Die Hexenprüfung – kann es noch schlimmer kommen?

© EINsamer wANDERER

»Herzlich willkommen bei der Hexenprüfung. Hier werden eure magischen Fähigkeiten getestet, um festzustellen wo eure Stärken und Schwächen liegen. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Ach und bevor ich es vergesse, es gibt in diesem Test auch noch ein paar Wissensfragen … das heißt, es sind hauptsächlich Wissensfragen. Und die kann man durchaus falsch beantworten. Also, los geht’s mit dem ersten Teil der Prüfung. Viel Spaß allerseits.«
Morgaine hasste diese Schule jetzt schon. Sie saß zusammen mit anderen Hexen im Klassenzimmer auf einem Stuhl mit einem Tisch. Die Plätze waren weitgenug auseinander, damit die Nachbarn nicht abgucken konnten. Die Hexe sah sich ihre Mitschüler an. Jedes Mädchen hier schien auf seine eigene Weise ein totaler Freak zu sein, inklusive ihrer Zimmergenossinnen. Wieso gab es hier keine gewöhnlichen Menschen? War sie die einzige normale Person an der Schule? Warum, sie?! Ausgerechnet sie?!
Uff. Okay. Wir lassen jetzt einmal dieses negative Getue. Ich glaube, der Leser hat es ganz gut verstanden.
Allein dieses fröhliche Getue der Testleiterin mit ihrem breiten herzerwärmenden Lächeln und des freundlichen Wesens ihrer ozeanblauen Augen machten die Hexe schon ganz krank. Die Testleiterin hätte vom Naturell her ebenso gut mit Miora verwandt sein können. Aber ihre Haare waren ganz anders. Sie wallten an ihr herab wie silberner Mondschein. Das Kleid war dunkelrot mit Rüschen die alles oberhalb der Knie verdeckten.
Morgaine drehte sichtlich entnervt ihren Fragebogen um und las sich gequält die erste Frage durch.
Bartholomew war unterdessen zu einer speziellen Dämonenprüfung beordert worden, wo er seine Stärke unter Beweis stellen sollte. Als wenn die Hexe nicht wüsste, dass Perry die Macht eines nassen Waschlappens inne hatte.
„Frage #1: Sie beschwören ihren Herzensdämon. Dabei verzichten sie auf einen bestimmten Anteil ihrer magischen Kraft. Wie viel ist es prozentual?“
Weiß ich doch nicht!, keifte Morgaine den Fragebogen in Gedanken an.
Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich wieder auf die Prüfung zu konzentrieren. Schließlich wollte sie nicht als Idiotin dastehen.
„Frage #2: Ein Dämon bespuckt Sie mit höllischer Säure. Welcher Schildzauber kann sie schützen?“
Die Fragen werden ja immer mehr hardcore! Morgaine war den Tränen nahe. Jede Frage gestaltete sich zunehmend als schwieriger. Die steile Lernkurve konnte man nur als mörderisch bezeichnen. Nicht einmal der Erzähler vermochte für alle Fragen die richtige Antwort parat zu haben. Der Hexe rauchte immer mehr der Kopf.
Am Ende konnte sie nicht mal mehr die Fragen richtig verstehen. Sie lasen sich für sie ungefähr so: „Frage #63: Blah, blah, blah. Fasel, blubber, fasel. Dumm, oder so?!“
Bebend vor Wut sprang Morgaine auf »Ich bin nicht dumm, du scheiß Test!«, schrie sie lauthals. Nach diesem kurzen Moment des Ausbruchs klärte sich ihr Blick.
Alle Freaks im Raum starrten sie verwundert an. Ihre sichtlich nervösen Tischnachbarn verschoben sogar auffällig unauffällig ihre Tische von der vor wutbebenden Hexe weg. Mit einem nervösen Lächeln setzte sich Morgaine still wieder hin. Nach einem weiteren Moment, waren alle wieder in den Test vertieft.
Mit einem nervös-zuckendem Auge versuchte Morgaine weiter diese unüberwindbare Hürde zu meistern.
Eines musste ich ihr lassen: sie gab nicht auf.
Auf einmal knallte ihr Kopf auf dem Tisch und sie holte ein weißes Fähnchen heraus, mit dem sie kapitulierte.
