Dies ist das Tagebuch eines jungen Mannes, der die Liebe ausgerechnet auf dem Straßenstrich sucht und sie tatsächlich findet. Es wird mit Erlaubnis hier abgedruckt.

Erotischer Inhalt: Lesen Sie nicht weiter, wenn Sie noch keine 16 Jahre alt sind!

Besonderen Dank an das Oldenburger Computer Museum (OCM) für das Retten der Daten!


Leni


Ich sehne mich schon eine ganze lange Zeit nach einer Freundin. Ich hatte schon so lange keine gehabt, nicht mal eine Bekanntschaft, dass ich mich frage, ob ich überhaupt noch was fühle. Ob ich überhaupt noch Lust empfinden kann. Fast kommt es mir vor, als wenn ich vergessen habe, wie das geht. Ich mache mir schon Sorgen deswegen, und ich möchte einer Frau begegnen, die nahbar, anfassbar und freundlich ist. In meinem Alltag scheint mir das unmöglich; die Frauen, denen ich dort begegne, sind unnahbar und unerreichbar.

Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und fahre nach Oldenburg und will mir eine Frau kaufen. Das habe ich noch nie gemacht. Sie stehen am Bahnhof in den Nebenstraßen. Es ist sehr angenehm, über den Strich zu laufen und von so vielen Frauen so nett angesprochen zu werden. Aber ich finde die alle gar nicht hübsch! Ich möchte eine nette, die ich auch gerne liebhaben mag. Ich laufe zwei Stunden herum, sie lachen schon über mich und machen sich in ganz schäbiger Art über mich lustig.
Doch dann entdecke ich eine hübsche. Ich spreche sie an und bin furchtbar aufgeregt, was soll ich sie nur fragen? "Magst Du auch schmusen?" - "Nein, sowas tun wir hier nicht. Investier doch mal 50 Mark, dann siehst Du schon, was wir können." Na gut, sage ich mir, ich weiß zwar nicht, wie das gehen soll ohne schmusen, aber ich will es wissen und gebe ihr 100 Mark. Sie heißt Astrid und ist sehr üppig. Mit Ihrem Auto fahren wir zu ihrem Dienstzimmer, das direkt über einem Puff liegt. Als wir oben sind, fragt sie mich nach mehr Geld, sogar meine Scheckkarte will die! Aber ich bin ja nicht verrückt. Sie zieht sich ihr Oberteil aus und sagt: "Leg dich da hin!" Ich warte immer noch darauf, daß sie mich in den Arm nimmt, aber sie fasst mich gleich untenrum an. Ich mag das nicht und nehme ihre Hand da weg, lasse mich streicheln.
Irgendwie erregt mich das doch, und jetzt lasse ich es zu, dass sie mich unten anfasst. Sie möchte das so gerne. Sie nennt das "französisch machen". Das macht sie bestimmt eine Viertelstunde und ich komme nicht zum Ende, aber es kribbelt herrlich. Irgendwann hört sie einfach auf "länger kostet mehr." Sie bringt mich wieder zurück, läßt sich auch gar nicht mehr anfassen. Aber ich bin erleichtert, daß ich noch sowas spüren kann. Aber was für eine Geldschinderei!

Ich mache alleine Urlaub in Stuttgart und suche das Rotlichtviertel auf. Da ist eine große mit rundem Gesicht, die gefällt mir. Wir gehen auf ihr Zimmer, ich kuschel mich bei ihr an. Die fühlt sich aber stoppelig im Gesicht an! ich frage sie, wie das kommt, und sie sagt mir, sie habe einen Damenbart. Dann ziehen wir uns aus, drücken uns aneinander, und ich staune nicht schlecht: Sie hat einen Penis. Ich frage sie, wie das denn kommt, und sie sagt mir, sie sei ein Zwitter. Das finde ich interessant. Sie fragt mich, ob sie mich von hinten nehmen darf. So etwas habe ich noch nie gemacht, lasse sie mal probieren. Ich merke, dass ich das nicht kann, es tut mir weh, ich sage ihr das auch. Sie fragt, ob ich denn Lust hätte, dass wir uns gegenseitig einen runterholen. Warum auch nicht. Das gefällt mir, wir kommen fast gleichzeitig und kreuzen unsere Strahlen. So habe ich doch noch was erlebt.


