Prolog 2 – Rekrutierung der rebellischen Schurkin

© EINsamer wANDERER

>>Aufstehen, du Schlafmütze!<<
Brutal wurden die Vorhänge von Gingers Zimmer aufgestoßen und ließen das erbarmungslose Licht mit dem widerwärtigen Gestank der Gossen herein. Schnell zog sich die Elfin die Bettdecke über den Kopf.
>>Warum weckst du mich?<<, brummte sie.
>>Weil es schon fast Mittag ist<<, antwortete ihre ältere Schwester Rana ungehalten und stemmte ihre Hände gegen die Hüften.
Ihre Schwester hatte ihre grünen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Dazu trug sie ein braunes Kleid und eine Schürze. Es war ihre Arbeitskleidung als Kellnerin.
Ginger verkroch sich weiter unter die Bettdecke. >>Was?! Erst Mittag?! Weck mich, wenn die Dämmerung naht<<, murmelte sie verschlafen den letzten Satz vor sich hin.
>>Kommt gar nicht infrage! Du hast versprochen mir heute bei der Arbeit zu helfen. Willst du dein Wort etwa brechen?<<
Sofort schlug Ginger die Decke zurück. Verschlafen kräuselte sie ihre Lippen. Ihre Rabenschwarzen Haare standen wirr ab. Die Augen waren verschlafen zusammengekniffen. Am Mundwinkel klebte ein Speichefaden. Murrend stand sie auf. Noch nie hatte sie ein Versprechen gebrochen.
Im Gegensatz zu anderen Elfen war ihre Haut Aschgrau, statt bräunlich. Auch waren ihre Haare nicht Grün wie saftiges Gras. Aber dennoch behandelte man sie gleichwertig im Elendsviertel. Egal wie sie aussah.
Tapernd machte sie sich langsam daran sich fertig zu machen.
>>Du warst letzte Nacht wieder unterwegs, habe ich Recht?<<, in Ranas Stimme lag ein Hauch von Gefahr.
Ginger zuckte nur langsam mit den Schultern. Egal was sie sagen würde, es käme zu einem Streit.
>>Verdammt, Ginger! Was ist wenn man dich erwischt hätte!<<
Jetzt geht das wieder los, dachte sie mürrisch.
>>Willst du genauso enden wie Mutter?<<, schimpfte ihre Schwester weiter.
>>Lass Mutter aus dem Spiel!<<, brüllte Ginger zurück.
>>Warum? Weil du in ihre Fußstapfen getreten bist?! Dich werden die Wachen auch irgendwann erwischen.<<
>>Werden sie nicht<<, stritt Ginger ab wütend, >>dazu sind Menschen einfach zu dämlich. Sie können weder rennen, noch können kämpfen. Wie sollen sie mich da jemals erwischen?<<, spottete sie über ihre minderwertigen Herrscher.
>>Du vergisst mal wieder, wie auffällig du bist. Dein Aussehen und dein Verhalten machen eine Verwechslung mit jemand anderem unmöglich. Bei der Göttin, es würde mich schon beruhigen, wenn du in der Öffentlichkeit etwas dezenter wärst. Aber so lädst du die Menschen ja praktisch dazu ein, dich hinzurichten.<<
>>Dann werden die Flachohren wenigstens niemand anderen hängen<<, erwiderte die jüngere Schwester bissig.
Rana packte Ginger an den Oberarmen. >>Ich will nicht, dass du so endest! Wir haben schon Mutter verloren, da wollen wir dich nicht auch noch verlieren.<<
Die Elfin streifte die Oberarme ihrer älteren Schwester von sich. >>Keine Sorge, Rana. Ich weiß, was ich tue.<<

In der Schenke zum ohrlosen Elfen.
>>Bäh! Muss ich wirklich diesen Fummel tragen?<<, fragte Ginger. Angewidert zog sie an dem Stoff ihrer Schürze.
Sie trug ein schmuckloses, braunes Kleid mit rüschenbesetzter Schürze und hatte drei kleine Zöpfe in ihr nicht allzu langes Haar eingearbeitet. Während überall um sie herum flinke Kellnerinnen zwischen laut grölenden Gästen tänzelten.
>>Ja, musst du<<, bestätigte Rana entnervt, während sie eine Tisch abräumte. >>Also stell dich nicht so an.<<
Es hätte Ginger weniger ausgemacht, wenn sie nicht ausgerechnet Menschen bedienen musste.
Eben jene Menschen die sie für ihre Holzgewinnung aus den Wäldern verschleppt und versklavt hatten. Inzwischen waren die Elfen zwar Frei, aber sie waren noch lange nicht gleichgestellt. Sie mussten doppelt so hart arbeiten, um auch nur ein Drittel eines Menschenlohnes zu verdienen. Ginger machten diese Flachohren ganz krank. Wie sie sich schon zu so früher Stunde betranken, wie sie redeten und jeder Kellnerin einen Klatsch auf den Arsch gaben.
Wenn das auch nur eines dieser versoffenen Schweine bei mir probiert, dann…, kaum dass dieser Gedanke kam, klatschte ihr auch schon eines der eben genannten Tiere auf den Hintern. Das war zu viel für die Elfe. Sie sah nur noch rot.
>>Oh-oh<<, hörte sie Rana wie aus weiter Ferne im Hintergrund sagen.
Gingers Haar färbte sich vor Wut Blutrot. Ein Zeichen äußerster Gefahr für ihre Umgebung.
