Die Gilde des Bösen

© EINsamer wANDERER

»Wie konntest du mich nur mit meiner besten Freundin betrügen?«, schrie eine Ehefrau des namenlosen Dorfes in die Nacht hinaus.

»Habe ich nicht! Du hast das doch nur inszeniert um zu vertuschen es mit meinem besten Freund getrieben zu haben!«

Die Spinnenfee Morrigan saß gemein kichernd auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses und erfreute sich ihrer Bosheit. Einst war dieses Ehepaar ein Musterbeispiel an Liebe und Harmonie gewesen, doch nun hatte die Schurkin es geschafft diese beiden durch Zwietracht zu entzweien und sie somit auf dem Niveau eines durchschnittlichen Ehepaares degradiert. Mit einer unheimlichen Freude sah sie den beiden dabei zu wie die Fassade ihrer angeblichen Harmonie bröckelte und all die unterdrückte Wut und Enttäuschung sich ihren Weg an die Oberfläche bahnte.

Seit Morrigan ihren magischen Ketten entkommen war, wusste sie mit sich nichts anzufangen. Daher manipulierte sie aus purer Langeweile die Leute im Dorf, welches stetig anwuchs. Sie war zwar noch immer eine Bösewichtin doch etwas hatte sich verändert als sie die Hand dieser hünenhaften Amazone ergriffen hatte. Der Drang Böses zu tun war nicht mehr so allmächtig und durchdringend wie sonst. Es war als könne sie sich selbst entscheiden wie boshaft sie sein wollte. Früher hätte sie beispielsweise dieses Dorf für seine bloße Existenz in Asche verwandelt, doch heute reichten ihr kleinliche Streiche. Es war als hätte die kindhafte Natur von Riaens etwas auf sie abgefärbt.

Im Verlaufe des Abends überkam die Spinnenfee ihr allseits bekannter Feind. Egal wie mächtig ein Wesen im Laufe seines Lebens wurde, gegen diesen Gegner kam keiner an und je mächtiger man selber war desto stärker war der Feind. Langeweile. Immerhin ging es in dem Streit nur noch um klischeehafte Dinge wie „Müllraustragen“ und ähnliches. Seufzend machte sich Morrigan auf den Weg zu der besten Zuhörerin im Ort. Die Spinnenfee hatte versucht so etwas wie soziale Kontakte im Dorf aufzubauen, doch viele verabscheuten es mit ihr zu reden. Ihre einzigen Freunde waren immer noch jene drei die sie errettet hatten. Und obwohl sie glücklich war, fehlte ihr etwas, jedoch konnte sie den Finger nicht darauflegen. Schließlich gelangte sie an ihr Ziel. Die Gilde der Helden, so hatte Riaens ihr Haus getauft und dort konnten alle die beiden Kriegerinnen anheuern um ihre Probleme im Alltag zu lösen. Ihre Aufgaben erstreckten sich vom Holzhacken bis hin zum Geleitschutz. Schnell hatten die Amazone und die Elfe einen guten Ruf im Dorf erworben, da sie billig waren und niemanden mehr abknöpften als man selbst bezahlen konnte.

»Hallo, Morrigan«, sagte Jaq, die von ihrer Gebieterin darauf trainiert war von alleine zu grüßen da dies als Höflichkeit von ihr angesehen wurde und sie selbst fand, dass ihre Hülle dadurch freundlicher wirkte. Aber ansonsten war es unmöglich ein Gespräch mit der Elfe zu führen. Riaens hatte früh mitbekommen, dass die Spinnenfee gerne auf einen nächtlichen Plausch zu Jaq rüberkam, doch diese immer sehr einseitig verliefen. Aber bisher hatte die Amazone noch keine Möglichkeit gefunden dies zu bereinigen.

Der Spinnenfee war jedoch deswegen nicht traurig gewesen. Sie leistete Jaq bei ihrer nächtlichen Wache vor der Tür Gesellschaft und solange jemand da war der ihr zuhörte, wodurch die Behauptung widerlegt wurde, dass es sich bei den Monologen der Schurkin um Selbstgespräche handelte, war alles in Ordnung.

»Hey, Jaq. Wie geht´s wie steht´s? Alles Fit im Schritt?«

Die Hülle schaute weiter ohne ein Zucken in der Gegend herum und passte auf, dass nichts passierte.

Morrigan hatte schon mehrfach versucht die Elfe zu manipulieren und zuerst hatte sie auch Angst vor dieser so unheimlich ruhigen Frau gehabt, doch wie es aussah waren diese Hüllen von Natur aus einfach so und gehorchten keinen anderen als ihren Gebietern. Dennoch konnte die Katze das Mäusen nicht lassen und versuchte immer wieder Jaq zu provozieren um wenigsten eine kleine Reaktion zu ernten.

»Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, wie wunderschön dein kahlgeschorener Schädel im Mondlicht glitzert?«

Keine Wirkung. Weder wurde sie rot vor Scham noch wurde ihr Kopf vor Wut rötlich. Mit einem Seufzen beließ die Spinnenfee es dabei. Heute hatte sie keine Lust bei einer ihrer besten Freundinnen für wirkungslosen Unfrieden zu sorgen.

»Weißt du, meine kleine, schwächliche Sterbliche«, begann sie und ihr wurde bewusst, dass sie das Provozieren doch nicht so ganz abstellen konnte, aber sie schraubte es dennoch aus Überdruss auf ein Mindestmaß herunter. »Ich habe euch beide beobachtet. Und das was ihr habt… Ich … Es ist toll, okay?! Puh, jetzt ist es raus. Du musstest dafür aber ganz schön hart auf mich einreden, Elfe, was?«, fragte sie scherzhaft, doch wie sonst auch verpuffte die Wirkung einfach. »Okay, mal ganz davon abgesehen, jedes Mal wenn ich euch sehe merke ich, dass mir etwas fehlt. Doch was es ist, das ist hier die Frage.« Morrigan tippte sich nachdenklich mit einem Finger gegen das Kinn. »Was habt ihr beiden, was ich nicht habe?« Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, als sie zum Gebäude blickte. »Natürlich! Ihr habt eine Gilde und ich nicht. Allerdings kann ich auch nicht so einfach bei euch mitmachen. Immerhin bin ich als Schurkin viel zu schade für ach-so-edle Heldentaten. Ich weiß, was ich nun machen muss: Ich suche mir einen Handlanger und gründe mit ihm meine eigene Gilde! Und danach wird es mir bestimmt besser gehen. Und ich werde mein Haus gleich gegenüber von eurem errichten. Danach werden wir uns gegenseitig versuchen die Kunden wegzuschnappen und dann werden wir uns im gegenseitigen Hass vernichten um am Ende, wenn es zu spät erscheint, zu erkennen, dass wir in Wahrheit noch immer die besten Freunde sind. Oh, man! Das wird so supi! Ich brauche eigentlich nur noch einen Handlanger und ich weiß auch schon wem ich da fragen könnte.«


Trotz der späten Stunde brannte noch Licht bei Mimi, da sie gerne bis spät in die Nacht arbeitete. Sie selbst schien nur ein minimales Bedürfnis nach Schlaf zu haben. In ihre Arbeit vertieft konzentrierte sie sich ganz auf die Formel die sie gerade entwarf und blickte gar nicht auf, als die Spinnenfee durch ihre Wand schwebte.

»Hey, Mimi, ich wollte dich da etwas fragen…«, versuchte Morrigan die Gnomin für sich zu gewinnen, indem sie Spannung aufbaute.

»Nein«, sagte diese entschieden.

»Aber, du weißt doch noch gar nicht was ich will!«

»Kein Interesse.«

»Aber-«

Mimi blickte sichtlich genervt auf und beendete damit das Gespräch. Enttäuscht zog Morrigan von dannen.


Monate vergingen in denen nichts passierte. Morrigan suchte weiter nach einem Helfershelfer, ohne wirklich fündig zu werden. Inzwischen war das Dorf ohne Namen zu einem großen Anlauf für den Seidenhandel geworden, weshalb es viele Menschen gab die als Handlanger für die neue Gilde infrage kamen, doch alle welche die Spinnenfee fragen wollte wurden von ihr verschreckt, da sie ja eine Schurkin war.

Als schließlich der Winter einbrach fand sich die Bösewichtin langsam damit ab, dass der Traum von einer eigenen Gilde ein Traum bleiben würde. Doch dann tauchte eines Tages mitten aus dem Nichts ein Kind auf. Niemand hatte gesehen wie es das Dorf betreten hatte, es schien einfach aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Es war in dicke Felle eingepackt und hatte ein Tuch vor dem Mund um sich vor dem frostigen Wind zu schützen. Morrigan sah wie der frischgefallene Schnee um das Kind von sechs Sommern verdampfte und wie das Gras darunter verdorrte.

