Der Mond steht hoch und klar über den Wipfeln der dicken, alten Tannen die vom frischen Schnee getarnt, wie ein gewaltiger weißer Wall aussehen. Es ist kalt, das weiß ich, aber dies ist mein neues Metier. Mein Atem steigt mit den Stößen meines Brustkorbes ebenfalls in die Höhe und verliert sich irgendwo im Äther.
Ich denke nach...über mein altes Leben, welches doch eigentlich schon fast vorbei war, obwohl ich noch nicht einmal dreißig bin. Niemand weiß von meiner Entwicklung und was aus mir geworden ist, denn ich schlich mich einfach davon.
Noch vor zwei Wochen war ich siech und krank, musste ständig zur Blutwäsche und war abhängig von lebenserhaltenden Medikamenten und Apparaturen. Seit Ewigkeiten wartete ich auf Spenderorgane, da meine Eigenen schon Jahre lang ihre Tätigkeiten nicht mehr verrichteten.
Leise trat ein Hirsch auf die Lichtung , majestätisch stand er im Mondlicht. Ich sah, dass er mich witterte, aber nicht erkennen konnte. Es wäre ein Leichtes mich über ihn herzumachen, doch ich wollte es heute nicht. Der Tag würde kommen und dann wäre er mein.
Ein leichter Wind kam auf und stiebte den Schnee von den Bäumen. Ich genoß diese Freiheit, die mir wie durch ein Wunder gewährt wurde.
An jenem denkwürdigen Tag, an dem ich ein neues Leben erhalten sollte, ein Leben das sich nicht einmal die Ärzte vorstellen konnten, setzte sich ein großer Rabe an mein Fenster . Das Fenster meines Klinikzimmers war so gebaut, dass wir beide uns gut erkennen konnten. Das seltsame war, dass ich gerade ein Buch über die nordische Mythologie las. Insbesondere kamen dort Odin und seine Raben vor. Ich stellte mir vor, dass dieser Rabe Hugin war, der gerade meine Gedanken las.
Er schaute mir fest in die Augen und öffnete und schloss den Schnabel, so als würde er mir etwas erzählen. In meiner Phantasie , denn ich hatte schon meine OP Tablette bekommen, glaubte ich zu verstehen ,, Wir sind du“.
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Leichtfüßig lief ich die Anhöhe hinauf um meine neue Umgebung zu begutachten. Das Laufen brachte mein Blut in Wallung. Oh mein Gott, wieviele Jahre bin ich nicht mehr gerannt, es wäre mein Tot gewesen.
Ich spürte mein neues Herz mit einer ruhigen und souveränen Kraft ,das Blut durch meinen Organismus pumpen. Mit jedem neuen Schlag wurde ich stärker und stärker. Meine Lebensfreude zerriß mich schier . Ich war von einem armseligen Schrottauto zu einem reinrassigen Lamborghini mutiert, der noch nicht eingefahren war.
Unten im Tal konnte ich einige Fährten ausmachen. Ich kniff meine Augen zusammen… Wolfsfährten. Das konnte ja heiter werden. Egal, ich fühlte mich gegen alles gewappnet.
Dem Hirsch war es wohl nicht geheuer und er verschwand wieder im weißen Untergrund. Ich konnte ihn noch riechen und prägte ihn mir ein.
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Als die Tür aufflog und die Liege hereingeschoben wurde, breitete der Rabe seine Flügel aus und stürzte sich in den Himmel. ,, Hallo Mr. Collo “, sagte eine Stimme < Heute ist ihr Glückstag , sie bekommen heute allerhand neue Organe , alles ganz frisch, quasi aus Freilandhaltung > . Ich hörte wie sie lachte. Dann bekam ich auch schon die Maske übergestülpt und schlief ein.
Während meiner Narkose träumte ich, ich wäre ein alter hohler Baum, in dem ein Neuer heranwuchs, den er mit seiner Rinde umschloss.
Ich schlug die Augen auf und war vom Op Licht geblendet.
erwiderte ich und übertrieb nicht < ich fühle mich jetzt schon viel besser als vor der OP.>
In den nächsten Tagen wurde ich zusehends mobiler und kräftiger. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, jemals so voller Tatendrang gewesen zu sein. Mein Körper hatte die Organe nicht einfach nur angenommen, nein er hatte sie ohne irgendwelche Nebenwirkungen vollkommen absorbiert. So als wären nicht die Alten , sondern die Neuen die ihm zugesprochenen .
Nach einer Woche, waren mein Bewegungsdrang und eine innere Unruhe so stark geworden, dass ich heimlich das Krankenhaus verließ um mich zu betätigen. Ich roch und schmeckte und genoss ein unglaublich neues Gefühl voll Lebensfreude und Power. Ich lief in den Wald , kletterte auf Bäume, befreite mich von meinen Sachen, weil ich mir beengt vorkam.
Dann gestern Nacht , hatte ich die Eingebung mich auf alle Viere niederlassen zu müssen um unbändig durch die Nacht zu rasen. Ich tat es und ich tat es so, als hätte die Evolution mir niemals etwas anderes zugedacht. Gleichzeitig hatte ich das Empfinden, ich müsste frisches Fleisch haben. Noch schauderte ich bei dem Gedanken, aber ich schob ihn nicht so weit weg.
Für einen Tag ging ich noch einmal zurück in die Klinik und fühlte, dass so eine Einfriedung wider meine Natur war.
Und so stehe ich heute hier draußen und glaube, dass ich nie wieder in ein Haus gehe. Ich brauche das hier und den Mond.
Ich lasse mich auf alle Viere nieder und weiß, dass sich etwas animalisches meiner bemächtigt und ich lasse es zu. Meine Sachen lege ich ab, ich will frei von allem sein. Zwei Raben kommen herab und ich ahne, dass es Hugin und Munin sind. < Wir sind du> sagen sie wie aus einem Schnabel.
Da fällt mir ein, dass ich nach der OP eine Schwester fragte, wär denn mein Spender war.
antwortete sie > irgendein Mr. Wulf>….


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Ich starre in den Mond, meine Brust dehnt sich, um sich augenblicklich wieder zu senken und einen Ruf in die Nacht zu entlassen, der alle noch anwesenden Lebewesen augenblicklich verstummen ließ. Nichts versuchte ein Geräusch zu machen, doch während sich in und an mir eine augenblickliche Metamorphose vollzog, hörte, roch und spürte ich alle Geschöpfe der Nacht, die nicht erkannt werden wollten.
Ein unglaubliches Gefühl unbändiger Macht erfasste mich und brachte die Grundfesten meines einstigen Daseins zum Erliegen. Die Veränderungen die mein Körper in diesen Minuten durchmachte hatten nichts menschliches an sich und waren von der Evolution auch nicht vorgesehen. Wer dann, hat mich so verwandelt. Ich wollte es wissen und ich wollte ihm danken .
Das Leben pulsierte in meinen Adern, ich lief und rutschte einen Abhang hinunter auf einen zugefrorenen See. Im Mondschein erkannte ich nun meine neue Natur. Von der Eishaut des See´s spiegelte sich mein Ebenbild, welches genauso wenig Ähnlichkeit mit einem Menschen besaß, wie die Amöbe mit einem Dinosaurier.
Mister Wulf, dachte ich. Ich bin Mister Wulf...


© Michael Dahm


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