Als der hässliche Anführer mir gegenüber auf dem dicken Ast saß, zeigte er mir sein großes Maul mit den spitzen Zähnen und langte nach seiner Axt, die er hinten auf dem Rücken trug.
„Du siehst leckerrrr ausssssssss!“ Er hatte eine grünliche, froschähnliche Haut, die viele Narben zeigte und glotzte mich aus schwarzen Augen dumpf an.
Ich bekam so große Angst, dass ganz tief aus meinem Hals sich ein Schrei sammelte, der aus meiner Kehle hervorbrach. Ich schrie so laut und extrem, wie ich es noch nie gehört habe und erschrak ein bisschen vor mir selber.
Der Anführer schreckte hoch und schaute mich mit einem seltsamen benebelten Gesichtsausdruck an. Aus seinen Ohren floss Blut und als er das merkte, versuchte er sich die Ohren zuzuhalten. Konnte er meinen Schrei nicht ertragen? Also schrie ich noch lauter und lauter. Die Blüten schienen mich dabei zu unterstützen und legte sich wie eine blaue Mauer um mein Herz. Ich war sicher, dass ich das richtige tat.
Das Monster sprang hastig vom Baum und schnell auf sein Pferd, galoppierte mit den Anderen so schnell er konnte davon.
Etwas benommen, kletterte ich vom Baum wieder runter. Ich musste mich erstmal sammeln und darüber nachdenken, was gerade passiert war. Meine Beine zitterten und der Baum mit den blauen Blüten, schien mich anzustarren.
Erst jetzt sah ich, dass der Baum ein Gesicht hatte oder hatte er es mir vorher nur nicht gezeigt?
Plötzlich fing der Baum anzusprechen, er hatte eine tiefe, durchdringende Stimme und sah mich dabei an:

Du bist die Eine, die Eine, die über alles richten wird.
Herrsche über uns und sei gerecht. Lass Deinen Zauber entfalten, lass Dich nicht aufhalten von den
düsteren Mächten, gehe auf die rechte Seite.
HERRSCHE! ENTFALTE!

