Wir fanden die Erde des Menschen

Unser Raumschiff hatte schon mehrere Lichtjahre im Universum ohne besondere Ereignisse zurückgelegt, als plötzlich der Alarm losging.

Ich wurde von insgesamt fünf Crewmitgliedern als erster aus meinem künstlichen Tiefschlaf geweckt, weil ich der Commandant bin.

Nachdem sich die Panzerglaskuppel surrend geöffnet hatte, brauchte ich einige Minuten zur Orientierung, bis ich wieder voll bei Bewusstsein war.

Dann checkte ich meine gesamten Körperfunktionen durch, die sich alle im grünen Bereich befanden. Ich setzte eine zufriedene Miene auf und verließ die geöffnete Kapsel. Die übrigen Crewmitglieder schliefen noch tief und fest. Ich wollte sie etwas später wecken.

Nachdem ich geduscht hatte, zog ich meinen körperangepassten Raumanzug an und suchte den Steuerraum auf, der sich auf dem oberen Deck des Raumschiffes befand.

Als sich die schwere Sicherheitstür zur zentralen Steuereinheit automatisch öffnete, endete der Alarm und eine weibliche Kunststimme des Zentralcomputers fing kurz darauf an zu sprechen.

„Commander Romolus“, sagte sie freundlich und fuhr gedämpft aber deutlich fort: „Ich begrüße sie herzlich und freue mich, Sie zu sehen. Ich stelle fest, dass Sie den langen Tiefschlaf gut überstanden haben. Nun, ich musste Sie den Vorschriften nach zwingend aufwecken, weil einige Langstreckenantennen der Proxima Centaurius vor etwas mehr als einer halben Stunde ein Sonnensystem entdeckt haben, das eindeutig über einen Planeten mit Leben verfügt. Ich werde Ihnen jetzt alle vorläufigen Daten auf den Zentralbildschirm übertragen, die ich bisher erhalten habe. Doch sehen Sie selbst!“

Nach wenigen Sekunden konnte man auf dem großen Bildschirm im dunklen Schwarz des Universums einen Planeten sehen, auf dem man blaue Ozeane, große Berge mit hohen Gipfeln, saftig grüne Wiesen, weitläufige Wälder und sogar helle Eis- und Schneeflächen an den Polregionen klar erkennen konnte.

Commander Romolus zeigte sich über diese Informationen überaus begeistert und leitete sofort die Weckfunktion der übrigen vier Besatzungsmitglieder ein, die etwas später nach und nach im Steuerraum der Proxima Centaurius erschienen. Nach einer kurzen Begrüßung durch die freundliche Computerstimme nahmen alle ihre Plätze ein und blickten gespannt auf den Bildschirm. Commander Romolus klärte seine Mannschaft über die gemachte Entdeckung auf, die von seiner Besatzung mit lautem Jubel aufgenommen wurde.

Der Zentralcomputer spuckte mittlerweile weitere Informationen aus. Die Oberflächenanalyse zeigte, dass der neu entdeckte Planet große Ähnlichkeiten mit ihrem Heimatplaneten besaß, was nicht nur den Commander in großes Erstaunen versetzte, sondern alle übrigen Besatzungsmitglieder in gleicher Weise.

Rund 70 Prozent seiner Oberfläche waren mit Wasser bedeckt, ergaben die Messdaten. Die Landflächen setzten sich aus riesigen Wäldern, grünen Wiesen, gigantischen Bergen, weiten Steppen und Wüsten zusammen, die von großen Meeren umgeben waren. Die zeitgleich durchgeführten Auswertungen der gasförmigen Atmosphärenzusammensetzung des Planeten zeigten stark erhöhte Kohlendioxid- und Methanwerte an. Aber es gab auch bemerkenswerte Stickstoff- und Sauerstoffanteile, die fast denen ihres eigenen Planeten entsprachen.

Der intensive Scan der Oberfläche zeigte aber keine intelligenten Lebensformen an. Es wurde eigentlich nur üppiges pflanzliches und tierisches Leben entdeckt.

Commander Romolus war mit den eingehenden Daten mehr als zufrieden. Es schien so, als würden die Astronomen seines Heimatplaneten Udilon recht gehabt haben, dass es im schier unendlichen Universums tatsächlich noch andere Planeten mit lebensfreundlichen Bedingungen für ihre Rasse gibt, die als neuer Zufluchtsort für sie infrage kämen. Dieser Planet hier war der eindeutige Beweis dafür. Ihre Forschungs- und Entdeckungsreise durchs All hatte sich auf jeden Fall schon mal gelohnt.


Der Commander ließ die Proxima Centaurius direkt auf die leuchtend blaue Kugel zusteuern und flog, nachdem sie den Orbit des Planeten erreicht hatten, mit einem Shuttle für genauere Analysen runter zu seiner Oberfläche.

Sie landeten auf einer Lichtung innerhalb eines weit ausgedehnten Waldgebietes, das bis zum fernen Horizont reichte.

