"Papa!", rief es aus dem Kinderzimmer.
Manuel machte sich direkt auf den Weg vom Bett zum Zimmer von seinem Sohn Leon.
"Was ist los?", fragte er besorgt.
"Da hinten ist etwas, ein Geräusch. Kannst du nachschauen?"
"Da ist nichts.", sagte Manuel beruhigend und leicht genervt zugleich. Es war drei Uhr nachts und er war müde, zumal musste er am nächsten Morgen wieder zur Arbeit, wo eine acht Stunden Schicht in der Lagerhalle eines Versandhandels auf ihn wartete. Aber er schaute nach und vergewisserte sich, dass dort wirklich nichts war. Das musste er auch, wenn er heute Nacht nicht noch zwei Mal rüber laufen wollte.
Seine Frau Sandra war gerade für einige Tage bei ihrer Mutter, weil sie nach einem Sturz ein wenig Hilfe beim Haushalt brauchte und so war Manuel alleine mit Leon im Haus, zumindest nachts.
Tagsüber während Manuel auf der Arbeit war, war Leon in der Schule. Er besuchte eine Ganztagsschule, zwei Straßen weiter und ging mit seinen zehn Jahren in die fünfte Klasse der Gesamtschule.

Seine Frau sagte immer, dass er eben Angst im Dunkeln hatte, das sei normal bei Kindern. Aber Manuel war der Meinung, dass die Angst nie weg geht, wenn sie ihn nicht alleine schlafen lassen und das Licht ausschalten.
Bis vor drei Monaten hatte Leon auch keine Angst im Dunkeln. Er konnte nachts durchschlafen und selbst nach einem Alptraum hat man ihn ins Bett schicken können, ohne vorher unter dem Bett oder im Schrank nachzuschauen. Doch von heute auf morgen hat es angefangen. Er hatte Angst, etwas könnte sich unter dem Bett verstecken, vor der Schranktür steht ein Stuhl, der diese blockiert und die Vorhänge sollten auch abgenommen werden, aber da hatte Manuel etwas dagegen, er fand es schon übertrieben den Schrank abzusperren, hat es aber nicht verboten. Hauptsache er konnte nachts schlafen und musste nicht wieder mitten in der Nacht das Zimmer seines Sohnes auf übernatürliche Aktivitäten absuchen.

Am nächsten Morgen hat Manuel seine Frau angerufen, so wie jeden Morgen. Es ist schon ein Ritual geworden, seit sie bei ihrer Mutter war. Aber er erzählte ihr auch von dem Vorfall in der letzten Nacht, worauf er nur zu hören bekam, dass ihr Sohn halt ein bisschen länger brauche, um seine Nachtangst abzulegen.
Ein Nachtlicht hatte sie ihm vorgeschlagen, aber Manuel war dagegen.
"Das kostet nur wieder Geld und das haben wir nicht, außerdem ist es gesünder, wenn es komplett dunkel ist." Sagte er nur nüchtern. "Ich muss jetzt auch los, wir telefonieren heute Abend nochmal."

Nach einem anstrengenden Tag kam Manuel von der Arbeit nach hause. Leon war schon da und wartete auf ihn, aber nicht lange.
Mittwochs war Leon immer früher zu Hause als sein Vater, denn da fuhr er nach der Arbeit noch bei der Dönerbude vor dem Kaufhaus vorbei. Leon hatte schon lange seinen eigenen Haustürschlüssel, deshalb machte ihm das nichts aus. Außerdem freut er sich immer auf das Essen vom Imbiss, obwohl sein Vater auch relativ gut kochen kann.
Nach dem Essen schauen die beiden meistens noch einen Film zusammen und unterhalten sich über den Tag, bis es Zeit ist schlafen zu gehen. Außer Dienstag und Donnerstag, da ist Leon im Fußballtraining, im städtischen Fußballverein.
Er spielt als Stürmer und zählt als Toptorjäger zu den Stammspielern seines Vereins, dennoch kommt die Mannschaft selten auf eine bessere Position als fünfter in der Kreisliga. Es zählt eben nicht nur wie viele Tore man schießt, wenn die Abwehrspieler nur auf dem Platz stehen, um das Team zu vervollständigen. Trotzdem hat er viel Spaß am Sport und das ist doch alles was zählt, oder ?
Zumindest sagt das immer seine Mutter.

Vier Wochen ist es jetzt her, seit Sandra für ein paar Tage zu ihrer Mutter gefahren ist. Einmal war sie über ein Wochenende zuhause und ist dann aber wieder weg gefahren.
"Keine Ahnung!" Antwortete sie Manuel auf die Frage, wie lange sie noch dort bleibt. "Sie braucht eben Unterstützung, ein gebrochenes Bein heilt eben nicht von heute auf morgen."
Das war Manuel auch klar, dennoch würde er sich auch über ein wenig Hilfe und Gesellschaft freuen. Vorallem weil es mit der Nachtangst von Leon nicht besser wurde. Immer wieder schreit er nachts, weil er glaubt irgendwas gesehen zu haben. Einen Schatten in seinem Zimmer, mal im Schrank, mal im Vorhang.
Trotzdem weigert sich Manuel weiterhin die Vorhänge abzunehmen. Dann gaffen die ganzen Leute von draußen herein, hat er als Argument aufgeführt und die Diskussion beendet.
Aber er hat sich überreden lassen, ein Nachtlicht zu holen. Eines für in die Steckdose, dass jetzt neben der Tür des Zimmers steckt. Nichts besonderes, aber es scheint zu helfen.
Drei Tage ist es nun her, dass Leon zuletzt in der Nacht gerufen hat.

