Endlose Pein II

© EINsamer wANDERER

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Es war ein schöner, sonniger Tag, in welchem sich die bunten Blumen in der warmen Sommerbrise wiegten. Die mächtigen Bäume des Waldes standen in voller Blüte und ließen den Beobachter die strahlendgrünen Blätter mit den verzierenden Tautropfen vergessen. Alles schien friedlich zu sein.
»Komm schon! Nicht so schüchtern.« Lachend zog die Prinzessin den jungen Helden am Arm auf die Wiese. Vor Aufregung pochte sein Herz laut in der Brust, während hundert Schmetterlinge in seinem Bauch zu der verzückenden Melodie der Liebe tanzten.
Plötzlich stolperte die Meid und riss den Helden mit sich ins saftig grüne Gras, wodurch eine Explosion von bunten Blüten ausgelöst wurde und die Farbenpracht auf die beiden herabregnete. Lachend lagen Held und Prinzessin aufeinander. Dann wurde der Gesichtsausdruck der Schönheit verträumter. Sie schloss die Augen und spitzte die süßlichen Lippen. Dem verwirrten Helden schoss die Röte ins Gesicht. Wie sollte jemand seines niederen Standes die Unverfrorenheit besitzen eine hochwohlgeborene Jungfrau zu küssen?
Der Held hatte noch nicht einmal Eltern und somit auch keinen gesellschaftlichen Stand. Er war eine Waise. Hätte der König nicht die Gnade besessen ihn als Säugling aufzunehmen, hätte er kein Dach über dem Kopf. Auch wenn ihn alle – einschließlich seines Herrn – wie Dreck behandelten, verspürte er trotzallem dem König gegenüber Loyalität. Da er diesem Mann alles im Leben verdankte, konnte er seine Tochter unter keinen Umständen die Illusion einer gemeinsamen Zukunft vorgaukeln. Auch wenn sein Herz sich nichts sehnlicher wünschte, so verboten es ihm die Etikette der Gesellschaft. Er wollte niemanden verletzen. Weder die reizvolle Prinzessin, noch seinen strengen Herren.
Während Liebe und Ehrgefühl miteinander Rangen, beschloss die Prinzessin die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie packte den Helden am Kragen, zog ihn zu sich und küsste ihn inniglich. Ihre Lippen schmeckten nach dem süßesten Honig und lösten dabei eine Explosion der Freude beim Helden aus.
Nachdem sie sich voneinander gelöst hatten, flüsterte sie: »Ich liebe dich.«
Der Held schluckte, da ihn dies in Zwiespalt brachte.


Tod und Leid; Frieden und Ruhe. Unruhe kämpfte gegen Gleichgültigkeit. Der Baum las in der Vergangenheit des Helden wie in einem Buch, doch was er da sah erfüllte ihn mit Agonie.
Er sah das Leid und die miese Behandlung des Helden. Wie er doppelt und dreifach so gut hatte sein müssen wie die anderen Knappen, um überhaupt eine Chance auf den Rang des Ritters zu bekommen. Wie ihn sein Lehrmeister immer geschlagen hatte, wenn der Held seine Rüstung nicht zu seiner Zufriedenheit geputzt hatte. Manchmal hatte er ihn aber auch nur aus purem Vergnügen Schmerzen zugefügt. Die Erinnerung wie die Knappen den geschundenen Helden dann im Schlaf zusammengeschlagen und anschließend auf ihn uriniert hatten tauchte zwar auf, ging aber im Meer der Entwürdigungen unter.
All dieser Schmerz und Hass dem der Held sein Leben lang ausgesetzt war schien so anders als die verschlungenen Menschenleben vor ihm zu sein und so anders als das bisherige so friedvolle Dasein des Baumes, dass das Gewächs ihn von sich stieß. Aus hartem Holz wurde wieder weiches Fleisch, so wie aus Harz wieder Blut wurde. Widerspenstig löste sich der Mann von der Pflanze.
