kalter Schauer rieselte ihm über den Rücken und richtete seine Nackenhaare auf. Er hatte den seltsamen Eindruck gehabt, den Hauch eines Schattens mit menschlicher Gestalt gesehen zu haben, wie sie kurz aus dem Energiefeld heraustrat und plötzlich wieder darin verschwand. Die Gestalt sah aus wie ein Mann mit einer schrägen Kapitänsmütze auf dem Kopf.

John Carter war irritiert. Seine Kopfhaut zog sich schmerzhaft zusammen vor lauter Aufregung.

„Ich glaube, ich sehe schon Gespenster. Das müssen die verdammten Nachwirkungen der heftigen Energieentladung in der Geschützkammer gewesen sein, die mich jetzt immer noch quälen“, sinnierte er mit halblauter Stimme und wandte sich wieder der leicht pulsierenden Zeitblase zu. Noch ein paar Schritte und er stand direkt vor ihr. Er schaute in sie hinein und sah überraschenderweise nicht nur ein paar Bilder der Erdvergangenheit, sondern unendlich viele, die wie im Zeitraffer an ihm vorbei liefen, als ob jemand einen Projektor mit einem Film über die Erdgeschichte eingeschaltet hätte.

John Carter sah in kurzen, aufblitzenden Bilderserien immer wieder neue Landschaften der Erde, die ihm seltsam vertraut vorkamen. Er ahnte tief in seinem Innern, dass er ein Kind dieses schönen Planeten war. Aber woher wusste er eigentlich, dass es die Erde war? Gab es dafür einen ganz bestimmten Grund?

Immer neue Bilder traten in sein Blickfeld. Mal tauchte eine Herde Mammuts auf, die von eiszeitlichen Jägern verfolgt, gejagt und schließlich getötet wurden und dann explodierten riesige Vulkane, die alles verdunklelten.

Die Erdgeschichte lief mal vor und zurück. Es folgte das Zeitalter der Saurier. Ganze Kontinente verschwanden und entstanden neu. Danach zeigten sich mächtige Burgen auf hohen Bergen und Ritter in glänzenden Rüstungen, die mit wehenden Fahnen auf festlich geschmückten Pferden durch das weite Land ritten. Von rechts schob sich ein weiteres Bild in die Mitte des aktiven Zeitportals: Kreuzritter im blutigen Gefecht mit Muselmanen. Es folgten Szenen aus dem Mittelalter der Menschheit mit hungernden und sterbenden Menschen.

Grausame Hexenverbrennungen, die Pest und immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen, die sich bis in die Neuzeit der Geschichte des Menschen hineinzogen. Gewaltige Städte entstanden und verschwanden wieder. Neue wuchsen aus dem Boden empor und gingen wieder unter.

Die meisten Bilder konnte John Carter nur ungenau verfolgen, denn der Durchlauf ging einfach zu schnell vonstatten. Nach einiger Zeit wandte er sich von dem offenen Zeitportal ab, weil ihm schwindlig zu werden drohte.

Unerwartet hallte die metallisch kratzende Stimme des Androiden Sirius durch die röhrenartigen Gänge.

„Hey John? Wo treibst du dich herum? Wo immer du bist, mach dich sofort auf den Weg zu mir! Es eilt!“

Carter erschrak. Denn der Ruf seines Androiden konnte nichts Gutes bedeuten.

Noch einmal warf er einen letzten, flüchtigen Blick auf das Zeitportal. Dann rannte er so schnell er konnte dahin zurück, von wo er gekommen war. Sein Androide wartete bereits ungeduldig auf ihn. Sirius deutete sofort auf eine etwa zwei Meter große Echse mit graugrünen Schuppen hin, die jetzt höchstens vier oder fünf Meter entfernt direkt vor ihnen stand und beide aus hasserfüllt funkelnden Augen tückisch anstarrte.

„Verflucht, ein Sucher der Jäger von Vendor. Wie kommt der denn hier hin?“, kam es John Carter zischend über die Lippen.

Er dachte kurz nach.

Die Bestie muss den Angriff mit der Energiekanone auf das Verfolgerraumschiff irgendwie unverletzt überstanden haben. Wahrscheinlich suchte sie jetzt verzweifelt nach einer Möglichkeit, ihren eigenen Standort mit Hilfe des Hypersenders in der Verteidigungsanlage an die übrigen Jäger von Vendor durchzugeben, um Hilfe herbeizuholen. Diese hässlichen Echsenkreaturen waren echte Kampfmaschinen, die nur darauf aus waren, jeden ihrer Gegner gnadenlos zu vernichten. Nicht selten verspeisten sie auch ihre besiegte Trophäe, am liebsten noch lebend und bei vollem Bewusstsein.

