Es stimmt, dass Müll die Welt versifft,
er füllt die Welt, das ist nicht schön,
doch hab ich ihn seit gestern morgen
von einer neuen Seit’ gesehn:

Als ich gestern Müll entleerte,
sah ich etwas, das mich rührte,
sah wie jemand Werte ehrte,
was zu diesen Versen führte.

Es prägte sich in mein Erinnern,
ich konnt’ es einfach nicht verdrängen,
es rührte mich ganz tief im Innern
und blieb in Herz und Hirn mir hängen:

Auf dem Müll saß Müllmann Huber,
wühlte, während Tränen triefen,
in einem dicken Aktenschuber
voll mit alten Liebesbriefen.

Sollen sie im Müll vergammeln,
unerkannt und unbeachtet?
Briefe, die von Liebe stammeln
und Sehnsucht, die längst ausgeschmachtet?

Im Müllamt dreh’n sich Vorschriftsmühlen,
doch diesmal wagt man, sich zu sträuben,
um einmal nur mit mehr Gefühlen
die Amtsgeschäfte zu betreiben.

Obgleich wir dann Gesetze brechen
und in privaten Leben wühlen,
woll’n wir uns diesmal doch erfrechen,
statt zu gehorchen mal zu fühlen“.

Das ist was Neues, Unerhörtes,
das plötzlich durch die Wolken stößt,
oft hat Verzicht auf Altbewährtes
schon Revolutionen ausgelöst.

Drum hat man Huber auserkoren,
weil er geeignet für den Job ist,
und weil ihm Zartheit angeboren,
und weil er niemals kalt und grob ist.

In früher Jugend rüpelhaft
und nicht gewillt sich zu bezähmen,
hat Huber es dann doch geschafft,
sich später handsam zu benehmen.

Er soll trotz Datenschutzgesetzen
die Liebesbriefe noch mal lesen
und sie mit seinen Tränen netzen,
bevor sie auf dem Müll verwesen.

Das ordnet Amtschef Dobelmayer
so einfach an und grinst dabei,
er fühlt sich gut, sein Herz wird freier,
als spielt’ ein Engel dort Schalmei.

Und so liest Huber jetzt besessen
die Briefe, die wir oftmals meiden,
bis er die Welt um sich vergessen.
O Huber, was musst du erleiden

bei all den Schwüren, Trennungsnöten,
die wir – schon lang damit im Reinen –
heut’ lieber in die Tonne treten,
statt längst Vergang’nem nachzugreinen?!

O Huber, lies! Wir wollen beten,
dass du es schaffst, es gibt sonst keinen,
der trotz vielleicht privaten Nöten
mit solcher Empathie kann weinen.

Man spürt in unseren harten Tagen,
es fehlt der Trost uns schon seit Jahren,
wir müssen stark sein, nie verzagen,
obwohl wir Grausamkeit erfahren.

Warum im Kleinen nicht beginnen,
die Eisesschichten abzuschmelzen?
Selbst wenn dabei die Tränen rinnen
und wir uns auf dem Müllberg wälzen.

Und ganz am Ende unverwandt,
begann mich Huber sehr zu rühren.
Was hatt’ er da grad in der Hand?
Ein Blatt mit Herzchen, Liebesschwüren?

Ich blickte näher und erschrak,
denn dieses Blatt schrieb Dörte,
die mir versüßte manchen Tag,
bevor sie mir den Rücken kehrte...

...und Lust in fremden Betten suchte.
Sie suchte und sie wohl auch fand,
ach, wie ich einst dem Schicksal fluchte,
und glaubte, dass sie mir zustand.

Sie ließ nur diesen Brief zurücke,
den Huber grade an sich rafft.
So schließt sich die Erinnerungslücke,
die zwischen heut und damals klafft.

Was er im Liebesbrief gelesen,
wird Huber das für sich bewahren
und tun, als wäre nichts gewesen? – – –
Ich werd’s wahrscheinlich nie erfahren.


© Peter Heinrichs


6 Lesern gefällt dieser Text.


Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher




Beschreibung des Autors zu "Hubers letzter Job (5-Minuten-Poetry Slam)"

Ich habe dieses Gedicht schon mal hier in einer kürzeren Fassung eingestellt. Für ein Poetry Slam musste ich es verlängern. Ich habe dabei versucht, es sogar noch etwas besser zu fomulieren.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Hubers letzter Job (5-Minuten-Poetry Slam)"

Re: Hubers letzter Job (5-Minuten-Poetry Slam)

Autor: Verdichter   Datum: 27.03.2018 18:56 Uhr

Kommentar: Ich kann mich an den Hubert noch sehr gut erinnern, hat mir schon beim ersten Mal gefallen!
Gruß, Verdichter

Kommentar schreiben zu "Hubers letzter Job (5-Minuten-Poetry Slam)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.