Der Brunnen der Wahrheit

So tief, so unergründlich, so klar und weit weg.
Immer weiter entfernten sie sich und waren doch so nah.
So laut und doch sehr leise.
So groß und doch so klein, alt oder jung?
Rosa schreckte aus einem unruhigen Schlaf hoch, sie hatte schon wieder diesen Traum. Jede Nacht der Gleiche, so unrealistisch und unwirklich. Wie immer war sie total gerädert und musste sich hochkämpfen. Ihr Pferd Nasil graste neben ihr und schaute sie aus ihren großen und brauen Augen an. Sie hatte eine sehr starke Verbindung zu ihrem Gefährten, spürte tiefe Zuneigung und Stolz. Nasil hatte sich für sie entschieden, sie gehörte Rosa nicht. Bei ihrem Volk war es so, dass Tiere Gefährten waren und keine Haustiere, wie sie es bei den Menschen schon oft gesehen hatte.
Sie schaute sich um und ihr viel auf, dass der Wald schon wieder ein wenig kleiner geworden war, lichter und weniger grün. Das waren die Anzeichen, die es immer wieder zu sehen gab. Es war nicht mehr aufzuhalten, das Verderben. Umso wichtiger war es, dass sie die Prophezeiung entschlüsselte. Sie war kurz davor. Wieder schossen ihr Bilder der jungen Frau durch den Kopf, die sie bei der U-Bahn der Menschen gesehen hatte. Nasil schnaubte und wieherte laut, wieder schaute sie Rosa mit großen, braunen Augen an.
„Du meinst, dass sie wichtig für die Sache sein könnte?“, wandte sie sich an das große, braune Pferd mit der langen schwarzen Mähne. Aber wie sollte sie sie finden?
Von weitem glitzerte etwas so stark, dass sie die Augen zusammenkneifen musste. Was war das?
„Komm, meine Teure. Lass uns mal schauen, was das ist!“.
Gemeinsam ritten sie auf den staubigen Sandwegen. Rechts und links vom Weg waren vertrocknete Büsche und Blumen. Einst waren hier riesige Oasen mit blühendem Leben. Das war schon lange nicht mehr der Fall und es wurde immer schlimmer. Seitdem die letzte Lichtfee verschwunden war, gab es immer mehr solche Flecken auf der Welt und auch in der Welt der Menschen war es nicht besser.
Ab und zu tauchte ein Wolkenfisch auf und verdeckte die Sonne. Sie waren ganz alte Wesen, die man nur noch selten sah. Sie ernährten sich von speziellen Blumen und seit dem das Verderben alles zerstören wollte, gab es leider nicht mehr viel Nahrung für diese wunderschönen Wesen. Ihr schuppiges Kleid glänzte in allen Silbertönen und sie waren sehr sanft und größer als manche Berge.
Hier und da gab es kleinere Oasen, die von allen Lebewesen dieser Welt aus Erholungsort auf der Reise genutzt wurden. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz, dass an diesen Orten absoluter Frieden herrschen sollte aber das wurde nicht mehr so richtig eingehalten. Auch das schrieb Rosa dem Verderben zu. Seitdem die Schergen immer mal wieder ihre Kinder holten, traute keiner keinem mehr so richtig und die einzelnen Dörfer wurden immer mehr verwahrlost.
Das glitzernde Etwas entpuppte sich als kleiner Brunnen, der mit viel Lehm und großen Steinen zusammengehalten wurde. Unten waren etwas Wasser und der Eimer, mit dem man eigentlich das Wasser schöpfen konnte, war verschwunden. Schade, dachte Rosa aber in 100 Meilen kommt die nächste Stadt. Bis dahin würden sie es noch aushalten. Elfen und deren Pferde waren widerstandsfähiger als die Menschen, die mit ihren zarten Körpern nicht viel aushielten.
Rosa wollte sich wieder auf das Pferd schwingen, als sie eine Stimme, eher einen Hauch hörte.
„Nasil, hast Du das auch gehört? Von wo kommt das, benötigt jemand unsere Hilfe?“
„Rosa, erhöre mich. Du musst sie finden und wieder in diese Welt zurückholen. Wir brauchen sie, sie ist unsere letzte Hoffnung.“, erklang eine zarte, hauchende Stimme. Rosa verstand, dieses ist der Brunnen der Wahrheit. Es gab von Ihnen nur noch ein halbes Dutzend, da das Verderben alle zerstören wollte. Einst gab es sehr viele in dieser Welt und sie waren in ihrer Schönheit unübertroffen. Oft glitzerten sie in allen Farben und das Wasser aus ihnen schmeckte so frisch und rein. Aber der Brunnen der Wahrheit hatte auch seine Tücken. Wenn man ihn zu oft besuchte, hörte man eine Stimme, die immer lauter wurde und einen noch lange Zeit verfolgen konnte.
Plötzlich hörte sie von weitem Hufgetrappel, wie von 100 Pferden. Rosa drehte sich um und fluchte. „Mist, das sind die Schergen von Skrill, dem Zauberer und Lakaie vom Verderben.“
Sobald man einen Brunnen der Wahrheit gefunden hatte, wurde ein Zauber ausgelöst und Skrills hatten den Auftrag, ihn zu zerstören. Der Brunnen war durch und durch gut und das missfiel dem Verderben.
Die großen Pferde kamen immer näher und auf ihnen saßen abscheuliche Kreaturen. Sie liefen zwar auf zwei Beinen, wie die Elfen aber das war auch schon alles, was sie gemeinsam hatten. Ihre Ohren sahen wie die von Schweinen aus und ihre Nasen waren lang, damit sie ihre Feinde besser riechen konnten. Die Hände oder vielmehr die Klauen besaßen lange und spitze Krallen. Sie konnten eine Substanz spucken, die einen sofort lähmen konnte. Dann hatten die Schergen alle Zeit der Welt einen bei lebendigem Leib aufzufressen. Die Alten erzählten viele Schauermärchen über die Schergen, damit die Kleinen nicht ohne Schutz loszogen aber Rosa wusste, dass es oftmals keine Märchen waren, sondern der Wahrheit entsprach.
Sie schnappte sich Nasil und ritt den Schergen entgegen, denn ein ausweichen, das war ihr klar, war unmöglich. Außerdem hatte sie sowieso noch eine Rechnung mit den Schergen offen.
Vor vielen Jahren, als das Verderben noch ganz klein war, hatten sie das Dorf ihrer Heimat zerstört und dabei die stärksten Kinder ihres Dorfes gepackt und verschleppt. Keiner wusste, was mit ihnen geschehen war aber die Vermutung lag auf der Hand, dass sie manipulativ zu Schergen des Zauberers ausgebildet wurden und mit falschen Versprechen ausgetrickst worden waren.
Sie schnappte sich ihr langes, goldenes Schwert, welches extra für sie angefertigt worden war und schrie den Schergen entgegen:
„Kommt schon, ihr dreckiges Pack. Kommt und holt mich, wenn ihr euch traut.“
Die Schergen brüllten einen animalischen Schrei und trieben ihre Hochpferde noch weiter an. Schon von weiten fingen sie an zu spucken, damit der Weg voll von dieser Substanz war und Rosa dem ausweichen musste.
Die Hochpferde waren bestialische Kreaturen, die nur zum Töten gezüchtet worden waren. Sie hatten längere Beine als normale Pferde und einen großen Kopf, der mit spitzen Hörner versehen war. Ein Tritt mit den Beinen oder ein Stoß mit dem Kopf konnte einem schnell das Leben auslöschen, allerdings waren sie ohne Reiter blind und das konnte man oft zum Vorteil nutzen. Umso vorsichtiger war Rosa aber sie war so voller Wut und Hass, dass sie Nasil immer weiter antrieb.
Den ersten Schergen erreichte sie spielend und schnitt ihm im vorbeireiten die Kehle durch, sodass er vom Pferd fiel und blutend liegen blieb. Das Hochpferd lief kreuz und quer orientierungslos durch den Wald. Die anderen Schergen kamen immer näher und Rosa versuchte ihnen auszuweichen, als sie einen großen Fehler machte.
Sie hatte dem zweiten Schergen ihr Schwert in den Bauch gerammt, als zeitgleich das Hochpferd seinen großen Kopf drehte und sie mit seinen Hörner am Arm verletzte. Rosa schrie auf und ließ dabei ihr Schwert fallen. Der Scherge lachte teuflisch und versuchte sie zu packen aber Rosa duckte sich und wich aus, dabei stieß sie dem Schergen die Faust ins Gesicht. Der heulte auf und versuchte sie anzuspucken aber er traf nur ein Eichhörnchen, welche panisch versuchte die Flucht zu ergreifen. Rosa wurde von einem anderen Schergen am Kragen gepackt und von Nasil geschleudert. Nasil brüllte auf und versuchte seiner Gefährtin zu helfen, indem sie dem Schergen die Hufen ins Gesicht trat. Dieser taumelte und Rosa nutzte die Gelegenheit, um sich wieder aufzurappeln.