Juni 94:
Irgendwie hat mir das mit dieser Astrid nicht gereicht. Ich überlege mir, dass Bremen eine größere Stadt ist und der Strich da vielleicht billiger, denn ich habe nicht so viel Geld. Also düse ich nach Bremen. Ich suche lange nach einem Sexshop, wo ich nach dem Weg fragen kann. Im Holzhafen! Dort ist es anders als in Oldenburg. Die Frauen sind viel älter, und es rasen hier nur Autos unablässig hin und her. Darin sitzen die Freier, die eine suchen.
Ich komme mir als Fußgänger etwas verloren vor, aber ich möchte mir die Frauen genau ansehen, am besten in sie reinsehen, wer am nettesten ist. Schließlich suche ich mir die mit dem liebsten Gesicht aus. Sie heißt Leni. Auch sie hat ein Zimmer über einem Puff. Komisch, als sie uns aufschließt, habe ich den Eindruck, als wenn sie Angst hat. Sie ist aber wirklich ganz lieb zu mir, zieht sich ganz aus, und kuschelt sich richtig an. Das ist so schön! Sie will auch unbedingt an mein Ding, schließlich lasse ich mich breitschlagen, aber viel kommt da nicht. Egal, ich sage ihr, sie soll aufhören, es war auch so schön.

Juli bis August 94:
Ich fahre alle 14 Tage zu Leni. Ich kann nur schlecht Sex mit ihr machen, aber sie vergewaltigt mich immer halbwegs. Ich will ja auch gar nicht immer Sex, ich will lieber schmusen, aber irgendwie kriegt sie mich da immer zu. Sie ist auch sehr geschickt mit dem Kondom. Das habe ich so schnell drüber, da komme ich gar nicht hinter.

Einmal ist es so: Wir gehen ins Zimmer, ziehen uns aus, ich nehme ich sie in den Arm, und schwupps ist sie eingeschlafen. Ich finde es so schön, wie sie in meinem Arm schläft, und ich kann sie so schön halten wie ein Kind. Ich wecke sie nicht auf, ich lass das so und warte, bis sie ausgeschlafen hat, so eine halbe Stunde, dann wacht sie auf und es ist ihr total peinlich. Ich sage ihr, dass ich das viel schöner fand als Sex und wir können das gerne öfter machen, aber das hört sie gar nicht. Sie möchte ganz schnell wieder zum Strich gebracht werden. Geld will sie aber auch keins an dem Abend.

Einmal lädt sie mich ein, mit ihr und einer Freundin eine Butterfahrt zu machen. Ich frage mich, ob sie dafür auch Hundert Mark haben will. Aber sie muss mich wohl mögen. Bald treffen wir uns, früh morgens in Emden am Schiff. Ihre Freundin sieht so komisch aus! Sehr alt,
aber mit Riesenausschnitt und über und über mit Ketten behängt. Leni sieht auch ganz anders aus. Alle Leute starren uns an, sie sehen noch nicht mal weg, wenn ich zurückstarre. Es wird mir so unangenehm, daß ich sage, ich habe Magenschmerzen und muß zum Arzt. Leni ist so furchtbar traurig und drückt mir sogar noch Geld in die Hand, dann gehe ich von Bord. Ich fühle mich die
ganze Woche, daß ich heulen könnte, so leid tut es mir darum, um Leni und die schöne Fahrt. Aber wie uns diese Leute angesehen haben, das habe ich auch nicht ertragen.

September 94:
Ich fahre wieder nach Bremen, aber Leni ist nicht da. Ich will aber auch nicht umsonst gefahren sein, und darum suche ich mir eine andere. Sie hat auch ein sehr liebes Gesicht und heißt Irmgard. Sie ist sehr groß und sehr, sehr üppig, bestimmt 100 Kilo schwer, aber trotzdem hübsch. Sie ist so zärtlich zu mir! Ich frage sie, ob ich mich an ihren dicken Bauch ankuscheln darf und sie erlaubt mir das. Die ist so schön weich! Und es macht mir auch Lust. Ich merke ihr deutlich an, daß dies für sie nur Arbeit ist, aber trotzdem kann ich unheimlich gut mit ihr Sex machen, viel besser als mit Leni. Trotzdem mag ich Leni lieber.