Der Held drehte sich noch einmal um und sah wie der Baum verkümmerte und einging. Von ihm blieb nur ein schwarzes Etwas, das nie und nimmer ein Baum gewesen zu sein schien. Offenbar vertrug sich der Schmerz einer menschlichen Seele nicht mit der eines totgeweihten Baumes.
Der Held allerdings stellte nur einmal mehr seine Position im Leben infrage. In der Vergangenheit hatte er jeden klugen und weisen Mann gefragt, was so schlimm an seinem Fluch sei. Keiner hatte eine zufriedenstellende Antwort gehabt. Niemand wusste es. Die Dummen bezogen sich nur auf das uralte Gesetz, welches den Helden als verdorbenen Abschaum brandmarkte. Andere sagten es sei wider die Natur, während aus wiederanderen der Neid sprach, weil der Held über eine endlose – wenn auch angeblich unreine – Magiequelle verfügte und Unsterblichkeit dazu.
Einzig ein alter verrückter Mann hatte dem Helden auf seinen Reisen eine interessante Antwort gegeben. Er meinte, dass seine Unsterblichkeit bedeutete mehrfach zu sterben. Desweiteren sagte er, dass es Menschen geben müsse die lange genug leben, um das Ende miterleben zu können. Damals – als die Welt noch in Ordnung war – hatte der Held diese Aussage noch als vollkommenen Blödsinn abgetan, schließlich war allseits bekannt, dass der Alte verrückt war. Aber am Ende schien er doch Recht zu behalten.
Mit einem kurzen Schütteln sammelte sich der Ritter wieder und wandte sich seiner eigentlichen Aufgabe zu. Er schritt auf das baufällige, von Efeu überwucherte Tor zu. Nun sah er auch den Innenhof, der mit toten Rittern gepflastert war die vor ihm hier waren. Scheinbar waren sie in Flammen aufgegangen und in der eigenen Rüstung gekocht worden. Es herrschte eine gespenstische Ruhe.
Die Krähen taten sich in aller Stille gütlich an den in eisengehüllten Kadavern der Gefallenen. Sie würden das Fleisch der toten Helden fressen und somit ihre Seelen ins Jenseits geleiten. Vielleicht war der Held deswegen geächtet. Jeder Mann in dieser Welt hatte im Kampf zu fallen, um die Schwelle auf der anderen Seite zu überschreiten, aber der Held würde niemals sterben. Er war verdammt bis zum bitteren Ende dieser sterbenden Welt zu Leben, während um ihn herum der Tod grassierte. Seine lebenden Augen sollten sehen, wie sich die Welt um ihn herum in Qualen windete. Die Ohren würden die Hysterie der Wahnsinnigen vernehmen. Und dann wenn sein Herz in tausend Teile brach, würden die Überreste davon miterleben wie es die Welt zerriss.
Eilig humpelte er auf dem Turm zu. Der Schmerz seiner Wunden zerrte an ihm, doch sein Wille trieb ihn weiter an, während sein Blick sich den Hof ansah. Jederzeit könnte er in eine Falle laufen.
Das meiste war nur noch eine Ruine. In den Ställen lagen die Gebeine von ehemals edlen Rössern, an denen jetzt nur noch einige Fleischfetzten hingen. Das Schloss mit dem angebauten Turm – welcher die Prinzessin beherbergte – war halb zerfallen und an einigen Stellen machten sich große schwarze Brandflecke an den Wänden breit. Einzig die große Kathedrale schien noch intakt zu sein. Ihre Buntglasfenster mit den Darstellungen der früheren Herrscher waren etwas verschmutzt, aber niemand schien den heiligen Schrein des Kriegerkönigs entweihen zu wollen aus Angst vor seinem übermächtigen Zorn, der den Schuldigen mit einem donnernden Blitz ein jähes Ende bereiten würde.
Der Blick des Helden war so auf dem Ort geheftet, dass er den porösen Boden nicht sah der unter ihm wegbrach und verschluckte. Schreiend fiel der Held in die dunkle Tiefe. Die Luft zischte an seinen Ohren vorbei. Die beklemmende Angst im freien Fall zu sein ohne den Boden zu sehen übermannte ihn. Schließlich wurde sein Fall von etwas metallenen, klirrenden gebremst. Baumelnd hing der Held in der Luft. Wahrscheinlich waren es Ketten, aber in dieser Schwärze ließ es sich nicht ausmachen.
