Endlose Pein IV

© EINsamer wANDERER

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Es war ein sternenklarer Himmel, in welcher der Sichelmond sein kaltes Licht zur Erde sandte. Im Schutze der Nacht wartete der junge Held mit einem Pferd im Innenhof auf seine Liebste. Unterdessen dachte er über die letzten Geschehnisse nach, die ihn unmutig schnauben ließen.
Den Rittertitel hatte man ihm verweigert, obwohl er sämtliche Hürden mit Bravour bewältigt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte der Held einen Groll gegen seinen Herrn. Er hatte ihn ausgelacht, als der junge Held seinen verdienten Titel verlangte. Als Anerkennung hatte er einzig das durchgekaute Essen seines Königs ins Gesicht gespuckt bekommen.
Damit war das Maß für die beiden Liebenden voll. Sie würden fliehen. Noch heute Nacht.
Knarzend öffnete sich die Holztür und ein vermummter Schatten trat nach draußen. Der Held erkannte ihn sofort als seine Liebste.
Ihr Pferd stand schon bereit. Der Held half ihr beim Aufsteigen. Er selber zog es vor zu Fuß zu gehen.
Das Pferd war für ihre Reise nicht geeignet. Sie waren im Unterhalt teuer und die beiden Liebenden hatten keine geldlichen Mittel und schon genug Probleme um sich selber Satt zu bekommen. Dazu kam noch, dass ein Pferd an sich schon ungewöhnlich für Reisende war, aber gleich zwei Gäule würden zu viel Aufmerksamkeit erregen. Allerdings konnte die schwangere Prinzessin aufgrund ihrer geschwollenen Füße nicht weit laufen, daher mussten sie wohl oder übel ein Pferd entführen.
Die Prinzessin nahm die Zügel in die Hand und die beiden gingen zu dem großen Tor, wo ein betrunkener Wachmann Dienst tat und seinen Rausch ausschlief.
Sie hatten gerade mal das Schloss verlassen, als sie bereits gefangen genommen wurden.
Die Wachmänner sprangen von überall aus den Schatten und zerrten die schreiende Prinzessin mit roher Gewalt vom Pferd. Den Helden nahmen gleich sechs Männer gefangen. Sie hielten ihn festumklammert und ließen ihm keinen Freiraum sich zu wehren, egal wie sehr er sich auch windete und versuchte um sich zu schlagen.
Die Reihen der Männer lichteten sich für zwei dunkle Gestalten.
»Ihr hattet recht!«, meinte der König völlig entrüstet.
Wie eine Ratte stand leicht hinter ihm der Prinz von einst, der der Prinzessin gedroht hatte. »Seht ihr, Sire«, meinte er hämisch grinsend. »Wie ich es Euch gesagt habe. Dieses Ungetüm wollte Eure Tochter entführen. Euer einziges Fleisch und Blut. Welch glückliche Fügung des Schicksals, dass wir sie gerade noch rechtzeitig aufhalten konnten.«
Der Held wollte etwas entgegnen, doch die Prinzessin war schneller. »Nein! Nein! Er hat mich nicht entführt! Ich tat das alles aus freien Stücken. Bitte tu ihm nichts, Vater!«
Der König schnaubte verächtlich.
»Sie muss unter seinem Bann stehen, Sire. Die Macht der Unsterblichen scheint noch schrecklicher zu sein als ihr Ruf.«
Der König bedachte seinen ehemals loyalsten Diener mit einem vernichtenden Blick, den dieser vorher noch nie zuvor gesehen hatte. »Führt den Stalljungen ab. Ins Asyl mit ihm! Dort soll er verrotten bis in alle Ewigkeit.«
Ein Schlag auf den Kopf, auf das ein eindringliches »Liebster!« von irgendwoher folgte und dann wurde alles schwarz.

Als der Held nach dem Schlag wieder zu sich kam, befand er sich in einer dunklen Zelle. Wo genau sich diese befand, wusste er nicht.
Er erinnerte sich wieder daran, was der König gesagt hatte. Der Held selbst hatte noch nie etwas von einem Asyl gehört. Warum nannte man es nicht einfach Gefängnis?
Er hockte Ewigkeiten in der Finsternis. Eine lange Zeit. Ohne Essen oder Wasser. Der Magen knurrte und der Durst brannte seine Kehle weg. So lag er lange Zeit da. Niemand ließ sich blicken. Er war allein.
Diese Zeit nutzte der Held um noch einmal über alles nachzudenken. Die Worte des Prinzen wollten ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Was hatte er gemeint, als er von der Macht der Unsterblichen gesprochen hatte?
Und warum hatte man ihm nicht einfach seinen verdienten Rittertitel gegeben? Ob nun mit oder ohne den Segen seines Königs war er ein Ritter. Er besaß sämtliche dafür benötigten Fähigkeiten. Wozu dann noch ein Titel brauchen, wenn man das nötige Kennen besaß?
Irgendwann nach sehr langer Zeit, öffnete sich die Tür und ließ das flackernde Licht der knisternden Fackeln hinein. Der Held schreckte zurück. Das Licht brannte in seinen Augen und drohte ihn zu erblinden.
»Ich bin es«, meinte der König mit der Stimme eines vorzeitig gealterten Mannes. Die Last der Krone schien schwerer denn je auf ihm zu lasten. »Ich habe hier etwas für dich.« Er holte ein Packet hervor, welches er unter dem Arm hatte. »Es ist vor drei Wochen gekommen und ich wollte es dir persönlich überbringen.« Raschelnd und knisternd packte er es aus und warf es dem Helden verächtlich vor die Füße.
Mit geschlossenen Augen tastete der Gefangene in der Dunkelheit danach.
Es war kalt und steif, gleichzeitig aber weich. Er tastete es entlang. Schließlich verdünnte sich die Gestalt des Etwas. Er fuhr mit der Hand weiter entlang. Sie waren seine Augen in der Finsternis. Schließlich endete es in etwas Kleines, Zartes. Der Held hielt einen Moment lang inne. War das eine kleine Hand? Er tastete weiter und tatsächlich war es die Hand eines Säuglings. Der Held keuchte auf, ob der Erkenntnis das dies sein totes Fleisch und Blut war.