Da scheine ich mich in diesem Punkt wohl geirrt zu haben.

Lasst uns doch mal sehen, wie Perry sich in seiner Prüfung macht.
Er saß versucht lässig auf einer Bank die in den unterirdischen Fels gehauen war und versuchte sich die Angst nicht anmerken zu lassen.
Von oben kam ein Lichtkegel der den aus stählernen Ketten bestehenden Käfig beleuchtete. Hier fanden die Dämonenkämpfe statt, wo sich die Schüler mit all ihren Kräften bekämpfen konnten. Um die Zerstörung für die Schule minimal zu halten, hat man den Ring unter der Erde angelegt. Zusätzlich waren noch Zuschauerränge für Besucher in den Fels geschlagen worden, auf denen verstreut die anderen Neuankömmlinge saßen.
Neben Perry saß ein verwesender Zombie mit verschränkten Armen in der Kleidung eines mexikanischer Gitarrenspieler. Es war niemand anderes als El Muerte, der ebenfalls zu den Prüfungen eingeladen worden war.
»Was machen wir hier eigentlich?«, fragte Perry.
»Keine Ahnung, Gringo. Ohne meine Maeztra bin ich ein Nichtz. Zie benutzt mich zum Verfluchen. Ich bin kein Kämpfer, maldito!«
»Denkst du etwa, dass ich einer bin, Amigo!«
»Hey! Nenn mich nicht noch einmal Amigo, Gringo!«
»Ist ja gut! Chillʼ mal.«
Perry sah sich um und versuchte herauszufinden, gegen welchen der hier anwesenden Dämonen er wohl kämpfen würde. Er hoffte sehr, dass es ein kleiner war.
Morgaine hatte nie viel auf ihre magischen Kräfte gegeben. Solange sie ihr das Leben vereinfacht haben, war alles in bester Butter gewesen. Aber das Kämpfen hatte sie nie gelernt und Bartholomew war ein Teil von ihr. Wenn sie nicht kämpfen konnte, konnte er es ebenso wenig. Verdammt, die faule Socke machte noch nicht einmal Sport!
Der kleine Gremlin sandte ein Stoßgebet an den großen Dämon im Himmel, er möge beim Kampf keine allzu großen Schmerzen beim Sterben haben.
So sah er nicht, wie zwei Muskelprotzen sich im Ring gegenseitig zu Boden rangen. Schließlich erwürgte einer den anderen. Der Verlierer wurde übelzugerichtet und bewusstlos aus dem Ring geschliffen, während der andere Siegreich die Fäuste in die Luft schwang und ein stolzes Dämonengebrüll von sich gab.
»Als nächstes tretet der Dämon Bartholomew gegen Uznak den Zerstörer an!«, kam es aus einem Lautsprecher.
Perry schluckte schwer und verabschiedete sich schon einmal von seinem Leben, während er sich schweren Herzens von der Bank erhob und sich auf zum Ring machte.
Er hatte gesehen, wie es Dämonen ergangen war, die sich weigerten in den Käfig zu gehen. Die Dämonelehrer hatten ihnen mit silbernen Schürhacken Beine gemacht. Die gepeinigten Wesen waren schon halb tot, bevor sie den Ring überhaupt betraten.
Silber war für Dämonen sehr tödlich und galt zudem als die seltenste und wertvollste Substanz in der Dämonenwelt, da sie hier nicht vorkam und einzig durch die Portale an diesen Ort gelangte.
Noch hatte sich der Gremlin einen kleinen Funken Hoffnung bewahrt, der ihm den Sieg versprach. Nichtsdestotrotz lief sein Leben noch einmal vor seinem geistigen Auge an ihm vorbei. Es war zu seiner eigenen Verwunderung ziemlich langweilig. Fernsehen, schlafen, essen, aufs Klo gehen. Mehr nicht.
Aber als Perry seinen Gegner erblickte, spürte er die Angst verfliegen. Uznack der Zerstörer war nämlich eine Hand. Eine einfache Menschenhand. Keine Beine, kein Gesicht oder sonstiges. Noch nicht einmal Klauen besaß sie! Es war einfach nur eine menschliche Hand. Eine Hand gegen die sich Perry eine Chance versprach.