>>Nein, Ginger! Nicht!<<
Doch es war schon zu spät. Mit vor Zornfunkelnden Augen brach Ginger dem Lüstling mit einem Schlag die Nase. Von der Wucht nach hinten geschleudert, stieß er den Gast hinter sich an, der dann sein Bier auf den Schoß verschüttete. Dieser drehte sich mit ungezügelter Streitlust um und begann den Gast, der dem Lüstling gegenübergesessen hatte eine zu langen. Aber jener duckte sich unter dem Schlag weg, worauf ihn jemand anderes abbekam. Das ganze entwickelte sich schnell zu einer Kneipenschlägerei, an der, die den Menschen mit morddrohendem, Ginger großen Anteil nahm. Schließlich schleifte Rana ihre lauthalsbrüllende und um sich schlagende Schwester aus der Schenke vor die Tür.
In den Augen der älteren Schwester lag ein Gemisch aus Zorn, Entsetzen und Angst. >>Weißt du, wem du gerade die Nase gebrochen hast?!<<, in ihrer Stimme lag unterdrückter Zorn. Mit Gesten und einem tiefen Atemzug versuchte sie das Gefühl los zu werden, damit sie ihre Schwester nicht gleich anschrie, was ihr aber nur mäßig gelang.
>>Keine Ahnung, so genau habe ich ihn mir nicht angesehen<<, erwiderte Ginger desinteressiert. Die roten Haare nahmen langsam wieder ihre normale Farbe an.
>>Das war der Sohn des Earls!<<, zischte Rana wütend und hob die Hand, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen, für den mangelnden Respekt gegenüber Höhergestellten; nahm sie aber genauso schnell wieder runter.
>>Das war der Sohn des Earls?!<<, schockiert hielt sich die jüngere Elfin die Hände vor dem Mund, nur um sie erschlaffend wieder runterzunehmen, >>Es ist mir so etwas von schnurz, wer dieses Muttersöhnchen war.<<
>>Das wird noch Folgen haben<<, prophezeite Rana mit erhobenem Zeigefinger.
>>Ja, ja.<< Ginger verschränkte keck die Arme hinter dem Kopf und schaute an ihrer Schwester vorbei.
>>Du hilfst mir beim Saubermachen! Außerdem wirst du dich bei ihm entschuldigen!<<
>>Entschuldigen?! Wofür denn?! Dieser Mensch kann froh sein, dass ich ihn nicht auf der Stelle getötet habe.<<
Der Sohn des Earls lag noch lange nachdem die Schlägerei vorbei war, bewusstlos mit gebrochener Nase auf den Boden und verteilte sein Blut auf ihn. Worauf seine Freunde ihn heimbrachten. Die ganze Zeit über funkelten sie Ginger böse an. Rana versuchte die bedrohliche Situation zu entschärfen, scheiterte aber kläglich an Gingers Sturheit und dem Hochmut der Menschen.

Zuhause angekommen, wartete auf Ginger die nächste Überraschung. In der Stube saß ihr Vater mit einem Gast. Es war ein alter Mensch, mit spitzen Hut und einem langen Rauschebart. Rana versuchte ihre jüngere Schwester zu halten, was ihr nicht gelang. Sie bekam ihre hasserfüllte Schwester noch nicht einmal zu fassen.
>>Was hat dieser Abschaum hier zu suchen?!<<, brüllte Ginger ihren Vater an.
Noch bevor er etwas erwidern konnte, erhob sich der Mensch freundlich lächelnd von seinem Platz und nahm ehrerbietend den Hut ab.
>>Oh, dass müssen Eure beiden Töchter sein. Sie sind beide wunderschön, genau wie ihre Frau Mutter. Seid gegrüßt.<<
Rana machte einen Knicks, während ihre Schwester weiterhin den Menschen mit gefletschten Zähnen böse anfunkelte.
Der Mensch wandte sich an ihren Vater Haydln. >>Wie ich sehe, habt ihr unter Eurem Dach einen richtigen Wildfang<<, versuchte der Alte die Situation zu entspannen.
>>Ginger, würdest du mich und Liam bitte alleine lassen.<< Die Stimme des alten Elfen war ruhig und doch bestimmend.
Wütend schnaubend stampfte das jüngste Kind Heydlns nach draußen und knallte die Tür hinter sich zu.
In dem Elendsviertel, in welchem sie mit ihrer Familie lebte, herrschte Armut und Elend, soweit das Auge reichte. Räudige Straßenköter kämpften um das fliegenumschwirrte Fleisch eines toten Artgenossen. Hustend saßen Arbeitslose und Tagelöhner auf den Straßen. Niemand hatte hier genug Geld, um ihnen ein Almosen zu geben. So saßen sie da. Langsam dahinsiechend. Überall waren Schlamm und Pfützen, von denen man nicht wissen wollte, woraus sie bestanden. Auf den Straßen lagen Essens- und Abfallreste vergangener Monate. Die einfachen Bretterbuden waren heruntergekommen und schäbig. Viele von ihnen waren auf den Häusern anderer erbaut worden, weil es nicht genug Platz für alle gab. Wie Risse im Fels zogen sich die schmalen Straßen durch das Elendsviertel. Kaum ein Sonnenstrahl schaffte es die Dunkelheit zu durchbrechen. Ratten und anderes Ungeziefer huschten durch die langen Schatten. Der Gestank durchtränkte die Kleidung und kroch übelriechend in die Nase.