»Ja«, meinte der König grimmig, der erraten schien, dass der Held wusste, was das war. »Leide! So wie ich es habe tun müssen, wegen dir!«
Auch wenn keiner es in der Dunkelheit sehen konnte, so musste der junge Held die Stirn runzeln.
»Mein geliebtes Weib starb bei der Geburt meiner Tochter … und dir. Oh, wie ich dich hasse! Hätte ich es gekonnt, hätte ich dich eigenhändig erwürgt. Mein eigener Sohn ein Verfluchter. Oh, großer Kriegerkönig! Was habe ich dir getan, dass du mich mit dieser Kreatur geißeln musstest, die mir nicht nur mein Weib nahm, sondern auch die Unschuld meines kleinen Mädchens raubte?! Warum musstest du mich mit diesem zweiten Balg bestrafen?! Ein Kind, ob Junge oder Mädchen hätte gereicht! Aber das …«
Der Held wollte nachharken. War es wirklich wahr, dass er selbst der kleine schmutzige Stalljunge ein waschechter Prinz war? Aber dann war seine Geliebte ja … Er mochte diesen Gedanken gar nicht zu Ende denken.
Dies war eine Wahrheit, vor der er niemals die Augen verschließen konnte. Er hatte mit seiner eigenen Schwester Unzucht getrieben. Das daraus geborene Kind war eine Verkörperung ihrer schwachen, unwissenden Geister die vor ihrer Lust knieten. Eine Sünde die ihnen niemand vergeben konnte.
Der Held nahm Anlauf zu einer Erwiderung, aber plötzlich legte sich ein kalter Stahl in seinen Mund. Die Spitze schnitt ihm in die Wange. Er schmeckte Blut.
Der König war jetzt ganz nahe. Der Gefangene konnte den Atem auf seiner Haut spüren. »Weißt du, warum ich dir das alles erzähle?«, flüsterte er dem Helden ins Ohr. »Bestimmt nicht, damit du es verbreiten kannst. Wie würde es denn aussehen, wenn der König Vater eines Unsterblichen wäre? Nein, nein, nein. Du wirst es niemanden erzählen können.«
Eine kräftige Hand packte seinen Unterkiefer und zwang seinem Mund sich zu öffnen. Das Messer säbelte langsam seine Zunge durch und trennte sie unter lautem Geschrei und Geheule vom Rest des Körpers ab. Das Messer fuhr vor und zurück. Vor und zurück. Wieder und wieder. Der Held schmeckte von seinem kleinen Stumpf der Zunge dem kupfernden Geschmack von Blut gemischt mit dem kalten Stahl der Klinge. Schließlich war die Zunge herausgeschnitten und in den Händen seines Vaters.
Der Held lag zusammengesunken unter Schluchzen und Jammern am Boden, während er nicht aufhörte aus dem Mund zu bluten.
Nicht einmal in diesem Moment konnte er die Hand gegen seinen Vater erheben.
Der König seufzte »Es war ein großes Risiko dich an meinem Hofe zu behalten und dafür zu sorgen, dass der Pöbel sein tratschendes Maul über deinen verdammten Fluch hält. Ich hatte Sorge, dass es niemals in die Welt gelangen könnte, dass ich einem Geächteten Asyl gewähre, an dessen Zeugung ich auch noch zu allem Überfluss beteiligt war. Aber zu meinem Glück behielten alle ihr Stillschweigen. Weißt du, warum ich dich an meinem Hof behalten habe? Damit ich dich im Auge behalten konnte. Ich wollte nicht, dass du eines Tages mit einer Armee vor meinem Toren stehst und auf irgendwelche Geburtsrechte pochst, die einem wie dir überhaupt nicht zustehen!«
Der Held vernahm wie ein Lederhandschuh sich knirschend ballte. Der König warf seinem verstoßenen Sohn die herausgeschnittene und zerquetschte Zunge vor die Füße.
»Jetzt kennst du die Geschichte deiner Herkunft. Lass dich von ihr bis in alle Ewigkeiten quälen.« Er spuckte auf den Helden und verließ dann die Gefängniszelle. Der Gefangenen war wieder mit seinen Gedanken allein in der Finsternis.
Der frühere Stalljunge hielt die Leiche seines totgeborenen Kindes in den Armen. Immer wieder tasteten seine Finger den toten Körper entlang. Er nahm mehrere Einstiche von Messern im Rücken wahr und der Kopf war fast zur Gänze abgehackt worden. Nur ein einzelner Hautfetzen verband ihn noch mit dem restlichen Körper.
Es tat ihm in der Seele weh, dass sein Kind schon gleich nach der Geburt vom eigenen Großvater getötet worden war. Der tiefsitzende Schmerz tobte in seinem Herzen schrecklicher als jedes Tier. Ihm kamen die Tränen.
Sie liefen sein Gesicht in kleinen Bächen hinab und fielen auf das leblose Gesicht des Säuglings der ihn aus toten Augen anstarrte. Zumindest stellte sich der Held das so vor, da ihm unter diesen Umständen die Kraft zum Sehen fehlte.
Wieder hatte der Held Ewigkeiten um über alles nachzudenken. Dieses Mal musste er sein ganzes Leben infrage stellen. Plötzlich erschien ihm alles in einem vollkommen anderen Licht.
Mit der Zeit begann er seinem König zu hassen, für all die Lügen die er ihm sein Leben lang erzählt hatte.
Viele Nächte war der kleine Junge von einst weinend und einsam in einem kalten Stall unter dem Funkeln der gleichgültigen Sterne eingeschlafen. Nie hatte er sich etwas sehnlichster Gewünscht, als eine Familie. Doch sein Vater hatte ihm erzählt, dass seine Familie tot sei. Wie dumm er doch gewesen war. Warum hatte er es nie hinterfragt?