Jackpot! Gott verdammter Jackpot!, dachte er euphorisch. Breitbeinig als wären seine Hoden geschwollen schritt er auf seinen Gegner zu. »Hey! Eiskaltes Händchen! Ja, genau du! Rate mal wer hier gleich total terminiert wird!«
Die Hand deutete auf ihn.
»Nee, Alter! Nicht ich. Du! Weißt du … He-he! Ich will ja nicht angeben, aber ich habe mal fünfzig Dämonen mit einer Kralle besiegt. Keine Bange, ich werde mich dir gegenüber natürlich zurückhalten. Du bist ja …«
Der Gong ertönte und noch bevor der Gremlin mit prahlen fertig war, lag er auf dem Boden.
Schneller als das dämonische Auge es erfassen konnte, raste die Hand – die jetzt eine Faust war – auf Bartholomew zu und verpasste ihm einen Kinnhaken. Der Gremlin hob von der Wucht ein kleines Stückchen vom Boden ab, aber noch bevor er landen konnte, sauste Uznack wie ein Dampfhammer auf ihn nieder und ließ Perry Staub schmecken.
Dem Dämon war gar nicht klar, was gerade passiert war. Es war alles so furchtbar schnell gegangen.
»O-okay«, meinte Perry schwach. Der Dämon stand wieder auf. So schnell gab er nicht auf. Wäre der Gegner größer gewesen, hätte er natürlich sofort das Handtuch geworfen, aber wir reden hier von einem eiskalten Händchen! So eine Schmach konnte und wollte er nicht ertragen. Er würde kämpfen, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Jetzt war er wütend. Nichts würde ihn aufhalten! Er würde alles zerstören, was sich ihm in den Weg stellte! Der Ring würde unter seiner Macht erbeben und das eiskalte Händchen um Gnade betteln.
Kaum dass er wieder auf den Beinen war, sauste die Faust doppelt so schnell wie beim letzten Mal auf ihm zu und traf ihn mit voller Wucht ins Gemächt.
Hätte ich es gekonnt, würde ich wegsehen, aber als Erzähler ist einem so etwas nicht gestattet. Aber diese Brutalität ließen mich und meine Hoden nur denken: Schmerz lass nach.
Damit war das Aus für den stöhnenden Perry entschieden. Ein paar der dämonischen Lehrer kratzten ihn vom Boden auf und brachten ihn zurück zu seinem Platz. Muerte hielt sich die vor Lachen schmerzenden Seiten.
»Das ist nicht witzig, Amigo«, stöhnte Perry. Seine Stimme war brüchig und mädchenhaft erhöht. Nun war eines klar. Kinder würde er keine mehr bekommen. War er überhaupt noch ein ganzer Kerl? Perry lächelte. Vielleicht war das Leben als Eunuch gar nicht mal so schlimm. Jetzt konnte ihm nämlich niemand mehr in die Eier treten.
Muerte war der Nächste. Er trat gegen den Höhlenwurm Broke an.
»Komm her, kleiner Guzano. Komm her, ich tu dir nichtz. Ich bin ein ganz lieber Zombie. Ich …«
Plötzlich bebte die Erde. Der halbe Boden brach unter Muerte weg. Er entkam nur knapp durch einen Sprung nach hinten. Aus der Tiefe des Berges erhob sich ein gewaltiger Regenwurm mit dem Kopf eines gehörnten Löwen mit brennenden Augen.
»Dios Mio!«, schrie der Untote, als Broke der „Wurm“ ihn durch die Arena hetzte.
Diesmal war es Perry der lachen musste. Er versuchte nicht an den nächsten Kampf zu denken, der ihm bestimmt bevorstand. Als nächstes sollten die Verlierer der letzten Runde gegeneinander antreten. Ebenso die Gewinner. Perry hoffte, dass es das nächste Mal ein einfacherer Gegner sein würde.
Seufzend fragte er sich, ob es Morgaine besser erging.
Aber dann brach wieder das große Gelächter los, als Muerte von Broke verschluckt worden war und die Lehrer das Riesenviech nicht dazubekamen den Zombie wieder auszuspucken.

