Es war ein herrlicher Tag, die Sonne schien warm auf den kurzgeschnittenen Rasen. Kein Lüftchen regte sich. Grillen zirpten und Vögel zwitscherten. Alles war Friede, Freude, Eierkuchen.
Hinter dem modernen Haus lag eine Terrasse mit braun-rötlichen Holzdielen. Von dort aus konnte man durch eine breite Glaswand auf ein Schwimmbecken im Inneren des Hauses blicken. Am Rand einer großen Rasenfläche, die von Hecken gesäumt war, standen zwei Palmen in weißen Kübeln. Der Freundeskreis um Bianca herum, hatte sich zu einem Picknick verabredet bzw. sie hatte alle zu sich eingeladen: Ihre beste Freundin Jasmin, die ihr bei den Vorbereitungen half, Tobi, der einen Hang zu lockeren Sprüchen hatte, sowie Tamara und Sven, die zusammen waren.

Wir saßen an einem Holztisch mit integrierten Sitzbänken. Jasmin hatte bereits gedeckt, weiß-blau karierte Tischdecke. Es sollte ein ganz klassisches Picknick werden, mal abgesehen davon, das wir halt drauf verzichteten, am Boden zu essen. Tobi meinte, er hätte keine Lust auf eine Sauerei mit dem Orangensaft, wie beim letzten Mal. Also lag die Picknickdecke, inklusive ein paar Kissen, etwas abseits und war nur zum chillen gedacht.
Ich konnte das schlecht beurteilen, denn ich war bisher nicht dabei gewesen. Sie hatten mich diesmal überredet. Für gewöhnlich sind organisierte Gruppenaktivitäten nicht so mein Ding, doch Bianca hatte so lange gebettelt, bis ich nachgab. Sie hatte dabei so niedlich jämmerlich ausgesehen.

Es war Biancas Haus und als ich vorhin geklingelt hatte, war keiner gekommen. Bis ich Trottel bemerkt hatte, das die Tür offen war, verging gut eine Minute.
Ich war durch die sauberen, im minimalistischen Stil eingerichteten Räume geschlichen und hatte mich nebenbei ein wenig gewundert. Für Bianca war es nicht feminin genug und zu wenig Deko. Aber es passte zur modernen Bauweise des Hauses, mit den großen Fenstertüren und offener Küche, sowie zweistöckigem Treppenhaus.
Ich war durch die Glastür auf die Terrasse in den Garten getreten. Sie war leer.
Das Picknick fand auf der großen Rasenfläche hinter dem Haus statt, welche von einer u-förmigen, beinahe mannshohen Hecke umgeben war, die sie vom Terrassenbereich abtrennte.
Langsam war ich herangetreten und hatte vorsichtig an der Hecke vorbei geguckt. (Wie schon gesagt, derartige soziale Veranstaltungen sind nicht meins. In einer Gruppe fühle ich mich meistens dezent unwohl.)
„Hey, Marian!“, rief Jasmin da auch schon. Verlegen kam ich hinter der Hecke hervor. Klar hatte sie mich bemerkt. Daraufhin hob auch Bianca den Kopf. Die beiden saßen bereits auf der Holzbank an der anderen Seite des Tisches. Die Vorbereitungen fürs Picknick schienen zudem fortgeschrittenen Stadiums zu sein, wenngleich noch einiges an Futter fehlte.
„Hey!“, rief sie erfreut, wobei man die Grübchen in ihren Wangen sehen konnte. „Setzt dich doch.“
Ich nahm am äußersten Ende der Bank, gegenüber von den beiden Mädchen Platz. Dann starrte ich auf die Tischplatte.

Als Jasmin gerade zu Bianca sagte: „Verteilst du noch das Besteck, Süßling?“, erschien Tobias auf der Bildfläche.
„Na Leute, wie gehts?“
„Hey, Tobi.“, sagte Bianca kauend. Sie hatte sich ein paar saure Gurken in den Mund gestopft.
„Na!“, mahnte Jasmin; dann zu Tobi: „Hallo Tobi. Du könntest eben deine mitgebrachten Sachen hier dazustellen und dann holst du bitte noch Cola von drinnen. Die haben wir vergessen.“
„Nette Begrüßung!“, meinte der belustigt. „Hast du wenigstens auch Cola Zero?“
„Ja klar! Wir nehm doch Rücksicht auf dich.“, antwortete Bianca an ihrer Stelle.
„Thanks. Normale Cola schmeckt scheiße.“, bemerkte Tobi.
Er setzte sich neben mich und gab mir einen Klaps auf die Schulter. „Na, Kleiner? Krieg ich von dir auch ne Begrüßung?“ Er zog kurz die rechte Augenbraue hoch, was ihm ein Grinsen der Mädchen einbrachte. Ich knurrte lediglich.
„Nimms nich persönlich.“, tröstete Jasmin ihn. „Ist nicht so seine Art.“
„Habs gemerkt.“ Er packte seine Sachen aus und stellte sie, systematisch angeordnet, zu den anderen auf die Tischdecke.
„Oh, Muffins!“ Biancas Augen leuchteten. Sie streckte ihren Arm aus. Jasmin hielt ihn fest.
„Musst du jetzt schon alles probieren? Wir haben nicht mal angefangen.“ Bianca zog eine Schnute.
„Du bist nicht meine Mutter.“
„Nein,“, stellte Jasmin amüsiert fest, „aber du bist mein Schatz.“ Liebevoll sah sie Bianca an.
Ich hustete. Kopfschüttelnd stand Tobi auf und ging die Getränke holen.