Und dann, dass er seinem Herren auch noch Dankbarkeit entgegenbrachte, wo er doch eigentlich ein Prinz hätte sein sollen, mit Bediensteten, einem vorgewärmten Bett, schöner Kleidung und allen ihm gebührenden Ehren. Oder wenigstens ein Ritter, der er eigentlich rechtmäßig war.
Was hat er aber stattdessen bekommen? Schmerz, Kummer, Schande und eine von ihm geschwängerte Schwester. Warum all das? Warum war es ihm so schwer gemacht worden? Warum …? Nie würde er eine Antwort darauf bekommen.
Nach einer endlosen Zeit in der sich der Hass tief in seine Seele eingebrannt hatte, begannen sich die Leute für ihn zu interessieren. Zum ersten Mal in seiner Gefangenschaft wurde der Held aus seiner Zelle geholt. Zwei kräftige Wärter schleiften den abgemagerten Mann über den steinigen Boden, da er zu schwach war um selber zu gehen und das Licht der Fackeln in seinen Augen brannte.
Er wollte fragen, warum sie ihn aus seiner Zelle holten, doch aus seinem Mund kamen nur undeutliche Laute, die von den Wärtern mit hämischem Gelächter beantwortet wurden.
Sie trugen ihn in einen Gemeinschaftsraum. Der Held sah ungefähr zweidutzend Schatten die sich vom grellen Licht der Fackeln abhoben. Wahrscheinlich waren es die anderen Wärter im Asyl.
Ohne eine Begründung wurde er mit dem Gesicht zur Wand auf ein Rad gespannt. Ein Buckliger mit hämischem Funkeln in den Augen drehte an einem Hebel und brachte das Rad dazu sich ebenfalls zu drehen.
Damit begann es. Unter Anfeuerungsrufen der anderen Wärter veranstalteten sie einen Wettbewerb, in dem es darum ging möglichst viele Messer in den Rücken des Helden zu werfen. Die kalten Klingen bohrten sich schmerzhaft in sein ausgekühltes Fleisch. Warmes Blut lief seinen Rücken hinab und hinterließ eine Spur von kalter Beklommenheit. Jedes Mal wenn ein Messer nicht traf und sich somit in das Holz fraß, zuckte der Held aus Reflex zusammen.
Nachdem die Wärter ihre Lust an sinnloser Gewalt einem Gefangenen gegenüber befriedigt sahen, brachten sie den geschunden Helden in die Zelle zurück. Dieser verstand nicht, warum er noch lebte. Einige Messer hatten schlimmen Schaden angerichtet, den Keiner lebend hätte überstehen können. Er hatte sehr viel Blut verloren und eine Ewigkeit nichts mehr gegessen. Warum lebte er aber noch? Die Worte des verfluchten Prinzen und seines ebenso verfluchten Vaters kamen ihm wieder in den Sinn. Konnte es sein …? Nein! Vollkommen unmöglich. So etwas wie Unsterblichkeit gab es nicht auf dieser Welt. Aber wenn doch?
Eine endlose Zeit später – es mochten Tage oder Wochen sein, in der Finsternis ließ es sich nicht sagen – holten die Wachen den gefangenen Helden erneut für ihre Folterspiele heraus, um ihm dann wieder zurück in die Zelle zu bringen.
Der Held merkte schnell, dass die Abstände in der Zelle immer kürzer und die Folter immer länger wurden.
Irgendwann holten sie den Helden nicht mehr vom Rad herunter. So hing er Ewigkeiten an diesem blutbesudelten Ding mit endlosen Messern im Rücken. Ebenso viele blutige Messer lagen auf dem Boden, weil sie sich nicht tief genug in ihn gegraben hatten. Immer wenn die Schmerzen zu groß wurden, übermannte den Gefangenen eine gnädige Ohnmacht.
Eines Tages weckte ihn ein Geräusch aus seinem unnatürlichen Schlaf.
Einer der Neulinge unter den Wärtern stieß den Dienstältesten an. »Herr,« sprach er. »Warum hängt dieser Gefangene an einem Rad und ist von Messern durchsiebt, wie ein armer Hund?«
Der Dienstälteste grunzte vergnügt. »Bist wohl nicht lange hier, Jüngelchen, was? Das da«, er deutete mit einem Nicken auf den Helden, »ist ein Unsterblicher. Den kannst du solange mit Messern schlitzen wie du willst und er wird es nicht müde sein zu atmen.« Er spuckte aus. »Verdammter Bastard. Nach dem alten Gesetz wird er geächtet. Das Mal an seiner Hand ist der Beweis für seine wahre, monströse Natur. Er ist kein Mensch. Eigentlich hat der König uns verboten, ihn jemals aus seiner Zelle zu holen, aber der weilt ja nicht mehr unter uns und wer kümmert sich in führerlosen Kriegszeiten schon um einen lausigen Gefangenen?«
»Ist er wirklich unsterblich? Ich meine, könnten wir ihn ertränken, ohne dass wir bangen müssten, dass er verreckt?« In den Augen des Jünglings schimmerte Neugierde, unterbrochen durch ein kurzes Aufflackern seines langsam erwachenden Sadismus. Irgendwann würde er ein schlimmerer Peiniger sein, als alle schon anwesenden Schweinehunde zusammen.
Der Dienstälteste rieb sich das ungeschlachte Kinn. »Ich schätze, dass könnten wir tun. Es wird sowieso langweilig ihn immer wieder mit dem Messer zu Maltrieren. Hey, Jungs! Aufgestanden ihr faulen Hunde! Wir werden unseren stummen Freund jetzt mal zeigen, was eine Wasserratte ist.«
Sie nahmen den Helden lachend vom blutigen Rad seiner Qual ab. Er hatte die ganze Zeit über stumm zugehört.
Wieder tauchte diese Frage auf. War er wirklich unsterblich? Er hoffte es doch so. Es könnte seine einzige Möglichkeit zur Flucht sein. Der Dienstälteste hatte etwas von einem Krieg erwähnt. Wie lange war er schon in dieser hoffnungslosen Hölle gefangen? Was war währenddessen passiert? Ging es seiner Schwester gut?