»Unheil!«, meinte die alte Gloria hinter der Spinnenfee beschwörend. »Dieses Kind bringt nichts als UNHEIL!!! Es wird unser aller Untergang sein!« Sie redete immer weiter so, zeigte mit dem erhobenen nackten Finger auf das angezogene Kind und näherte sich ihm vorsichtig. Warum wusste niemand, vermutlich aber damit die gemeinte Person es besser verstand. Als würde das Gebrülle an sich nicht schon ausreichen. Gerade als sie bei der üblichen Stelle war: »Dieses Kind wird uns allen den Tod bringen!« und so weiter, da schlug Morrigan der alten Vettel ohne eine Miene zu verziehen den Ellbogen ins Gesicht und warf sie um. Dies tat sie aus zwei Gründen: Erstens ging ihr das ewige Gerede der Alten auf den Senkel und zweitens weil sie es einfach konnte. Sie war ja böse und da machte es nichts alte Damen eine reinzuwürgen wenn diese es scheinbar nicht verdient hatten. Oder selbst dann wenn sie es nicht nicht verdient hatten.

Das Kind sah die Schurkin unverwandt an mit seinen rotglühenden Augen und den glühendweißen Pupillen. Die Spinnenfee musterte dieses Kind ebenfalls. Aus einer Laune heraus schien sich ein kleiner Spatz in den Schnee zu verirren. Die Fläche des geschmolzenen Schnees breitete sich aus und erreichte schließlich den Vogel der darauf qualvoll verendete als sein Gefieder und sein kleiner Körper sich zersetzte.

»Alsooooo«, brach Morrigan das Schweigen. »Du gehörst zu den Bösen, was?«

Das finstere Kind blieb unbewegt.

»Wie wär´s? Würdest du bei meiner Gilde mitmachen, als mein Handlanger versteht sich.«

Wieder schwieg das Kind.

Endlich habe ich meine eigene Jaq, freute sich Morrigan innerlich wie ein Kind. Sie durfte aber keineswegs ihre Gefühle offen zeigen, denn sonst würde ihr neuer Gehilfe noch versuchen daraus einen Vorteil bei den Gehaltsverhandlungen zu ziehen. Als ob sie ihm so etwas Abwegiges wie ein Gehalt geben würde.

Als das Kind sie weiter anstarrte konnte sich die Schurkin nur schwerlich zurückhalten. Sie ging mit Freudentränen in den Augen auf das Kind zu, kniete sich vor ihm hin und umarmte es, um es darauf freudig in die Höhe zu nehmen und sich dabei um die eigene Achse zu drehen.

Sie hielt das Kind etwas von sich. »Wir werden ganz viel Spaß haben und sehr viel böses tun, … Ja, äh, wie heißt du eigentlich?«

Ihr neuer Helfer sah sie an.

»Okay, ich muss dir einen Namen geben. Irgendetwas Böses und Diabolisches. Wie wäre es mit Gunther? Oder doch lieber Günther?«, Morrigan überlegte und sagte die Namen immer wieder und achtete dabei auf Klang sowie Betonung. »Gunther? Günther? Gunther. Günther. Hey, Gunther, lass uns in die Welt ziehen und Unheil anrichten. Hey, Günther, lass uns in die Welt hinausziehen und Unheil anrichten. Weißt du was? Ich kann mich nicht entscheiden. Entscheide du dich für einen Namen. Welchen von den beiden willst du?«

Das Kind sah sie weiter nur unverwandt an. Da wurde der Spinnenfee klar, wie anstrengend es war sich um so eine Hülle zu kümmern, ebenso wurde ihr die große Verantwortung bewusst. Aber zum Glück musste man sich als Schurkin nicht um solche Kleinigkeiten wie etwa der Realität kümmern, man konnte sich einfach seinem Wahn hingeben und somit die Wirklichkeit zurechtbiegen.

»Du willst Gunther-Günther heißen? Was für eine fantastische Idee! Ich kann dich dann Gunther oder Günther nennen, je nachdem wie es gerade passt. Du bist so klug, mein Handlanger. Und nun lass uns in das leer stehende Haus von dem Ehepaar einziehen die ich auseinandergebracht habe.«

Und somit begann in dem Dorf ohne Namen die Zeit des Bösen. Durch die üble Gilde wurden viele Dämonen angelockt die von den Schurkinnen ihre Dienstleistungen in Anspruch nahmen, doch auch Händler und Adelige waren ihren Diensten nicht abgeneigt. Nur die Armen wendeten sich an die Gilde der Helden, weil diese einfach Preisgünstiger war. Kein Schurke der was auf sich hielt würde weniger als eine übertrieben horrende Summe für sein Können verlangen. Dennoch lebten die beiden Parteien friedlich nebeneinander und pflegten ihre Freundschaft. Bis eines Tages ein gemeinsamer Auftrag sie zu entzweien drohte.

 

The End


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Beschreibung des Autors zu "Die Gilde des Bösen"

Riaens und Jaq bekommen Konkurrenz im Dorf ohne Namen durch die Gilde des Bösen.

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