Die kräftigen Beinmuskel der Sucherechse zuckten verdächtig auf und ab. Sie machte sich offenbar zum Kampf bereit. Dann ging alles sehr schnell. Mit einem einzigen mächtigen Sprung landet sie plötzlich auf dem metallischen Brustkorb des Androiden.

Jeder normale Mensch wäre unter der enormen Wucht des Aufpralls sicherlich zu Boden gegangen und hätte sich dabei auf jeden Fall alle Knochen im Leib gebrochen. Doch der Androide besaß eine fürchterliche Kraft, was die Echse nicht ahnen konnte.

Sein ganzer Körper bestand aus einer zwei bis drei Zentimeter starken Schicht Schlaumetalls, das sich nach jeder Verletzung umgehend von selbst wieder reparierte bzw. erneuerte. Sein Skelett bestand aus einem besonders harten Metall, das zudem noch von hochfesten Kohlefaser ummantelt war. Außerdem war seine Schlaumetallhaut hitzebeständig, die bis weit über zweitausend Grad Celsius aushalten konnte. Im Grunde genommen waren diese künstlichen Maschinenmenschen fast so gut wie unzerstörbar.

Die brüllende Echse fiel nach ihrem stürmischen Angriff rücklings zu Boden, drehte sich zurück auf die Beine und schoss sofort ein zweites Mal vor. Sie versuchte, den sich mit Leichtigkeit verteidigenden Androiden zu beißen, um ihre messerscharfen Zähne und Krallen in Sirius künstlichen Körper zu schlagen. Dabei rutschte sie mit ihrem weit geöffneten Maul runter auf den Oberschenkel des künstlichen Maschinenmenschen und öffnete dabei aus Versehen die versteckte Klappe für die schwere Laserpistole des Androiden. Die Waffe glitt heraus und fiel laut polternd zu Boden.

„Verflucht noch mal..., es reicht jetzt!“ schrie plötzlich der Androide genervt, holte zu einem fürchterlichen Schlag aus und traf die wie besessen um sich schnappende Echse direkt am Kopf. Dann fasste Sirius sie blitzschnell an Hals und Oberkörper und schleuderte sie mit brachialer Gewalt zur Seite. Der Echsenkörper schmetterte gegen die innere Metallverkleidung einer Verbindungsröhre, krachte kurz darauf auf den harten Fußboden und blieb dort zuckend liegen. Ein kurzes Röcheln noch, dann erschlafften ihre Glieder.

„Wo kommt die denn auf einmal her? Ist das Monster tot?“ fragte John Carter seinen Androiden Sirius ängstlich.

„Nein, noch nicht ganz. Sie ist nur bewusstlos. Aber ich gebe ihr gleich den Rest mit meinem Strahlenpistole“, antwortete dieser triumphierend und fuhr fort: „Ich weiß auch nicht, wo sie so plötzlich her kam. Sie muss wohl mit sehr viel Glück der abgestrahlten Impulsenergie entkommen sein und später eine der zahlreichen Schleusen der alten Verteidigungsanlage erreicht haben. Offensichtlich wollte sie an den Hypersender gelangen, um eine Alarmnachricht abzusetzen. Wenn ihr das gelungen wäre, würden wir jetzt in großen Schwierigkeiten stecken. Die Jäger von Vendor hätten uns innerhalb weniger Sonnenumläufe unbemerkt aufspüren können und dann sofort getötet. Wir haben wirklich großes Glück gehabt, dass uns die Sucherechse über den Weg gelaufen ist. Wir sollten sie auf gar keinen Fall am Leben lassen, John.“

„Der Meinung bin ich auch. Sie wird es immer und immer wieder versuchen an den Hypersender zu gelangen. Ich möchte, dass du sie erschießt! Sie hat es nicht anders verdient.“

„Ich werde ihr lieber das Genick brechen und sie damit ein für allemal fertig machen. Manche von diesen Biestern haben schon Laserschüsse überlebt. Ich will daher ganz sicher gehen.“

„Wenn du meinst, dann erledige diese abscheuliche Kreatur auf deine Art und Weise, Sirius. Hauptsache ist, sie wird danach tot sein“, gab Carter zur Antwort und nickte dabei mit dem Kopf.

Der Androide trat an den zuckenden Schuppenkörper der Echse und riss ihr mit beiden Händen den Kopf mit einem einzigen schnellen Ruck nach hinten. Es folgte ein ziemlich hässliches Geräusch knackender Wirbelsäulenknochen. Dann fiel ihr schlaffer Körper wie ein nasser Sack zurück vor seine Füße. Ein ekliger Blutschwall stürzte plötzlich aus dem geöffneten Maul der Echse und floss in einem breiten Rinnsal gurgelnd in eine Belüfftungsöffnung am Rand des Ganges.

