1. Arzttermin

Es ist sechs Uhr morgens und ich werde von einem schrillen Ton aus meinem Handy aus dem Schlaf gerissen. Es ist Mittwoch, ich habe frei und gestern Abend vergessen, den Wecker auszuschalten. Aber ich fühle mich komisch, weiß allerdings auch nicht woran es liegt.

Ich google kurz nach einem Arzt, der noch einen Termin frei hat, gar nicht mal so einfach, so spontan. Aber da, ich hab was.
In einem Dorf namens Löwenthal, eineinhalb Stunden mit dem Bus entfernt.
Also mach ich mich fertig und gehe schnell los, den Bus dürfte ich gerade noch so schaffen.

Das wäre geschafft, ich sitze im Bus und bin auf dem Weg, aber Moment, warum komme ich nur zum Nachbarort? Egal, steige ich halt hier um.

Irgendwas ist komisch. Die Straße ist komplett leer, niemand fährt sie hinauf.
Ich versuche es per Anhalter, aber ich bekomme nur die Antwort, dass er sicher nicht dort hin fährt.
Auch wenn es nicht meine Art ist, dort steht ein Fahrrad, nicht abgeschlossen und ich nehme es mir mit. Keine absolute Schönheit, aber es fährt, irgendwie.

Fünfzehn Minuten später, bin ich endlich da, in Löwenthal. Es scheint ein verträumter Ort zu sein, aber sicher kein kleines Dorf.
Nach ein paar Minuten bin ich an der Praxis angekommen und darf auch direkt im Wartezimmer platz nehmen, in dem zwei Dalmatiner sitzen und gestreichelt werden wollen.

Nach zehn Minuten Wartezeit, werde ich auch schon aufgerufen und direkt untersucht, aber scheinbar ist alles in Ordnung und ich kann unbesorgt den Heimweg antreten.


2. Neuwagen

Noch bevor ich das Behandlungszimmer verlasse, spreche ich den Arzt auf sein Auto in der Einfahrt an: "Einen schicken Oldtimer haben sie da! Ist das ein 67er Mustang?" Kure Stille und ein verwirrter Blick, bevor mir verwundert geantwortet wird: "Oldtimer ? Das ist das neuste Modell, ich hab ihn erst gestern bekommen!"
Nun macht sich auch bei mir Verwunderung breit und plötzlich bemerke ich, dass es keine elektrischen Geräte in der Praxis gibt. Kein PC am Empfang und die Karte für die Krankenkasse wurde auch nicht verlangt. Schnell gehe ich hinaus und merke, dass die Straßenlaternen auch ganz ungewöhnlich aussehen.

Ich laufe die Straße hinunter, aber ich finde den Weg nicht mehr zurück und das Fahrrad ist auch verschwunden, zum Glück war es nicht mein eigenes.
Als ich jemanden auf der Straße gehen sehe, kann ich nicht anders, als nach dem Datum zu fragen und ein Mann, ungefähr Mitte dreißig sagt mir, es sei der 24. Mai. - Naja, immerhin das stimmt, aber welches Jahr wir haben oder in welchem Jahr ich bin, weiß ich immer noch nicht. Zumindest heute morgen war noch 2023.

Da vorne, da liegt eine Zeitung auf dem Gehweg, vielleicht ist die etwas hilfreicher.
"Dienstag, 23. Mai 1967" lese ich auf der Titelseite. Also muss die von gestern sein, beziehungsweise von gestern vor 66 Jahren, wenn ich nach meiner Zeit gehe.
Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche, aber es ist komplett schwarz und nützt mir gerade nichts, also steck ich es schnell wieder weg.

Vielleicht finde ich einen Weg zurück, ich laufe mal in die andere Richtung. Nichts, ich bin hier gefangen und habe die Orientirrung verloren, aber aufgeben und nichts tun wäre wohl die falsche Entscheidung.

Da vorne sind Menschen, zwei Frauen, die eine sieht etwas jünger aus als die andere, vielleicht Mutter und Tochter. Ich laufe ihnen mit etwas Abstand hinterher und hoffe darauf, neue Anhaltspunkte zu finden, die mich weiter bringen.
Eine Treppe nach oben und ein schmaler Pfad, keine Gasse, eher eine Art Feldweg mit einigen Büschen am Rand und kleinen Bäumen. Eine kleine Brücke über einen Bach, hier und da ein Häuschen. Gemütlich.