Die kurzsichtigen Wärter brachten den geschundenen Mann zu einem kleinen See mitten in der Festung und warfen den unbeschwerten Helden einfach in ein nassfeuchtes Grab, da jeder wusste, dass ein Mensch nicht schwimmen konnte.
Panisch um sich strampelnd versuchte der Held sich an der Wasseroberfläche zu halten. Die Wärter lachten und begannen zu wetten, wie lange er das wohl durchhalten konnte. Der Held hatte gerade noch genug Zeit einmal tief Luft zu holen, bevor er unter dem Johlen der tobenden Meute versank.
Wie ein Stein segelte er langsam dem Grund entgegen und wanderte auf diesen zu einer Lücke im Mauerwerk zu, die hoffentlich nach draußen führen würde.
Er hatte sich gerade durch die Lücke gequetscht, als er den Atem nicht mehr anhalten konnte. Wie von selbst öffnete sich sein Mund und ließ die Luft raus. Seine Lungen füllten sich rasend schnell mit dem Wasser. Gurgelnd mit den Händen an den Hals haltend, ging er in die Knie, während die schaumigen Luftblasen schnell nach oben flohen. Der Druck nicht atmen zu können war unerträglich. Der Held wehrte sich mit allem, was er konnte. Schließlich ertrank er mit dem Gedanken, dass er doch nicht unsterblich sei und der Frage warum er dann all dieses Leid hatte ertragen müssen.
Irgendwann tauchte der tote Körper eines Mannes an der Oberfläche eines Sees auf. Die Leiche war blass und aufgedunsen. Die Wellen trugen sie geduldig ans Ufer, wo die Leiche prustend zu sich kam. Sie stand auf und blickte auf ihre Hände.
Noch am Leben?, fragte sich der Held in Gedanken. Nun bekam alles einen Sinn. Der Kreis schloss sich, als der Held auf das Symbol in seiner Handfläche starrte. Es hatte nun eine Bedeutung, wie alles andere in seinem Leben ebenfalls, auch wenn seine von schmerzgeplagte Vergangenheit inzwischen nichts weiter als eine verschwommene Erinnerung war. Eine Vergangenheit die nicht die seine war, sondern von einem anderen durchlebt.
Der Held stampfte los, seine Prinzessin und Schwester zu finden. Auch wenn er nicht wusste, wie es ab da weitergehen sollte.

Der Regen hatte inzwischen wieder aufgehört, als der Held erwachte. Das Gewitter war weitergezogen und ein neuer grauer Tag in einer trostlosen Welt war angebrochen.
Der Innenhof war voller dunkelbraunem Schlamm und dreckiger Pfützen. Die Krähen waren krächzend zurückgekehrt und machten sich nun an den Leichnam des Drachens zu schaffen.
Der Kadaver des riesigen Ungeheuers hatte sich über Nacht stark verändert. Er war inzwischen kränklich bleich und zerschmolz aus einem unempfindlichen Grund.
Dem Hunger der Krähen tat das keinen Abbruch. Sie schien noch nicht einmal der ächzende Geruch zu stören.
Der Ritter wandte sich wieder seiner Aufgabe zu.
Endlich konnte er die Tür zum Turm öffnen. Ihm überkam ein unerwartetes Hochgefühl, als sie sich knarzend öffnete und den Blick auf eine Wendeltreppe nach oben freigab.
Keuchend stieg er die Stufen hinauf. Immer wieder hustete er Blut. Mit jedem Schritt machte sich eine andere seiner vielen Verletzungen bemerkbar.
Der von Kannibalen gefressene Fuß, der durch die Strebe eines Metallkäfigs ersetzt worden war gab immer noch einen starkpochenden Schmerz von sich. Die gebrochene Rippe steckte immer noch in der Lunge und ließ sie sich mit Blut füllen. Für einen Moment hielt der Held inne und spuckte hustend Blut auf die Treppe, dann ging er keuchend weiter. Ein rotes Rinnsal lief ihn aus dem Mundwinkel. Der geschundene Ritter kam an einem Fenster vorbei. Der schwache Wind zog schmerzhaft in seinen von säurezerfressenen Zähnen. Das Pochen seiner Brandblasen machte sich bemerkbar. Der Held hielt einen Moment keuchend inne, denn eine nahende Ohnmacht machte sich bemerkbar und ließ ihm schwarz vor Augen werden. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal etwas Richtiges gegessen hatte. Sein Kreislauf brach ständig zusammen. Die Augen lagen weit in ihren Höhlen, während die Wangen stark eingefallen waren und lange Schatten auf sein Antlitz warfen. Keuchend stützte er sich mit einer seiner von Blitz verkohlten Hände an der Wand ab. Die Verletzungen an seinem Rücken hatten aufgehört zu bluten. Bald würden sie nur noch eine blasse Erinnerung an die Ketten der Geister sein, ebenso wie die Wunden der gefräßigen Krähen. Nach einer kurzen Verschnaufpause ging der Held dann mit einem seltsamen Blutgeschmack – an den er sich bereits gewöhnt hatte – weiter. Nur noch einzig und allein angetrieben von seinem stählernen Willen und der Liebe. Noch nie war er dem Tode so nahe gewesen. Aber die Schwelle würde der Unsterbliche nie überschreiten können.
Mit jeder Stufe sah der Held vor seinem inneren Auge die Irrwege und Verstrickungen in seinem Leben die ihn an diesem Punkt gebracht hatten.
Von seiner Geburt und den daraus entstandenen Tod der Königin, über die Vergötterung seiner Schwester – deren Blutsbande er sich nicht bewusst war – aus der Ferne. Die Prügelei mit dem Prinzen und das damit entfachte Feuer zwischen den Beiden. Das harte Training um ein Ritter zu werden, welches durch stete Schmach und Peinigung gepflastert war. Der Inzest mit seiner Schwester und das daraus entstandene Kind, welches später durch seinen eigenen Großvater nach der Geburt ermordet wurde. Der ihm verwehrte Rittertitel der ihm mehr als nur rechtmäßig zugestanden hätte. Die darauffolgende Flucht der Liebenden, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Die Verbannung des Helden ins Asyl und die Enthüllung der Wahrheit durch seinen Vater, der ihm – seinem eigenen Sohn – darauf mit ewigem Schweigen bestrafte indem er ihm die Zunge herausschnitt. Der verruchte Prinz der seinen Vater und Herren heimtückisch im Schlaf erdolchte und einen schrecklichen Krieg vom Zaune brach.