Schließlich erzählte John Carter dem Androiden davon, was er entdeckt hatte.

„Wir müssen die Zeitblase im Auge behalten. Sie hat Bilder von einem interessanten Planeten gezeigt, der für unser neues Versteck mehr als geeignet zu sein scheint. Ich würde mal sagen, wir packen unsere Sachen und verschwinden endgültig von hier. Die Zeitblase wird aufgrund des Energieverlustes später von ganz allein verschwinden. Selbst dann, wenn die Jäger von Vendor ein zweites Team losschicken sollten, würden sie nicht herausbekommen, wohin unsere Reise gegangen ist.“

Der Androide war der gleichen Überzeugung, wartete daher nicht länger ab, packte alle Sachen zusammen, verstaute sie in einem Kleincontainer und trottete Carter hinterher zur geöffneten Zeitblase, die er entdeckt hatte.

„Es ist besser, wenn wir unseren Zeitvorteil nutzen. Die Jäger von Vendor werden sicherlich sehr lange brauchen, um heraus zu bekommen, wo wir sind. Es ist aber auch gut möglich, dass sie uns überhaupt nicht mehr finden werden. Die Signatur der Zeitblase wird sich auflösen oder in den großen Energiespeicher zurückfließen. Deshalb wird sie keine verdächtige Spur hinterlassen“, sagte Sirius zu John Carter.

„Stimmt! Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Wir sollten uns daher beeilen, solange die Zeitblase noch offen ist. Um einen neuen Zeitsprung mit dem Zeitfeld-Projektoren zu initiieren bräuchte es mehrere Tage. So geht es wesentlich schneller. Außerdem erhalten wir einen ungeheuren Vorsprung, den die Jäger von Vendor nicht so schnell wettmachen können. Hoffe ich jedenfalls. – Also, lass uns gehen, mein Freund!“


***

Das kleine Raumschiff “The Trinity“ wurde von Kapitän Sven Domhart durch die tief verschneiten Bergschluchten eines uralten Gebirges gesteuert.

Es ging vorbei an senkrecht abfallenden, zerklüfteten Felswänden und über ausgedehnte Schneefelder, die bis zum Horizont reichten. Kapitän Domhart hatte ein wettergegerbtes Gesicht, einen kurzen, weißen Bart und seine Kapitänsmütze hing ihm etwas schräg auf dem Kopf, wo auf der blanken Schädeldecke nur noch wenige Haare wuchsen.

Der Kapitän verspürte leichte Kopfschmerzen. Er fühlte sich müde und hatte das Verlangen, sich ausruhen zu wollen. Seine alten Verletzungen machten sich außerdem wieder bemerkbar, die er sich bei einem schrecklichen Absturz mit einem brennenden Luftschiff seinerzeit zugezogen hatte.

Nur knapp war er dem Tode entkommen. Sein Fallschirm hatte sich nicht richtig geöffnet. Zum Glück fiel Domhart damals in einen kleinen See, aus dem er von ein paar beherzten Fischern glücklicherweise gerettet wurde.

Mit Verbrennungen und schweren Knochenbrüchen am ganzen Körper wurde er in ein Krankenhaus gebracht und wieder mühsam zusammengeflickt. Aber dieser Vorfall lag schon lange zurück und war Teil einer komplizierten Geschichte, die stets eine neue Fortsetzung erfuhr, wenn es die Umstände erforderten. Wie auch immer. Es lohnte sich überhaupt nicht, jedes Mal aufs Neue darüber nachzudenken, warum ausgerechnet sein Luftschiff damals abgestürzt war.

Also konzentrierte sich Kapitän Domhart auf seine blinkende Steuerkonsole, denn vor ihm ragten jetzt zwei riesige, eng beieinander stehende Steilwände in die Höhe, durch die er sich mit seinem kleinen Raumschiff durchzwängen musste.

Es war eine alte Abkürzung, die der Kapitän immer wieder gerne als Einflugschneise benutzte, obwohl sie großes fliegerisches Können erforderte. Der Flug durch den engen Felsspalt war zwar sehr gefährlich, aber er reduzierte die Flugdauer um mehr als eine halbe Stunde. Dafür lohnte es sich auch, denn die Kosten für die Hochenergiezellen seines kleinen Raumschiffes waren in den letzten zwei Jahren enorm in die Höhe geschnellt. Deshalb war sparen angesagt und nicht sinnlose Verschwendung wertvoller Energie, die den Profit schmälerte. Jede Abkürzung war daher ein Muss.