Plötzlich ein Geräusch aus dem Busch. Ein Rasseln, das immer lauter wird und eine Kreatur, die heraus springt. Solch ein Wesen hab ich noch nie gesehen. Es geht aufrecht wie ein Mensch, aber hat sonst nicht viel mit einem gemeinsam. Die Gestalt sieht aus wie eine Art Werwolf, aber mitten am Tag?
Geistesgegenwärtig greife ich nach einem Stück Metall, dass neben dem Weg liegt und versuche die Kreatur in die Flucht zu schlagen. Mit Erfolg.
Mein Herz pocht wie verrückt und ich spüre, wie das Adrenalin durch meinen Körper fließt und so bekomme ich kaum mit, dass die beiden Frauen sich bei mir bedanken, bevor sie weiter laufen. Auch ich laufe nach einer kurzen Verschnaufpause weiter. Ich muss weiter laufen.


3. Ein Polizist

Nach einigen Minuten bin ich wieder in der Nähe der Ortsmitte, zumindest sind wieder viele Häuser um mich herum. Allerdings sehen einige überraschend modern aus, zumindest für die späten 60er.
In der Einfahrt eines Hauses seh ich ein Fahrzeug, es ist relativ klein und scheint nicht abgeschlossen zu sein, wie sich bei näherer Begutachtung herausstellt.
Ich beschließe mich kurz hinein zu setzen, einfach um mir den Wagen von innen anzuschauen. Ein harter Sitz, nicht viel Komfort, ein Lenkrad, aber... Ich sehe keine padale, zumindest nicht solche, die ich erwarte. Ich sehe Fahrradpedale. Ich sitze in einem Kettcar. Verrückt, doch so langsam wundert mich gar nichts mehr.

Eine kurze Probefahrt stört bestimmt niemand, ich bringe es ja wieder zurück.
Es sind vielleicht nicht die besten Ideen, die ich heute habe und bestimmt auch nicht die besten Entscheidungen, die ich heute treffe, aber so hab ich wenigstens etwas zu erzählen, auch wenn mir das wahrscheinlich eh niemand glauben wird.

Also fahre ich los und erkunde die Straßen, in denen ich gefangen bin. Nach ungefähr einer Stunde Fahrt durch dieses Labyrinth und immer weiter schwidenden Hoffnung hier nochmal raus zu kommen, treffe ich auf eine Familie. Ein Mann in Polizeiuniform oder zumindest etwas, dass ich als solches wahrnehme. Eine Frau und zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Die Frau und ihre Tochter kommen mir allerdings sehr bekannt vor. Genau, der Werwolf.

"Was machst du in meinem Auto, aussteigen!", ruft der Mann leicht verärgert. Nun gut, ich kann es ihm nicht verübeln, schließlich bin ich einfach so in sein Fahrzeug gestiegen und losgefahren.

Freundlich erkläre ich ihm, dass es mich einfach interessiert hat, was das für ein Fahrzeug ist und ich es ja wieder zurück bringen wollte. Wollte ich ja wirklich!
Seine Frau und Tochter versuchen ihn zeitgleich zu beruhigen und erzählen ihm von dem Werwolf, den ich vertrieben habe.
Die werden hier zu einer richtigen plage, kommentiert er nur.
Inzwischen bin ich auch aus dem Wagen ausgestiegen und bemerke, dass auf dem Dach ein Blaulicht montiert ist, was mir vorher gar nicht aufgefallen war und auch sonst sieht das Fahrzeug größer aus und ähnelt mehr einem Auto, statt einem Kinderspielzeug.
Nach kurzer Unterhaltung lässt er mich sogar weiter fahren, was mich sehr überrascht, aber ich entscheide mich dazu, das Einsatzfshrzeug zurück zu bringen und und das Haus finde ich sogar auf Anhieb, nicht so wie den Ortsausgang.