Plötzlich rutschte er klirrend an ihnen ab und fiel unsanft auf den Boden. Unglücklicherweise landete er auf den Knien, die er sich trotz der Rüstung prellte. Ein unangenehmes Taubheitsgefühl breitete sich in einer langsamen Welle von den Knien aus. Der Held versuchte es zu ignorieren, doch das Gefühl verstärkte sich mit den Bewegungen. Er atmete einmal bewusst aus und wieder ein, um seine Kräfte zu sammeln, während das Taubheitsgefühl langsam abklang. Dieser Sturz war eindeutig ein Rückschlag gewesen, aber der Held musste weiter. Irgendwie musste er aus diesem Loch raus.
Ein kleiner Rundumblick sagte ihm, dass er wahrscheinlich im Kerker gelandet war. Rostige Fesseln waren an den Wänden die vom sich bewegenden Schein der Fackeln beleuchtet wurden. Rasselnde Ketten mit Widerhacken hingen von der Decke und schwangen mit leisem Geklirr gegen die steinernen, kaltfeuchten Wände. Eine mit eisenverstärkte Tür war der einzige Zugang zu diesem Raum. Der Held schaute noch einmal nach oben, von wo er gekommen war. Der graue Himmel war von hier unten nicht auszumachen.
Ob des Sturzes seufzte der Ritter noch einmal resigniert und öffnete die Tür. Vor ihm breitete sich unendliche Schwärze aus, die seine Augen nicht zu durchdringen vermochten. Um den Weg sehen zu können nahm der Held eine der Fackeln vom Halter und ging mit dem klirrenden Geräusch seines improvisierten Metallfußes und dem rasseln seiner Rüstung auf kaltem Gestein in die Dunkelheit.
Mit jedem verstreichenden Augenblick widerte ihn dieser trostlose Ort mit seinen Bewohnern mehr an. In der Luft schwebte der Gestank von Tod und Verwesung. Sowohl links als auch rechts neben dem Weg lagen die Gefängniszellen. In ihnen verrotteten verkümmerte Gestalten. Sie waren grau, ausgemergelt und in Lumpen gehüllt. Ob sie mal Männer oder Frauen waren ließ sich nicht sagen. Ihre Leiber waren zu sehr ausgetrocknet und verschrumpelt. Augen besaßen sie keine mehr, aber sie schienen das Licht der Fackel dennoch wahrnehmen zu können. Ihre dürren Finger versuchten das Licht zu greifen, während die Gefangenen die ganze Zeit über zu einem schaurigen Klagelied anstimmten, welches gelegentlich von einem fallenden Wassertropfen untermalt wurde. Sie hatten noch weniger Licht als die Menschen an der Oberfläche. Der Held musste erkennen, dass aus den Gefangenen sämtliches Leben ausgequetscht war und ihre Leiber somit nichts weiter waren als leere Hüllen – Untote. Eine blasse Erinnerung von Menschen.
Eine Hand bekam den Arm mit der Fackel zu packen. Reflexartig zog der Held sein –im Fackelschein aufblitzendes – Schwert blank. Er spürte den Druck der Hand, doch sie hatte keine Kraft mit der sie ihn zwingen konnte sein Licht abzugeben. Vorsichtig beleuchtete der Held ihren Träger.
Es schien einmal eine Frau gewesen zu sein. Nur eine Mutter würde den toten Leib eines Kindes so nah bei sich am Körper tragen. Das Kind war schon vor langer Zeit gestorben und die Mutter hielt nur die Gebeine in ihrem Arm. Ob sie sich bewusst war, dass das Kind tot war? Oder war auch diese Geste der Nähe nur ein Schatten des einstigen Lebens?
Plötzlich brach die Wand auf. Aus dem Dunkel krochen große, behaarte Schatten mit rotglühenden Augen. Fiepend stürzten sie sich auf den Helden. Reflexartig riss er seinen Arm von der vermeintlichen Frau los und schwang die Fackel gegen die Geschöpfe, welche instinktiv vor dem Feuer zurückschreckten. Im flammenden Schein entpuppten sie sich als große Ratten mit von Unrat übersätem Fell, welches im Licht zu glänzen schien.