Vorsichtig bugsierte Kapitän Domhart die “The Trinity“ durch den schmalen Spalt vorbei an schroffe Felswände, tiefe Spalten und kleinen Wasserfällen, die in den Abgrund rauschten.

Dann tat sich ganz unerwartet ein atemberaubendes Panorama vor dem Kapitän auf. Auf der anderen Seite der schmalen Felsenspalte bot sich ihm eine weite, schneebedeckte Landschaft, die links und rechts von großen, beeindruckenden Bauten gesäumt wurde, vor denen Raumschiffe aller Größenordnungen standen. Ein Kugelraumschiff startete gerade mit eingeschalteten Positionslichtern und verschwand wenige Minuten später hinter einem hohen Bergrücken im tiefen Blau eines wolkenlosen Himmels.

Im gesamten Raumschiffhafen waren Menschen unterwegs, hauptsächlich Bodenpersonal, das die ankommenden Frachtschiffe be- und entluden.


Kap. Domhart drückte den Steuerhebel nach unten und setzte sich mit dem Tower in Verbindung, um seine bevorstehende Landung ordnungsgemäß anzumelden. Es gab Zeiten, da hat er einfach den Einflugkorridor rücksichtslos durchflogen und dabei mehrfach den Flugverkehr erheblich gefährdet. Eine saftige Geldstrafe war danach jedes Mal fällig geworden, und er hat mehr als einmal kurz davor gestanden, dass man ihm die erteilte Fluglizenz wegen dieser gravierenden Vorfälle entziehen wollte.

Aber auch das war schon lange vorbei und solche Fehler würde er heute nicht mehr machen, weil die Programmierung der Träume durch hochmotivierte Spezialisten kontinuierlich verbessert wurde.

Als sich die Nase der “The Trinity“ gerade langsam in die Arretiervorrichtung schob und mit einem deutlich metallischen Knirschen einrastete, blickte Kap. Sven Domhart durch das dicke Panzerglas der Steuerkanzel nach unten auf den Landplatz. Er runzelte nachdenklich die Stirn.

„Was zum Teufel ist denn da los? Das kann doch nicht wahr sein!“ rief er aufgeregt.

Er konnte die sich dort abspielende Szene auf dem Landevorplatz direkt vor seinem Raumschiffe direkt beobachten.

Aus einem der Gebäude lief ein Mann mit einem Lasergewehr in der Hand und schoss wie wild um sich. Zwei Arbeiter, die sich ihm in den Weg stellten, wurden von ihm aus allernächster Nähe erschossen. Andere Personen, die Zeugen des Vorfalles wurden, gingen hinter Hauswänden, kleinen Transportfahrzeugen oder herumstehenden Containern in Deckung. Manche sprangen sogar in irgendwelche mit Wasser gefüllte Gräben und waren froh, in Sicherheit zu sein.

Der Mann mit dem Lasergewehr drehte sich ständig im Kreis und hielt auf alles an, was sich bewegte. Eine Wachmannschaft der Raumhafenpolizei näherte sich der Szene. Es waren insgesamt vier Männer, die an einem der Gebäude entlang gingen und vollkommen ahnungslos zu sein schienen. Erst als sie um die Ecke bogen, bemerkten sie den bewaffneten Mann. Der sah sie sofort und feuerte im nächsten Augenblick auch schon drauf los. Ein roter Energiestrahl löste sich aus der Gewehrmündung und spannte sich zu den Wachmännern hinüber. Zwei der Wachleute brachen kurz darauf zusammen, die anderen zwei hechteten sich in einen rettenden Kellergang.

Ein Mitarbeiter des Bodenpersonals wollte die Situation nutzen und den Schützen von hinten überwältigen. Aber sein mutiger Einsatz kostete ihm das Leben. Vom glühend heißen Laserstrahl getroffen, sackte er brennend neben einem anderen Arbeiter zusammen, der sich vor dem Schützen sofort auf den Boden warf und um sein Leben bettelte. Er durfte wieder aufstehen, doch dann trieb ihn der Mörder im Laufschritt vor sich her wie ein Stück Vieh.

Offenbar kannte der Mann mit dem Lasergewehr sein Ziel ziemlich genau, da er auf eines der zum Start bereit stehenden Raumschiffe losging.

Kapitän Domhart nahm Kontakt mit dem Tower auf und schaltete den Monitor ein. Er bekam umgehend die Bestätigung und ein Offizier des Towers meldete sich bei ihm. Sein Gesicht füllte fast den ganzen Bildschirm aus.

