Es war wie jedes Mal in einer Vollmondnacht: Ich hatte mich von Zuhause aus, zum Zaun des kleinen Friedhofs begeben, der direkt an die alte Kirche meines Heimatdorfes grenzte. Was ich hier wollte wusste ich selber nicht so genau, doch jeden Monat aufs Neue zog es mich hier her. Es war wie eine Stimme, tief in meinem Inneren welche leise, aber deutlich nach mir rief und mich aufforderte hier her zu gehen. Und dies ganz Alleine!

Alles was ich normalerweise bei mir hatte war ein kleines, hölzernes Kruzifix, welches noch aus dem Erbe meiner Oma stammte.

Doch in dieser Nacht war alles anders: Ich hatte es Zuhause liegen gelassen und war, nur mit meiner Jacke unter dem Arm, zum Zaun gegangen. Was in aller Welt wollte ich eigentlich hier?

Auf diese Frage wusste ich mir keine Antwort. Ich probierte mir einzureden dass ich nur nach dem Grab meiner Oma sehen wollte, doch dieses befand sich auf der anderen Seite des Friedhofs und nicht hier an der Stelle hinter dem Zaun zu der es mich immer zog.

Das große, schmiedeeiserne Eingangstor, welches den einzigen Zu-und Ausgang des Friedhofs bildete, befand sich nur wenige Schritte von mir entfernt.

Doch bislang hatte ich es in einer derartigen Situation noch niemals durchquert, ich war immer vor dem Zaun stehen geblieben und starrte durch die Stäbe.

Genau vor mir befand sich, abgesehen von ihnen, nur noch ein verwitterter Grabstein auf dem ich außer der Jahreszahl 1903, nicht mehr viel entziffern konnte.

Ich hatte keine Ahnung wem dieses Grab gehörte, doch es zog mich an.

Immer und immer wieder. Meine Augen sahen auf den kalten Stein, als hofften sie mehr als nur diese vier Zahlen lesen zu können, doch so sehr ich mir den Stein auch ansah, mehr gab es auf ihm nicht zu entdecken.

Doch urplötzlich, gerade als ich mich aus dem Bann des Steines lösen konnte und mich enttäuscht und durchgefroren wieder auf den Heimweg machen wollte, hörte ich plötzlich etwas.

Es war eine sehr leise, kaum vernehmbare Stimme, doch für mich war es als wenn sie laut und deutlich nach mir rief.

Verschreckt blickte ich mich um. Als meine Blicke dabei am Tor des Friedhofes kleben blieben, sah ich ihn: Einen großen, dunkel gekleideten jungen Mann.

Er tat nichts. Er stand einfach nur da und blickte in meine Richtung.

Doch plötzlich bewegte sich seine Lippen. Es war nur ein ganz leichter Lufthauch, doch meine Ohren nahmen schwach auf das er meinen Namen sagte.

Der ganze Körper des Mannes war in einen langen, tiefschwarzen Mantel gehüllt, dessen Anblick ich eher in einem historischen Spielfilm erwartete hätte.

„Woher..." sagte ich im Flüsterton und eher zu mir selber „...kennst du meinen Namen?"

Doch da sah ich schon wie er sich langsam in meine Richtung bewegte, der kalte Nachtwind lies den Stoff seines Mantels große Falten schlagen, was überhaupt nicht zu seiner ruhigen Art passte.

Am liebsten hätte ich mich von ihm entfernt, doch mein Körper war wie festgewachsen, während er mir inzwischen so nahe war, dass er mühelos mit einer Hand mein Gesicht berühren konnte.

Ein merkwürdiger, schwerer Duft, welcher mich an Weihrauch erinnerte, ging von ihm aus. Aber ob dieser von seine Kleidung oder sein Körper, welcher unsichtbar unter dem Mantel verborgen war, stammte blieb mir ein Rätsel.

„Ich wusste das du kommen würdest" flüsterte er. Beim Klang seiner Worte lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Am liebsten hätte ich nachgefragt woher er es wusste, doch kam ich gar nicht dazu, den er kam mir mit der Antwort zuvor. „Immer wieder erstaunlich wie leicht sich doch Menschen manipulieren lassen. Gerade dann wenn sie ungeschützt sind." Seine Hand strich einmal sachte über meine Wange, über mein Kinn und anschließend hinab zu meinem Hals und meiner Kehle.