Nachdem Ginger die Haustür zugeknallt hatte, hielt sie sich knurrend die Hände an den Kopf, als würde sie ihn mit bloßen Händen abreißen wollen. Ihre Finger krallten sich krampfhaft in die sich langsam rotfärbenden Haare. Ein erstickter Schrei schaffte es durch ihre zusammengebissenen Zähne. Hatte ihr Vater etwa vergessen, was die Menschen getan hatten? Hatte er vergessen, wie die Menschen Elfen behandelten? Wie sie Mutter verschleppt hatten?
Wütend schnaubend schritt sie zu einem verlassen Hinterhof, den man von ihrem Haus aus sehen konnte. Früher hatten Ginger und Rana dort mit den anderen Elfenkindern gespielt. In dem Hinterhof stand ein alter, hohler, von Fäulnis befallener Baum. In diesem verkrüppelten Stück Holz war ein großes Loch in dem die Elfin ihren wertvollsten Schatz aufbewahrte.

>>Ich muss mich für sie entschuldigen, Liam<<, sagte Haydln.
Der Zauberer machte eine wegwerfende Bewegung. Setzte dieser Geste jedoch kein Wort nach.
>>Es ist nichts Persönliches. Sie kann Menschen einfach nicht leiden<<, versuchte der von der Arbeit erschöpfte Elf zu erklären.
Rana, die sich dazugesetzt hatte, lachte auf. >>Vater seien wir mal ehrlich, sie hasst die Menschen und würde sie am liebsten alle auf einmal töten. Erst heute hat sie den Sohn des Earls zusammengeschlagen<<, sofort schwieg sie und starrte bedrückt zu Boden, da man ihr beigebracht hatte, in der Anwesenheit von Männern nicht ungefragt das Wort zu ergreifen.
>>Den Sohn des Earls?!<<, entfuhr es Haydln. >>Dabei weiß doch jeder, was für ein Tyrann er sein kann. Oh Ginger. Was hast du nur angerichtet<<, niedergeschlagen schüttelte er den Kopf. Tröstend legte seine Tochter ihre Hand auf seine Schulter.
>>Warum dieser Hass auf uns Menschen?<<, nahm Liam das Thema wieder auf.
>>Am besten ich erzähle Euch die ganze Geschichte von Anfang an. Ihr wisst, unser Stamm wurde erst vor fast zwanzig Jahren aus dem eigenen Wald vertrieben, kurz bevor unsere Rasse wieder die Freiheit erlangten. Während wir wie Vieh von den Menschen in ihre Städte getrieben wurden, hörte meine Frau in einer regenreichen Nacht ein Heulen. Es war so flehentlich, dass es ihr den Schlaf raubte. Also schlich sie sich an unseren Wachen vorbei in den verregneten Wald. Das Heulen stammte von einem kleinen weinenden Säugling mit roten Haaren und aschgrauer Haut. Eingewickelt in ein Tuch aus schwarzem Samt. Dabei lag auch ein schwarzer Dolch mit gezackter Klinge. Eine Waffe die elfischer Herkunft zu sein schien, aber wir wissen bis heute nicht, wer ihn gefertigt hat. Meine Frau nahm das Kind mit ins Lager. Auf dem Weg erdachte sie sich auch schon einen Namen für das Kind. Ginger, wegen der rötlichen Haare. Die Menschen hatten uns verboten unseren Nachkommen elfische Namen zu geben. Wir sollten vergessen und unsere Rolle als Sklaven akzeptieren.
Meine Frau staunte nicht schlecht, als Gingers Haar später schwarz war. Zuerst hielten wir es für eine Sinnestäuschung ihrerseits, doch wir stellten schnell fest, dass ihr Haar sich immer färbte, wenn sie wütend wurde. Aber wir nahmen sie trotzdem auf und zogen sie wie unser eigenes Kind groß. Einige der Wachen wunderten sich zwar, dass das Kind auf einmal da war, aber es schien sie ansonsten nicht weiter zu interessieren.
Meine Gemahlin hat sich dann später, nach unserer Versklavung, immer sehr für die Rechte unseres Volkes stark gemacht. Auch wenn ihre Methoden mehr als fragwürdig waren. Sie stahl, tötete und erpresste die Menschen, um das Leben für unsereins in der Stadt zu erleichtern. Leider kam es, wie es kommen musste. Sie wurde gefangengenommen und öffentlich auf dem Platz hingerichtet. Ich, meine Kinder und alle anderen Elfen dieses Viertels mussten zusehen. Die Hinrichtung diente als öffentliche Mahnung für all jene, die glauben sie stünden über den Gesetzen der Menschen, hat der Richter gesagt. Doch in Wirklichkeit hatten die Menschen Angst, wir könnten uns auflehnen.<<
>>Ihr habt das erkannt und trotzdem unternehmt Ihr nichts? Diese Zustände hier im Elfenviertel sind doch … unzumutbar<<, unterbrach der Zauberer die Geschichte.
>>Ich will kein weiteres Blutvergießen, Liam. Deshalb schweige ich. Es gibt andere Wege zur Freiheit, statt sich in einer sinnlosen Revolte abschlachten zu lassen.
