Von der Stelle
dieser Schwelle
kommt ein süßer Aasgeruch,
doch bevor ich mich jetzt quäle
höre ich den Richterspruch:
Wehe, wehe, ungelogen,
machst du deine Ängste fett,
holst dich nachts aus deinem Bett,
hast dich in der Zeit verflogen –
bist du nur noch auf der Welt
um den Körper zu bewegen,
aufzusteh’n, dich hinzulegen?
Ist der rechte Weg verfehlt,
armer Esel, der du bist?
Du hast die Jahre nicht gezählt!
Und was man dir hier gewährte
war dir meistens viel zu trist.
In dem Raum, der sich dir klärte
sahst du immer eine Chance –
großes Kind in tiefer Trance.

Du bist eben dumm gewesen
und du bist es leider noch.
Zwischen Lebenszeilen lesen
und daraus noch etwas lernen?
Kleiner Geist, der Lunte roch,
willst du dich jetzt leis’ entfernen,
dich ganz sacht von dannen stehlen,
daß nichts mehr mit dir geschieht?
Ja, du möchtest einfach fehlen
und beachtest nicht: Wer flieht
kann auch nichts für sich gewinnen!
Möchtest du denn jemand sein?
Dann erzeuge einen Schein!

Doch du bist dir niemals recht,
siehst du dich, dann wird dir schlecht –
auch die andern sind dir schal,
können selten Freude wecken:
Tageszeit als Stundenqual?
Soll dahinter etwas stecken?
Du wirkst sichtlich mitgenommen,
willst nichts mehr so recht begreifen,
kannst du nicht mehr weiterreifen?
Scheinst dir selber leicht verschwommen,
magst dir wenig Achtung schenken,
siehst dein Bild dir fremd geworden
und der Tanz zu den Akkorden
den die Grauen Zellen denken
lässt dich weiße Fahnen schwenken.
Möchtest du denn anders handeln?
Ja! Wenn ich nur wüsste wie?
Du verstehst es nie!
Musst du nichts als kindisch sandeln?

Treibt es dich denn außer Landes?
Fürchtest du dich in der Stadt?
Du bist weitab des Verbandes,
der dich längst verlassen hat –
trotzdem bist du jemand treu:
Du brauchst deinen Heimatboden,
unabhängig aller Moden,
unabhängig aller Scheu!
Hier bist du nun mal geboren
(und das ist dir eine Last?),
bist in Raum und Zeit verloren,
ganz egal, ob dir das passt!
Und ein Mensch, der etwas will –
der seine Umwelt kritisiert –
wendet sich nicht einfach still,
weil er gänzlich angeschmiert.
Was soll dein Entschluss bedeuten?
Willst du Totenglocken läuten?
Schlangenhaft im Grau verschlissen
trabst du mitten durch den Dunst,
bist bisweilen auch gerissen
und berauschst dich an der Gunst,
du lässt diese Meute walten,
du bist leidlich tolerant –
siehst dich selbst als relevant –
doch mitunter Schreckgestalten,
die dich weithin überragen
(große Mäuler im Gesicht).
Bist du eigentlich noch dicht?
Mit scharfen Waffen um sich schlagen
und mit brachialen Beilen
rigoros die Torte Teilen,
die dir auch ganz gut gefiel,
kannst du gar nicht recht vertragen.
Solltest du an Listen feilen,
damit deine Wunden heilen? –
Oder bleibst du einfach kühl?

Tu, was immer auch vonnöten,
was dir wahr und gut erscheint -
was dir Glück und Zufall böten
und bedenk’ wie es gemeint:
Wenn du dich einfach hier einreihst
bist du lediglich ein Teilchen –
Kameradenschwein am Seilchen –
dem du kein Gewicht verleihst.
Sei dir selber eine Stütze!
Wozu bist du wirklich nütze?
Findest du dein Seelenheil
in dem allgemeinen Schlamm?
Scher dich über einen Kamm
mit den andern Artgenossen,
und du findest dich erschossen!
Denn wer kann schiebt seinen Keil
zwischen dich und dein Revier,
zieht dir kuriose Grenzen.
Doch du siehst dich nicht als Tier,
glaubst dich „würdig“ und „erhaben“,
willst dein Wissen stets ergänzen –
machst dich schwindlig, wo es geht –
und wenn sich dann alles dreht
suchst du hilflos nach dem Halt,
der dir Trost und Hoffnung gibt
in der weiblichen Gestalt,
die dich munter vorwärts schiebt.

Richtung Ende,
Richtung Schluss –
Liebe, Kunst- und Musenkuss:
Reicher Inhalt, tausend Bände,
eingegraben ins Gesicht,
eingefurcht ins Handgelände –
einer Seele Außenschicht –
retten dich nicht vor der Zeit,
nicht vor dem, was in ihr steht,
nicht davor, daß sie vergeht.
Doch sie sind Gelegenheit
Filme flackernd abzuspulen.
Und darin erkennst du dich,
siehst dich melancholisch, buhlen,
zweiflerisch und streng an sich.
Deine Augen aufgeschlagen
musst du dir doch ehrlich sagen:
Ich bestehe wirklich gern!
Wohin geht mit mir mein Stern? -
Solche Tiefen auszuspüren,
auf den Stellen,
vieler Schwellen,
lasse ich mich oft verführen.


© Alf Glocker


2 Lesern gefällt dieser Text.


Unregistrierter Besucher

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Auf der Stelle (ein Selbstgespräch)"

Re: Auf der Stelle (ein Selbstgespräch)

Autor: Michael Dierl   Datum: 10.07.2021 8:24 Uhr

Kommentar: Uuuuuuuuuuuuuuuuuiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii...................da prasseltssss aber auf einen ein beim Lesen! Klasse geschrieben auch wenn da zuviel drinsteckt was man gar nicht alles in einen Satz packen kann. Aber als Tenor dieses Gedichtes würde ich mal sagen. Ähnlich geht's vielen!

lg Michael

Re: Auf der Stelle (ein Selbstgespräch)

Autor: Alf Glocker   Datum: 10.07.2021 9:38 Uhr

Kommentar: Das vermute ich auch...

ich bedanke mich!

LG Alf

Kommentar schreiben zu "Auf der Stelle (ein Selbstgespräch)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.