Die letzten beiden Worte dröhnten so dumpf in meinem Kopf, dass mir ganz schwindelig wurde. Ich machte kurz die Augen zu und als ich sie wieder öffnete, war das Gesicht vom Baum verschwunden.
Um meinen Geist freizubekommen, ging ich zu der Stelle, wo ich aufgeschlagen bin und lehnte mich an den großen Stein. Plötzlich spürte ich wieder diesen Sog, der mich komplett durchwirbelte, sodass mir wieder schlecht wurde.
Ich landete wieder in der U-Bahn-Station, wo ich mit einem Knall auf meinen Allerwertesten schlug.
Die Leute um mich herum, glotzten mich irritiert an, gingen aber ihres Weges.
Ich war vollkommen durcheinander und lief ziellos durch die Straßen, in meinem Kopf herrschte das absolute Chaos. Es gab also neben dieser Welt noch eine andere Welt, eine in der ich mich zuhause gefühlt habe. Und was war das mit meinem Schrei, warum war er so mächtig, dass ich damit diese abscheulichen Kreaturen verscheuchen konnte? Ich hatte keine Ahnung, wer mir dabei helfen konnte. Wieder mal war mein Leben durcheinander…
So in düsteren Gedanken versunken setzte ich schleppend meinen Weg nach Hause fort.
Ich wohnte in einer sehr schönen, grünen Gegend, Bäume und Blumen waren mir schon immer sehr wichtig. Die Natur war für mich einzigartig, dort war ich zuhause. Das waren die Momente, wo ich mich nicht verschroben und fehl am Platze fühlte. Manchmal lief ich stundenlang durch den Wald und war glücklich. Dort redete ich mit den Blumen und Bäumen und in meinen Gedanken antworteten sie mir. Sie sprachen mir Mut zu und bedankten sich, dass ich mich mit ihnen unterhielt. Es fühlte sich alles so echt an und manchmal kam ich mir vor, als wenn ich ihre Beschützerin war. Das machte auch alles Sinn, wenn ich an die letzten Stunden dachte.
Die Tiere und Pflanzen schienen mich zu mögen, ich hatte den sogenannten „Grünen Daumen“. Einmal hatte mein damaliger Freund mir eine Blume mitgebracht, die aber schon sehr vertrocknet war und kaum noch Leben in sich trug. Ich spürte, dass ich sie wieder aufpäppeln konnte und hegte und pflegte sie den ganzen Tag über, da ich eine große Verbindung zu ihr spürte. Sie wurde von mir gegossen, bekam Naturdünger und ich schnitt ihre welken Blätter ab. Ab und zu redete ich mit ihr, ich redete ihr gut zu und versuchte sie aufzubauen. Wenn ich genau darüber nachdachte, fühlte ich mich ihr verbunden. Den nächsten Morgen blühte sie den schönsten Farben und ich war happy!
So in Gedanken versunken, schließe ich meine Tür auf und erschrak bis ins Mark.
Meine schöne Wohnung war komplett verwüstet, alle Türen und Schränke waren aufgerissen und durchwühlt worden. Die Kühlschranktür stand auf und meine Milchflaschen waren auf dem Boden verteilt. Sogar meinen Abfluss in der Küche und im Bad hatten sie auseinandergenommen. Warum? Ich hatte keine großen Wertsachen, habe immer mein Geld zusammengehalten, bei mir gab es also nichts zu holen. Ich überlegte, ob ich in die Wohnung reingehen sollte, ließ es dann aber sein.
Was sollte ich jetzt machen, wie wäre der nächste sinnvolle Schritt. Meine Eltern anrufen? Mein Ex Freund? Meine einzige Freundin auf diesem Planeten?
Ich drehte mich im Kreis, setzte mich auf den Boden und rang mit meinem Atem, Schweißperlen traten mir auf die Stirn und ich war kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Einen Einbruch, hier, in meiner Wohnung, mein Heiligstes.
Plötzlich legte sich eine warme Hand auf meine Schulter und ich erschrak zum zweiten Mal heute bis ins Mark.
„Oh, entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ist alles okay mit Ihnen?“
Sagte eine warme, männliche, sehr männliche Stimme, die mir eine Gänsehaut bescherte. Schnell wischte ich meine Spuren der Tränen von meinem Gesicht und blickte nach oben und… Da war keiner, obwohl ich die Stimme sehr genau gehört und die Wärme seiner Hand genau gespürt hatte.
Nun war es geschehen, ich wurde endgültig verrückt und ich konnte mich gleich selbst in die Irrenanstalt einweisen lassen. Das in der U-Bahn-Station hatte ich mir bestimmt auch nur eingebildet.
Eine Tür weiter hörte ich ein verrücktes Kichern. Das ignorierte ich ab, da mein Kopf mir wieder nur einen Streich spielen wollte!
„Verflixt“, rief ich zum dritten Male heute. Heute scheint sich vieles zu wiederholen. Ängstliche Gedanken kamen in mir hoch, wann ich mich wohl das dritte Mal heute bis in Mark erschrecken würde. Sogar sein Duft hing noch in der Luft, ein unbeschreiblich schöner Duft, nach Wald und frischgemähter Rasen.
„So, Frenny, Du reißt Dich jetzt zusammen und machst einen Schritt nach dem Anderen. Als Erstes rufst Du die Polizei an und dann Lenny. Hier in der Wohnung möchte ich heute auf keinen Fall schlafen“.
Lenny war meine einzige Freundin, die ich schon im Kindergarten kannte. Wir waren uns sehr ähnlich, auch wenn sie weit weniger ängstlich war als ich. Sie hatte die Liebe ihres Lebens in der Schule kennengelernt und rasch vier absolut bezaubernde Kinder bekommen. In ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter ging sie komplett auf und ich freute mich für sie, dass sie so glücklich war.
Oft hatte sie mich beschützen wollen, vor den anderen Kindern aber ich wollte nicht, dass sie auch in die Schusslinie kam und machte es mit mir selbst aus. Oftmals erzählte ich auch gar nichts von den Vorfällen, da sie sich keine Sorgen machen sollte. Lenny war sehr beliebt, weil sie ein sehr sonniges Gemüt hatte, die Meinungen der anderen war ihr aber egal. Ihre Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen und sie wuchs bei ihrer großen Schwester auf. Ich fand nicht, dass die beiden Ähnlichkeit hatten, weder im Verhalten, noch vom Äußeren. Ihre Schwester war ein Biest, oft genug drangsalierte sie Lenny, dann stritten sie sich und manchmal wurde ihre Schwester auch handgreiflich. Lenny war froh, als sie alt genug war, um auszuziehen.