Der Held erschlug die großen Nagetiere mit seinem starken Schwertarm, während er die restlichen Pestträger mit dem Schild auf Abstand hielt. Es spritzte ächzendes schwarzes Blut. Diese Kreaturen schienen keine gewöhnlichen Tiere zu sein, da ihr Blut sich durch die Gitterstäbe fraß. Die Klinge zerfiel ebenfalls zischend. Doch ehe sein Schwert gänzlich nutzlos war, hielt die gefräßige Körperflüssigkeit inne. Die Klinge schien um mehrere Jahre gealtert. Sie war nun schartig und angefressen, selbst der Schild hatte einiges einstecken müssen.
Das Brennen im Gesicht spürte der Held kaum. Der Schmerz den die gefräßige Säure verursachte, als sie seine Wangen zerfraß ging im Meer der restlichen Agonie unter. Erst als sie den Zahnschmelz angriff und der letzte Angreifer gefallen war, zog der Ritter die Luft hörbar durch die Zähne um seinen Schmerz Ausdruck zu verleihen.
Ein Zischen am Arm des Helden ließ ihn selbigen anheben. An ihm klebte immer noch die Hand des Untoten, welches nun vom ächzenden Blut verzehrt wurde. Scheinbar hatte der Held ihn abgerissen, als er sich der Bedrohung gestellt hatte. Als er wieder mit seiner Fackel jenem Fleck beleuchtete an dem die Frau gestanden hatte, musste er feststellen, dass er ihr wirklich den Arm abgetrennt hatte. Aus dem Stumpf mit dem sie trotz allem nach dem Licht griff rieselte feiner Sand auf den kalten, feuchten Kerkerboden. Sie schien das fehlende Glied ebenso nicht wahrzunehmen, wie die anderen Hüllen die jetzt durch die zerfressenen Gitterstäbe hätten fliehen können.
Der Held ging angewidert weiter und ließ die klagenden Untoten hinter sich. Niemals würde er diesen dunklen Ort vergessen können. Niemals.
Am Ende des Ganges kam er zu einer Treppe in einem weiten Raum. Nie hatte der Held solch eine Finsternis gesehen, die selbst die Fackel nicht bekämpfen konnte. Ein unbedachter Schritt des Helden zeigte auch sofort, dass dieser Aufstieg sehr gefährlich werden würde. So ging es links und rechts neben der Treppe tief hinunter und es gab kein Gerüst, an dem man sich festhalten konnte. Zudem machte es die allgegenwärtige Finsternis schwer den Rand auszumachen. Hoch oben an ihrem Ende war das graue Licht des Tages zu sehen.
Vorsichtig wagte der Held einen Schritt nach dem anderen. Sein verletztes Bein schleifte er dabei mehr hinter sich her. Nicht einmal ein Laut war von den Schritten zu hören. Das Dunkel verschluckte sie einfach.
Ein plötzlicher Wind kam auf. Er zog durch den Eingang zur Oberwelt. Sein Klang war wie das Heulen des Todes selbst. Vor Schreck machte der Held einen Schritt zurück. Ein Teil der Kante brach ab und riss seinen gesunden Fuß in den Abgrund. Der Held fiel auf die Knie. Instinktiv krallte er seine Hände in den Boden. Einen Moment verweilte er so. Quälend langsam lief ihm ein eiskalter Schweißtropfen über die Schläfe das Gesicht hinunter. Er wischte ihn sich mit der behandschuhten rechten Hand ab.
Dabei merkte er nicht, wie sich zu dem Heulen ein zweites dazugesellte. Und dann noch eins und darauf noch eins.
Dem Helden sträubten sich vor Angst die Nackenhaare. Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinen Gedärmen breit, während das Licht des Ausganges immer näher rückte.