Später war der Held dann ausgebrochen und hatte sich in Freiheit einem Kreuzzug verpflichtet, dessen einziges Ziel die Befreiung der holden Meid war. Alle starben auf dem Weg an mangelnder Ernährung, Hinterhalten, Steinschlägen, Ermordung durch die Hand der eigenen Brüder oder sie wurden einfach wahnsinnig. Einzig der verfluchte Held hatte es überlebt. Er war der einzige Überlebende eines ganzen Zuges hunderter Krieger.
Der Fluch der Unsterblichkeit. Die grausamste Macht dieser Welt. Sie hatte ihn all das Erleben und sehen lassen. All diese Ereignisse die einzig und allein dem Zweck dienten ihm zu diesem Punkt zu bringen. Ohne das Mal hätte er es nie so weit gebracht. Ohne das Mal wäre es nie zu all dem gekommen.
Der Held war Todmüde. Er wollte sich nur noch in die Arme seiner Schwester fallen lassen und schlafen. Aber erst musste er noch den Turm erklimmen.
Auf einmal stand der vor Erschöpfung gebeugte Ritter keuchend vor einer hölzernen Tür. Er blickte skeptisch auf, da er noch nicht ganz oben angekommen war. In dem darauffolgenden Raum würde sicherlich eine erneute Herausforderung auf ihn lauern. Die letzte, wie er hoffte.
Knarzend öffnete er die Tür. Er musste die Augen mit der freien Hand vor dem blendend goldenen Glanz im Inneren schützen.
Der Turm war an dieser Stelle sehr verfallen. Die Hälfte der einst kreisrunden Wand war verrottet und wurde einzig von ein paar morschen Balken getragen. Draußen schien der immerwährende graue Himmel und gab einen prächtigen Blick auf die düsteren menschenfressenden Wälder preis, die der Held auf seinem Weg passiert hatte. An der restlichen intakten Wand stapelte sich Gold zuhauf. Durchsetzt waren die Berge mit Diamanten, Rubinen, Saphiren, Smaragden und anderem Prunk. Im Zentrum des Ganzen saß eine groteske Gestalt.
Der geschundene Held sah schon grausig aus mit all seinen Entstellungen, aber diese Kreatur stellte ihn in diesem Aspekt in den Schatten.
Sie saß auf einem goldenen Thron wie ein König. Die Gestalt besaß keine Haut und zeigte ihr rohes Fleisch zur Gänze. Kleine Rinnsale aus Blut flossen ihrem Leib herab. Einzig das Fleisch der Mundpartie war weggefault und setze den Zügen ein immerwährendes gespenstisches Grinsen auf. Zwischen den Spalten der Zähne floss dunkles Blut. Auf dem Haupte trug das Wesen eine feinausgearbeitete Krone aus verschiedenen kleinen Menschenknochen, die scheinbar von Händen und Füßen stammten. Die fleischliche Kreatur kleidete ihre Nacktheit in der blutbesudelten Haut von Menschen, die in weiten Teilen großzügig ähnlich eines Königsgewandes an ihr herunter wallten. Die Finger waren besetzt mit prunkvollen Ringen. In der einen Hand hielt sie ein großes Zepter aus schwarzem Granit, dessen sechseckiger Kopf mit einem ovalen blutroten Rubin besetzt war, während die andere auf der Armlehne ruhte. Aber am meisten zogen seine unmenschlichen Augen den Betrachter in seinen Bann. Sie waren schwärzer als dunkelste Finsternis; tiefer als jeder Abgrund; unergründlicher als jedes Meer. In ihnen klagten leise die Verdammten die sich als kleine lila Totenschädel durch seine Augäpfel bewegten. Zu ihren Füßen kräuselte sich lebendiger Rauch. Immer wieder formte die Luft nackte Frauen mit vollen Rundungen die sich lustvoll stöhnend und seufzend zu seinen Füßen rekelten.
Die groteske Gestalt erhob sich von ihrem Platze. »Ah! Endlich! Ich hatte schon Angst, du würdest dich verspäten.« Majestätisch stolzierte das Wesen auf ihn zu. Mit jedem Schritt verursachte es ein widerwärtig-saugendes Geräusch und hinterließ an jenem Fleck einen blutigen Fußabdruck. Es stapfte mitten durch den sich seltsam kräuselnden Rauch. Die schemenhaften Huren zu seinen Füßen, zerflossen aufstöhnend als würden sie eine nie gekannte Lust erfahren. Anschließend lief der Rauch wieder zu seiner eigentlichen Form zusammen, damit die Frauen der Kreatur hinterher blicken konnten.
Dies war also einer jener Unholde um deren Willen alle Leiden mussten. Die Gier klebte an seinem verkommenen Leib, wie der markante Gestank eines Dunghaufens.
Aber dieser eine schien ihn zu kennen. Doch woher?
»Du hast dich seit unserer letzten Begegnung ziemlich verändert, Stalljunge. Was ist los? Willst du dich nicht brüllend auf mich stürzen? He? Ich rede mir dir! Antworte gefälligst, du Monster!«, brüllte die groteske Erscheinung.
Dem Helden fiel es wie Schuppen von den Augen, zugleich versetzte es ihm jedoch einen Stich. Es war der Prinz! Jener Unhold mit dem er sich im Hof geprügelt und der seinen Vatter auf dem Gewissen hatte. Von der Entführung seiner Schwester ganz zu schweigen. Wäre das Leben des Helden ein Bühnenstück, wäre dieser Sohn einer Hure ohne jeden Zweifel der Schurke darin.