„Was ist bei euch los hier? Da läuft ein Kerl mit einem Lasergewehr durch die Gegend und erschießt wahllos Leute.“

„Hier spricht Major Flint, Sicherheitschef des alpinen Raumhafens „Eisfeld I“. Kapitän Domhart, wir haben einen Notfall. Bleiben Sie in ihrem Schiff und warten Sie ab, bis wir die Situation wieder unter Kontrolle haben. Soldaten sind bereits unterwegs, um den Angreifer unschädlich zu machen.“

„Verstanden, Major Flint. Aber wir müssen jetzt was unternehmen, denn der Kerl ist in eines der Raumschiffe eingestiegen und hat die Luken geschlossen. Das Schiff startet bereits.“

„Mischen Sie sich nicht ein, Kapitän Domhart! Das ist ein Befehl! Meine Männer sind gleich da“, plärrte es aus dem Lautsprecher zurück.

„Ich werde das Raumschiff verfolgen und den Kerl zur Landung zwingen. Ihre Männer kommen zu spät, Major Flint.“

„Ich habe Ihnen doch ganz klare Befehle gegeben. Der Attentäter ist offenbar ein Fehler der Programmierung. Ich...“

Kapitän Domhart hörte nicht mehr hin, was der Major in sein Mikrofon schrie. Er löste per Knopfdruck die Arretierung seines Raumschiffes, drehte es in die gleiche Fluchtrichtung des davonjagenden Transportschiffes, gab Vollgas und nahm die Verfolgung auf.

Die “The Trinity“ war ein sehr schnelles Raumschiff und verfügte über einen Lichtantrieb neuester Bauart. Transportschiffe waren zwar auch schnell, aber wesentlich langsamer als die interstellarfähigen Raumschiffe der Trinity-Klasse, die alle mit schweren Laser-Impulsgeschützen ausgerüstet waren.

Der Kapitän ließ das andere Schiff nicht weit kommen.

Offenbar wähnte sich der Kidnapper in Sicherheit, denn er machte keine Anstalten auszuweichen oder die Geschwindigkeit weiter zu erhöhen.

Dann fauchte eine Salve aus der Impulskanone der “The Trinity“ .

Der Zwillingslaserstrahl traf das obere Heck des Transportraumschiffes, das daraufhin zu trudeln anfing und auf einer riesigen Schneefläche weit draußen vor dem Raumflughafen zur Notlandung ansetzte.

Sofort steuerte Kapitän Domhart hinterher, landete nur wenige Meter neben dem Transporter und richtete seine Geschütze auf die Steuerkanzel des Transportschiffes. Eine seitliche Ausstiegsluke öffnete sich und ein Mann trat mit erhobenen Händen heraus in den tiefen Schnee.

„Lasst mich endlich in Ruhe!“ stammelte der Mann immer wieder und schaute mit angstvollen Blicken um sich. Dann fing er hysterisch an zu schreien. Seine Stimme überschlug sich dabei.

„Ich will hier weg. Versteht ihr denn nicht? Und ihr solltet es auch tun. Flieht, wenn ihr noch könnt. Sie kommen...!“

Kapitän Domhart stieg mit vorgehaltener Waffe aus seinem Raumschiff und ging auf den offenbar verwirrten Mann im Schnee zu. Das Heck des Transportschiffes qualmte wie ein alter Kohleofen. Hellblaue Flammen schlugen aus den abgeschalteten Triebwerken, die aber bald von der automatischen Sicherheitseinrichtung mittels eines Löschgases zischend erstickt wurden.

„Warum lassen Sie mich nicht gehen, Mister? Sie sollten den Raumhafen nicht wieder anfliegen. Bringen Sie sich in Sicherheit oder Sie werden sterben.“

Der Mann starrte den verdutzten Kapitän an. Erst hob er den Kopf, dann ließ er ihn wieder sinken. „Die Jäger von Vendor kommen. Ich weiß es genau. Sie werden uns alle vernichten.“

„Was sagst du da? Die Jäger von Vendor kommen hier her? Und sie suchen ausgerechnet bei uns? Woher willst du das wissen, Mann? Wie heißt du überhaupt?“

„Meine Name ist Vak Torban. Ich arbeite in der Funkzentrale des Raumflughafens. Ich habe zufällig einen Hyperfunkspruch dieser Ungeheuer aufgefangen. Sie verfolgen zwei Personen, die vor ihnen geflohen sind. Angeblich haben sie die Rückstände einer Zeitblasensignatur rekonstruieren können und dabei unseren Planeten ausfindig gemacht, auf denen die beiden Flüchtlinge gelandet sein sollen. Jetzt sind die Jäger von Vendor auf dem Weg zu uns.“

„Mhm, ich danke dir jedenfalls für deine interessanten Informationen. Die anderen werden dir das aber bestimmt nicht glauben. Außerdem sind die Soldaten gleich hier und nehmen dich fest. Du hast dich einiger schwerer Straftaten schuldig gemacht. Dafür werden sie dich vielleicht sogar liquidieren. Ist dir das überhaupt klar, Vak Torban?“

„Lieber tot, als den Jägern von Vendor zu begegnen und ihnen zum Opfer zu fallen. Ich habe mich mit meinem Schicksal schon abgefunden. Was auch immer kommt, ich bin bereit.“

Die Soldaten waren bald mit ihren Düsengleitern da und nahmen den Mann noch an Ort und Stelle fest. Alles musste naturgetreu ablaufen. Auch in einer vom Traumgenerator erzeugten künstliche angelegten Vision.