4. Harter Kampf

Nachdem ich den Wagen zurück gestellt habe, verlasse ich die Straße mit den modern anmutenden Häusern in Richtung Ortsmitte. Eine gepflasterte Straße, vorbei an einem Lokal mit dem Schild "Goldener Löwe".
Ein großer Platz tut sich vor mir auf, in der Mitte ein riesiger Baum, fast wie in einem Märchen. Doch es ist nicht nur ein Baum, ich sehe in der Krone mehrere Häuser, fast schon ein eigenes Dorf. Faszinierend.
Plötzlich höre ich Geräusche und sehe, dass ich verfolgt werde. Dutzende Wesen, Trolle, Elfen, ich kann es nicht genau sehen, aber es sind keine Menschen.
Ich fange an zu rennen, zum kämpfen sehe ich keine Chance, es sind zu viele und ich bin alleine.

Nach einiger Zeit hab ich sie abgehängt und laufe wieder alleine durch den teilweise mittelalterlich anmutenden Ortskern. Die Sonne hat den höchsten Punkt schon lange überschritten und ich weiß, dass ich bald einen weg hier raus finden muss.
Ich bitte jemanden um Hilfe und finde tatsächlich jemanden, den ich fragen kann, warum bin ich noch nicht früher auf die Idee gekommen?
Doch die Antwort ist enttäuschend. Was hab ich auch sonst erwartet ?
"Bist du einmal hier zu Gast im Hause, lässt der Ort dich nie zurück nach draußen!", philosophiert der alte Mann, den ich gefragt hab. Aber mir fällt auf, erst nachdem ich das Haus des Arztes betreten hab, sind mir die ganzen komischen Dinge aufgefallen.

Dennoch laufe ich weiter und die Sonne sinkt weiter Richtung Horizont. Und da vorne, tatsächlich, eine Straße die aus dem Ort hinaus zu führen scheint. In welche Richtung ist mir erstmal egal. Eigentlich hoffe ich nur, dass ich dort nicht auf eine riesige Kuppel treffe, wie in "Under the Dome".
Die Straße führt leicht hinauf und verläuft sich in einer leichten Linkskurve. Ich laufe etwas schneller als Wind einsetzt, Gegenwind.
Je schneller ich Richtung Ausgang laufe, desto stärker wird der Wind, fast schon ein Sog, der mich wieder Richtung Ort ziehen will. Aber ich muss weiter laufen. Weiter nach draußen.
Ich renne, ich Kämpfe, ich krieche und der sog wird mit jedem Meter stärker. Wie bei einem Tornado, sehe ich wie der Wind alles weg zieht, das Gras liegt schon flach, aber ich sehe das Ortsschild. Ich habe Hoffnung und Kämpfe weiter.
Noch dreißig Meter. Noch zwanzig, ich komme näher und bleibe stark. Ich Kämpfe und plötzlich... am Ortsschild.


5. Heimweg

Der Wind hört schlagartig auf und ich hab es geschafft. Ich renne, drei Kilometer und sehe eine Bushsltestelle an einer verlassenen Straße. Es ist die Haltestelle, an der ich heute morgen ausgestiegen bin und auf der anderen Straßenseite, ich kann es kaum glauben... Da steht ein altes Fahrrad, ohne Schloss.
Ich steige in den Bus und fahre nach Hause. Es war ein harter Tag, ich Falle ins Bett und schlafe ein.

In dieser Nacht hatte ich verrückte Träume. Von fremden Kreaturen, Dörfern in Bäumen und Trollen und Elfen, die mich jagen. Und plötzlich endet der Traum.

Es ist sechs Uhr morgens und ich werde von einem schrillen Ton aus meinem Handy aus dem Schlaf gerissen. Es ist Mittwoch, ich habe frei und gestern Abend vergessen, den Wecker auszuschalten. Aber ich fühle mich komisch, weiß allerdings auch nicht woran es liegt.
Ich google kurz und leg mein Handy zurück um weiter zu schlafen.
Kurz schweift mein Blick nochmal durch das Zimmer und bleibt an meiner dreckigen Hose hängen, diese Hose, die eigentlich gewaschen im Schrank liegen sollte und daneben eine Zeitung.
"Dienstag 23. Mai 1967".


© Saša


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Beschreibung des Autors zu "Arztbesuch"

Die Geschichte ist aus einem Traum heraus entstanden, den ich vor einiger Zeit hatte. Bisher hab ich nur Songtexte geschrieben, deshalb verzeiht mir, dass ich nicht der beste Autor für Geschichten bin. :)

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