Er kam wieder zurück, einen gemischten Getränkekasten in der Hand. „Wo bleiben denn Sven und Tamara?“ Bianca sah auf ihre Armbanduhr.
„Die wollten eigentlich jetzt da sein.“
„Ja, sind wir auch.“, konnte man Tamaras Stimme rechter Hand hören. Sie und Sven kamen durch das Gartentor auf der anderen Seite, zwischen sich eine Kühlbox.
„Oh, ich sehe schon: der Nachtisch.“, meinte Tobi, halb erfreut, halb enttäuscht. „Wir haben auch Obst und Fladenbrot.“, sagte Tamara.
„Na und?“, entgegnete Tobi.
„Ja!“, meinte Sven plötzlich. „Und diese verrückte Tante hier hat mich dazu gezwungen, das Obst zu schnippeln.“ „Sei du bloß leise.“ Tamara gab ihrem Verlobten einen Kuss auf die Nasenspitze. Ich sah weg.

Während Sven die Fracht auf dem Boden abstellte und mit dem Ausladen begann, entstand ein durcheinander an Begrüßungen, als Bianca und Jasmin aufstanden, um Tamara als dritte weibliche Labertasche im Kreis willkommen zu heißen. Schließlich saßen alle. Ehe sie noch jemand stoppen konnte, hatte Bianca sich ein Muffin genommen.
„Ich eröffne das Picknick.“, sagte sie mit vollem Mund. „Weil ich bin die Gastgeberin!“ Jasmin seufzte, griff dann aber auch zu. Während sie sich Salat auftat, sagte sie: „Ich hab zwar alles organisiert und koordiniert, aber gut, schlagt zu, Leute.“ Alle übrigen bedienten sich.
„Schließlich sind wir in MEINEM Garten.“, stellte Bianca gespielt empört fest.
„Und er ist wunderschön.“, schwärmte Tamara. Sven nickte.
„Tolles Wetter, heute. Sach mal,“, er wandte sich an Tobi, „wo ist eigentlich Anni?“
„Sie mag ihn doch nicht.“, warf Jasmin ein und machte eine Kopfbewegung in meine Richtung. Ein peinliches Schweigen entstand. Ich versuchte im Boden zu versinken.
„Warum hast du dann nicht sie eingeladen statt ihn?“, wollte Sven wissen. „So ist Tobi ja von seinem Herzblatt getrennt.“
„ICH hab ihn eingeladen.“, stellte Bianca klar. „Und Anni auch. Ihre Sache, wenn sie nicht kommen will.“
Ich seufzte. „Wieder die alte Geschichte?“, fragte Tamara.
„Ich sollte gehen.“, sagte ich schroff. Unfrieden stiften war scheinbar eine Begabung von mir.
„Nein, du bleibst!“, sagten Bianca und Jasmin gleichzeitig. Mist. Offenbar war es nicht so leicht der Situation zu entkommen.

„Ach so.“, meinte Sven nur.
„Hey, es ist ok, Bro.“, sagte Tobi zu mir. „Es bleiben bestimmt Reste über. Dann kann ich mit Anni später noch irgendwo allein hin, zum Ausgleich.“
„Oho!“, kommentierte Jasmin mit hochgezogenen Brauen. „Was hast du denn vor?“ Sie grinste.
„Genau. Er macht sichn ganz romantischen Abend mit ihr.“, warf Bianca ein, dieses Kind.
„Oder ein bisschen mehr als das?“, fragte Sven, die angeheiterte Stimmung übernehmend.
„Och, mal sehen...“, sagte Tobi geheimnisvoll.
Tamara verdrehte die Augen gen Himmel. „Natürlich keine Einzelheiten...“, meinte Sven trocken.
„Ihr erzählt doch auch keine Details, was ihr so treibt.“, erwiderte Tobi.
„Das ist ja auch was anderes.“, flötete Tamara.
„Wo soll das denn was anderes sein…“, fing Tobi an, wurde aber von Jasmin unterbrochen. „Ist gut jetzt, Tobi. Immerhin sitzt hier noch ein Häschen am Tisch.“
„Häschen?!“, fragte Bianca leicht beleidigt.
„Ja, mein Süßling.“, antwortete Jasmin und streichelte Bianca über die pelzigen Ohren, welche vorwitzig oben auf ihrem Kopf, zwischen den Haaren herausschauten.
Was für eine lustige und harmonische Szene, dachte ich. Aber ich gehöre letztendlich doch nicht hierher.