Nach einer kurzen Wartezeit flog Kapitän Domhart zurück zum Raumhafen „Eisfeld I“, wo er sein kleines Raumschiff wieder im Hangar andockte. Nach einem kurzen Check verließ er das Schiff und eilte schließlich zur Bahnhaltestelle des Raumflughafens, wo er in den Langzug nach Veggart einstieg.

Es herrschte stets viel Betrieb um diese Zeit. Noch immer klangen ihm Vak Torbans Worte im Ohr, dass die Jäger von Vendor auf dem Weg zum Planeten Erde seien. Wenn das stimmt, wird es zu einer Katastrophe kommen und die Welt des Menschen bald in Schutt und Asche liegen. Er musste sich unbedingt mit John Carter treffen, für den er höchstpersönlich verantwortlich war.

Kap. Domhart setzte sich im geräumigen Zugabteil zielstrebig an eines der Panoramafenster, weil er die Aussicht einer fantastischen Umgebung genießen wollte.

Die schlank konstruierte Magnetschienenbahn fuhr ein paar Minuten später los. Zuerst durch einen langen Tunnel, dann ging die Fahrt an tiefen Schluchten vorbei hinein in eine gigantische Felsenkathedrale, deren futuristisch aussehende Stadtteile hell beleuchtet waren. Überall standen Gebäude aller möglichen Größenordnung herum.

Die meisten Dächer waren mit Moos ähnlichen Pflanzen bedeckt, auf denen sogar hier und da Riesenpilze wuchsen.

Die Magnetschienenbahn raste an weitläufig angelegten Garten- und Grünanlagen vorbei, die mit herrlichen Brunnenanlagen ausgestattet waren. Auf breiten Gehbändern ließen sich zahlreiche Menschen entlang der belebten Straßen transportieren oder sie benutzten kleine, einzelne Kabinenbahnen, deren Laufschienen Straßen unabhängig die komplette unterirdische Stadt durchzogen. Viele Kabinenbahnen fuhren direkt bis in die Wohnhäuser hinein, die eigens dafür eingerichtete Bahnhöfe besaßen, wo die Passagiere bequem ein- und aussteigen konnten.

Der Kapitän hatte schon lange nicht mehr eine derart perfekt programmierte Umgebung gesehen. Er ließ deshalb ihre pseudoreale Schönheit auf sich einwirken und genoss sie mit großer Bewunderung und Respekt.

Endlich hielt die Magnetschienenbahn mitten in der Stadt an. Kap. Domhart stieg aus und begab sich in einen Stadtteil, wo sich die Katakomben befanden. Dort wollte er sich mit John Carter und dem Androiden Sirius treffen, die erst vor wenigen Tagen mit Hilfe einer Zeitblase die Erde erreicht hatten.

Auf dem Weg dorthin hatte der Kapitän plötzlich das komische Gefühl, dass der Boden unter seinen Füßen bebte. Sie schüttelte sich so stark, dass er fast umgefallen wäre. Dann war wieder alles so ruhig wie vorher, als wäre nichts geschehen. Schnell ging er weiter und verschwand in einem dunklen Höhleneingang, der hinab zu den Katakomben führte, wo er nach einer Weile auf den wartenden John Carten und den Androiden traf.

„Ich grüße euch beiden“, sagte der Kapitän ungewöhnlich ernst.