Leider sieht das meine jüngere Tochter anders. Seit dem Tod meiner geliebten Frau Gemahlin, hasst sie die Menschen aus tiefstem Herzen. Damals war sie noch zu klein, um zu verstehen. Aber schlimmer noch, sie macht da weiter, wo ihre Mutter aufgehört hatte. Meine jüngere Tochter stiehlt Lebensmittel und verteilt sie unter den Straßenkindern. Außerdem … auch wenn es bislang nur eine vage Vermutung ist … Vor einigen Monaten verschwanden sämtliche Patrouillen in unserem Viertel. Egal wie zahlreich oder kampferprobt sie waren, alle verschwanden und waren nie wieder gesehen worden. Und seit diesen Ereignissen traut sich die Wache nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr hierher. Es geht das Gerücht um, ein Dämon hätte die Wachleute gefressen. Aber ich habe Grund zu der Annahme, dass es das Schaffen meines kleinen Mädchens sein könnte. Die Zeichen sind da, doch sie lassen auch noch andere Schlüsse zu.<<
>>Ihr glaubt, dass es Eure jüngste Tochter es allein mit zahlreichen kampferprobten Männern aufnehmen kann?<<, fragte Liam.
>>Ihre Mutter war eine gute Kämpferin, dass wisst Ihr genauso gut, wie ich. Sie hat ihr gesamtes Wissen an Ginger weitergegeben. Wie man aus dem Schatten angreift. Wie man sich bewegt ohne gesehen zu werden. Messerkampf, Meuchelmord und vieles mehr. Und dieses Wissen hat sie in den Jahren verfeinert und perfektioniert, zumindest glaube ich das.<<
>>Woher wollt Ihr dann wissen, dass sie es war, wenn ihr es nicht eindeutig wisst?<<, fragte der Alte lächelnd.
>>Ich weiß es einfach<<, sagte der Vater überzeugt. >>Auch wenn ich ihr verboten habe, sich nachts während der Ausgangssperre fortzustehlen, tut sie es dennoch. Sie ist aber klug genug, um mich im Unklaren zu lassen. In all der Zeit habe ich ihr nie etwas nachweisen können.<< Haydln faltete flehentlich die Hände zusammen und kroch auf Knien vor dem Alten. >>Bitte Liam. Ich weiß, dass Ihr allein wegen meiner Frau hier seid, doch ich bitte … nein ich flehe Euch an, meine jüngere Tochter statt ihrer mitzunehmen<<, der Elf brach in Tränen aus, >>Ich will sie nicht auch noch verlieren.<<
Liam zog den am bodenzerstörten Elfen hoch. >>Grämt euch nicht, mein Freund. Ihr wird nichts passieren. Das verspreche ich.<<
>>Aber wie wollt Ihr sie mitnehmen?<<, mischte Rana sich ein. Die Tränen der Rührung ließen sie ihren zugedachten Platz vergessen. >>Niemand könnte sie dazu bringen mit einem Menschen mitzugehen. Nichts gegen Euch<<, leise wischte sie sich eine Träne von der Wange.
Der Alte schüttelte abtuend den Kopf. >>Nein, nein. Ihr habt ja recht. Also. Was machen wir?<<

Ginger öffnete das Kästchen und nahm einen schwarzen Dolch mit gezackter Klinge aus ihm. Der kalte Griff löste ihre Wut in Rauch auf. Es war die Waffe ihrer Mutter. Ihr wertvollster Besitz. Sie nahm den Dolch in ihre Hand und wog ihn in der Hand, bevor sie ihn probehalber schwang.
Danach trainierte sie. Sie schlich sich an einen unsichtbaren Gegner heran und schnitt ihm von hinten die Kehle durch oder verletzte ein lebenswichtiges Organ. Danach kam der Zweikampf. Geschickt wich sie den Hieben der nicht vorhandenen Waffen aus. Parierte sie. Sah Lücken in den Rüstungen und den Bewegungen ihrer Gegner. Schließlich kämpfte sie gegen ein halbes Dutzend Männer. In ihrer Fantasie wurde alles Wirklichkeit. Sie sah die Gegner, roch das Blut und spürte das Adrenalin durch ihre Adern rauschen. Sie begann vor Anstrengung zu schwitzen. Ihre Gegner fielen tot zu ihren Füßen. Als es nichts mehr zu erschlagen gab, stand Ginger keuchend wieder im Hinterhof. Ihr Herz pochte Laut in ihrer Brust.
>>Immer noch nicht gut genug<<, ächzte sie.
Ginger wollte es mit der ganzen Menschheit aufnehmen können. Dafür reichten ihre Fähigkeiten bei weitem nicht. Sie war zu langsam und zu schwach. Aber bald war sie stark genug, um die Menschen ein für allemal aus der Stadt zu vertreiben. Und danach würde sie jeden Menschen töten, der ihr in die Quere kam. Aber zuerst musste sie sich in Geduld üben.
Die Elfin atmete tief ein und versuchte ihr Herz zu beruhigen. Dann legte sie den Dolch zurück in das Kästchen und versteckte ihn wieder sorgfältig im hohlen Baum. Nur ihre Schwester Rana kannte das Versteck und sie hatte Ginger schwören müssen, es niemanden zu verraten.