»Ist das alles, was ihr Maden könnt!«, schrie eine der Sportlehrerin Salma (= die härteste Frau der Dämonenwelt) über den sandigen Platz.
Sie hatte eine tarnfarbene Uniform mit einer dazu passenden Schirmmütze an. Ihre ergrauten Haare waren hinten streng zu einem Knoten zusammengebunden worden. Ihre Stahlgrauen Augen schienen ebenso wie ihre Farbe hart und unerbittlich zu sein. Vor allem das Narbengeflecht am rechten Auge war auffällig. Sie ergaben die Form eines Fadenkreuzes. Ihre Stimme schnitt durch die Luft wie eine eiskalte Klinge und spornte die Mädchen zu noch größerer Leistung an, denn ihre Worte waren heiß und schmerzhaft wie ein glühender Schürhacken.
Der körperliche Test war ein Hindernisparcours wie man ihn vom Militär kannte. Über Reifen laufen, eine Wand mit einem Seil besteigen und so weiter.
Für mich als unbeteiligten Beobachter war es nach den letzten doch recht schmerzhaften Szenen recht angenehm den Mädchen beim Laufen zuzusehen. Mit engen Sportklamotten, die vollkommen durchgeschwitzt waren … ach ja. Hat jemand Popcorn?
»Für die Dämonen wäre das hier ein All-You-Can-Eat-Büffet, wenn sie euch so sehen würden! Ihr hättet mehr Zeit mit Sport verbringen sollen, statt im Nagelstudio das Bein hochzulegen und von Jungs zu träumen!«, grölte Salma weiter über den Platz.
Morgaine war schon mit dem ersten Hindernis vollkommen überfordert. Anfangs hatte sie sich in den Reifen verfangen und war immer wieder gestolpert. Inzwischen hatte sie längst aufgegeben und lag nur noch auf den Reifen und versuchte möglichst unsichtbar zu sein.
Natürlich klappte es nicht. Salma schritt auf sie zu. Ihre Springerstiefel knirschten unter dem Sand. Die kleine Hexe spürte die zornigen Blicke und den kühlen Schatten in ihrem Rücken.
Unsanft wurde Morgaine an den Haaren hochgezogen, während Miora zum siebten oder achten Mal an ihr vorbeilief.
Der Regenbogenschopf schien zu führen. In Ausdauer und Geschwindigkeit konnte ihr niemand was vormachen.
Salma kam ganz nah an Morgaines Ohr. Sie konnte ihren Atem fühlen und wie einzelne Härchen davon beiseitegeschoben wurden. »Soll ich dir mal was verraten?«, fragte sie mit einer Kühle und Ruhe, dass sich einem die Haare aufstellten. Man konnte die Gefahr schon praktisch riechen.
Jetzt bringt sie mich um, dachte Morgaine vor Angst schweißgebadet.
»Ich habe schon Tentakeln mit Saugnäpfen an extrem unpassenden und zugleich sehr schmerzhaften Stellen gehabt …«
Morgaine und ich dachten das Gleiche: Die ist bestimmt lesbisch.
»und das«, führte die Lehrerin fort, »war noch nicht einmal im Ansatz so schrecklich, wie dir hier beim Laufen zu zusehen. Jetzt beweg gefälligst deinen kleinen Arsch oder ich reiß ihn dir auf!«
Schwerfällig stellte sich Morgaine auf. Ein Gedanke durchzuckte ihren Geist, wie von einem fremden Kommentator. Ganz bestimmt ist die ʼne Lesbe!
Am liebsten hätte Morgaine sich geweigert, weiterzumachen. Schließlich hatte sie nie hier sein wollen. Wie gerne sie doch wieder in ihrer Luxuswohnung gewesen wäre und eine neue Folge Glee geguckt hätte, aber nein, sie musste ja diesen dämlichen Parcours laufen. Einzig die Angst vor ihrer Lehrerin trieb sie weiter an, sonst nichts.
Sie hatte Sport schon in der Schule gehasst, wie alles andere auch. Einzig ein paar der süßen Jungs hatten sie dazu bewogen dann und wann dort aufzukreuzen. Hier gab es aber keine Jungs. Sie fühlte sich wie auf einem Mädcheninternat. Ihr persönlicher Albtraum war endlich wahrgeworden.