Als sie wieder stand, bemerkte sie, dass sie von mindestens 20 Schergen eingekreist wurde, die sie teuflisch angrinsten. Der größte von Ihnen, der wohl ihr Anführer war, krächzte sie mit seiner heiseren Stimme an: „Rosa, du lebst noch, schön. Ich hatte gehofft, dich wiederzusehen und habe dich vermisst. Du weißt ja sicherlich noch, dass ich noch eine Rechnung mit Dir offen habe?“, und hielt dabei seinen Arm hoch, der ab dem Ellenbogen aus einer Stahlprothese bestand.
„Krz, hast du es noch immer nicht weitergebracht, musst immer noch die Drecksarbeit für Deinen Herren machen?“, Rosas Stimme triefte vor Hohn.
Vor vielen Jahren, als Rosa noch in der Ausbildung war, hatte sie die Mission, ein Dorf weiter von Schergen zu befreien und stieß dabei auf Krz. Sie kämpften und es wäre beinahe schlecht für Rosa ausgegangen, als sie einen Glückstreffer landete und Krz den Arm abschnitt. Der schwor damals Rache, die er jetzt wohl auch bekommen sollte.
„Ich hatte ja gedacht, dass Du schon im Graben liegst und vor dich hin moderst, so schlecht wie Du damals gekämpft hattest. Du hast damals schon wenig Mumm gehabt und auch heute versteckst Du Dich hinter deinen Leuten.“