Oktober 94:
Ich gehe wieder zu Leni und lade sie zum Freimarkt ein. Es ist total schön, und als wir im Karussell fahren, küssen wir uns sehr wild, was Prostituierte sonst nie tun. sie hat es aber auch sehr eilig, wieder zur Arbeit zu kommen. Sie will gar nichts von mir haben für den Abend, aber ich gebe ihr trotzdem 50 Mark.

November 94 bis März 95:
Ich sehe Leni seltener, da ich nicht soviel Zeit habe. Die anderen Frauen wissen schon, daß ich zu ihr will. Sie sind sehr freundlich zu mir, aber Leni können sie nicht ausstehen, sie nennen sie "Schmuddelchen". Was dahintersteckt, erfahre ich nie. Leni freut sich immer halbtot, wenn sie mich sieht: "Mein kleiner Freund aus Emden!" Jedesmal vergißt sie meinen Namen. überhaupt scheint sie ein Bißchen Durcheinander zu sein, wenn man sie etwas fragt, kommen manchmal sehr komische Antworten raus. Sie erzählt mir viele sehr private Dinge, daß sie im Frauenhaus war und daß es ihr sehr dreckig gegangen ist. Manchmal hat sie es sehr eilig, wenn ich bei ihr bin, und will schnell Sex und wieder zum Strich. Manchmal hat sie viel Zeit und wir gehen noch ein Glas Wein trinken. Dann verliebe ich mich immer richtig in sie und bin ganz verrückt nach ihr. Dann sieht sie mich mit großen Augen an und fragt mich immer wieder, ob ich sie denn liebhabe. Das verunsichert mich sehr. Meint sie das nun ernst oder gehört das zum Programm? Außerdem habe ich sie gar nicht so lieb. Wenn ich bei ihr bin, dann habe ich sie wohl lieb, weil ihre herzliche Art meine richtigen Nerven trifft. Aber allgemein denke ich, daß sie nicht zu mir paßt, so komisch, wie sie manchmal ist. Also weiß ich dann immer nicht, was ich sagen soll, und druckse herum, was mir hinterher sehr leid tut.

Einmal nimmt sie mich mit in ihr richtiges Zuhause und trinkt mit
mir Tee. Richtig lieb! Sie wohnt in einem alten Bremer Stadthaus, da wo ganz viele schmale Häuser alle dicht aneinandergebaut sind, mit Hinterhof und Treppengeländer aus Holz. So eine Gegend, wo einfache Leute wohnen. Ich finde das schön.

Ich habe keine Telefonnummer von ihr. Ich fahre aufs Geratewohl nach Bremen. Es ist nicht immer leicht, sie auf dem Strich zu finden. Ich weiß, welche Frau ihre Freundin ist, die kann ich fragen. Wenn die sagt "Leni ist nicht da, sie hat ihre Tage." kann ich nach Hause fahren oder ich besuche Irmgard. Die anderen Frauen brauche ich nicht zu fragen, die mögen Leni nicht und geben mir keine Auskunft. Auf dem Strich ist eine Pommesbude. Sie wird von einem Schweizer betrieben. Wie hat der sich bloß hierher verirrt? Da gehe ich dann hin und warte auf Leni. Einmal höre ich zwei Frauen zu, sie reden über mich "Das ist Lenis Minnefreier!" Das Wort habe ich noch nie gehört. ich erzähle ihr das, aber sie kennt das Wort auch nicht. "Hat das die Frau mit dem großen Busen gesagt?" damit meint sie Irmgard. Ja, tatsächlich hat sie das gesagt. Leni scheint Irmgard auch nicht zu mögen.

Manchmal ist Leni nicht da, vielleicht ist sie gerade mit einem Freier in ihrem Zimmer. Dann mache ich einen Spaziergang, um die Zeit zu überbrücken. Da ist die Fabrik von Roland Mehl, man sieht durch die riesigen Fenster die alten Maschinen laufen. Auf der anderen Seite geht es zu den Hafenbecken und Lagerhallen. Man kann auch durch einen langen Tunnel zum Strich gelangen, darüber fährt die Eisenbahn. Es ist eine reine Industriegegend, aber ich finde den Ort schön. Immerhin habe ich Leni hier kennengelernt.