Als es langsam dämmerte, machte sich Ginger auf, wieder die Speisekammern der Adeligen zu plündern. Sie legte sich ein Tuch vor dem Mund und versteckte den Rest ihres Gesichtes unter einer Kapuze mit Umhang. Sie war ganz in schwarz gekleidet. Niemand würde einen Schatten im Dunkeln sehen können. Erstrecht kein Mensch. Schnell kletterte sie aus dem Fenster und landete lautlos vor der Tür. Von da spurtete sie zum Hinterhof. Ginger wäre es lieber gewesen, wenn sie das kleinere Zimmer mit Ausblick auf den kleinen Hof gehabt hätte, doch Rana hatte es strengstens abgelehnt, mit ihr zu tauschen.
>>Ich will wissen, wann du gehst<<, hatte sie gesagt. Aber Rana war klug genug, um zu wissen, dass sie ihre jüngere Schwester nicht aufhalten konnte.
Vor dem hohlen Baum holte sie mit vorsichtigen Bewegungen das Kästchen aus ihm. Es war für sie wie ein bedeutendes Ritual. Aus dem Kästchen nahm sie dieses Mal nicht nur demonstrativ den Dolch, sondern auch einen Ring, den sie von ihrer Mutter hatte. Er zeigte die drei Tugenden der Schurken.
Eine lachende Theatermaske. Sie stand dafür, dass ein wahrer Schurke sich verstellen konnte. Er konnte jeden Menschen dazu bringen, denjenigen zu sehen, den er sehen sollte.
Das Ass neben der Maske stand für die Tricksereien des wahren Schurken. Nie würde er einen Kampf mit fairen Mitteln gewinnen.
Das dritte war eine gedrungene Gestalt. Der wahre Schurke war nicht mehr als ein Schatten in der Nacht. Ein Tropfen im Regen. Ein einzelner Halm im Kornfeld. Niemand würde ihn je sehen.
Diese drei Tugenden hatten sich in Gingers Gedächtnis eingebrannt. Jedes Mal wenn sie auf Raubzug ging, rief sie sich diese drei Dinge in Erinnerung. Erinnerte sich selbst an ihr eigenes Streben. Das Streben eine wahre Schurkin zu sein.
>>Auch heute Nacht werde ich dich nicht enttäuschen, … Mutter<<, flüsterte sie gedämpft unter dem Tuch.
Dieses Mal sollte das Haus des Muttersöhnchens dran glauben. Er sollte wissen, mit wem er sich angelegt hatte. Ginger hatte immer eine Zweitwaffe zur Sicherheit dabei. Diese Nacht war es ein kleines Wurfmesser. Groß genug, um es mit ihrem Dolch in die Ritzen und Fugen der Burgmauern stoßen zu können. So erklomm sie die Mauern. Jede Nacht benutzte sie andere Methoden, um ein Haus zu betreten. Heute war diese spezielle Art und Weise dran. Als sie die Zinnen erreicht hatte, lugte sie etwas über die Kante. Sie stand im Rücken eines Wachmannes. Vorsichtig zog sie den Rest ihres Körpers hoch. Lautlos schlich sie sich heran. Ihr Herz pochte laut in ihrer Brust, wie jedes Mal, wenn sie ein Leben nahm. Das Zischen ihres Wurfmessers, wie es zurück in die Scheide fuhr, war für Gingers Ohren unglaublich laut, aber der Wachmann hörte nichts. Schnell legte sie ihre freie Hand auf den Mund der Wache. Instinktiv hob dieser die Arme hoch zum Mund, doch damit ließ er die Kehle ungeschützt. Mit einem schnellen Ruck schnitt Ginger ihm die Kehle durch. Das Gurgeln wurde von der Hand im Keim erstickt. Der Körper des Menschen erschlaffte. Behutsam legte sie die Leiche auf den Boden.
Ein Mensch weniger, den ich töten muss, dachte die Elfin zufrieden.
Unter der Mauer stand ein Heuwagen. Er war perfekt. Hastig stieß die Schurkin die Leiche mit dem Fuß hinunter und sprang hinterher. Das Stroh fing beide unbeschadet auf. Ginger stieg aus dem Karren und vergrub die Leiche unter dem Heu. Für den Raubzug war sie unentdeckt. Später würde man den Kadaver allein wegen seines Geruches finden, aber dann wäre die Elfin schon längst fort.
Sie schlich weiter. Suchte ein offenes Fenster und tat genau dasselbe nochmal, wie vorhin bei der Mauer. Sie stieg in das hellerleuchtete Schlafgemach. Es war niemand zu sehen. Die Wertgegenstände ignorierte die Elfin einfach. Sie war nur an der prallgefüllten Speisekammer interessiert. Auf dem Weg nach unten begegnete sie einigen Elfendienern. Sie würdigten Ginger nur wenige Blicke und gingen weiter. Entweder wusste die Dienerschaft, wer sie war oder es war ihr egal. Schließlich hielt die Diebin einen an, der wahrscheinlich gerade auf den Weg zu den Schlafgemeinschaften der Elfen im Palast war.
>>Entschuldigung<<, sagte sie höflich. >>Wo finde ich hier die Speisekammer?<<
Der Elf machte ein verwundertes Gesicht. >>Ihr müsst einfach nur den Gang entlang, die Treppe rechts runter und dann die dritte Tür von links über den Hof nehmen<<, seine Wegbeschreibung unterstrich er mit Handzeichen.
>>Habt Dank<<, die Elfin deutete einen leichte Knicks an.
Sie nahm den Weg, den ihr der Elf empfohlen hatte. Seltsamerweise begegnete sie keinen weiteren Wachen.