Als sich das hintere Außenschott langsam mit einem surrenden Geräusch absenkte und auf den mit hohem Gras bewachsenen Boden aufsetzte, traten Commander Romolus mit zwei seiner ausgewählten Crewmitgliedern hinaus ins Freie.

Der Himmel über ihnen war in einem wunderschönen blau getaucht, der nur von wenigen Wolkenfetzen durchzogen wurde. Überall liefen Tiere der unterschiedlichsten Art und Aussehen herum, die sich aber, ängstlich erschreckt durch ihre plötzliche Anwesenheit, im mannshohen Gras vor ihnen zu verstecken versuchten.

Mit gezückten Strahlenwaffen gingen sie alle vorsichtig weiter, bis sie auf einmal merkwürdige Strukturen entdeckten, die sich hinter einer dichten, grünen Wand aus Bäumen, Büschen und Rankgewächsen weit in den Himmel erhoben. Der Commander und seine Begleiter trauten ihren Augen nicht, als sie näher an die Strukturen heran traten.

Es waren Überreste künstlich angelegter Bauten, die über Fenster und Türen verfügten und teilweise sogar noch völlig intakt waren. Hier und da konnte man irgendwelche verrotteten Schriftzüge auf den bröckelnden Hauswänden erkennen. Es gab sogar breite Straßen und Brücken, auf denen überall zerstörte Fahrzeuge zu sehen waren.

Plötzlich ertönte eine krächzende Stimme aus den mitgeführten Funkgeräten, die sicherheitshalber immer eingeschaltet blieben.

„Commander Romolus! Können Sie mich hören? Hier spricht ihr zweiter Offizier Auros Saht. Unsere Scanner haben ganz in ihrer Nähe ein schwaches Signal aus einem Gebäude empfangen, das keine fünfhundert Meter direkt vor Ihnen liegt. Sie sollten sich das mal näher ansehen und eingehender untersuchen. Das empfiehlt jedenfalls der Zentralcomputer. Das erfasste Signal ist allerdings äußerst schwach, was darauf schließen lässt, dass es offenbar schon sehr lange aktiv ist.“

„Ich habe das Signal ebenfalls geortet, Auros. Gute Arbeit! Wir werden das Gebäude aufsuchen, aus dem dieses Signal zu kommen scheint. Im Übrigen können wir allen Erkenntnissen nach eindeutig sagen, dass es hier mal intelligentes Leben gegeben haben muss, weil es dafür schlüssige Beweise gibt. Offenbar haben wir eine zerstörte Stadt entdeckt, die im Prinzip denen auf unserem Planeten ähnlich ist. Die Paralellen sind verblüfend. Unglaublich, aber es ist tatsächlich so.“

Es gab eine längere Funkpause, die eine Weile andauerte, bis der Commander schließlich weitersprach.

„So, wir stehen jetzt vor einer Art Museumsgebäude oder ähnlichem. Scheinbar wird das Signal von dort aus gesendet. Wir melden uns später wieder, Auros. Ich beende das Gespräch vorerst.“

Es knackte ein paar Mal im Helmlautsprecher, dann war Ruhe.

Nachdem der Commander Romolus mit seinen zwei anderen Begleitern das mit Pflanzen aller Art überwucherte Gebäude durch einen breiten, aber baufälligen Eingang betreten hatten, standen sie auf einmal in einer weiten Halle in deren Mittelpunkt eine teilweise mit Moos überwachsene große Glaskuppel stand, die über eine Art von Luftschleuse verfügte, die eindeutig ins Innere der Kuppel führte.

Der Commander wies sein Crewmitglied Holo San an, der direkt hinter ihm stand, den Eingang mit seiner schweren Laserwaffe gründlich zu zerstören, um ihn freizulegen.

Der Waffenführer richtete seinen Blaster umgehend auf den Schleuseneingang und schoß. Kurz danach fielen die wuchtigen Stahltüren der Anlage durch den direkten Laserbeschuss krachend in sich zusammen. Eine Menge Staub wirbelte auf, der die Sicht für einige Zeit total eintrübte. Als er sich gelegt hatte, traten alle drei Männer vorsichtig in das Innere der sonderbaren Glaskuppel, wo sie zu ihrer Überraschung so etwas wie eine supermoderne Computeranlage vorfanden, die offenbar noch zu funktionieren schien. Alle waren mehr als nur erstaunt darüber, eine derart fortschrittliche Technik in dieser alten Ruinenstadt entdeckt zu haben.

Plötzlich und ohne Vorwarnung schaltete sich die gesamte Anlage automatisch ein und fuhr unterbrechunglos hoch. Einige Monitore leuchteten flackernd auf. Überall konnte man es plötzlich surren und knacken hören.