Plötzlich erhellte ein geisterhaftes Licht die Dunkelheit. Es war ein frei in der Luft schwebendes Kind, nicht älter als sieben oder sechs Sommer. Sein Körper war über und über mit Widerhaken versehenen Ketten bedeckt die es an diese Welt zu binden schien. Sie waren auch um seinen Hals gewickelt, als hätte man ihn zu Lebzeiten mit diesen gegliederten Eisen erwürgt. Vom Hals tropfte ständig eine rötlich schleimige Flüssigkeit die entfernt an Blut erinnerte. Der geisterhafte Körper wies weitere Auffälligkeiten von Folter auf. Die abgetrennten Füße deuteten auf einen gewaltsamen Tod hin. Eine übliche Vorgehensweise bei Folterungen damit das jeweilige Opfer nicht imstande war zu fliehen. Das weiße mit blutdurchtränktes Laken flatterte in einem nicht in dieser Existenzebene vorhandenen Wind. Durch das Leuchten seines Körpers waren die halbverwesten Gesichtszüge von unheimlichen Schatten umrahmt. Das verwesende Fleisch der Erscheinung war von wurmartigen Kreaturen bevölkert die sich an ihm gütlich taten. In den weit ihren Höhlen liegenden Augen sah der Held, die Gier nach dem Leben selbst, welches dem Toten fehlte. Das Geisterkind untermalte seine Ambition indem es die von einem Nagel durchbohrte Hand nach dem Helden ausstreckte. Dabei zeigte sich, dass ihm die Finger sauber abgehackt worden waren, dennoch tröpfelte beständig das schleimige Blut aus ihnen, wie aus allen anderen Wunden. Heulend stürzte der Geist sich auf den Helden, wie ein Adler auf eine Maus.
Schützend hielt der Held seinen beschädigten Schild vor sich, doch der Geist ging wie in allen Mären einfach durch seinen Körper hindurch. Die kalte Berührung der Erscheinung entzog dem Helden sämtliche Wärme und Kraft. Die körperlichen Schmerzen verstärkten sich. Das Bein sendete unendliche Qual in großen Wellen durch seinen Körper, die den Schmerz der kleineren Fleischwunden überdeckte. Die Strapazen der Reise kehrten zurück und ließen den Geist des Helden in tiefste Finsternis stürzen.
Der schwerverletzte Körper ging in die Knie. Der schwarze Schleier breitete sich wieder in seinem Blickfeld aus. Verbissen kämpfte der Held gegen die nahende Ohnmacht an und trieb mit seinem schieren Kampfgeist die Dunkelheit zurück. Unterdessen tauchten immer mehr Geister auf und umzingelten den angeschlagenen Ritter. Sie alle waren auf dieselbe Weise gefoltert und getötet worden. Und sie alle waren noch an diese sterbliche Welt gebunden, wo es sie nach dem Leben dürstete.
Die Arme des Helden fühlten sich Bleischwer an. Die Hände zitterten unkontrolliert, ob durch Angst oder Erschöpfung ließ sich nicht sagen. Unter keinen Umständen durfte er die Fackel loslassen. Seine Hand hielt das Feuer krampfhaft fest, doch die Erschöpfung war einfach zu groß. Langsam begannen sich die Finger zu lockern. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kraftreserven versuchte der Held sie nicht loszulassen, doch je mehr er sich bemühte, umso schwerer wurde es. Widerwillig gaben die Finger ihren Inhalt frei. Klappernd fiel die einzige Lichtquelle auf den Boden und rollte in die Finsternis des Abgrundes. Jetzt war nur noch das Leuchten der Geister übrig und der Held sah keine Chance hier lebend wieder rauszukommen.
Als die Hoffnungslosigkeit alles zu verschlingen drohte, blitzte ein kleiner Lichtfunke in der Dunkelheit seines Geistes auf. Es war eine Erinnerung an eine Zeit die so weit zurück lag, dass sie einem anderen Leben entsprungen schien. Es war ein Lächeln der Prinzessin aus jenen Tagen an denen die Welt nicht der bedrohliche Ort gewesen war, wo sich alles und jeder wegen des eigenen Überlebens tötete und fraß.