Jetzt blickte der Ritter auf den goldenen Thron. Oben auf der Rückenlehne waren drei große Spitzen. Auf zweien waren Schädel aufgespießt, während die dritte in der Mitte leer war. Den einen Kopf kannte der Held nicht, den anderen dafür umso mehr. Es war sein Vater.
»Was ist? Was siehst …?« Der dämonische Prinz folgte seinem Blick. Mit seinem steinernen Zepter zeigte er auf die Spitzen. »Ah. Du fragst dich sicherlich, wer die sind. Nun, dies sind unsere Väter. Deiner und meiner. Der mittlere Platz ist für dich reserviert, du Bastard«, der Schurke zeigte mit dem Zepter auf ihn. »Du wirst zwar nicht sterben, wenn ich dir den Kopf abhacke, aber das tut meinen Rachegelüsten keinen Abbruch. Wir können uns dann nämlich noch weiter amüsieren«, meinte er gönnerhaft. »Also beginnen wir da, wo alles angefangen hat.«
Ohne Vorwarnung fing der ehemalige Prinz an, den Helden mit dem Zepter zu verprügeln. Der vollkommen überrumpelte Ritter konnte nicht anders, als einzustecken. Obwohl ihn seine Rüstung vorne noch schützte, konnte er den Schlägen nicht widerstehen. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in seiner Magengegend aus und ließ ihn sich stöhnend zusammenkrümmen.
Der groteske Prinz schlug dem Helden mit seinem Zepter die Beine weg. Wie ein unerfahrener Knappe fiel der Ritter auf den Boden. Der Schurke stellte ein Bein auf seine Brust.
»Der Spaß kann beginnen«, sagte er, während er sich mit der Zunge über die Zähne fuhr und dabei das Blut auf ihnen verschmierte. Seine Augen schäumten über vor wahnsinnigem Sadismus.
Mit brutaler Gewalt stieß der Prinz das untere Ende seines Zepters in das linke Auge des Helden. Schreiend floss das Blut gemischt mit dem weißlichen Glibber der einst sein Auge gewesen war über die Züge des Helden. Auf dem Sehnerv lastete ein höllischer Druck. Ein unbeschreiblicher Schmerz stieg ihm sofort in den Kopf und ließ keinen Raum für andere Gedanken.
»Das ist für all die Schmach,«, brüllte der Prinz und stieß mit brutaler Gewalt das Zepter noch etwas weiter in den Kopf seines Gegners; mit jedem gesprochenen Wort zog er das Zepter ein kleines Stückchen heraus, nur um es dann noch brutaler zurück zutreiben, »die ... ich … wegen … dir … erleiden musste.« Der Wahnsinnige spuckte bei seinen Worten immer wieder kleine Tropfen Blut, die sich kälter als jedes Eis auf der Haut des Ritters niederließen.
Der Held hörte den Schurken nicht. Er spürte nur den hämmernden Schmerz im Kopf, den selbst der stärkste Mann nicht ausgehalten hätte.
Nun drehte der groteske Prinz das Zepter in der Augenhöhle. Während er durch wirre Worte seinen Wahnsinn preisgab. »Alle haben sie gelacht. Mein Vater, seine Ratgeber, selbst der niedere Pöbel und du Drecksviech! Nun wirst du erfahren, durch was für eine Hölle ich gegangen bin, indem ich dir Hurensohn eine kleine Kostprobe davon gebe. Du dachtest wohl, dass die Hindernisse auf deiner Reise willkürliche Zufälle seien. Aber da irrst du Monster dich. Ich habe die Halunken im Dorf auf dich gehetzt. Ebenso die Riesenratten und Geister. Selbst der Drache war Teil meines jahrelang gereiften Racheplanes. Ebenso wie die Entführung deiner geliebten Schwester, deren einziger Zweck es war dich und nur dich allein hierher zu locken. Aber das war nur die kalte Vorspeise. Der Hauptgang folgt erst noch.«
Hysterisch lachend legte der Prinz den Kopf in den Nacken, welches von dem gemarterten Geschrei des Helden untermahlt wurde. Stöhnend und sich in den Schmerzen seines Gegners suhlend, bewegte der Schurke das Zepter in der Augenhöhle seines geschlagenen Feindes, während er jede Regung in den schmerzverzerrten Zügen in sich aufsog.
Nachdem der Held vor lauter Schreien heiser war, zog der Prinz das Zepter langsam und bedächtig heraus.
Von da prügelte er auf den am Bodenliegenden Helden ein. Sichtlich in Fahrt gebracht, wurden die Hiebe gegen den wehrlosen Mann immer schneller und brutaler. »Du lachst ja gar nicht mehr!«, schrie der Prinz sichtlich wahnsinnig. »Bin ich dir etwa nicht mehr amüsant genug?! Warum lachst du nicht?! Es hat dir doch sonst auch immer so viel Spaß gemacht mich zu verhöhnen!«
Der Held fühlte sich in seine Vergangenheit zurückversetzt, als er noch ein schwacher Jüngling war. Damals hatte er wie in diesem Moment die Arme über den Kopf geschlagen und gehofft sein Peiniger würde schnellstmöglich weiter ziehen.
»Ich hab alles mit angesehen«, sagte der Prinz keuchend, während er weiterzuschlug. »Wie du das Bett mit dieser Hure von Schwester geteilt hast. Ich war dabei, als sie das Gift genommen hat, um die Geburt zu vermeiden. Sie hat es freiwillig genommen, als sie erfuhr wer du eigentlich warst. Ein Ungeheuer aus demselben Leibe dem sie entsprang. Du hättest sie sehen müssen, wie sie sich geschämt hat. Wäre ich nicht gewesen, hätte sie sich aus ihrer eigenen Schande heraus das Leben genommen! Stattdessen ist dein Kind unter endlosen Strömen ihres Blutes tot auf die Welt gekommen.«
Der Held wollte etwas sagen, doch es kamen nur unverständlich gequälte Laute herausgesprudelt. Er hätte sagen wollen, dass der Prinz mit seinen Lügen aufhören sollte. Nie und nimmer hätte sich seine Schwester das und ihrem eigenen Kind angetan. Er kannte sie dafür zu gut. Ebenso war ihm in Erinnerung geblieben, wie sehr sie sich auf ihr Kind gefreut hatte.