Nach einer halben Stunde, die eine gefühlte Ewigkeit war, hatte Morgaine ihre erste Runde geschafft und war sofort vor Erschöpfung zusammengebrochen.
Während die anderen in der großen Versammlungshalle – die sie selber nie gesehen hatte – ihre Testergebnisse bekamen, war Morgaine allein auf einem speziellen Platz beordert worden.
Er erinnerte an einem Schießstand unter freiem Himmel. In Meterweiter Entfernung standen Pappkameraden in der Gestalt von Dämonen.
Fieberhaft überlegte Morgaine, wie sie von hier abhauen konnte. Irgendwie musste es doch einen Weg hier raus geben. Einen Moment lang überlegte sie sogar den Erzähler um Hilfe zu bitten, aber der war nicht besonders gut auf sie zu sprechen. Mal davon abgesehen, traute sie einer Stimme aus dem Äther nicht.
Perry war im Moment auch keine allzu große Hilfe, da er bewusstlos und windelweich geprügelt im Krankenflügel lag.
Die Hexe hatte die Information aus einer zuverlässigen „erzählerischen“ Quelle. Na? Gecheckt?
Während sie beschäftigt war mit Löcher in die Luft gucken, stand plötzlich Salma neben ihr. Sie hatte immer noch ihre Tarnkleidung an. Seufzend nahm sie die Kappe ab und kratzte sich am Kopf. Einige grauen Strähnchen standen zerzaust ab.
In Morgaines Gedärmen wurde es flau. Sie hatte die Befürchtung durch ihr schlechtes Testergebnis ihr Leben verwirkt zu haben.
»Weißt du, warum wir das hier machen?«, begann die ältere Lehrerin.
Morgaine schwieg und schaute sie nur aus angsterfüllten Augen an. Sie fürchtete durch ein falsches Wort zu sterben.
»Ich weiß, du willst nicht hier sein. Aber es ist nur zu deinem Besten.«
Morgaine musste sich das verdrehen der Augen verkneifen. Im Waisenhaus hatten sie ihr genau dasselbe gesagt. Wieder und wieder. Aber es war niemals zu ihrem Besten gewesen.
»Du weißt nicht, wie es da draußen zugeht, Mädchen.« Sacht fuhr sie mit der Hand wie in Gedanken über die Narben in ihrem Gesicht. »Wir haben zwar offiziell einen Waffenstillstand mit den Dämonen geschlossen, aber es gibt genug Splittergruppen, die sich nicht daran halten. Für die wäre dein Leben nichts wert. Du wärst tot, noch ehe du schreien könntest.« Sie legte eine Pause ein, wie als wenn sie ganz weit weg wäre. »Wir trainieren euch hier, weil eure Kräfte noch nicht weit genug entwickelt sind, um da draußen zu überleben.« Salma zog einen Zettel aus der Innenseitentasche ihrer Jacke heraus. »Ich habe so etwas noch nie gesehen«, meinte die Lehrerin als sie nachdenklich auf das Stück Papier starrte. »Deine magischen Kräfte sind weder physisch noch mental besonders ausgeprägt. Laut diesem Ergebnis bist du eine einfache Sterbliche. Wenn da nicht dein Dämon wäre, der ebenfalls grauenhaft abgeschnitten hat, würde ich dich sofort zu jemand anderen schicken, der sich um dich kümmert. Aber so … Du weißt nichts über Magie und die körperlichen Voraussetzungen für einen Zweikampf hast du auch nicht. Da passt es eigentlich ganz gut, dass deine Zimmergenossinnen in den beiden Kategorien exzellent abgeschnitten haben. Die Niggerin«, ʼtschuldigung, hier muss ich mich mal kurz einschalten.
Hier wird niemand diskriminiert! Die Lehrerin Salma stammt nur aus einer Zeit, in der diese Betitelung die politisch-korrekte Bezeichnung war. Es wird hier weder abwertend, noch beleidigend gemeint. Und jetzt wieder zurück zur Geschichte.