April 95:
Leni möchte mit mir in die Disco gehen. Erst wollte sie eine Freundin auch noch mitbringen, aber die hat keine Zeit. Also hole ich sie zuhause ab und dann gehen wir in die Stadt. Sie macht sich sogar noch richtig hübsch, gar nicht so Strich-mäßig. Zu ihrer schwarzen, engen Glänzehose hat sie noch eine hübsche, schwarze Samtjacke mit Blumen drauf. Sie ist so glücklich und sagt, daß 20 Jahre keiner mit ihr aus war. Die Discos, die sie damals kannte, gibt es alle nicht mehr. Wir gehen im Zentrum ins Boccacio - 16 Mark Eintritt! Es ist Zehn Uhr und die Disco ist absolut leer, bis auf uns. Wir tanzen auch zusammen und ich bringe ihr die Schritte bei, nehme sie immer in den Arm, es ist so schön! Jetzt habe ich sie wieder so richtig lieb. Danach fahren wir zu ihr nach hause und gehen ins Bett. Sie will auch gar kein Geld dafür haben. Als wir fertig sind, frage ich sie, ob ich da schlafen kann, weil ich so müde bin, erst will sie nicht so gern, aber dann läßt sie sich überreden. In ihren Armen einzuschlafen ist noch viel schöner als Sex. Leni ist die weicheste Frau, die ich je im Arm hatte. Am nächsten Morgen trifft mich fast der Schlag: Leni ist um 20 Jahre gealtert! Nicht nur im Gesicht, auch in der Kleidung würde sie jetzt locker als meine Oma durchgehen. Sie macht mir noch ein Frühstück, dann fahre ich sie zur Stadt und verabschiede mich.

Eine Woche später:
In den letzten Wochen ist meine Lust immer weniger geworden, ich weiß nicht warum. Aber immer wenn ich Leni sehe, bin ich so verrückt, daß ich davon nichts merke. Die schönen Kurven! Ich verstehe gar nicht, warum andere Männer sich immer mokieren, wenn Frauen einen dicken Hintern haben. Ich finde das schön. Ich finde sie überhaupt ganz schön.
Wieder fahren wir beide zum Tanzen. Wir wollen woanders hin und suchen planlos herum. Dabei erzählt sie mir, daß Ihre Eltern sehr früh gestorben sind. Das sind so Sätze, die sie manchmal sagt, aber wenn ich nachfrage, sagt sie nichts mehr. Irgendjemand ruft uns zu "Der geht mit seiner Mutter in die Disco!" Leni mag zwar alt sein, aber lieb ist sie. Das zählt.
Später landen wir im Sinatras Dancing, leider auch teuer, aber voller. Wir sind schon ein recht komisches Pärchen und viele glotzen uns an, wie wir tanzen. Aber ich glotze auch rum, da sind Paare, die tanzen, als wenn sie Sex machen. Komisch, das würde ich wirklich lieber zuhause machen, aber die wollen wohl angeben. Ich habe ja etwas Angst, daß uns Leute dumm anmachen wegen unserem Aussehen, aber nichts kommt und wir haben einen schönen Abend. Auf dem Rückweg sehen wir vor einer Spielhalle ein gigantisches Polizeiaufgebot und eine Menschentraube drumrum. Leni sagt was von Razzia, aber sie weiß es wohl auch nicht so richtig. Mir erscheint das Aufgebot viel zu groß für eine Razzia. Hier ist immer was los.

Eine Woche später:
Ich fahre ganz spät zu ihr, damit sie vorher noch was verdienen kann. Um 2 erwische ich sie gerade auf dem Nachhauseweg und nehme sie gleich mit. Als wir diesesmal schmusen, merken wir endlich, daß wir ohne Sex viel zufriedener sind. Sie hatte es nur wegen mir gemacht und ich nur wegen ihr. Sie ist unten leicht wund, wegen den vielen Freiern. Ich streichel sie ganz lange und ganz vorsichtig und sie bekommt einen Orgasmus. Dann schlafen wir, ich wie immer an ihren Rücken gekuschelt. Sie ist so schön weich! Jetzt bin ich froh, daß ich Leni habe, ich kann mich so geborgen bei ihr fühlen, und das ist genau das, was ich brauche.