Dieser Hurensohn musste lügen. Es konnte nicht wahr sein. Der Held weigerte sich es zu akzeptieren.
»Du wirst nicht eher sterben, als dass du das Ende dieser Inzest-Hexe mit ansiehst. Wie ich ihr die eigene Macht entreiße. Anschließend werde ich ihr die Gedärme herausreißen und sie an langen Stangen über ihren verruchten Körper befestigen. Dann werde ich ihren nackten Leib aufstellen, wo jeder sie und ihre Abscheulichkeit sehen kann.
Wenn dein Geist anschließend tot zu meinen Füßen liegt, werde ich dir ein namenloses Grab im Wald schaufeln, auf das du für den Rest aller Tage dort verrotten magst. Lebendig, wie tot! Genau das bedeutet es doch unsterblich zu sein! Alles und jeden beim Leiden zuzusehen und zu überleben.« Der Schurke lachte irre.
Diese Worte rüttelten den Helden aus seiner Lethargie. Er war kein schüchterner Junge mehr. Vielmehr war er ein Mann dem das Leben auf schlimmste gezeichnet hatte. Er würde nicht eher ruhen, bis seine Schwester in Sicherheit vor diesem Ungeheuer war.
Den nächsten Hieb fing der Held in der Luft mit der freien Hand ab. Er wollte seinem Rivalen eine Drohung überbringen, da er aber nicht sprechen konnte, musste er sich mit Knurren begnügen. Verbissen kämpfte er sich auf die Beine und stieß seinen Gegner zurück. Zischend zog er sein Königsschwert blank und nahm den Schild vom Rücken.
Der Prinz nickte verächtlich anerkennend.
Mit dem Schwert zielte der Held auf seine Schulter, was der Schurke aber mit seinem Zepter abwehrte. Mit einer überraschenden Kraft stieß er den Ritter zurück. Der setzte jedoch mit einem Schildschlag nach, um den Prinzen aus der Reserve zu locken. Und tatsächlich entglitt dem Monstrum das steinerne Zepter aus den blutigen Fingern.
Mit einer Handbewegung hatte er jedoch ein neues herbeigezaubert.
Es war ein aufrechter Darm mit einem Herz als Griff. Fasziniert betrachtete er das seltsame Konstrukt in seinen Händen und wendete es dabei. »Willst du wissen, warum dieser Darm aufrechtsteht?«, fragte er, ohne die Antwort abzuwarten die niemals kommen würde. »Ich habe dieses Organ von innen mit den Knochensplittern meiner Feinde bestückt. Durch das Kleben an den Schleimhäuten verleihen sie dem Organ eine Stabilität, wie die eigentlichen Knochen dem Fleisch. Und ich freue mich schon deine Knochen mit einzufügen.«
Den Helden interessierten diese hohlen Worte nicht. Brüllend humpelte er los. Der Prinz machte eine Bewegung mit der freien Hand und das verlorene Zepter kehrte in seine gierigen Krallen zurück.
Sein Rivale wusste recht geschickt mit den eher ungewöhnlichen Waffen umzugehen. Er nutzte ihre Reichweite, um den Helden auf Distanz zu halten. Sollte er ihm doch zu nahe kommen, benutzte er ihr zusätzliches Ende, um die Deckung des Helden zu umgehen. Zusätzlich erschwerte das verlorene Auge die Sicht und ergab einen zu großen toten Winkel, den der Prinz gnadenlos ausnutze.
Als der Held keinen einzigen Schlag gegen ihn zustande brachte, wurde der groteske Prinz immer übermütiger. Er schlug seine Zepter in den steinernen Boden, stemmte seine Füße in die Luft und versuchte den ihn verhassten Ritter wegzutreten.
Dieser jedoch blockte den Angriff, wehrte die Füße ab und schlug mit dem Schild nach dem widerlich fleischlichen Gesicht seines Rivalen. Mit einem widerlichen Knacken brachen die Knochen.
Vom Schlag überrumpelt, taumelte der Prinz einige Schritte zurück und ließ seine Deckung fallen.
Diese Chance nutzte der Held um seine Klinge in den Bauch seines Gegners zu stechen.
Überrascht vom Anblick der Klinge sah der Schurke an sich herab. Plötzlich zuckten rote Blitze aus der Wunde hervor. Der Prinz schrie fürchterlich, stolperte nach hinten und sackte auf dem Bergen aus Reichtümern zusammen.
Die Klinge aus alten Tagen war einst magisch gewesen, doch auch ihre Magie war verblasst. Wie jedes Wesen musste sie sich der Macht anderer bedienen um zu überleben. Sowohl von der Gewalt des Unwetters, als auch vom unrechtmäßigen Magievorrat des grotesken Prinzen. Wer wusste schon wie viel Magie dieser Bastard angehäuft hatte. Jedes bisschen würde nun von der Königsklinge seines Vaters aus seinem Leib gesogen. Langsam und Qualvoll.
»Bitte!«, schrie der Schurke mit blutig ausgestreckter Hand. »Erlöse mich von dieser Qual!«
Hätte der Ritter auch nur einen Funken mitleid ihm gegenüber verspürt, hätte er ihn von seinen Leiden erlöst. Niemand konnte solche Folter besser nachvollziehen als er selbst.
Aber der Held wollte nicht barmherzig sein. Nicht diesem Biest gegenüber, das so viele Gräueltaten verübt und ihn selbst als ein Ungeheuer beschimpft hatte.
Er ließ seinen inzwischen unermesslich schweren Schild achtlos fallen. Müde humpelnd ging er zur Tür die ihn endlich zur Kammer seiner geliebten Schwester bringen würde. Den sterbenden Rivalen ließ der Held zum Sterben zurück.
Unbeabsichtigt hatte er seinen Vater mit seiner eigenen Klinge gerächt. Aber er hatte es nicht für ihn, sondern für sich selbst und seine Liebste getan.