»Die Niggerin ist ein ziemlich kluges Köpfchen und hat einige Ahnung von Magie aller Art. Ihr Dämon ist zwar schwach, aber in Kombination mit ihr, wird er zu einem mächtigen Werkzeug. So sind die Flucher nun mal.«
(Flucher = Bezeichnung von Hexen, die sich auf das Sprechen von Flüchen spezialisiert haben.)
»Und dieses Honigkuchenpferd hat eine physische Stärke, die einem Dämon nicht unähnlich ist. Zwar kann sie durch ihre Krankheit niemals magische Kräfte einsetzen, aber wenn sie ihre Gegner mit bloßen Fäusten niederringen kann, sagt auch niemand was dagegen. Aber was für eine Art von Kämpferin bist du?«
Salma schielte fragend zu Morgaine, die nur zurückguckte. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr in diesem Monolog eine Frage gestellt werden würde, weshalb sie fragend mit dem Finger auf sich deutete. »Ich?«
Anstatt dieser offensichtlichen Frage einer Antwort zu würdigen, holte Salma eine Steinschlotpistole aus dem Innenfutter ihrer Jacke hervor und warf sie Morgaine zu.
Wie viel passt da eigentlich in diese Jacke rein? Wir werden es wohl nie erfahren.
Unbeholfen fing die Hexe die uralte Pistole auf.
Mit einem Nicken deutete die Lehrerin auf die unbeweglichen Ziele. »Schieß!«
»A-aber die sind viel zu weit weg.« Morgaine schloss die Augen und erwartete jeden Moment eine Ohrfeige zu bekommen.
Aber sie sollte niemals kommen. Stattdessen: »Schieß einfach.«
Morgaine umklammerte mit ihren Händen die Pistole ganz fest. Die Augen waren fest auf das Ziel gerichtet. Sie drückte ab. Eine lilaleuchtende Kugel sauste an dem Ziel vorbei, fraß sich in die Erde und explodierte dort.
Mit offenem Mund bewunderte die Schützin ihre Waffe in der Hand. Sie beobachtete sie genauer. Drehte sie immer wieder zu allen Seiten. Was verschoss das Ding bloß?
Die Lehrerin schnalzte mit der Zunge. »Schieß weiter. So Lange du kannst.«
»Was ist mit Nachladen?«
»Nicht nötig. Feuer so lange, wie du auf den Beinen stehen kannst.«
Die Hexe verstand zwar nicht, gehorchte aber. Ein Schuss nach dem anderem löste sich aus der antiken Waffe. Morgaine schoss und schoss, doch traf nie etwas. Ihr trat der Schweiß aus.
Nach unzähligen Schüssen senkte Morgaine keuchend die Steinschlotpistole. »Das hat doch keinen Sinn! Ich treff doch nie was!«
Sie warf die Pistole ins Korn … äh ich meine die Flinte. Aber ihr wisst, was ich meine.
Zu ihrer eigenen Verwunderung bekam die Hexe von ihrer sadistischen Lehrerin einen Klaps auf die Schulter. »Gar nicht mal so schlecht.«
Morgaine schnalzte mit der Zunge. »Ts. Soll das ein Witz sein?«
Salma schüttelte nur mit dem Kopf. »Hast du die Schüsse nicht mitgezählt?«
»Wozu?«
»Jeder Schuss, den du abgegeben hast, war ein kleiner Teil deiner magischen Energie. Eine normale Schülerin könnte vielleicht fünf oder sechs Schuss abgeben, bevor ihre Magie aufgebraucht wäre. Doch du hast satte zwanzigmal den Abzug betätigt. Du hast eine große Kraft in dir, auch wenn du sie noch nicht einzusetzen weißt. Und jetzt schieß weiter. Mal sehen, wie lernfähig du bist.«
Morgaine verstand zwar nicht alles, aber sie verstand, dass sie in etwas gut war. So schoss sie weiter. Ihre Hände zitterten zwar und die verschwommene Sicht machte das Zielen schwer, doch sie gab nicht auf.
Etwas Neues machte sich in ihr breit. Neugierde. Wie viel Schuss hatte sie noch? Würde sie jemals etwas treffen? Schnell entfachte sich aus der Neugierde ein Feuer der Leidenschaft.