Nächste Woche:
Diesmal treibt mich die Sehnsucht schon früh zu ihr. Im Auto hat sie plötzlich wieder diese Angst, wie früher, wenn sie ihr Puff aufschloß. Dann sagt sie, sie möchte nicht mit mir nach Hause, sondern ins Zimmer und Geld haben. Ich frage sie, ob ich spät wiederkommen soll, aber das will sie nicht. Sie will gar nichts mehr mit mir zu tun haben und sagt, ich soll mir eine Freundin suchen, sie sagt: "Wenn ich dich immer umsonst lasse, dann kann ich ja gleich Tag der offenen Tür machen." Ich bringe sie so zurück, fahre weg und weine mich aus. Nach zwei Wochen fahre ich nochmal zu ihr, mit einer roten Rose, aber es ist das Gleiche: Sie kennt mich nicht mehr.



2. Teil


April 96:
Ich habe Leni seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Wie es ihr wohl geht? Ich frage mich, was passiert, wenn ich einfach hinfahre. Erstmal schicke ich ihr eine Postkarte. Vier Wochen später fahre ich hin, finde sie an altbekannter Stelle auf dem Strich. Sie freut sich aber so doll! Sie hat die Karte von mir bekommen und hat mich ganz doll vermisst. Jetzt freue ich mich auch. Wir fahren zu ihr und genießen den Abend, haben auch wieder Sex miteinander, wie früher, als wäre nichts gewesen. Am Morgen fahre ich glücklich nach Hause. Und ich denke drüber nach: Sie hat so schlimme Sachen erlebt, und ich sehe immer, wie ängstlich sie ist. Wenn ich sie zu oft besuche, kriegt sie Angst. Ich darf sie einfach nicht so oft besuchen, dann ist vielleicht alles gut. Einmal im Monat soll reichen. Öfter kann ich sie mir auch gar nicht leisten. Sie nimmt meistens kein Geld von mir, aber manchmal eben doch, und die Kneipen- und Discobesuche gebe ich ihr aus.

Manchmal gehen wir zu ihr nach Hause, machen uns einen schönen Abend, manchmal möchte sie auch mit mir auf ihr Dienstzimmer, oder ausgehen. Ich nehme sie immer so hin, wie sie gerade drauf ist, man weiß nie, was man bekommt, so ist das mit ihr. Kurz vor Weihnachten zieht sie eine Plastiktüte hervor - sie hat Weihnachtsgeschenke für mich! Extra für mich aufbewahrt. Sie wußte, daß ich kommen würde. Das ist so lieb von ihr.

Einmal bin ich bei ihr zu Hause und erzähle, daß ich Geburtstag hatte. Es ist ihr unangenehm, daß sie gar kein Geschenk für mich hat. Da nimmt sie spontan den Topf vom Herd "Der ist für Dich." Manchmal ist sie ein Bißchen verrückt, und sie läßt es sich auch gar nicht ausreden.

Ich weiß immer noch nicht, wie alt sie wirklich ist. Bei unserem ersten Treff damals hatte sie gesagt, sie wäre 32. Ich frage sie jetzt nochmal und sie sagt 40. Aber ich kann ja rechnen. An ihrer Pinnwand hängen Bilder von Elvis, und meinen Trabi hat sie für einen Lloyd gehalten. Ich denke daher, daß sie 50 ist. Morgens sieht sie sogar noch älter aus, aber sie hat ja auch was durchgemacht.

Auf einem Spaziergang erzählt sie mir, daß sie mal verheiratet war und in Delmenhorst gelebt hat. Aber ihr Mann hat sie furchtbar mißhandelt. Sie ist ins Frauenhaus gegangen und von dort jeden Tag zum Strich zum Arbeiten gefahren, die anderen Frauen haben sie für verrückt erklärt. Wenn sie sowas erzählt, sagt sie immer ein oder zwei Sätze, und wenn ich dann genauer nachfrage, will sie nicht mehr drüber reden. Aber ihr Schicksal interessiert und berührt mich doch.