Wahrscheinlich saufen sich diese Trunkenbolde in irgendeiner billigen Spelunke die Hucke voll, dachte sie angewidert bei sich.
In der Speisekammer angekommen, nahm sie sich aus der angrenzenden Küche den größten Beutel und versuchte möglichst viel in ihn hineinzubekommen. Als der Sack zu zerreißen drohte, schulterte sie ihn und schlich schnell über den Botenausgang hinaus. Auch dort waren keine Wachen. Seltsam. Aber Ginger war viel zu fröhlich, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Das war bis jetzt ihre größte Ausbeute überhaupt. Und das hatte sie dem Earl auch noch fast direkt vor der Nase weggeschnappt. Zu dumm, dass er auf einen Feldzug war, um die nahe Grenze gegen angreifende Räuber zu verteidigen. Die diebische Elfin hätte nur zu gerne sein Gesicht sehen, wenn er merkte, was alles fort war.

Als sie ins Elfenviertel zurückkehrte, bot sich Ginger ein grauenvoller Anblick, der schnell ihre Hochstimmung in Rauch auflöste. Mitten auf der Straße lagen tote oder bewusstlose Elfen. Früher war dies ein alltäglicher Anblick gewesen, doch Ginger hatte den Wachen unmissverständlich klargemacht, dass sie hier nichts zu suchen hatten. Aber das schlimmste war, dass ihr Elternhaus lichterloh brannte.
>>Wieso ist niemand da? Wieso löscht niemand die Flammen?<<, fragte sie fassungslos. >>Vater? Rana? Wo seid ihr? Mist!<<
Schnell rannte die Elfin in das brennende Gebäude. Als die Flammen ihr entgegenschlugen hielt sie inne. Beißender Qualm brachte ihre Augen zum Tränen. Es kostete sie viel Überwindung den Flammen entgegenzutreten. Ihr Vater lag bewusstlos vor der Türschwelle. Sein Gesicht war von den Flammen gezeichnet geworden. Von Rana fehlte jede Spur. Hustend nahm sie den alten Elfen huckepack und brachte ihn ins Freie an die frische Luft. Vorsichtig ließ sie ihn zu Boden sinken. Dann drehte sie sich um und wollte noch einmal in das Gebäude zurück, um Rana zu suchen.
>>Sie ist nicht mehr da<<, sagte eine Stimme hinter ihr, bevor sie wieder gegen die Flammen ankämpfen musste.
Ginger drehte sich um.
Es war Liam. >>Euer Vater stirbt<<, fuhr er mit ruhiger Stimme fort. >>Ich könnte ihn retten.<<
>>Warum sollte ich einen Menschen trauen?<<, in ihrer Stimme schwang der Hass auf alle Flachohren.
>>Weil ich Eure einzige Chance bin, ihn zu retten. Aber das wird Euch was kosten. Ihr werdet mir als Gegenleistung bei einer wichtigen Aufgabe helfen müssen.<<
Ginger knurrte ungehalten. Sie ging auf und ab, wie ein wildes Tier in seinem Käfig. In ihr war das reinste Chaos. Besorgnis, Hass, Wut und Angst schwappten wie ein unruhiges Meer in ihr hin und her. Schließlich gewann die Liebe zu ihrer Familie gegen den Hass auf ihre Unterdrücker.
>>Also gut<<, seufzte sie. >>Was soll ich für Euch tun?<<
>>Später<<, wich Liam aus.
Er beugte sich mit grünleuchtenden Händen über den alten Elfen. Sein halbverbrannter Mund öffnete sich und ließ den Qualm aus seinen Lungen heraus. Sogar das Narbengewebe heilte etwas. Hustend errang der Elf wieder sein Bewusstsein. Sofort war Ginger neben ihm, während Liam einen Schritt zurückging.
Sie hielt seine Hand.
>>Vater!<<, sagte sie besorgt.
>>Ginger? Du musst … du darfst nicht …<<, seine Stimme war kratzig und rau. Die Elfin befürchtete, es könnten seine letzten Worte sein. Wenn sie es waren, würde der Mensch sterben! Hexer oder nicht, sie würde ihn töten.
>>Was ist passiert, Vater?<<
>>Der Sohn des Earls …<<, ihr Vater bekam einen Hustenanfall, >>er kam zurück … zerrte Rana und viele Elfinnen aus ihren Häusern … alle die sich wehrten … wurden sofort bestra…<<, ein erneuter Hustenanfall unterbrach ihn.
>>Was will er von ihnen? Sie haben doch gar nichts getan. Ich war es, die …<<
>>Du warst nicht da …<<, unterbrach sie ihr Vater. >>Rana … sie ging … ging … an deiner Stelle. Sie … wollte nicht, … dass dir etwas was … zustößt. Die anderen … Unsere Frauen und Töchter … sie dienen …<<, wieder ein Hustenanfall, diesmal fiel er schwerer aus, >>zur Unterhaltung der Wachleute … Als … als Belohnung; zur Unterhaltung<<
>>Und Rana? Wo ist sie?<<, drängte die Diebin.
>>Sie … sie … wurde in das Schloss gebracht<<, mit zittriger Hand zeigte er auf den Sitz des Earls, der wie ein klobiger Riese in den Nachthimmel starrte, dann erschlaffte seine Hand.