„Wir grüßen dich ebenfalls, Traummeister Domhart. Ich hoffe, du bringst keine schlechten Nachrichten mit. Sirius hat die verschlüsselte Botschaft bekommen, und wir sind sofort hierher gekommen, um dich zu treffen.“

„Es ist ausschließlich den Traummeistern vorbehalten, in bestehende Realträume eines Klienten einzugreifen. Besonders dann, wenn für den Träumer eine erhöhte Gefahr besteht, dass er einen tödlichen Schock erleiden könnte, wenn der Traum unvorhersehbar außer Kontrolle gerät. So ein Fall ist eingetreten, Carter. Die Jäger von Vendor sind zu gefährlich geworden. Ich kann sie aufgrund einer Fehlprogrammierung nicht mehr ausschließlich allein kontrollieren, da ihre Macht scheinbar ins Unermessliche gestiegen ist. Irgend etwas ist bei der vorausgegangenen, aktiven Traumgenerierung falsch gelaufen. Da ich der Traummeister bin, werde ich diesen Traum wohl so schnell wie möglich beenden müssen, damit keine unvorhergesehenen Komplikationen eintreten, die keiner von uns wünscht. Jede reale Vision abgebrochen werden, wenn sie eine Gefahr für unsere Klienten ist. Das sind die Regeln, die wir einhalten müssen.“

„Irgendwie schade, Kap. Domhart. Ich wollte eigentlich nur ein nettes Abenteuer erleben und muss mir jetzt allerdings eingestehen, dass die von mir eingebrachten Traumanteile schon fast den Grad der Realität erreicht haben. Ich konnte tatsächlich eine zeitlang zwischen Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden. Leider wurde bei der Traumprogrammierung anscheinend zu viel Gewicht auf das Töten meiner eigenen Person durch die Jäger von Vendor gelegt. Das scheint das ganze Problem zu sein. Außerdem möchte ich nicht durch einen Angstschock sterben. Der Traum muss schon allein deshalb von Grund auf umprogrammiert werden. Das ist leider die Konsequenz aus der Geschichte hier. Sind Sie damit einverstanden, Traummeister Domhart? Ich möchte allerdings noch ein wenig weitermachen und den Rest meine Vision miterleben. – Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.“

„Also gut, Mr. Carter. Sie können vorerst weiter träumen. Aber ich schalte den Traumgenerator umgehend ab, sobald Lebensgefahr für Sie besteht. So sind nun mal die Regeln, die von den Großmeistern der Traumakademie aufgestellt worden sind. Ich ziehe mich vorerst zurück und werde die Sache aber aufmerksam beobachten. Wir sehen uns später in der Halle der Träume wieder, Mr. John Carter.

Nach diesen Worten verschwand der Traummeister Kapitän Domhart von der Bildfläche, als habe sich sein Körper wie ein Geist in Luft aufgelöst.

Kurz darauf veränderte sich die umgebende Landschaft erneut.

***

John Carter wankte durch das Schneegestöber – und hielt verdutzt inne. Er stand plötzlich auf einer weiten Schneefläche, die von hohen Bergen umsäumt war.
Er spürte seinen Herzschlag wie wild pochen. Mit Entsetzen stellte er fest: Die Jäger von Vendor hatten ihn offenbar schon entdeckt!

Eine gigantische schwarze Wolke schob sich über den Horizont und breitete sich über den ganzen Himmel aus. Die Wolke sah so finster und bedrohlich aus, dass selbst der weiße Schnee verblasste. Das pure Böse produzierte sich zu einem riesenhaften Monster, das nur ein Ziel kannte, John Carter zu vernichten.

Die schwarze Wolke wuchs noch weiter und wurde immer größer. Schon bald nahm sie den ganzen Horizont ein. Seltsame Schatten rasten in ihr herum. Hier und da fingerten riesige Tentakel aus dem brodelnden Schwarz. Man hatte den seltsamen Eindruck, als suchten sie die gesamte Umgebung nach jemanden oder etwas systematisch ab.

Welches kranke Hirn erschuf solche Wesen? In Träumen tun sich menschliche Abgründe auf, dachte sich John Carter.
Dann gab es plötzlich eine heftige Erschütterung. Eine Druckwelle raste aus der dunklen Wolke hervor und kam direkt auf Carter zu.

Im gleichen Augenblick entflammte vor der schwarzen Wand ein helles Licht, aus dem der Androide Sirius wie ein Pfeil heraus schnellte. Er näherte sich John Carter mit rasender Geschwindigkeit, stoppte fast ohne Zeitverzögerung, fasste ihn um die Hüfte und zog ihn mit sich in ein von oben kommendes Raumschiff, das vom Traummeister Kapitän Sven Domhart gesteuert wurde.

Der Himmel über dem kleinen Raumschiff färbte sich kurz darauf pechschwarz. Krakenartige Tentakel fingerten daraus hervor und tasteten suchend in der Umgebung herum. Ein gewaltiges Donnern und Knistern war zu hören, als die Antriebsaggregate des Raumschiffes “The Trinity“ losbrüllten, das mit rasender Geschwindigkeit im Nirgendwo verschwand. Danach löste sich die gesamte Szene auf und zurück blieb nur ein winzig kleiner, weiß flimmernder Punkt in einem schwarzen Nichts.