Schreiend kämpfte der Held sich wieder auf die Beine. Doch allein der Akt des Aufstehens war eine unüberwindbare Hürde für ihn, die sein Körper nicht mehr mitmachen wollte. Aber so schnell gab der Held sich nicht geschlagen.
Inzwischen war er von einer Geisterarmee umzingelt und jeder wollte vom Unsterblichen das was ihnen selber fehlte. Die Lebenskraft.
Unbeholfen zog der Held mit seiner linken Hand das Schwert aus der Scheide. Er rammte die Klinge in den Boden und zerrte sich am Griff auf die Knie. Einen Moment lang herrschte schweigen. Nur das Keuchen des Helds war zu hören. Er nahm das Schwert in die schwitzige Linke. Er hatte keine Zeit, um den Fehler zu korrigieren und Schwert und Schild in die Hand zu nehmen, wo sie hingehörten. Als es soweit war, atmete der Held langsam aus. Vor seinem geistigen Auge ließ er sein gesamtes Leben noch einmal Revue passieren. Am liebsten hätte er stattdessen die Geister herausfordernd angebrüllt, hätte er noch seine Zunge besessen.
Schließlich waren die Geister des Wartens überdrüssig. Heulend sausten sie auf ihn zu. In der rechten der Schild und in der linken das Schwert, wartete der Held einige Augenblicke bis seine Gegner in Reichweite waren. Schreiend schwang er die zerfressene Waffe im weiten Bogen. Bei seiner Vollendung rutschte ihm der Griff aus der schwitzigen Hand. Die Geister schien es nicht weiter zu kümmern, da die Klinge durch sie durch ging. Im letzten Moment hob der Held reflexartig seinen Schild. Diese alte Gewohnheit konnte die Geister jedoch nicht aufhalten. Sie saugten ihn komplett aus und zwangen ihn in die Knie. Niemals würde der Held diesen Kampf gewinnen können.
Da blieb ihm nur noch die Flucht. Er warf den verbliebenden Schild achtlos weg, da er von nun an nur unnötiger Ballast war und schleifte mit bloßen Händen seinen schon fast toten Leib die restlichen Steinstufen hinauf.
Die Geister merkten, dass er noch keine leere Hülle war, wie all die anderen im Kerker. So nutzten sie diese Gelegenheit. Ihre kalten Leiber fuhren wieder und wieder durch ihn durch. Wieder und wieder drohte Hoffnungslosigkeit die Oberhand zu gewinnen. Wieder und wieder rappelte der Held sich auf und machte weiter. Es war als würde sein Geist mit jedem Male sterben, doch er weigerte sich über die Schwelle des Todes zu treten, nur um dann wie ein Phönix aus der Asche emporzusteigen und dann im nächsten Moment wieder zu sterben. Dem Helden schien es wie ein Schnelldurchlauf seines Lebens zu sein. Qualvoller Tod und schmerzhafte Wiedergeburt gingen Hand in Hand.
Der Held erklomm eine Stufe nach der anderen. Die Geister drangen auf seinen Körper ein, wie Wellen in einem tosenden Sturm der Finsternis. Die aufbrandenden Wellen wurden immer größer und stärker, während mit jeder Stufe die Zweifel des Helden wuchsen.
War er wirklich unsterblich? Wie konnte er ewig sein, wo doch alles vergänglich war? Dennoch gab es einen kleinen Teil der ihn weiter antrieb.
Sein Körper wurde immer Kälter. Er verschrumpelte zu einer leeren Hülle. Die Augäpfel verdorrten wie Früchte und hinterließen nichts als Staub, der wie trockene Tränen sein Gesicht hinunterlief. Wie die anderen armen Seelen hier in der Dunkelheit, würde er zu einem Schatten seiner selbst werden. Als er die letzte Stufe erklomm, hatten seine Züge kaum noch etwas von einem Menschen, mehr von einer untoten Gestalt aus einer Schauermär. Unmenschlich schreiend bäumte sich der untote Held ein letztes Mal auf. Ein ebenso verzweifelter wie sinnloser Akt. Plötzlich änderte sich etwas in dem Verhalten der Geister. Sie schienen Angst zu haben, dass ihre Beute entkommen könnte. Der Held war aber eine endlose Quelle an Lebenskraft, die niemals entkommen durfte. Aus der dunkelsten Tiefe des Abgrundes schossen Ketten mit Widerharken empor die auf den Helden zusteuerten. Sie bohrten sich in seinem Rücken und versuchten ihn damit zu halten. Einige Ketten rissen die Panzerung vom Rücken ab, während sich die restlichen Widerharken in das weiche Fleisch bohrten. Aus den Wunden quoll das teilweise von Staub verunreinigte Blut wie Eiter aus einer aufgeplatzten Pestbeule.