Irgendwann – Morgaine hatte längst aufgehört die Schüsse zu zählen – ging sie in die Knie. Sie konnte nicht mehr – war Fix und Foxy. Ihre Lehrerin wollte ihr beim Aufstehen helfen, als sich Morgaine unerwartet aufrichtete. Etwas war in ihr erwacht. Sie wusste nicht was es war, aber es fühlte sich gut an.
Knurrend hob sie die Pistole wieder hoch und zielte. Sie konzentrierte sich – sammelte alle ihr noch zur Verfügung stehenden Kraftreserven und drückte schreiend ab.
Der Rückstoß war dermaßen groß, dass er die Hexe von den Beinen schleuderte und Dreck fressen ließ. Im gleichen Augenblick ertönte ein gewaltiger Knall von der Explosion.
Salma eilte sofort zu Morgaine und versicherte sich mit einem schnellen Blick, dass ihr nichts fehlte.
Doch die Hexe merkte davon nichts, sie starrte nur auf die aufgewirbelte Staubwolke. Diesmal muss ich etwas getroffen haben, dachte sie verbissen.
Es war gleichermaßen eine Freude wie auch ein Schrecken, der sie überfiel. Morgaine hatte ihr Ziel nicht direkt getroffen. Doch durch die Explosion war der Pappkamerad fast vollkommen in Stücke zerfetzt worden.
»Jetzt weiß ich, was deine große Stärke ist«, meinte die Lehrerin mit einem süffisanten Funkeln in den Augen. »Du hast das Ziel nur durch Glück getroffen. Wir beide hätten nicht gedacht, dass du überhaupt etwas treffen würdest und … Jetzt guck doch nicht so! Du hast damit ebenso wenig gerechnet, wie ich! Aber genau das ist deine Stärke. Das Überraschungsmoment kann mächtiger sein als die stärksten Krieger und Strategen. Ein wahrlich eigenwilliges Talent, aber …«
»Muss ich mir jetzt etwa den Rest der Rede anhören oder kann ich gehen? Wir wissen doch alle, wie toll ich bin! Das müssen wir nicht unnötig breittreten. Hier haben Sie ihre Waffe wieder.«
»Zuerst einmal wird hier in der Dämonenwelt nicht gesiezt. Diesen Mumpitz haben wir einstimmig abgeschafft. Und das Ding kannst du ruhig behalten, ich habe ʼne ganze Sammlung voller Schusswaffen.«
So etwas hätte ich auch echt nicht gedacht, dachte Morgaine verdrießlich.
»Außerdem hast du schon mit deinen Freundinnen den ersten Auftrag bekommen. Da kannst du die Waffe gut gebrauchen.«
»Moment mal! Freundinnen?! Wer soll das denn sein?! Doch nicht etwa die Irren …«
Doch genau die! Deine Zimmergenossen!
Die Lehrerin ging damit vom Platz. Ein warmes Lächeln umspielte ihre Züge. Sie hörte das Krakeelen des Mädchens nicht oder wollte es nicht. Vielleicht auch eine Mischung aus beidem. Schweigend verließ sie den Ort des Geschehens. Aber nicht ohne vorher noch eine weitere Steinschlotpistole aus dem Innenfutter ihrer Jacke zu zaubern und auf die tobende Morgaine zu schießen.
Sofort stürzte diese nach hinten und wich vor dem rauchenden schwarzen Brandfleck vor ihren Füßen zurück. Wieder zuckte Morgaines Auge nervös, was zu einer schlimmen Angewohnheit werden könnte.
Wir beenden dieses Kapitel mit der Erkenntnis, dass die fiese, sadistische Sportlehrerin Salma im Inneren ein ganz schöner Softie ist.
Wenn ihr das nächste Mal wieder mit dabei seid, werden Morgaine, Chloe und Miora zusammen mit ihren Dämonen ihren ersten Auftrag erledigen.
Bis zum nächsten Mal.

Fortsetzung folgt …


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Die Hexenprüfung – kann es noch schlimmer kommen?"

Das dritte Kapitel. Wollen wir doch mal sehen, was meine Girlies in einem Kampf so alles anrichten können.

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