Mit vor Hassfunkelnden Augen starrte Ginger das leblose Gebäude an. Ihre Haare färbten sich blutrot. >>Liam! Das Versprechen wird warten müssen. Ich habe da noch was zu erledigen.<<
Der alte Mann stützte sich entspannt auf seinen Stab. >>Macht nur. Ich werde warten und vertraue darauf, dass Ihr euren Teil der Abmachung einhalten werdet.<<
>>Keine Sorge<<, schnaubte die Elfin. >>Ich halte meine Versprechen.<<

Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, strebte die Elfin unaufhaltsam auf den Dienstboteneingang zu. Ab und an verlief sich eine rote Strähne aus dem Dunkel ihrer Kapuze und wehte im Wind. Die Wachen hatten wieder vor dem Dienstboteneingang Posten bezogen. Anscheinend hatte sich das Muttersöhnchen nicht ohne seine ganze Armee in das Elfenviertel getraut. Die beiden Wachen unterhielten sich mit gedämpfter Stimme. Sie sahen zu Ginger herüber, als sie schon fast in Schlagreichweite war.
>>Hey! Wer seid Ihr?<<, brüllten sie. Sie wollten wohl bedrohlich klingen, doch in ihren Stimmen lag nackte Angst.
Ginger wurde nicht langsamer.
>>Was wollt Ihr?<<, fragte der andere fordernd.
Keine Reaktion. Ginger war in Schlagreichweite, bevor die Menschen ihre Waffen heben konnten. Mit zwei blitzschnellen Schlägen schaltete sie die beiden aus. Krachend stieß sie die Tür auf. Jeder sollte wissen, dass sie da war. Ihre Augen blitzten vor Zorn. Ihre Schritte hallten laut durch die Gänge. Jede Wache, die sich ihr entgegenstellte, wurde augenblicklich getötet. Ohne von ihr eines Blickes gewürdigt worden zu sein; ohne dass sie ihr Schritttempo verringerte.
Sie folgte dem Lärm zu einer großen Halle, in dem die Wachen und einige andere ihr Fest feierten. Mit gefletschten Zähnen stieß die junge Elfin die Tür auf. Die Wachen verstummten. Alle sahen sie an, aber Ginger hatte nur Augen für das Szenario, welches sich ihr bot. Wachen tranken und sahen entkleidete Elfinnen beim Tanzen zu. Einigen war der Alkohol so sehr in die Hose gerutscht, dass sie die Elfinnen praktisch vor den Augen ihrer Kollegen vergewaltigten. Gingers Schwestern schienen gequält und verängstigt. Die Angst stand in ihren Augen. Einige schienen aber auch aufgrund der traumatischen Ereignisse Abwesend zu sein. Dieses Bild würde die wutentbrannte Elfin ihr Lebtag nicht vergessen.
>>Ah, eine neue Elfin<<, sagte ein alter, bärtiger Wachmann, mit einer nackten Elfin mit großer Oberweite und verklärten Blick auf den Schoß. >>Nur zu Jungs. Nehmt sie euch<< Er nahm einen großen Schluck Wein aus einem goldenen Kelch. Der Wein lief ihm das Kinn hinab.
Einer der Wachmänner kam Ginger dämlich lächelnd näher. Seine Kameraden brüllten ihn anspornend an. Verlegen schaute er auf die Brüste der Elfin. Er war noch sehr jung und schien schüchtern zu sein, aber Alkohol kannte keine Scham. Langsam bewegten sich seine verschwitzten Finger auf Gingers Brüste zu, doch bevor er sie berühren konnten, schlug die Elfin ihm mit einem Schlag bewusstlos. Sofort waren die Wachen auf. Sie rüttelten wütend an ihren Waffengurten. Der Rausch machte sie schwach. Sie waren wie Kinder, die zum ersten Mal kämpften. Für die kampferprobte Elfin war es kein Problem, sie zu beseitigen. Als der letzte der Hurensöhne sein Leben aushauchte, schritt sie aus dem Saal. Währenddessen sammelten die anderen Elfinnen ihre Sachen zusammen und flohen so schnell wie möglich. Diejenigen von ihnen mit dem verklärten Blicken wurden fortgezerrt. Ginger kam noch einmal an der jungen Wache vorbei. Er war bewusstlos, aber vom Tod noch weit entfernt. Einen Moment haderte die Elfin mit sich selbst. Sie wollte ihn töten, dachte sich aber, dass sein Blut es nicht wert war, den Dolch ihrer Mutter zu besudelt. Sie schritt an ihm vorbei und überließ ihn sich selbst.
Der Sohn des Earls und Rana waren nicht dabei gewesen, also folgte sie dem derben Gelächter zu einer bewachten Tür. Ohne zu zögern Schnitt sie den zwei Wachen vor der hölzernen Tür die Kehlen durch. Mit einem kräftigen Tritt brach sie die massive Eichentür auf. Explosionsartig schlug sie auf und flog krachend gegen die Wand. Drinnen standen zwei Freunde des Muttersöhnchens, das bleiche Früchtchen und eine halbnackte Rana. Wahrscheinlich sollte sie den dreien eine Sondervorstellung geben.
Voller Entsetzen riss der adelige Sohn die Augen auf, als er Ginger wiedererkannte. >>Oh Göttin! Nicht du! Tötet sie doch!<<, kreischte er wie ein Schweinchen, das wusste, dass es gleich geschlachtet werden würde.