Dann, nach ein paar Minuten der Stille, fing auf einmal eine metallisch klingende Stimme zu sprechen an, was die drei Raumfahrer abermals in ungläubiges Erstaunen versetzte, die mittlerweile ihre Helme wegen der atembaren Luft abgenommen hatten. Der mitgeführte Translator übersetzte die fremde Sprache sekundenschnell in ihre eigene, der mit dem Computer des Raumschiffes in ständiger Verbindung stand und der eigentliche Übersetzer war. Er hatte die Sprache schon vorher logisch analysiert, die er als unkompliziert einordnete.

Stumm standen alle drei Raumfahrer bewegungslos im Raum und lauschten der Kunststimme, die zuerst etwas schleppend einsetzte.

„Wer immer ihr auch seid. Ich habe wichtige Informationen für euch. Ich bin die letzte KI auf dem Planeten Erde und wurde in einer hermetisch von der Außenwelt abgeschirmten Kuppel aus stabilen Panzerglas untergebracht, die mehrere tausend Jahre halten wird. Ich werde von einer Atombatterie gespeist, die sich direkt unter mir befindet und eine noch viel längere Lebensdauer hat, als ich. Ich selbst bin von den letzten Wissenschaftlern des Planeten Erde entwickelt worden, bevor die Menschheit durch ein absolut tödliches Virus sukzessive ausgerottet wurde. Ich sende schon lange ein Signal aus, in der Hoffnung, dass vielleicht einige Menschen irgendwo da draußen überlebt haben könnten, die von mir alle wichtigen Informationen erhalten würden, um wieder neu anfangen zu können. Ihr seid meinem Signal gefolgt, das zu eurem Überleben beitragen wird. Wie es zu dieser Katastrophe damals kam? Auch darüber habe ich etwas zu sagen. In einem Labor entwickelten Biologen des Militärs ein absolut tödliches Virus, welches durch ein Totalversagen der Sicherheitseinrichtungen aus dem betreffenden Forschungslabor nach draußen entkam und sich unkontrolliert rasend schnell unter der gesamten Menschheit ausbreitete. Es gab kein Gegenmittel und das Virus löste eine verheerende Seuche aus, die innerhalb weniger Jahrzehnte alle Menschen tötete. Nun, das ist die Untergangsgeschichte der Menschheit, die einmal diesen Planeten bevölkerte. Diese Informationen wurden von den letzten noch lebenden Wissenschaftlern in meinem Kernspeicher abgelegt. Sie müssen von mir an alle möglichen Überlebenden als wichtige Warnung weitergegeben werden, damit sich so etwas nicht wiederholt. Ich schalte mich immer dann automatisch ein, wenn dieser Raum von Überlebenden der menschlichen Rasse betreten wird. Ich freue mich darüber, noch welche begrüßen zu können. Der Zugriff auf alle meine Daten ist hiermit freigegeben. Über alle Informationen können ab jetzt vollständig verfügt werden. Diese Nachricht wiederholt sich zyklisch alle sechs Stunden.“


„Der Commander Romolus blickte kopfschüttelnd und nachdenklich in die Runde, als er von der Untergangsgeschichte der einstigen Bewohner dieses Planeten hörte. Die KI glaubte doch tatsächlich, sie seien Menschen, die die damalige Katastrophe überlebt hätten.

Nach ein paar Minuten nachdenklicher Stille setzte sich Commander Romolus mit seinem zweiten Offizier Auros Saht in Verbindung, der geduldig im Steuerraum des interstellaren Raumschiffes Proxima Centaurius vor dem großen Bildschirm saß und auf weitere Anweisungen wartete.

„An alle Crewmitglieder! Ihr habt gehört, was hier auf diesem Planeten passiert ist. Das soll für uns ebenfalls eine eindringliche Warnung sein. Auch wir führen immer noch Kriege und betreiben im großen Maßstab Raubbau an der Natur unseres Heimatplaneten Udilon. Wir fliegen zwar zu den Sternen, haben auch eine unglaubliche Hochkultur entwickelt und suchen nach Planeten im Universum, auf denen es Leben gibt, aber wir sind immer noch keine friedliche Rasse geworden. Das haben wir mit den einstigen Menschen der Erde gemein, die hier mal gelebt haben. Wir werden diese furchtbare Untergangsgeschichte zu unseren Politikern und Wissenschaftlern senden, damit unsere Rasse daraus lernen kann, was in Zukunft zu tun ist. Ja, wir werden jetzt die Erde besiedeln und auf ihr eine neue, aber friedlichere Zivilisation der Udilonen gründen. Wir bleiben auf jeden Fall schon mal hier und fangen damit an, diesen Planeten gründlich zu erforschen, bis unsere Kollonisten mit ihren Raumschiffen bei uns ankommen werden. Diese Nachricht hat Dringlichkeitsstatus und muss sofort per Hypersender an die nächste Raumstation der Udilonen gesendet werden. Das ist ein ausdrücklicher Befehl von mir, Auros! Weitere Anweisungen folgen. Ende der Durchsage!

Commander Romolus des interstellaren Raumschiffes Proxima Centaurius“.

ENDE

(c)Heinz-Walter Hoetter


© (c)Heiwahoe


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