In dem Moment bemerkten die anderen meine fehlende Beteiligung an der Schäkerei. Hatte ja echt lange gedauert.
Sie sahen mich an. Jetzt wünschte ich, sie hätten es gar nicht bemerkt. Ich sah auf meine Hände. Im Gegensatz zu den anderen bin ich blass und in meinen einfarbig schwarzen Klamotten wirke ich wie ein schwarzes Loch in der farbenfrohen Umgebung, die von frühlingshaften Farbtönen dominiert wird. Ich kann das nicht. Ich wusste nicht mal, was ich sagen sollte. Egal, was es wäre, sie würden mich ansehen, als hätte ich irgendein cringy Zeug gelabert.
„Hey Marian, was ist los?“, fragte Tamara. Ich antwortete nicht. Genau solche Szenen hasste ich. Wie konnte sie mich so easy ansprechen, wo sie mich doch gar nicht kannte und heute zum ersten mal in real sah? Was war das denn für eine Art?!
Und sie starrten mich immer noch alle an. Diese Art und dieses Maß an Aufmerksamkeit ist definitiv ungesund.
Weil ich nach gefühlten fünf Minuten immer noch nichts sagte, wandte sie sich an die Gastgeberinnen. „Was ist mit ihm?“
„Och, gar nichts. Esst einfach weiter.“, half Jasmin mir und schnitt ein anderes Thema an. Aber während sie schon längst über andere Dinge weiterredeten, spürte ich immer wieder Biancas Blick auf mir ruhen. Ihr Gesprächsanteil hatte sich auf, nur hin und wieder ein Wort zwischendurch, reduziert. Auf einmal sagte sie, mitten in eine Gesprächspause hinein: „Ich denke er vermisst, wir-wagen-es-gar-nicht-ihren-Namen-zu-nennen.“
„Hä?“, machte Tobi und Tamara und Sven ein etwas höflicheres „Wie bitte?“.
Jasmin deutete wortlos auf mein Halsband.
„Achso, ja.“, meinte Tobi, sich erinnernd. „Seine Herrin.“
„So richtig versteh ich das ja immer noch nicht.“, stellte Sven fest.
„Musst du ja auch nicht.“, sagte Jasmin beschwichtigend.
„Ich find das süß, mit seiner Herrin, mein ich.“, warf Bianca überflüssigerweise ein.
Sven erwiderte etwas und Tamara sagte auch noch was, aber ich hörte nicht mehr hin. Ja, ich vermisste sie, die Eine. Bei ihr wusste ich, wie ich mich verhalten sollte.
Aber hier… Mir fehlte manchmal das nötige Selbstbewusstsein. Ich war irgendwie … allein. Selbst wenn es nett sein konnte, mit „Freunden“ in einer Runde zu sitzen, ich war anders als sie.

Der Himmel war noch immer hellblau mit weißen Wolken, ganz der perfekte Sonnentag, doch seine Ränder waren auf einmal leicht violett geworden. Die Luft flirrte außerdem und ein unterschwelliges Summen drückte sachte auf meine Ohren. Nachdenklich sah ich auf die Bäume neben dem Haus, deren Kronen voller smaragdgelb gesprenkelter Blätter, sich in einem unerwarteten Windstoß bauschten. Überhaupt kam auf einmal mächtig Wind auf.
„Er war nur zwei Meter weg, als ich den Becher…“, hörte ich Tobi, wie von Ferne undeutlich eine seiner Anekdoten zum Besten geben. Bianca und Tamara rissen vor Spannung die Augen auf. Jasmin, welche die Geschichte schon kannte, lächelte in sich hinein.
Was Sven tat, bekam ich nicht mehr mit, denn auf einmal sah ich das Gesicht eines Kobolds in einem der Bäume. Es war graugrün. Er hatte eine spitze lange Nase und tiefliegende, leuchtend grüne Augen. Mit leblosem Blick sah er über den Garten hinweg. Interessant. Ob das der Geist des Baumes war?
„…und als ich ihr hinterherlief - “ Tobi schien inzwischen bei Anekdote Nummer vier angelangt zu sein.
„Seht ihr das?“, fragte ich plötzlich, aus einem Bauchgefühl heraus, laut in die Runde. „Schaut auf den Baum!“
Die Köpfe drehten sich um, dann wieder zu mir zurück. Verwirrt sahen sie mich an.
„Da ist nichts.“, stellte Tamara stirnrunzelnd fest. Sven pflichtete ihr bei. Jetzt hielten sie mich wahrscheinlich für einen verwirrten Schwachkopf. Natürlich, sie konnten es mal wieder nicht sehen.

