Kapitel 4 Der Dämonenengel


Die Gänge des Kerkers waren kalt und teilweise mit Abwasser überschwemmt. Wie sollte ich Benjamin jemals in diesem Wirrwarr von Gängen, Treppen und Türen finden? Der Kerker war größer als ich ihn mir jemals vorgestellt hatte. Als ich begann einen der Gänge hinunter zu laufen hörte ich plötzlich Geräusche hinter mir. Ich fuhr herum, stellte aber zu meiner Erleichterung fest dass es nur ein paar Mäuse waren die einige Meter hinter mir in einem Loch in der Wand verschwanden. Ich atmete erleichtert auf und suchte weiter nach Benjamin.

Am Ende des Ganges fand ich die ersten Türen mit vergitterten Fenstern im oberen Bereich. Doch die meisten von ihnen standen offen und waren somit leer. Doch als ich um eine Ecke bog fand ich eine Zelle die augenscheinlich besetzt war. Vorsichtig stellte ich mich auf die Zehenspitzen und wollte durch das vergitterte Fenster schauen, dabei stieß ich jedoch gegen die Tür und musste, zu meiner Verwunderung, feststellen dass sie gar nicht verschlossen war. Also legte ich meine linke Hand auf den Griff der Tür und drückte sie auf.

Der Raum hinter der Tür war fast vollkommen dunkel. Alles was ich erkennen konnte war ein eisernes Gitter welches den Raum genau in der Mitte in zwei Hälften teilte. Ich sah niemanden. Dem ersten Anschein nach war diese Zelle leer.

Doch nur auf den ersten Blick. Den plötzlich bewegte sich etwas im Halbschatten auf der anderen Seite des Gitters und ich hörte das leise Klappern von eisernen Ketten auf rauem Steinboden, wobei ich etwas erschrak und automatisch einen Schritt zurück machte.

„Habt keine Angst vor mir" sagte eine Stimme die mich entfernt an Musik erinnerte, mir aber gleichzeitig einen Schauer durch ganzen den Körper jagte. Die Tonlage der Stimme klang weder besonders alt noch besonders jung. Zudem konnte ich sie weder einer weiblichen noch einer männlichen Person zuordnen. So blieb mir nichts Anderes übrig als in die Dunkelheit zu blinzeln, stellte meine Beine aber vorsorglich schon mal in Position um im Notfalls schnell aus dieser Zelle flüchten zu können.

Schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. „Wer ist da?" fragte ich und versuchte ruhig zu bleiben. Plötzlich, und vollkommen unerwartet, beugte sich der Besitzer der Stimme so weit nach vorne dass sein Gesicht in das schwache Licht trat welches durch die Tür herein schien.

Es war das Gesicht einer Frau mit langen, weißen Haaren, die in einem schlecht geflochtenen Zopf über ihrer rechte Schulter hingen und unten mit einer, mir viel zu groß erscheinenden, lilafarbenen Schleife zusammengehalten wurden. Ihre Augen waren von einem sehr, sehr, sehr tiefen Blau, fast Schwarz. Alles was sie am Körper trug war ein schlichtes, graugrünes Hemd welches bis knapp über ihre Knie reichte. Um ihre Handgelenke war je eine Eiserne Schelle gelegt von dehnen aus je eine Kette zu der hinter ihr liegenden Wand zu führen schien.

„Wer seid ihr?" fragte ich mit leicht zittriger Stimme, wobei ich merkte das mein Herz schneller zu schlagen begann. Statt einer richtigen Antwort lächelte sie und sagte: „Geteiltes Herz, gebrannt von Freude und Schmerz. Zu gleichen Teilen bewohnen den Geist, Gut und Böse, Feuer und Eis. Was einst ward so verschieden und verdorben, ist in ihr nun eins geworden."

Meine Augen wurden größer. Dieses Gedicht kam mir aus meiner Kindheit bekannt vor. Und ich wusste jetzt auch wenn oder besser gesagt WAS ich hier vor mir hatte. „Der Dämonenengel" flüsterte ich und musste mir Mühe geben nicht zu erschrocken zu klingen.

Er warf mir ein bestätigendes Lächeln zu und nickte.

Dann, ganz plötzlich und für mich vollkommen überraschend, begann er sich zu verwandeln. Er nahm vor meinen Augen seine wahre Gestalt an.

Ich sah wie große, schlapp nach unten hängende Flügel auf seinem Rücken erschien die zu einem Engel gehören könnten, wenn da nicht die schwarzen Federn an den Flügelenden und...die Hörner gewesen wären, die urplötzlich aus seiner Stirn wuchsen, sich nach oben krümmten und so den Eindruck einer Krone vermittelten, die sein Haupt zierte.

„Es erstaunt mich dass ausgerechnet IHR mich besucht....Prinzessin des Silber-Sterns" sprach er weiter. Ich verstand nicht ganz was er meinte. „W-Was?" fragte ich, immer noch erschrocken von dem was ich gerade gesehen hatte. Von einer „Prinzessin des Silber-Sterns" hatte ich noch nie etwas gehört, wer sollte das sein? Ich? Nie im Leben!

Ich musste so schnell ich konnte das Gespräch in eine andere Richtung lenken, zumindest musste ich es probieren.