Sofort war mir klar dass es ein riesiger Fehler war mein Kruzifix zuhause liegen zu lassen. Bislang hatte ich den Gerüchten über Untote, welche hier auf dem Friedhof ihr Unwesen trieben keinen Glauben geschenkt, doch wusste ich nun dass es sich dabei um MEHR als nur Gerüchte handelte.

Am liebsten hätte ich mich herum gedreht und wäre davon gelaufen, doch ich war wie festgewachsen. Inzwischen hatte seine Hand mein rechtes Handgelenk umfasst und hielt es fest, was mir ebenso wenig eine Möglichkeit gab mich zu rühren, wie meine Angst, welche mich am Boden festnagelte.

„Ich werde mir nun etwas Zeit mit dir nehmen" sagte er, drehte sich herum und zog mich, immer noch fest am Handgelenk haltend, hinter sich her .

„Nein!" kreischte ich und probierte mich nun gegen seinen Griff zu wehren, was allerdings genauso wenig brachte wie meine verzweifelten Rufe.

Er zog mich an der Reihe von Grabsteinen entlang, hin zu der kleinen Kapelle. Deren schwere, hölzerne Tür stand sperrangelweit offen.

Im Inneren des Gebäudes war es stockdunkel. Alles was ich sah war eine hölzerne Bank und ein Tisch aus Stein, Die Tür flog hinter zu, während er mich zu dem Tisch zog und auf diesem festband.

Wie lächerlich sich meine Gegenwehr für ihn anfühlte.

Die nächsten Augenblicke versuchte ich mich von den Fesseln, welche mich auf dem Tisch hielten, zu lösen, doch es klappte nicht. Doch erst lange nach dem er den ganzen Raum in den Schein von 6 brennenden Kerzen getaucht hatte, welche rings um mich herum in kleinen Nischen an den Wänden standen, beruhigte ich mich, trotz der Tatsache das mir mein Kopf nach wie vor befahl mich in Sicherheit zu bringen.

Statt mich hoffnungslos gegen die Fesseln zu stemmen, weinte ich nun. Ich hatte keine Ahnung was er mit mir vor hatte, doch sicherlich würde es ihm nicht genügen mir nur den Lebenssaft aus den Adern zu ziehen und meinen leblosen Körper anschließend draußen zu verscharren. Nein, so einfach würde er es mir bestimmt nicht machen.

Meine unausgesprochene Vermutung bewahrheitete sich schneller als ich dachte. Seine rechte Hand wischte langsam die Haare an meinem Hals zu Seite, während er sich mit seinem Gesicht zu mir herab beugte. Ich konnte mich nur innerlich auf dass was kam einstellen und hoffen dass es nicht wehtat.

Tatsächlich merkte ich, weniger als 5 Herzschläge später, nur einen leichten Druck an zwei, sich direkt gegenüber liegenden Punkten, auf der rechten Seite meines Halses, welcher zuerst stärker wurde, nur um dann wieder abzunehmen und anschließend zu verschwinden.

Dies jedoch bekam ich nur langsam, am Rande meines schwindenden Bewusstsein mit.

Nur wenige Sekunden später war alles um mich herum dunkel.

Ich wusste nicht wie lange ich ohnmächtig war. Als ich zu mir kam war um mich herum nur schwärze. Ich lag auf einer geraden, weichen Fläche. Es war still. Vollkommen still.

Vorsichtig hob ich meine linke Hand und berührte, nach nur wenigen Sekunden die niedrige Decke, welche mit einem weichen, leicht nachgebenden Stoff, bespannt war.

Binnen Sekunden war mir klar dass ich in einem Sarg lag. Doch wusste ich im gleichen Moment auch wieder was zuvor geschehen war. Ich lebte, aber nicht auf die gleiche Art und Weise wie zuvor. Ich war kein Mensch, der Mann hatte mich gebissen und so zu dem Gemacht, an was ich bislang nicht so recht geglaubt hatte. Ich war nun eine Untote, ein Vampir.

Ende


© koto7001


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Beschreibung des Autors zu "Vampir"

Es war wie jedes Mal in einer Vollmondnacht: Ich hatte mich von Zuhause aus, zum Zaun des kleinen Friedhofs begeben, der direkt an die alte Kirche meines Heimatdorfes grenzte. Was ich hier wollte wusste ich selber nicht so genau, doch jeden Monat aufs Neue zog es mich hier her. Es war wie eine Stimme, tief in meinem Inneren welche leise, aber deutlich nach mir rief und mich aufforderte hier her zu gehen. Und dies ganz Alleine!




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