Einen Moment lang versuchte der Held dagegen anzukämpfen, aber der Körper gehorchte ihm nicht mehr. Mit der kleinsten Bewegung spürte er die unbeweglichen Harken wie sie in seinem Fleisch steckten.
Vor dem inneren Auge des Helden lief sein Leben ab. Wieder und wieder durchlebte er es. Von der Geburt über jene Ereignisse die ihn hierher geführt hatten.
Im schummrigen Schatten an der Schwelle zur Oberwelt schien der Held wie ein toter Kadaver auszusehen. Einzig seine mit dem Zeichen der Unsterblichkeit gebrandmarkte Hand schaffte es in den Lichtkegel des Ausgangs. Die Handfläche zeigte nach oben und somit das verfluchte Zeichen, während die Finger schwach auf spastische Weise zuckten. Es war, als wenn das Leben selbst nichts weiter als eine unsichtbare Kugel war, die den Helden aus der Hand rollte. Sein unsterbliches Leben würde enden.
Der Held sah von seinen sterbenden Augen aus den Hof. Es schien eine gefühlte Ewigkeit her zu sein, dass er durch das Tor geschritten und in die Tiefe gestürzt war.
Sein sich ständig wiederholendes Leben war gerade an seinem schrecklichsten Tag angekommen. Jenem Tag an dem der Held die Wahrheit über sich selbst erfahren hatte. Eine Wahrheit die ihn erkennen ließ, welch Sünder er war und das seine Verfehlungen ihn über das Grab hinaus verfolgen würden.
Ein einziges Mal konnte der Held seine bleischweren Augen noch öffnen, nur um die Tür zum Turm zu sehen, die so nah und doch so fern schien. Und dann Frieden. Frieden im Tod. Seine letzte Erinnerung war eine fröhliche, die er in einem erleichterten Seufzer auskostete.

Die bunte Blumenwiese war zu einem festen Treffpunkt zwischen dem Helden und der Prinzessin geworden.
Eines Tages kaute der Held verdrießt auf einem Grashalm. Jede Bewegung seiner geschwollenen Wange sendete kleine Wellen aus Schmerz seinen Körper entlang. Dieses Mal hatten die anderen Knappen den Helden in eine Jauchegrube geworfen und eine Herde wütender Wildsäue auf ihn losgelassen, die sie vorher mit glühenden Schürharken in Rage gebracht hatten. Seltsamerweise hatte der Held überlebt, obwohl er eigentlich hätte tot sein müssen. Irgendetwas stimmte nicht. Es schien ein Geheimnis zu geben, über das jedoch niemand zu sprechen schien.
Jeder sah ihn mit diesem eiskalten Blick an, in dem entweder unverhohlener Hass und schreckliche Angst stand. Die meisten am Hofe machten einen Bogen um ihn, als hätte er die Pest. Andere wie die Knappen quälten ihn hingegen.
Seine Laune besserte sich schlagartig, als er die Prinzessin sah. Fröhlich lachend hüpfte und tanzte sie durch die Blumen. Allein ihr Anblick riss den Stalljungen aus seinen düsteren Gedanken.
Sie baute sich lachend vor dem Helden auf und verkündete stolz: »Ich bin schwanger!«
Vor Schreck fiel dem Helden die Kinnlade runter und der abgekaute Grashalm segelte zu Boden.


Fortsetzung folgt…


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Beschreibung des Autors zu "Endlose Pein II"

Hier kommt auch schon das zweite Kapitel nach.

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