„Ihr wisst..." begann ich „...wenn ich suche?" Wieder nickte er. „Benjamin sitzt eine Zelle weiter" sagte der Dämonenengel, während er seine Flügel und die Hörner genau so schnell verschwinden ließ wie er sie hatte aufgetaucht lassen. Ich bedankte mich und verließ so schnell ich konnte diesen Raum wieder.

Erst als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte merkte ich wie sehr mir meine Beine zitterten. Diese Begegnung hatte mir einen gehörigen Schauer über den Rücken gejagt.

Doch ich beschloss trotzdem nach zu sehen ob das was er gesagte hatte der Wahrheit entsprach.

Tatsächlich war die Zelle neben der des Dämonenengels besetzt. Die schwere Holztür war sorgfältig mit einem Riegel aus Metall verschlossen wurden.

Ich schob den Riegel zur Seite, öffnete die Tür und trat anschließend in die Dunkelheit der Zelle.

Kaum hatte ich dies getan sprang plötzlich jemand auf. Ich erschrak derart, dass ich zwei Schritte rückwärts stolperte.

„Benjamin!" sagte ich laut als ich ihn erkannte. „Sora, was machst du hier? Bist du..." setzte er an doch verstummte gleich als ich mit dem Kopf schüttelte. „Nach dem du mich versucht hast zu befreien, hat mich Argon mit nach oben in die Burg genommen. Seitdem kann ich mich frei bewegen." Ich sah wie er erleichtert aufatmete.

Benjamin war mit beiden Händen und Füßen am Boden seiner Zelle fest gekettet wurden. Zwar konnte er aufstehen, doch in die Nähe des Gitters konnte er nicht. Er tat mir mehr als leid. Ich beschloss mit Argon zu reden, er musste Benjamin gehen lassen.

„Ich habe eine Idee" sagte ich zu Benjamin. Dieser blickte auf. „Was meinst du?" fragte er und sah mich mit großen Augen an.

Ich holte einmal Luft und antwortete schließlich: „Ich glaube es gibt etwas was Argon sehr freuen würde und das....nutze ich jetzt aus." „Was hast du vor?" fragte Benjamin. „Warte es ab..." antwortete ich „...wenn alles klappt was ich vorhabe, bist du bald wieder frei."

Mit diesen Worten verließ ich Benjamins Zelle wieder, wobei ich seine Blicke im Nacken fühlte.

Ich machte mich wieder auf den Weg in den oberen Teil der Burg. Dort ging ich in mein Zimmer in dem Miriam schon auf mich wartete. „Ist alles in Ordnung, Lady?" fragte sie mich, als ich herein kam. „Ja" antwortete ich „Wisst ihr wo Argon ist?" „Ja, Lady" antwortete sie und verbeugte sich. Anschließend führte sie mich über den Flur zu einer kleinen Treppe mit 3 Stufen die zu einer niedrigen, hölzernen Tür führte. Ich bedankte mich und trat anschließend in das Zimmer. Argon erschrak sich als er sah dass ich ins Zimmer trat und versteckte ganz schnell etwas in seiner rechten Manteltasche, was er sich anscheinend gerade angesehen hatte. Doch ich hatte gesehen was es war. Mir war klar dass es nur eines gab was sich in dem kleinen, dunkelblauen, mit Samt überzogenem Kästchen befinden konnte.

„S-Sora" sagte Argon und wurde rot im Gesicht, als hätte ich ihn gerade bei etwas peinlichem erwischt. „Ich muss mit euch sprächen" sagte ich. „Natürlich doch" antwortete Argon und bat mich in einem der Sessel platz zunehmen die um einen niedrigen Holztisch in der Ecke des Zimmers herum platziert waren. Auf dem Tisch stand eine kleine Schale mit frischem Obst. Doch für dieses hatte ich keinen Blick.

Nach dem wir uns gesetzt hatten schwieg ich eine Weile. Erst nach etwa 5 Minuten sagte ich: „Eines gleich vorab: Dass ihr mich gefangen gehalten habt, verzeihe ich euch nicht so schnell. Aber darum geht es jetzt nicht. Ich glaube euch dass ihr meine Familie nicht auf dem Gewissen habt, davon bin ich zumindest überzeugt."

„Ok..." antwortete Argon „...aber das war noch nicht alles? Oder?" Ich nickte. „Ich werde euch jetzt zwei Bedingungen stellen, und denkt nicht ich habe nicht gesehen was ihr eben in eurer Manteltasche habt verschwinden lassen, meine erste Bedingung ist: Ihr lasst alle Gefangenen frei, sowohl Benjamin als auch den Dämonenengel."

Argon nickte zustimmend, wobei allerdings ein kurzer Schatten der Verwunderung über sein Gesicht huschte. „Die zweite Bedingung ist, ihr helft mir den richtigen Mörder meiner Familie zu finden und ihn zur Strecke zu bringen." Er schwieg kurz antwortete dann aber: „Ist gut....und jetzt ich." Ich nickte und rückte mit meinem Stuhl zur Seite. Argon stand auf, kam zu mir und kniete sich anschließend vor mir auf den Boden.

„Sora..." sagte er und hielt das Kästchen hoch „...möchtest du mich heiraten?" In dem , jetzt geöffneten, Kästchen funkelte mir ein goldener, mit Juwelen besetzter Ring entgegen, bei dem es sich wohl um den wertvollsten Gegenstand handelte den ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Ob wohl ich mir einen Heiratsantrag bislang wirklich romantischer vorgestellt hatte gab ich die gewünschte Antwort: „Ja."


© koto7001


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