Doch in der vierten Nacht hat es wieder angefangen. Oder erst richtig angefangen.
Jede Nacht ruft Leon wieder.
"Schatten! Da hinten! Irgendwas ist da!"
Manuel schaut nach, doch findet nichts, außer ein gekipptes Fenster.
"Das war bestimmt der Wind, der den Vorhang bewegt hat." Sagte er beruhigend und schloss das Fenster wieder.
Beim rausgehen bemerkte er jedoch, dass das Nachtlicht nicht mehr in der Steckdose steckt und steckte es wieder hinein.
In der Nacht darauf war es wieder ausgesteckt und der Stuhl vor dem Schrank verschoben, aber das ist ihm erst im Nachhinein aufgefallen, als er die ganzen Geschehnisse der Polizei erzählt hat.

Seine Frau meldete sich immer seltener und auch die meisten seiner Anrufe blieben oft unbeantwortet, während sich die Ereignisse zuhause überschlugen.
Als Manuel wie jeden Abend das Zimmer seines Sohnes nach Monstern kontrolliert hatte, schloss er den Schrank, der einen Spalt offen stand. Er schaltete das Nachtlicht ein und das Licht aus.
Doch in der Nacht als Leon angefangen hat zu schreien, fand er den Schrank offen. Nur einen Spalt. Und wieder war das Nachtlicht ausgesteckt, aber das war nicht das, was ihm am meisten beunruhigt hatte.
Leon hatte Kratzer an den Armen, als hätte jemand seine Fingernägel rein gedrückt und ihn mitziehen wollen, aber er sich zu sehr gewehrt hat.
In dieser Nacht hat Manuel seinen Sohn ausnahmsweise mit zu sich ins Schlafzimmer genommen und dort schlafen lassen. Seine Frau war ja immer noch weg und so langsam hat er angefangen sich distanziert zu fühlen.
Am nächsten Morgen versuchte er sie anzurufen und wollte von den Kratzern an Leons Armen erzählen, doch wie so oft in letzter Zeit, ging niemand ans Handy.

In der darauffolgenden Nacht hat Leon wieder bei seinem Vater geschlafen. Ohne einmal zu rufen oder zu schreien. Aber am nächsten Morgen war die Schranktür wieder offen und wieder nur einen Spalt. Außerdem fand Manuel eine dreckspur vom Schrank zum ebenfalls offenen Fenster, aber keine Fußabdrücke auf dem Boden. Vielleicht ein Waschbär, dachte er sich, die sind ja nicht selten in dieser Gegend.
Nachdem er für das Fenster seines Sohnes einen abschließbaren Fenstergriff besorgt und angebracht hatte, hat Leon auch wieder in seinem Zimmer geschlafen.
Doch bereits in der ersten Nacht schrie er wieder. "Irgendwas ist da! Ein Schatten!...Im Schrank!...Es will mich holen!" Leon saß weinend in seinem Bett, seine Arme voller Blut, komplett zerschnitten und im Augenwinkel sah Manuel nur eine Gestalt aus dem Fenster verschwinden. Er war sich sicher, dass er das Fenster abgeschlossen hatte, aber danach schauen konnte er später auch noch. Jetzt war ihm erstmal wichtig, dass die Wunden seines Sohnes versorgt wurden.
Er brachte ihn in ein Krankenhaus und gab an, dass er sich selbst verletzt hätte. Das hatte er im Vorfeld so mit ihm abgeklärt, zum einen, dass er diese Nacht erstmal in Sicherheit ist, selbst wenn er jetzt als Notfall angesehen wird, bei dem von einer Selbstgefährdung auszugehen ist. Außerdem würde ihnen sowieso niemand glauben, dass das Monster aus dem Schrank ihn verletzt hat.

Allerdings ließ es ihm auch keine Ruhe was mit seinem Sohn passiert ist und beschloss die nächste Nacht im Zimmer seines Sohnes zu verbringen.
Ausgerüstet mit Salz und einer Eisenstange machte er es sich im Bett seines Sohnes bequem.
Manuel ist ein riesen Fan von Supernatural, weshalb das das erste war, was ihm eingefallen ist.
Doch es passierte nichts. Kein Schatten, keine Geräusche, kein Poltergeist.
Er hatte gehofft, dass das mysteriöse Ding nochmal kommt und sein Werk womöglich vollenden wollte. Aber die ganze Nacht war es ruhig.

Inzwischen hat Manuel seine Frau erreicht und ihr von den Vorfällen berichtet. Auch dass Leon im Krankenhaus liegt, worauf sie sofort nach Hause gekommen ist.
Nach einem harten Tag legten sich die beiden ins Bett, doch kurz vorm einschlafen wollte sie nochmal zur Toilette gehen und Manuel stand auch nochmal auf, um das Fenster im Zimmer seines Sohnes nach dem lüften zu schließen.
Er betrat das Zimmer und traute seinen Augen nicht. Leon lag da im Bett und seine Hände undKleidung war blutig. Sofort eilte er zu ihm, aber bemerkte auch, dass der Schrank offen stand. Nur einen Spalt.
Manuel ging Richtung Schrank und wurde sofort blass als er ihn öffnete und hinein sah. Alles was er noch sagte bevor er ohnmächtig wurde, war den Namen seiner toten Frau, die mit eingedrückten und blutenden Augenhöhlen im Schrank saß.


© Saša


2 Lesern gefällt dieser Text.

Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher


Beschreibung des Autors zu "Nachtangst"

Meine zweite Geschichte, diesmal komplett selbst ausgedacht. Was haltet ihr davon ?

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Nachtangst"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Nachtangst"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.