Da hob sich auf einmal die Scheibe Salami von Biancas Toast und flog, um sich selber kreiselnd über den Tisch hinweg.
„Ähhhhh…“, machten Bianca, Tamara und Sven, wobei sie erstaunlich dumme Gesichter zogen. Tobi und Jasmin dagegen, stand einfach nur der Mund offen.
Alle, blickten sie gebannt auf die Scheibe Salami, als wäre es das erste mal, das sie etwas sehen, was sich nicht so verhält, wie es sollte. Sven rieb sich die Augen.
„Was seh ich da?!“, fragte er fassungslos.
„Das kann nicht sein, das wisst ihr schon, oder?“, meinte Bianca. Und Tobi war komplett sprachlos.

Während Jasmin soetwas, wie ein lang gezogenes „Woooow“ von sich gab, erwiderte Tamara: „Ja, wissen wir. Das … das ist ein interessantes wissenschaftliches Phänomen.“, wobei sie klang, als würde sie ihren eigenen Worten keinen Glauben schenken.
Ich schnaubte belustigt. „Na immerhin seid ihr ausnahmsweise mal nicht blind.“ Sämtliche Anwesenden starrten mich konsterniert an. Aber jetzt hatte ich nicht das Gefühl im Boden versinken zu müssen, ganz im Gegenteil.
„Sag bloß, du siehst sowas öfter?!“, fragte Tobi ungläubig. „Echt? Ich meine, stimmt das?!“, fragte Bianca unterstützend.
„Ja. Jeden Tag.“, sagte ich. Was war daran besonders?

„Vielleicht solltest du dann mal einen Arzt aufsuchen.“, schlug Sven vor. Er runzelte irritiert die Stirn, als die Salami mit einem quietschenden „Uiiiiiiiie“ zweimal um den Tisch herumflog und schließlich vor Bianca in der Luft kreiselnd verharrte. Mit großen Augen starrte diese darauf.
„Ähm, hallo Salami?“, fragte sie.
Da platzten die anderen auf einmal alle heraus. Es war zu komisch, oder vielleicht hielten sie auch die Spannung nicht mehr aus, jedenfalls lachten sie schallend. Verärgert zog ich die Augenbrauen zusammen. Ich kann den Ton von Gelächter nicht leiden.

Der Salamischeibe dagegen, schien es zu gefallen. Sie bekam kindliche Kulleraugen und einen Mund wie ein Karpfen und piepste: „Halloooooo, aber du krieeeegst mich nicht.“
Dann sauste sie mit einem weiteren lauten „Uiiiiiiieee“ weg und flog wie ein, um sich selbst kreiselnder Teller, einmal um den Koboldbaum und schoss dann an uns vorbei, um die Ecke des Hauses, hoch in den Himmel. Mit offenen Mündern starrten die anderen ihr hinterher.
Ein letztes leises „Uiiiiiiieee“ hallte von Ferne durch den Himmel. Mir viel auf, das auch Biancas Augen jetzt violett waren.
„Das war bestimmt ein zimtfarbener Kolibri.“, sagte sie spekulierend. Die anderen nickten bestätigend. Hä? Waren sie jetzt alle plemplem?!
Das Koboldgesicht in der, nun in Blautönen schäumenden Baumkrone grinste.

Ich blinzelte. Und urplötzlich war der Spuk vorbei. Verwirrt blickte ich mich um. Alles war normal, so wie es sein sollte. Die anderen lachten und schwatzen fröhlich.
Jasmin flocht Bianca gerade Zöpfe. „Aua! Das ziept!“, beschwerte sich diese. Ihre flauschigen Ohren zuckten unruhig hin und her. Tobi spielte mit seinem Handy und Tamara fütterte Sven mit einem Stückchen gegrillter Möhre, während sie Jasmin fragte: „Hast du am Sonntag schon was vor?“
Ich vergrub das Gesicht in den Armen. „Oh, schon Schlafenszeit?“, fragte Tobi, vom Handy aufblickend. „Hätte ich das nur früher gewusst!“, meinte er bedauernd, stand auf und streckte sich auf der Picknickdecke aus.


© D.M.


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