Krz schaute sie von oben herab an, seine schwarzen Augen musterten sie voll Wut:
„Große Sprüche, lebensmüde und immer noch so schwach. Mit sowas kämpfe ich nicht. Dich überlasse ich gerne meinen Leuten zum üben. Vielleicht kennst Du ja noch Jona? Dieser kleine, blonde Engel, der immer fröhlich und glücklich war und alle zum Lachen brachte?“, er zeigte auf den etwas kleineren Schergen neben ihm.
Rosa blickte voll entsetzen auf den jungen Schergen, der seine Verwandlung noch nicht ganz vollzogen hatte.

„Du Teufel, was habt ihr mit ihm gemacht?“, spie sie voller Wut aus.
„Ich weiß gar nicht, was Du meinst, er sieht doch glücklich aus. Vor allem wird er noch glücklicher sein, wenn er Dir die Kehle durchgeschnitten hat und Dich dann auffressen darf? Oder soll er Dich lieber bei lebendigem Leib auffressen. Mmh, was wäre besser? Jona, sag Du, wie möchtest Du Deine ehemalige Mentorin töten?“
Jona schaute Rosa auf dunkelbraunen Augen an, sagte aber nichts. Er schien mit sich zu hadern, da noch etwas von dem früheren Leben in ihm steckte.
„Jona, es ist alles in Ordnung, die bist nicht schuld. Ich verzeihe Dir!“, wisperte Rosa.
Jona kam langsam auf sie zu, langte nach seinem Schwert und holte aus, als plötzlich eine Lichtkugel über alle schwebte und die Schergen sich nicht mehr bewegen konnten.
Rosa sah sich vorsichtig um, das Gesicht von Krz war zu einer steinernen Fratze verzogen und alle anderen schauten aus hohlen Augen. Langsam erhob sich Rosa, verließ den Kreis, der sie töten wollte, hauchte vorher Jona einen Kuss auf die Wange und ging immer schneller werdend, zu Nasil, der ein paar Meter vor ihr das Geschehen beobachtet hatte.
Was war hier eben geschehen? Welcher Zauber hatte ihr geholfen?


© C. Winkelmann


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Kommentare zu "Die Lichtfee Teil 6"

Re: Die Lichtfee Teil 6

Autor: Michael Dierl   Datum: 20.06.2024 7:39 Uhr

Kommentar: Hi guten Morgen,

Wooowwwww......hast Du sehr gut geschrieben. Kindesentführung erinnert mich an die 25.000 Kinder die Russland der Ukraine gestohlen hat. Einfach grausam. Dazu habe ich ein Bild gemalt aber ein Gedicht darüber finde ich fehl am Platz. Darüber könnte ich allerhöchstens eine Wutrede schreiben. Dein Scheibstil erzeugt bei mir Bilder im Kopf und als Kind habe ich Bücher genau deswegen geradezu verschlungen, weil diese Bilder für mich in meiner Kindheit scheinbar wichtig waren. Meistens habe ich dann auch versucht sie real, also mit Blei- und Buntstift umzusetzen. Das waren dann die ersten Versuche Lesestoff zu visualisieren. Nun bin ich gespannt wie die Geschichte wohl weiter geht. Ich habe noch nicht die ersten Teile gelesen. Muss ich noch nachholen aber ich habe hier einiges zu tun und das geht dann nur wenn ich mehr Zeit finde. Mach weiter so! Achso, eine schöpferische Pause braucht jeder. Mein Roman ist bei Seite 27 auch zum Stocken geraten. Es schleppt sich bis man ca. 150 Seiten geschrieben hat. Ich zeichne lieber als dass ich schreibe deswegen dauert's auch so lange bis ich was fertig habe. Kurzgeschichten von 10 Seiten sind schneller geschrieben! Bis zum nächten Teil!

lg Michael

Re: Die Lichtfee Teil 6

Autor: CWi   Datum: 20.06.2024 13:35 Uhr

Kommentar: @Michael, vielen lieben Dank! Mich freut das so sehr!!!!
Viel Spaß weiterhin beim Zeichnen, da bin ich überhaupt nicht begabt drin und bewundere Leute, die gut zeichnen können! Liebe Grüße Christina

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