Meine Eltern habe ich nie kennengelernt, da sie mich schon früh zur Adoption freigegeben hatten. Meine Adoptiveltern hielten es aber nicht lange mit mir aus und deswegen wuchs ich in einem Waisenhaus auf. Komischerweise hatte ich keinerlei Erinnerungen an die Zeit mit meinen ihnen.
Die Schwestern hatten mir nur erzählt, dass sehr tölpisch war und oft Tagträumen nachhing. Auch daran konnte ich mich nicht erinnern.

Die Polizei war schnell da, ich wartete vor dem Haus auf den Wagen. Die Beamten waren sehr nett und hilfsbereit. Es waren zwei Polizisten, der eine war etwas älter und fülliger mit einem dichten Vollbart. Der jüngere Polizist war relativ muskulös und sehr gut aussehend mit seinem athletischen Körperbau.
Zusammen gingen wir die Treppen in meine Wohnung nach oben, um eine erste Bestandsaufnahme zu machen. Ich ließ den Beamten den Vortritt, denn in meiner Vorstellung war der Täter noch in der Wohnung und wartete nur auf mich, um mich zu kidnappen. Ich wartete draußen auf die Polizisten.
Der ältere Polizist mit dem Vollbart kam als erstes wieder aus der Wohnung und sah mich zweifelnd und misstrauisch an.
„Junge Frau, hauchen Sie mich bitte mal an.“ Ich verstand die Welt nicht mehr, warum sollte ich hauchen? Hatte ich gestern Knoblauch gegessen und stank aus dem Mund?
„Sie wissen, dass wir deswegen festnehmen lassen könnten?“ Was war los, warum wollte er mich festnehmen. Dachte er, dass ich meine eigene Bude überfallen hatte?
Dann kam der jüngere Polizist aus der Wohnung und sah mich böse an.
„Sowas ist nicht witzig und wir haben genug zu tun als uns mit Falschmeldungen herumzuschlagen. Dieses Mal ist es eine Verwarnung, beim nächsten Mal kommen Sie nicht zu glimpflich davon.“ Mit offenem Mund starrte ich den beiden Polizisten hinterher, wie sie die Treppen herunterstiegen, sich ins Auto setzen und losfuhren. Äh, was war hier gerade passiert? Polizei Dein Freund und Helfer?
Vorsichtig schaute ich in meine Wohnung und traute meinen Augen nicht: Die Bude war komplett aufgeräumt und machte keine Anzeichen für einen Einbruch. Eine Tür weiter hörte ich plötzlich wieder dieses irre Kichern.
Rasch ging ich taumelnd rein, schloss die Tür ab und setze mich auf meine Couch und ließ meinen Blick schweifen. Hier war alles okay, es wurde nicht eingebrochen. Es war nur so, dass ich verrückt werde. Das war das Einzige, sonst nichts.
Schweigend ging ich in mein Schlafzimmer und packte ein paar Sachen in meine Reisetasche, die ich für den Aufenthalt in die Klapse gebrauchen könnte. Ja, eine Selbsteinweisung war das Beste, wer weiß ob ich nicht bald eine Gefahr für die Menschheit werden würde?
Auf meinem Weg zum Bad nahm ich wieder diesen wunderbaren Geruch meines eingebildeten Helfers war: Wald und frischgemähtes Gras. Mein Spiegelbild schaute mir wirr entgegen und meine langen roten Haare stand in alle Richtungen. Ich spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht und hörte wieder diese Stimme:
„Kannst Du mich hören?“
Ich erstarrte zu einer Salzsäule, diese Stimme, da war sie wieder.


Teil 4 folgt!


© C. Winkelmann


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