***

„Wach auf, Robert! Hallo, der Traum ist vorbei! Du bist nicht mehr John Carter. Ende und aus. Die Vorstellung ist vorbei“, sagte eine weibliche Computerstimme zu Robert Vanderbilt, dessen Herz immer noch raste.

Nur langsam glitt er in die seine eigene Realität zurück.

Einen Moment lang wurde ihm schummrig vor den Augen. Er hatte sich schon zweimal in diesen schrecklich aufregenden Traum eingeklinkt, aber dieses Mal würde es ein endgültiger Abschied sein. Ein für allemal. Eine Fortsetzung würde es für ihn nicht mehr geben. Das war jetzt klar. Dieser Traum war zu einem einzigen Horrortrip ausgeartet, der ihn fast einen Herzinfarkt beschert hätte.

Robert Vanderbilt blickte um sich. Von seinem Kopf entfernte sich gerade summend eine große, halbrunde Metallhaube, aus der eine Menge flexibler Sensoren lose herunter hingen.

Noch bevor die ganze Einrichtung seitlich weg schwenkte, erhob er sich ruckartig von der Körper angepassten Liege und blieb für einen Moment wie angewurzelt stehen. Sein Gehirn benötigte ein paar Sekunden, um zu erfassen, was geschehen war und wo er sich eigentlich befand.

„Geht es Ihnen gut, Mister Vanderbilt?“ fragte ihn eine sonore Männerstimme, die von einem Mann im weißen Kittel kam, der auf einmal neben ihm stand.

„Ich bin Dr. Domhart und habe leider Ihren kosmischen Abenteuertraum abbrechen müssen. Ihr Puls schoss plötzlich unkontrolliert in die Höhe und ihr Herz raste wie verrückt. Ich fürchtete schon ernsthaft um Ihr Leben, Mr. Vanderbilt. Bitte entschuldigen Sie diese ungewöhnliche Maßnahme, aber sie war zum Schutz Ihrer Gesundheit notwendig geworden. Wenn Sie es wünschen, werden wir Ihnen einen Teil des einbezahlten Geldes zurückerstatten oder für Sie extra einen neuen Traum gratis generieren lassen. Natürlich nur mit Ihrer Zustimmung, Mr. Vanderbilt.“

„Vielen Dank Dr. Domhart. Aber ich möchte vorläufig an keiner Traumsitzung mehr teilnehmen. Vielleicht komme ich zu einem späteren Zeitpunkt auf ihr freundlich gemeintes Angebot zurück. Ich werde Sie rechtzeitig davon in Kenntnis setzen, wenn ich mich anders entschieden habe. Würden Sie mir bitte ein Taxi rufen? Ich möchte so schnell wie möglich zurück in mein Landhaus in den Bergen.“

„Aber natürlich, Mr. Vanderbilt. Mein Androide Sirius wird sofort dafür sorgen, dass Sie ein Taxi bekommen. Er wird Sie persönlich nach Hause fahren. Die Fahrtkosten gehen zu unseren Lasten. Ich freue mich trotzdem schon heute auf ein baldiges Wiedersehen mit Ihnen. Darf ich Ihnen daher von Zeit zu Zeit ein paar interessante Angebote über unsere neuen Traumschöpfungen zukommen lassen? Wenn ja, dann lassen Sie es mich wissen! Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute und eine schöne Zeit“, sagte Dr. Domhart mit lächelnder Miene zu Robert Vanderbilt, der sich ebenso freundlich von dem Traummeister verabschiedete.

Einige Minuten später stieg Mr. Robert Vanderbilt in das wartende Taxi vor der Traumfabrik „Vision Corporation“ ein und ließ sich von dem Androiden Sirius nach Hause chauffieren.

Oben, am regnerischen Himmel zogen mittlerweile dunkle Wolken auf, die aber Gott sei Dank so real waren wie die Zigarette, die sich Mr. Robert Vanderbilt gerade anzündete und genüsslich rauchte.

„Ach, wie schön ist doch die Wirklichkeit“, sagte er leise zu sich selbst und sah dabei aus dem Bullauge des geräumigen Düsentaxis, das gerade die futuristisch aussehende Großstadt verließ und auf einer breiten Autobahn Richtung eines imposanten Gebirges fuhr, wo sein Landhaus lag.

ENDE

(c)Heiwahoe


© Heiwahoe


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Beschreibung des Autors zu "John Carter"

Meine Kurzgeschichte „John Carter“ basiert in gewisser Hinsicht auf den Film „Total Recall von 2012, durch den ich inspiriert wurde. Ich war von der Idee fasziniert, die Realtiät in echte Träume zu verwandeln, wie sie mein Protagonist „John Carter“ erlebt (sog. Mind-Trips).

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