Der sterbende Schurke lachte dreckig, als die Klinke der Tür schon in der Hand des Helden lag. Durch das Knistern hindurch ertönte seine inzwischen krächzende Stimme. »Glaubst du etwa, du könntest sie erreichen?« Ein erneutes Lachen, welches sich in ein blutiges Husten verwandelte. »Du wirst sie nie erreichen! Immer wenn du die Türe zu ihrer Kammer öffnest, wirst du dahinter dieselben Leiden deiner Reise noch einmal vorfinden. Jeder Schmerz, jede Verletzung und jede Schmach werden dich bis in alle Ewigkeit begleiten. Und ich …«, er atmete einmal rasselnd ein. »Ich werde wieder leben.« Er lachte dreckig in seinen letzten Atemzügen und wurde alleine sterbend zurückgelassen. Die Blitze leckten unterdessen über den blutbefleckten Berg aus Reichtümern, um sich ihre Magie einzuverleiben. Das Gold schmolz dahin, vermischte sich mit dem Blut der grotesken Gestalt und brannte sich schmerzhaftzischend in seinen Leib. Der Schurke ging lachten in einem Meer der Agonie unter.
Der Held ging die Wendeltreppe weiter hoch, während die Worte des wahnsinnigen Prinzen in seinem Kopf widerhallten. Wieder und wieder. Aber die wichtigste Frage blieb. Hatte die Prinzessin das Gift wirklich freiwillig genommen?
Mit jedem Schritt und jeder Stufe löste sich etwas mehr von seiner Panzerung. Zuerst fiel nur die Brustplatte scheppernd zu Boden. Dicht gefolgt von dem verbliebenen Handschuh, der von seinen schwitzigen Händen rutschte. Der ihm verbliebene Stiefel blieb einfach auf der Stufe stehen und schaute dem Ritter einsam und sehnsuchtsvoll nach. Der Waffenrock lockerte sich und fiel ebenfalls scheppernd zu Boden. Kratzend rutschte er die Stufen hinunter.
Mit jedem verlorenen Teil wurde der Held sich immer mehr einer Wahrheit bewusst. Er war kein Verfluchter, der einem alten Gesetz unbekannten Ursprungs nach geächtet wurde. Ebenso wenig wie er ein armer Stalljunge oder ein Ritter auf einem Kreuzzug war. Selbst seine Rolle als inhaftierter Gefangener hatte er abgelegt. Ein edler Prinz aus einem Märchen war er schon überhaupt nicht. Und auf gar keinen Fall war er ein strahlender Held der zur Rettung eilte. Kein verehrenswertes Idol hätte seinem Todfeind derart gequält zum Sterben zurückgelassen und selbst wenn nicht, was war ein Held ohne den Schurken? Er war einfach nur ein Mann.
Er war niemandes Sohn. Ungeliebt von der Welt.
Niemandes Bruder. Von einer geliebt.
Schließlich erreichte er die Tür im obersten Raum des Turmes. Inzwischen trug er nicht mehr, als eine gewöhnliche Stoffhose am Leibe, den alle Ritter trugen damit die Rüstung nicht allzu sehr scheuerte.
Der einfache Mann wusste nun, wie und als was er der Prinzessin gegenübertreten würde. Wie sie beide weiter leben würden. Wie die Welt danach aussehen würde.
Er war ans Ende seiner Reise angekommen.
Quietschend öffnete er die hölzerne mit nietenverstärkte Tür und …

Unsterblichkeit bedeutet, mehr als einmal zu sterben ohne die Schwelle des Todes jemals zu überschreiten.
Der von Krähen umkreiste Turm erhob sich als dunkler Umriss in dem von Wolkenverhangenen Himmel.
Der Held ritt mit seinem müden Reittier den Trampelpfad hinunter ins bewaldete Tal.
Wann würde dieser Fluch nur endlich aufgehoben werden? Wann würde diese endlose Pein bloß enden? Und war sie das wirklich? Endlos? … … …

Endlose Pein …


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Endlose Pein IV"

Schlusswort:

Wieder ist ein Projekt zu Ende gegangen und wie immer hat es tierisch Spaß gemacht in eine fremde Welt abzutauchen.
Diese hier übte auf jeden Fall einen makabren Reiz auf mich aus. Eine Welt die einem Helden einfach nur ins Gesicht schreit: „Ich werde dich killen, Motherfucker!“ Und wenn der Held nicht sterben kann … tja Pech gehabt. Es war auf jeden Fall interessant mal einen aus meiner Sicht „wahren Unsterblichen“ zu mimen. Denn seien wir doch mal ehrlich, wie häufig gibt es sowas? Den Highlander kann man köpfen, den bösen Zauberer kann man mit irgendeinem Zauberkessel umnieten etc. etc. Jede Sau kann irgendwie verrecken und das nennt man dann „Unsterblichkeit“. Bestes Beispiel sind die Vampire, von denen man sagt dass sie unsterblich seien, aber in Wirklichkeit haben die einfach nur die ewige Jugend gepachtet. Betrug!, sage ich. Weihwasser, Kruzifixe, Sonnenlicht und dennoch sagt man die seien Unsterblich. Ja nee is´ klar.
Vielleicht werde ich irgendwann einmal eine indirekte Fortsetzung schreiben, in der es dann um einen anderen Unsterblichen gehen wird, denn eines ist klar: Diese grausame Endzeit-Fantasy-Welt hat noch eine Menge Geschichten und Ungeheuer im Petto, die bestimmt gerne Erzählt werden würden.
Jedenfalls hoffe ich, dass ihr Spaß beim Lesen dieser Neuinterpretation des wohl ältesten Märchens des Abendlandes hattet. Ebenso hoffe ich, dass die Moral der Geschichte den Einen oder Anderen zum Nachdenken anregt.

PS: Ich liebe fiese Enden.

Previous: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/12/Fantasie/46822/Endlose-Pein-III/
First: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/12/Fantasie/46780/Endlose-Pein-I/




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