Unverzüglich bewegten sich die Freunde mit Dolchen auf Ginger zu. Mit einem wölfischen Lächeln stach sie die Heuchler ab. Sich an die blutende Wunde haltend, gingen sie in die Knie und kippten anschließend tot um.
Rana rannte auf ihre kleine Schwester zu und umarmte sie. >>Ich wusste, du würdest kommen.<<
Ginger sah ihr fest in die Augen. Ihr Haar wurde wieder schwarz. >>Bist du in Ordnung? Hat dich dieser Hurensohn etwa angefasst?<<
Sie schüttelte den Kopf. >>Nein. Es geht mir gut.<<
>>In Ordnung<<, sagte Ginger nickend. >>Geh du nachhause. Vater braucht jemand Vertrauenswürdigen, der sich um ihn kümmert.<<
>>Du hast ihn alleine gelassen?!<<, keuchte Rana entsetzt.
>>Natürlich nicht<<, erwiderte sie unwirsch. >>Dieser Liam ist bei ihm, aber ich traue dem Kerl nicht. Menschen sind schon übel, aber wenn sie dazu auch noch Hexer sind …<<, sie ließ den Rest des Satzes im Raum hängen.
Mit besorgter Miene, bedeckte Rana ihre Blößen und rannte nach draußen.
Ginger schaute ihr hinterher. >>Du musst einfach nur den Leichen folgen, dann kommst du raus!<<, brüllte sie ihr hinterher.
Dann wandte sie sich wieder dem Muttersöhnchen zu. Er drückte sich an die Wand und schritt seitwärts an ihr entlang. Die Erwähnung der Leichen hatte ihn gleich um einiges blasser werden lassen. >>Es wird niemand kommen, der dich retten kann<<, sagte Ginger mit süßlicher Stimme. Sie genoss es ihm zu zeigen, dass sein Rang und seine Beziehungen jetzt keine Gültigkeit hatten.
>>I-ich … kann alles erklären. Die … die Elfinnen … sie wären nach der Feier zurück in ihr Schlammloch … äh … ich meine, Zuhause geschickt worden. E-ehrenwort.<<, stotterte er.
Ruhig ging die Elfin auf den Adeligen zu.
>>W-willst du Gold? Ich kann dir Gold geben! Hier<< Ungeschickt warf er einen Beutel voller Gold zu ihr herüber.
Ohne dass sie ihren Marsch unterbrach, antwortete sie: >>Ich will dein dreckiges Gold nicht<<, sie schlug den Beutel mit ihrer Klinge beiseite. Es würde schnell gehen. Menschen waren zu wertlos, um sie zu foltern. Schreiend wie ein kleines Mädchen hauchte der Sohn des Earls sein Leben aus.

Draußen auf dem Innenhof erwartete die Elfin auch schon eine kleine Armee von Wachen, die wahrscheinlich während des ganzen Blutvergießens auf Patrouille waren. Sie umzingelten die Elfin und richteten ihre Waffen auf sie. Kurz bevor eine Hellebarde ihre Nasenspitze berührte, hielt sie in ihrem Marsch inne. Einen Moment lang herrschte Stille. Die Elfin sah sich um. Es gab keine großen Lücken in der Masse und auf den Wällen waren Bogenschützen postiert, die ihre Sehnen bis zum Anschlag spannten. Lächelnd zog sie ihren Dolch und ihr Messer. In dieser Nacht würden wahrlich viele Menschen sterben. Viele gute Krieger würden als letztes in ihren erbärmlichen und bedeutungslosen Leben Gingers Lächeln sehen.
>>Hoffentlich hat sich das tägliche Üben gelohnt<<, murmelte sie lächelnd zu sich selbst, bevor der erste sein Leben aushauchte.

Schwankend kehrte die Elfin in ihr Viertel zurück. Sie war über und über mit Blut bespritzt. Zum größten Teil war es nicht nicht ihr eigenes. Einige Pfeile steckten in ihrem Körper. Mit eisernem Willen kämpfte sie gegen die Schwärze an, die sich in ihrem Blickfeld ausbreitete. Kurz bevor sie die Schwelle ihres Hauses überschreiten konnte, brach sie zusammen. Der Dolch entglitt ihrer Hand und rollte zu Füßen von Liam. Neben ihn stand Haydln.
>>Wir können nicht länger warten<<, sagte der Zauberer, während er den Dolch aufhob. >>Ihre Wunden heile ich, sobald wir im Lager sind. Aber sie wird nicht zurückkehren können. Es wäre einfach zu gefährlich. Die Wachen werden Jagd auf sie machen. Sollte sie jemals wieder die Stadttore durchschreiten, wird man sie unverzüglich hinrichten.<<
>>Ich verstehe<<, sagte ihr Vater mit fester Stimme, doch seine bebende Unterlippe und die Tränen straften seiner unerschütterlichen Stimme lügen.


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Prolog 2 – Rekrutierung der rebellischen Schurkin"

Also es gibt mehrere Prologe, weil ... Also ich fange besser mal von vorne an. Wir erinnern uns. Ich arbeitete an den letzten Kapiteln von Engeltod. Paralell dazu habe ich mir ein paar Gedanken über den Verlauf gemacht. Die Gruppe stand fest, aber wer sollte im Prolog vorkommen? Und da dachte ich mir, mehrere Prologe zu machen und damit nicht nur die Figuren, sondern auch die Fantasy-Welt an sich vorzustellen. Also zeige ich am Rande immer was da so los ist.

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