Ich kann mir auch gut vorstellen, daß ich nicht Lenis einziger Freund dieser Sorte bin. Aber das stört mich nicht. Sie ist nicht meine Partnerin. Von den anderen Damen halte ich mich ein Bißchen fern, aber die kennen mich auch schon. Ich mache mich auch immer schön zurecht, wenn ich Leni besuche. Einmal möchte ich ihr eins von meinen Seidenhemden schenken. Sie zieht es an dem Abend an und gibt es mir später zurück. Das könne sie nicht annehmen.

An ihrer Wohnungstür stehen zwei Namen, und ich frage sie, ob sie einen Freund hat. Sie sagt: "Nein, ich will mich nur sicher fühlen." Man soll also denken, daß da zwei wohnen. Sie wohnt direkt über einer Kneipe. Sie sagt, wir dürfen beim Sex nicht laut sein, sonst gibt es Ärger mit ihrem Vermieter. Wenn wir Sex haben, sitzt ihr Kater mit auf dem Bett und schaut zu. Was der wohl von uns denkt? Einmal hat sie was vergessen, geht nochmal kurz weg, und ich bin allein in ihrer Wohnung. Sie sagt, ich soll auf keinen Fall in das Wohnzimmer schauen, das sei Tabu. Ich schaue nicht hinein, will ihr Vertrauen nicht mißbrauchen. Aber ich frage mich, was wohl passiert, wenn sie doch einen Freund hat und der jetzt nach Hause kommt? Ich stelle mir vor, daß ich mich ganz schnell unterm Bett verstecke, aber das macht wenig Sinn, wenn da meine Klamotten liegen. Oder ich springe aus dem Fenster. Wenn ich Glück habe, lande ich auf einer Mülltonne und breche mir nicht alle Knochen. Und dann? Nackt, wie ich bin, zur Polizei? Es kommt kein Freund, aber ich denke: Ich riskier hier ganz schön was für mein kleines Liebesglück.

Dezember 96:
Ich lerne in der Tanzstunde eine Frau kennen. Sie ist ganz anders als Leni. Mit ihr kann ich eine feste Freundschaft haben. Erst ist sie sich nicht sicher mit mir, macht Schluß, ich gehe wieder zu Leni. Doch dann sehen wir uns wieder und ich erzähle ihr, daß ich bei Leni war. Da ist sie ganz geknickt, und da weiß ich, daß sie mich doch mag. Wir verabreden uns zum Tanzen, danach umarme ich sie ganz fest. Da kann ich fühlen, daß ich sie liebe, und sie sagt auch nicht nein. Ich verspreche ihr, daß ich Leni nicht mehr besuchen werde. Aber einmal fahre ich heimlich doch noch hin. Ich möchte mich von ihr verabschieden. Ich sage ihr, daß ich die Frau fürs Leben gefunden habe, und sie fragt mich gleich, ob ich denn mit ihr gut zu Gange komme. Ich sage nein, sie ist streng christlich, da gibt es keinen Sex vor der Ehe. Für mich kein Problem, denn ich liebe sie. Das kann Leni gar nicht begreifen, wie sowas gehen soll. Sie stammt aus einer anderen Welt. Sie wünscht mir aber von Herzen alles Gute, ist auch nur ein Bißchen traurig, daß sie mich nicht mehr sehen wird.

Ich habe meine Liebe geheiratet und 25 wundervolle Jahre mit ihr verbracht. Ich habe Leni nie wieder gesehen. Manchmal denke ich an sie. Wie es ihr wohl ergangen ist? Ob sie noch lebt? Die schöne Erinnerung bleibt...


© Minnefreier


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Beschreibung des Autors zu "Leni"

Dies ist das Tagebuch eines jungen Mannes, der die Liebe ausgerechnet auf dem Straßenstrich
sucht und sie tatsächlich findet. Es wird mit Erlaubnis hier abgedruckt.

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Kommentare zu "Leni"

Re: Leni

Autor: Sarah Rosenrot   Datum: 10.05.2024 11:11 Uhr

Kommentar: Fesselnd und mega schön geschrieben. Man merkt wirklich, dass dies ein junger Mann ist - er wirkt irgendwie so unschuldig und trotzdem geht er immer wieder zum Strich für seine Leni.
Sehr interessantes Konzept, gefällt mir mega!

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